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Wir sind in einer großen Schlacht besiegt worden. Wir sind in dem Kampf gegen die preußische Schulvorlage unterlegen. Konfessionalismus, Bureaukratismus und der reaktionäre Geist, der durch die deutschen Lande weht, haben in diesem Augenblick den Sieg davongetragen. Ein großes Unglüc ersehe ich darin, daß dies geschehn konnte gegen das einmütige und ausdrückliche Votum der Sachverständigen. Sachverständig sind aber einzig und allein die deutschen Lehrer. Ich will aber betonen, daß wenn wir gegen diese Vorlage opponierten, wir uns ferngehalten haben von allem Radikalismus. Wir sind stets die konservativen, staatserhaltenden Elemente gewesen, und wir haben immer Front gemacht gegen die Eingriffe fremder Mächte, mögen sie heißen Rom oder Wittenberg! Wir haben stets das Recht erhalten wollen. Der Kampf ist verloren für uns. Aber nach der Schlacht bei Cannä hat der römische Senat zu rüften angefangen, und die Besiegten von 216 sind die Sieger von 201 geworden. Und als gerade jezt vor hundert Jahren Preußen in der Schlacht bei Jena unterlag, da sind die besten Männer, Scharnhorst, Stein und Schleiermacher, aufgestanden und haben die Wiederaufrichtung des Vaterlandes vorbereitet. Wir beraten heute über die Simultanschule, die vor knapp acht Tagen in Berlin zum Feuertode verurteilt wurde. Aber wir wollen nicht verzagen, sondern wie tapfere Männer kämpfen, daß der Saß, der für die Kirche gilt, auch für die Schule zur Geltung fommt: Dem Kaiser, was des Kaisers ist, dem Staat, was des Staates ist, und Gott, was Gottes ist.

Siebenter Abschnitt.

Universitätsangelegenheiten.

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Anfang Januar. Es bildet sich ein Verband der katholischen Studentenkorporationen an der Universität Berlin“.

Ende Januar. Auf dem Kaiserkommers der zwet katholischen Studentenverbindungen an der technischen Hochschule zu Darmstadt spricht sich der Rektor Professor Gutermuth also aus:

In der Ueberzeugung, daß gerade die konfessionellen Korporationen, befonders durch ihren Patriotismus, selbst den Beweis dafür erbringen können, wie unrichtig die Auffassungen ihrer Gegner sind, sei er persönlich zum Festtommerse erschienen, und in dieser Ueberzeugung trinke er auf das Wohl der Korporationen, die so herrliche Prinzipien auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Hiernach spricht sich der Rektor auf dem Kommerse der nichtultramontanen Verbindungen also aus:

Die Stammburg der Hohenzollern hat zwei Kapellen, eine protestan= tische und eine katholische, die vertragen sich, warum soll dies nicht unter Studenten möglich sein? Die Wissenschaft wird nicht gefährdet. Wenn wir so weiter fortfahren, hat die akademische Freiheit ihren lezten Seufzer getan. Was man glaubt erreichen zu können, das Verstopfen der ultramontanen Quellen, erinnert an den Handwerksburschen, der die Donau in Eschingen verstopfen wollte, damit es in Wien kein Waffer gebe. Es gibt hier nur religiöse, keine flerikalen Verbindungen. Wieder muß ich Sie auf den Kaiser verweisen. Seinem Beispiel heißt es zu folgen, keine

negative Politik zu treiben. Ihren Widerspruch nehme ich nicht übel, denn Sie find erregt.

3. Februar. Auf dem Kommerse von vier studentischen Korps in Darmstadt antwortet dem Rektor ein Student in seiner Rede, daß die jeßige Bewegung gegen die konfeffionellen Verbindungen keineswegs mutwillig hervorgerufen sei, sondern durch die Bewegung von Norden her sei man hineingedrängt worden. Man müsse aber einen Unterschied machen zwischen Schülern und deutschen Studenten, die später deutsche Männer werden wollen. Als Schüler nehme man die Lehren der Professoren gern auf: „aber unsre Gesinnungen schmieden wir auf unsrer eignen Schmiede“.

