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immer nur auf einer mittlern Linie bewegen könnte. Der Sozialdemokrat Baudert sagt, seine Partei habe sich vor allem über gewaltsame Störung der Versammlungsfreiheit durch die Behörden zu beklagen; auch die Gewerkschaften haben vielfach darunter zu leiden. Die antisemitischen Handlungsgehilfen seien wegen ihrer Gewohnheit, Versammlungen von Handlungsgehilfen andrer Vereinigungen zu sprengen, bekannt. Auch Angehörige andrer bürgerlicher Parteien verfolgten diese Praxis dort, wo sie sich in der Mehrheit befinden. Bernstein betont, daß keine Partei soviel Redefreiheit gewähre als die sozialdemokratische. — Sindermann (Soz.): Es ist erstaunlich, daß gerade die Antisemiten über Beschränkung der Versammlungsfreiheit klagen, sie, die ganz besonders mit Sprengkolonnen gearbeitet haben. Wir lehnen diesen Antrag ab, weil er nur eine Handhabe zur Erdrosselung des Vereins- und Versammlungsrechts sein wird.

Der Antrag wird schließlich mit großer Mehrheit abgelehnt.

IV.

Freiheit der Religionsübung.

24. Januar. Erste Beratung des von der Zentrumspartei eingebrachten sogenannten Toleranzantrags (Wortlaut Band 2 von 1900, S. 192).

Bachem rügt, daß der Bundesrat auf die am 5. Juni 1902 in dritter Lesung (S. 76) erfolgte Annahme des Antrags nicht geantwortet habe. Man hat darauf hingewiesen, daß die einzelnen Landesgefeße genügten, jene unbehinderte Religionsübung zu sichern. Ist das wirklich der Fall? Zahlreiche Fälle beweisen das Gegenteil. Außerdem fehlt jede Einheitlichkeit, die allein durch reichsgeseßliche Regelung erzielt werden kann. In einigen Bundesstaaten ist das Prinzip aufrecht erhalten worden, daß die Regierung über die religiösen Bedürfnisse der Gemeinden befindet. Das muß anders werden. In allen Verträgen mit andern Staaten hat das Deutsche Reich unbehinderte Kultus- und Religionsfreiheit ausbedungen für seine Untertanen, und die Untertanen der Vertragsstaaten haben in Deutschland dasselbe Recht. Sie genießen also ein Vorrecht vor den Angehörigen der einzelnen Bundesstaaten. Es ist gesagt worden, wir hätten den Begriff Toleranz in diesem Antrage gefälscht. Wir wollen keine dogmatischen Fragen entscheiden, sondern in tolerantem Sinn die Rechtssphären der Katholiken und Protestanten abgrenzen. Die protestantische Auffassung von Toleranz mag verschieden sein von unsrer, hier handelt es sich nur um rechtliche Fragen. Es soll nicht bestritten werden, daß dieses Gesez in erster Linie den Katholiken zugute fommen wird. Nicht allein das katholische Spanien, sondern auch das protestantische Brandenburg hatte Kepergeseze. Die deutschen Herenprozesse sind der Inquisition wesensverwandt gewesen. David (Soz.) will Aenderungen des Wortlauts des Antrags. Es muß erreicht werden, daß Eltern nicht gezwungen werden können, ihre Kinder am Religionsunterricht der Schule teilnehmen zu lassen. Der Religionsunterricht ist vom pädagogischen Standpunkt aus ein Widersinn und mit schädlicher Gedächtnisüberlastung verbunden. Angesichts der Anstrengungen zum Sieg der Konfessionsschule müssen wir hier dafür sorgen, daß kein Mensch gezwungen werde, sein Kind in den Religionsunterricht zu schicken. Konfessionsschulen sind die Hochburgen der Intoleranz. Staatssekretär Graf Posadowsky weist aus der Geschichte des sogenannten Toleranzantrags im einzelnen nach, daß dieser eine wesentliche Aenderung gegen früher