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14. Mai. Der Ausschuß des Studentenverbandes an der Universität Berlin erklärt, daß nach seiner Ansicht die Maßnahmen der Universitätsbehörden gegenüber dem Studentenverbande, insbe= sondre das diesem gegenüber erfolgte Verbot jedweden öffentlichen Auftretens energisch zurückzuweisen ist. Demgemäß wird auch der Studentenverband in Zukunft die berechtigten Interessen des Verbandes wahrnehmen und weiterhin gegen die Vergewaltigung seiner Rechte seitens der Universitätsbehörden Protest einlegen.“

Anfang Juni. Der Freistundentag" erklärt, er erblicke „in dem Versuch des Verbandes deutscher Hochschulen, den Einfluß des Ultramontanismus isoliert und auf dem Gebiete des akademischen Lebens zu bekämpfen, nichts als eine Verschärfung des konfessionellen Dualismus im Deutschen Reiche". Er halte an der Ansicht fest, daß die konfessionellen Korporationen als bedauerliche Auswüchse zu betrachten sind, die dem Wesen der akademischen Freiheit widersprechen.

(Die Anfänge dieser Streitigkeiten siehe in Band 2 von 1905, 6. 76.)

Achter Abschnitt.

Soziale Angelegenheiten.

1. Februar. In Myslowitz (Schlesien) wird die erste preu< ßische Arbeitsnachweis stelle im Interesse der Großgrundbesißer errichtet.

15. Februar. In der Staatswissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena spricht sich der frühere preußische Minister v. Berlepsch über die Lage der gewerblichen Arbeiter u. a. also aus:

Es lebt nicht mehr als ein Drittel der gewerblichen Arbeiter in befriedigenden Auskommensverhältnissen; die Hälfte kann zur Not austommen, ist jedoch durch Krankheit und Arbeitslosigkeit äußerst gefährdet; der übrige Teil lebt unter Verhältnissen, die als völlig ungenügend an zusehen, für den Unterhalt einer Familie zur kräftigen Ernährung und hinreichenden Wohnung unzulänglich sind. Die Arbeitszeit ist auch

nicht als befriedigend anzusehen weder für Männer noch für Frauen, jugendliche Arbeiter oder Kinder. Die rechtliche Lage der gewerblichen Lohnarbeiter hinsichtlich des Koalitionsrechts, der Rechtsfähigkeit der Berufsvereine, der Handhabung der einschlagenden gefeßlichen Bestimmungen durch die Gerichte und Verwaltungsbehörden ist ebenfalls unbefriedigend. Die Teilnahme der gewerblichen Lohnarbeiter an öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, an der Gesezgebung und Verwaltung, an der Interessenvertretung für die Berufsstände steht teils überall, teils in großen Teilen des Reichs hinter den andern Klassen der Bevölkerung zurück. Daher muß die Frage, ob die Lage der Gruppe der Lohnarbeiter, ihre Stellung in der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung den Ansprüchen genügt, die Gerechtig= feit und Billigkeit in der Gegenwart in einem kulturell so hoch entwickelten Staatswesen, wie das Deutsche Reich ist, ihr zuweisen müßte, verneint werden. Die Schuld, daß es soweit gekommen sei, liege in der Hauptsache an den bürgerlichen Parteien und an der Regierung. Die bürgerlichen Parteien hätten den Bedürfnissen der aufsteigenden Arbeiterklasse fein Verständnis entgegengebracht, und die Regierung habe durch verfehlte Maßnahmen, wie das Sozialistengeseß, die Waffer nicht beseitigt, sondern nur gestaut. Ohne daß die Arbeiter in der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung als vollberechtigte Bürger angesehen und behandelt werden, werde es nicht möglich sein, dem Vaterlande den innern Frieden zu erhalten.

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Anfang März. In der Generalversammlung der konservativen Vereine für die Provinz Ostpreußen hält das Mitglied des Herrenhauses Graf von Mirbach-Sorquitten eine Rede, in der er über die sozialpolitische Gesetzgebung u. a. folgendes ausführt:

In bezug auf die sozialpolitische Gesetzgebung und die Lasten, die sie mit sich gebracht hätte, stehe er auf dem Standpunkt, daß diese Gefeßgebung nicht Befriedigung gebracht, sondern nur neue Begehrlichkeit gewect habe. Wenn man sich in bezug auf die Sozialpolitik freilich auf den Standpunkt des Grafen Posadowsky stelle, daß der Besit teine Tugend, mindestens kein Verdienst, wohl aber eine angenehme Sache sei, dann allerdings werde man leichten Herzens auf der Bahn der Weiterentwicklung der sozialpolitischen Gesetzgebung fortfahren können. Von diesem Gesichtspunkte aus möge ja Graf Posadowsky Recht haben, er sehe ja vermutlich nur das Anwachsen der riesigen Vermögen in Berlin; auf dem Lande aber und besonders in Ostpreußen sei der Besiß in der Regel das Werk einer mühevollen Lebensarbeit, in den meisten Fällen das Werk mehrerer Lebensalter. Und die Sparsamkeit, die bestrebt sei, diesen Besiß zu erhalten, die sei nach seiner Meinung wirklich eine Tugend.

17. März. In Frankfurt a. M. tagen auf Einladung des deutschen Vereins für Wohnungsreform die Vertreter der hauptsäch= lichsten Zentralverbände und Vereine Deutschlands, deren Tätigkeit in größerm Umfang der Wohnungsreform gewidmet ist, jedoch nur unabhängige, nichtamtliche Stellen. In der Hauptsache gilt die Tagung der Festsetzung eines gemeinsamen Programms, um dem fühlbaren Mangel an Einheitlichkeit und Uebereinstimmung unter den Wohnungsreformern selber abzuhelfen. Die angenommnen Hauptforderungen sind: Wohnungsaufsicht, Reform der Wohnungsproduktion und Baukapitalbeschaffung, Boden- und Ansiedlungspolitik und Schaffung einiger besondrer Organe zur Förderung der ganzen Re

form. Innerhalb dieser Hauptabteilungen find eine Reihe einzelner Forderungen aufgestellt.

Ende April. Der Verein deutscher Arbeitgeberverbände läßt folgende Mitteilung an die Verbände und Einzelmitglieder ergehn:

Gemäß dem am 2. Mai 1901 vom Vorstande gefaßten Beschlusse machen wir darauf aufmerksam, daß das unentschuldigte Fernbleiben der Arbeiter aus den Betriebswerkstätten am 1. Mai als Bruch des Arbeitsverhältnisses aufzufaffen ist, und daß diese Arbeiter als Streifende zu betrachten sind. Wir ersuchen daher, uns gegebnenfalls die Namen der feiernden Arbeiter in alphabetischer Reihenfolge unter Angabe des Geburtstags und des Geburtsorts mitzuteilen, damit dieselben nach Maßgabe des von Ihrem Verbande gefaßten Beschlusses zeitweilig von der Arbeitseinstellung ausgeschlossen werden können.

Im Mai. In allen Gewerben und an den verschiedensten Orten des Reichs sind Arbeitskämpfe im Gange, besonders da, wo starke Organisationen bei den Arbeitgebern wie bei den Arbeitern einander gegenüberstehn, namentlich in der Metallindustrie und im Baugewerbe.

10. Mai. Im Hamburger Hafenarbeiterkampfe erleiden die streifenden Seeleute und die wegen der Kundgebungen vom 1. Mai ausgesperrten Hafenarbeiter eine völlige Niederlage.

14. Mai. Der Gesamtverband deutscher Metallindustrieller beschließt, zur Unterstüßung seiner vom Streik betroffnen Mitglieder gegenüber ungerechtfertigten Forderungen des deutschen Metallarbeiterverbandes vorläufig 60 v. H. von den beschäftigten, vornehmlich dem deutschen Metallarbeiterverbande angehörenden Arbeitern am 2. Juni 1906 zu entlassen, wenn eine Einigung zwischen den bestreikten Verbänden und ihren Arbeitern vorher nicht zustande gekommen ist.

Evangelisch-sozialer Kongreß.

6. Juni. Etwa 200 Mitglieder sind zu dem Kongresse in Jena eingetroffen. Prof. Harnack aus Berlin ergreift das Wort:

Es erfüllt uns mit Freude, daß an der Spiße des Reichsamts des Innern ein Mann steht, der, gleich seinen Räten, die kaiserliche Botschaft von 1890 nicht vergessen hat. Der Kongreß hält an seinen Forderungen fest tro des Empörenden, was wir im letzten Jahre erlebt haben. Wir können es begreifen, aber nicht billigen, wenn sich national und patriotisch ge= sinnte Männer angesichts des unpatriotischen Verhaltens der Sozialdemokraten unwillig von jeder sozialen Betätigung abwenden und von neuen sozialen Forderungen nichts hören wollen. Wenn der Kampf gegen das alte Regime immer schwieriger wird, wenn das, was in sozialer Beziehung zu geschehn hätte, nur als Geschenk dem Volke zuteil wird, so ist die Partei daran schuld, die sich als die Vertretung der Arbeiter bezeichnet. Wir halten unerschütterlich daran fest, daß soziale Fragen und soziale Dinge nicht bloß Fragen des Futterplages, wie man gesagt hat, sind, sondern im höchsten Sinne sittDeutscher Geschichtskalender 1906. I.