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erhalten hat. Für den Bundesrat habe die Sache schwierig gelegen, weil es fich darum gehandelt habe, jezt noch über einen vom vorigen Reichstag gestellten Antrag Beschluß zu fassen, nachdem der damalige Antrag so wesentlich verändert war, und der neue Antrag noch einen wesentlich andern materiellen Standpunkt zu der Frage eingenommen hatte. Heyl von Hernsheim: Das Zentrum hat heute zugegeben, daß viele Mißstände abgestellt sind. Der weit größere Teil der christlichen Bevölkerung widerspricht den in dem Antrage niedergelegten Plänen. — Henning (tons.): Bei dem engen Zusammenwachsen von Kirche und Staat kann der Toleranzantrag nur durchgeführt werden unter Bertrümmerung der bestehenden Ordnung. Müller aus Meiningen: Die Freiheit, die das Zentrum meint, führt zur Intoleranz. Wir haben tausend Beweise, daß Sie intolerant sein müssen, deshalb werfen Sie sich heute auf die staatsrechtliche Intoleranz. Jede Religion ist in ihrer Orthodoxie intolerant. Aber das staatsbürgerliche und religiöse Gebiet greifen so oft ineinander über, daß eine Scheidung unmöglich ist. Die religiöse Intole ranz bedingt staatsrechtliche Intoleranz. Aufs schärfste muß die mit der religiösen Intoleranz verbundne politische Intoleranz bekämpft werden. So etwas Tolles an gemeinster Demagogie gegen alle Andersdenkenden ist mir noch nicht vorgekommen wie die Schrift: „Christliche Standesunterweisung" von Pater Otto Pitschnau, Konventual, „treuer Berater in den Händen der Jugend". Die gemischte Ehe wird da eine „tierisch politische Geschlechtsvereinigung" genannt. Von der Zivilehe wird gesagt, der Teufel habe sie eingeführt, und erstaunlicherweise werde sie von einzelnen Regierungen gebilligt. Der Paragraph 131 des Strafgesetzbuchs gelte gegenüber diesem Werke nicht. Das Zentrum sucht dieses Buch von sich abzuschütteln. Es trägt die Approbation der Ordens obern und der Bischöfe von St. Gallen, Freiburg i. Br. und München und ist ausgestattet mit Empfehlungen des Papsts Pius X. und Merys del Val. von Kardorff: Der Antrag birgt die Gefahr einer Auflösung der sämtlichen Landeskirchen in sich, eine Zersplitterung des Konfessionalismus in Hunderte von Sekten. Der Antrag ist geeignet, eine so große Agitation hervorzurufen, daß damit der konfessionelle Frieden untergraben würde.

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31. Januar. von Hertling wendet sich gegen obige Rede von Müller. Dieser habe unkontrollierbare Histörchen vorgetragen und durchstöbere katholische Gebetbücher nach seltsamen Stellen. So hat er das Gebetbüchlein aufgefunden, aus dem er einiges vorgelesen hat. Was in dem Büchlein steht, ift in der Tat geschmacklos und teilweise profan. Die erzbischöfliche Approbation bedeutet nichts weiter als die Druckerlaubnis; die Empfehlung durch den Papst Pius X. bedaure ich, aber man weiß ja, wie solche Dinge gemacht werden. Im Vatikan kann man tein Deutsch." Da wir in den Einzelstaaten nicht die Möglichkeit haben, für unsre Glaubens. genossen religiöse Freiheit zu erlangen, so waren wir auf den Weg verwiesen, den wir hier beschritten haben. Wir wollen kein Privileg, sondern religiöse Freiheit für alle Bekenntnisse. Wir wissen, daß wir in diesem Antrage mit den bisher geltenden Theorien brechen, aber die Zeiten haben sich geändert. Im Mittelalter lagen die Dinge ganz anders. Spahn beklagt wiederum Ungerechtigkeiten gegen die katholische Kirche und verteidigt das Zentrum gegen den Vorwurf der Unduldsamkeit. Die strafrechtliche Verfolgung eines katholischen Geistlichen wegen Absolutionsverweigerung habe dem Kulturkampf den Hals gebrochen, und jezt komme ein Mitglied der freisinnigen Partei und fordere das Einschreiten des Staats gegen den Beichtstuhl. Ein solches Verhalten muß ich vor ganz Deutschland kennzeichnen. Kein anständiger Mensch wird das billigen. Das katholische Volk wird sich nicht von der Führerschaft seiner Geistlichen trennen.