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Wir

liche nud humane Fragen, die überall bis in die Tiefen der religiösen Weltanschauung reichen und ohne sie nicht gefördert werden können. lehnen daher die Versuche ab, die wohl auch in unsern Reihen versuchsweise gemacht worden sind, die Welt der sozialen Arbeit auf lauter materielle Botenzen zu reduzieren. Hinter jeder Frage und in jeder Frage steht der Mensch, und bereits die eine Forderung, daß auch nicht eine Menschenseele als bestes Mittel und beste Ziffer behandelt werden darf, zerstört den Wahn, als könne man das Gewebe der arbeitenden Gesellschaft in ein materielles Gewebe verwandeln. Eben deshalb aber wissen wir, daß wir nichts Soziales fördern und schaffen können, wenn wir nicht das Individuum stärken und seine Freiheit, Bildung und Verantwortung steigern. Wir sind sozialistisch und individualistisch zugleich, und wir sind das eine, weil wir das andre find. Ebenso bestimmt erklären wir aber, daß die Frage der Religion und der sittlichen Entwicklung aus den sozialen Fragen nicht ausgeschaltet werden kann. Die Religion kann aber keine andre sein als die christliche, in voller Freiheit erkannt und entwickelt. Wenn wir uns evangelisch-sozial nennen, so denken wir dabei nicht an irgendeinen Konfessionalismus, sondern an jenen protestantischen Konfeffionalismus, der eine unerschütterliche Weitherzigkeit bedeutet und ein Zeichen von Kraft ist. Gern reichen wir auch unsern katholischen Brüdern in der sozialen Arbeit die Hand und blicken mit Sympathie auf die christlichen Gewerkschaften und ihre Entwicklung. Es kann in deutschen Landen nicht besser werden, wenn wir nicht ein großes Gebiet nach dem andern dem Bannkreise eines engherzigen Konfessionalismus entreißen, oder noch besser, diesen zwingen, selbst weitherziger zu werden. Dieser Kongreß hat keine andre Aufgabe, als in völlig freier Aussprache die Gedanken zu klären und die Gesinnungen zu stärken. Er hat weder den Beruf noch die Mittel, direkt und praktisch in die soziale Entwicklung einzugreifen. Ihr seid ein unverantwortlicher, unfruchtbarer, von Zufälligkeiten zusammengesetter Debattierklub“, riefen uns die Gegner zu. Selbst wenn das wahr wäre, so wäre das doch nicht das schlimmste. Wir wären alsdann wenigstens über die Trägheit, Indifferenz und Gedankenlosigkeit hinweg, die in allen idealen Dingen die schlimmsten Feinde, die eigentlichen Verbrecher an der Gesellschaft sind. Aber von zufälliger Zusammenfebung sind wir nicht. Siebzehn Jahre sind wir nun beieinander; das gemeinsame Ideal hat uns noch immer zusammengehalten. Unfruchtbar sind wir auch nicht gewesen, das beweist der Anteil, den dieser Kongreß direkt und indirekt an zahlreichen Schöpfungen gewonnen hat. Wie sah es vor siebzehn Jahren aus, und wie sieht es heute aus in der Sozialpolitik? Denken Sie an all die Unternehmungen und Vereine in bezug auf Bodenreform, Bekämpfung des Alkoholismus, der Unsittlichkeit, der schlechten Literatur, der Erhaltung und Bewahrung.

Pfarrer Rittelmeyer aus Nürnberg spricht über das Thema: „Der Jenseitsglaube und die soziale Arbeit“. Er legt seinen Ausführungen einige Leitsäße zugrunde, über die jedoch nicht abgestimmt wird, und sucht den Nachweis zu führen, daß wenn man nicht bloß die sozialdemokratische Literatur, sondern auch die sozialdemokratischen Liederbücher studiert, man zu der Ueberzeugung gelangt, daß in der Sozialdemokratie der Gottesglaube und der Glaube an ein Jenseits noch keineswegs erloschen sei. Jeder Mensch stelle sich allerdings das Jenseits nach seiner Denkrichtung vor, der Landmann anders als der Fabritarbeiter usw.

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