2. Mai. In zweiter Beratung wird Paragraph 1 in der von Mitgliedern der freifinnigen Parteien beantragten Fassung angenommen: „Volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist innerhalb des Reichsgebiets jedem gewährleistet. Danach steht die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften sowie der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsübung jedem Einwohner des Reichs zu. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehn." Paragraph 4 erhält folgende Fassung: „Zur Teilnahme an einem Religionsunterrichte oder Gottesdienste kann ein Kind gegen den ausdrücklichen Willen der Erziehungsberechtigten nicht angehalten werden."

Juristische Angelegenheiten.

I.

Aenderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

25. April. Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aenderung des von der Ersaßpflicht des Tierhalters handelnden Paragraphen 833 des Bürgerlichen Gesezbuchs". Der Paragraph 833 erhält folgenden zweiten Sag: Die Ersaßpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Berufe, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalte des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beauffichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat, oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.

Der Entwurf ist auf einen Beschluß des Reichstags vom 24. Mai 1905 zurückzuführen. In der Begründung wird u. a. ausgeführt:

Die Milderung der Haftpflicht, für die sich der Reichstag ausgesprochen hat, kommt den Wünschen entgegen, die in weiten Kreisen, namentlich auch in der ländlichen Bevölkerung, bestehn. Inzwischen haben weitere Ermittelungen darüber stattgefunden, welche Erfahrungen mit der Vorschrift des Paragraphen 833 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gemacht worden sind. Das Ergebnis dieser Ermittlungen läßt den Wunsch nach einer Milderung der Haftpflicht des Tierhalters als wohlbegründet erscheinen.

Die Vorlage wird vom Staatssekretär Nieberding, unter Erinnerung an das wechselnde Schicksal der betreffenden Bestimmung beim Zustandekommen des Bürgerlichen Geseßbuchs, näher begründet.

II.

Haftpflicht für Schaden beim Betriebe von Kraftfahrzeugen.

28. April. Erste Beratung eines Gefeßentwurfs, in dem die Schadenersatzpflicht des Betriebsunternehmers für Tötung oder Ver= lezung von Menschen oder für Sachbeschädigung festgesezt wird. Die hauptsächlichsten Bestimmungen sind:

Als Kraftfahrzeuge gelten auch Motorfahrräder. Die Ersaßpflicht fällt weg, wenn höhere Gewalt oder eignes Verschulden vorliegt. Im Falle der Tötung sind die Behandlungskosten, der Erwerbsverlust, der Krankheitsaufwand und die Beerdigungskosten zu erseßen sowie dritte Personen zu_ent= schädigen, denen gegenüber der Getötete unterhaltungspflichtig war. Im Falle der Körperverlegung sind die Heilungskosten, der Erwerbsverlust und der Mehraufwand zu ersehen. Der Ersag des Erwerbsverlustes und des Mehraufwands geschieht für die Zukunft durch Entrichtung einer Geldrente, eventuell unter Verpflichtung der Sicherheitsleistung. Die Verjährungsfrist der Ersatzansprüche beträgt zwei Jahre. Die Vorschriften des Gesezes gelten nicht, wenn der Verlegte auf dem Fahrzeug befördert wurde oder bei deffen Betrieb tätig war, ferner wenn das Fahrzeug die Amtsmarke trägt, daß es die 15 Kilometer Geschwindigkeit nicht überschreiten kann. Bestehende, über das Gesez hinausgehende reichsgeseßliche Haftpflichtvorschriften bleiben unberührt.

Staatssekretär Nieberding weist darauf hin, daß mit der Einbringung der Vorlage den vielfach geäußerten Wünschen des Reichstags entsprochen werde. Gegen einzelne Bestimmungen der Vorlage werden mehrfache, zum Teil schwere Bedenken geäußert, besonders gegen die Bestimmung, daß die Insassen eines Automobils für erlittenen Schaden keinen Anspruch auf Schadloshaltung haben; andrerseits wird allseitig als gerechtfertigt anerkannt, daß nicht der Chauffeur, sondern der Betriebsunternehmer haftpflichtig ist. Angeregt wird auch die Bildung von Zwangsgenossenschaften, um den leistungsunfähigen Betriebsunternehmern die Erfüllung ihrer Haft= pflicht zu ermöglichen.

Die Kommission hat bis zum Schluß des Reichstags über die Vorlage nicht berichtet.

III.

Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie.

25. Januar. Erste Beratung eines Geseßentwurfs, demzufolge der Schuß an einem Werke der bildenden Kunst dreißig Jahre nach dem Tode des Urhebers, an einem Werke der Photographie fünfzehn Jahre nach dem Tode des Urhebers aufhört. Bildnisse sollen nur

mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen.

Müller (Meiningen): In dem Entwurf ist das Urheberrecht mit den Anforderungen einer guten Volkskunst in Einklang gebracht. Die Baukunst hat endlich den erweiterten Schuß gefunden, den sie durch ihren engen Zusammenhang mit der Bildhauerkunst verdient hat. Auch die Gleichstellung der angewandten Kunst mit der reinen Kunst ist ein erfreulicher Fortschritt. Wir müssen das deutsche Kunstwerk in seinem erfolgreichen Konkurrenzkampf gegen das Ausland energisch schüßen. Auch gegen das Raubsystem, das in Amerita den deutschen Künstlern und Schriftstellern gegenüber üblich ist, sollten wir kräftig vorgehn. Staatssekretär Graf Vosadowsky: Das geistige Eigentum ist ein moderner Begriff. Wenn es ihn zur Zeit der großen Meister der italienischen Renaissance schon gegeben hätte, hätten ihre Werke kaum einen so ungeheuer bildenden Einfluß auf das Kulturleben Italiens und der Welt ausgeübt. Aber ich erkenne an, daß man diese absolute Freiheit bei den heutigen Erwerbs- und Kulturverhältnissen nicht mehr gewähren kann. Nur sollte man nicht weitergehn als die Vorlage und namentlich auf dem Gebiet der Architektur nur die Nachbildung wirklich künstlerischer Schöpfungen verbieten. Die Frage des Rechts am eignen Bilde ist in durchaus liberalem Sinne geregelt worden. Alle Personen aus dem Bereich der Zeitgeschichte, nicht nur der Politik, sondern des gesamten Kulturlebens können frei abgebildet werden. Auch die Karikatur fällt nicht unter das Gesez. Weiter ist die Beratung nicht gediehen.

IV.

Ueberleitung von Hypotheken des frühern Rechts.

2. März. In erster und zweiter Beratung wird genehmigt der Entwurf eines Gesezes, das also lautet: Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, daß ein zu der Zeit, zu der das Grundbuch als angelegt anzusehen ist, an einem Grundstück bestehendes Pfandrecht, das zur Sicherung künftiger Ansprüche auf Zinsen, Kosten und andre Nebenleistungen neben dem Pfandrecht für die Hauptforderung bestellt worden ist, erlischt, wenn es sich mit dem Eigentum in einer Person vereinigt. Diese Bestimmung kann auch nach dem Zeitpunkte, zu dem das Grundbuch als angelegt anzusehen ist, getroffen werden. Sie kann dahin erweitert werden, daß Hypotheken der bezeichneten Art, die sich schon mit dem Eigentum in einer Person vereinigt haben, als im Zeitpunkt der Vereinigung erloschen gelten."

Die Vorlage ist veranlaßt durch einen von Bayern beim Bundesrate gestellten Antrag, der durch die Unzuträglichkeiten hervorgerufen wurde, die sich in Ansehung der sogenannten Nebensachekautionen des bayrischen Rechts aus der Ueberleitung in das Liegenschaftsrecht des Bürgerlichen Gesezbuchs ergeben haben. Es soll nunmehr außer Zweifel gestellt werden, daß die Landesgesetzgebung befugt ist, auch für die Bezirke, in denen das Grundbuchrecht schon in Kraft steht, Vorschriften der im Absatz 1 des Entwurfs bezeichneten Art zu erlassen und hierdurch den bestehenden Unzuträglichkeiten abzuhelfen.

5. März. Dritte Lesung. (Geseß vom 17. März 1906.)

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