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Internationale Fragen bezüglich
Marokkos.

I.

Deutsches diplomatisches Weißzbuch.

Nach langen Verhandlungen hatten die deutsche Reichsregierung und die französische Regierung am 7. Juli und 28. September 1905 fich dahin geeinigt, daß durch eine zu berufende internationale Konferenz entschieden werden solle über wichtige Reformen im Sultanate Marokko, deren baldige Einführung beiden Teilen im Interesse des Handels aller europäischen Staaten notwendig erschien.

Während diesem Versuch eines Ausgleichs von Interessen der Mächte, insbesondre Deutschlands und Frankreichs, sowie damit einer Entscheidung der anscheinend fast schon an eine allgemeine Kriegslage streifenden Frage über die fernere Selbständigkeit Marokkos entgegen= gesehen wurde, hatte die französische Regierung der Nationalversamm= lung in Paris am 14. Dezember 1905 ein diplomatisches sogenanntes Gelbbuch (Bd. 2 von 1905, S. 275) vorgelegt, auf das gestüßt der französische Ministerpräsident Rouvier am 16. Dezember in der Deputiertenkammer Auffassungen vertrat, die den deutscherseits geltend gemachten Auffassungen mehrfach unmittelbar entgegenstanden.

Rouvier hatte es als auffällig dargestellt, daß bei und nach den im April 1904 zwischen Frankreich und Großbritannien zur Abänderung eines internationalen Vertrags über Marokko stattgehabten Verhandlungen Deutschland als Großmacht nicht hatte ignoriert sein wollen, und er hatte stark bestritten, daß Frankreich, unter Berufung auf ein europäisches Mandat, darauf ausgegangen sei, für Marokko ein Abhängigkeitsverhältnis anzubahnen, wie 1881 in Tunis ge= schehen war.

Diesen französischen Darstellungen und Behauptungen wird daher, ebenfalls noch vor dem nahen Zusammentritte der interDeutscher Geschichtskalender 1906. I.

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nationalen Konferenz, von der deutschen Reichsregierung in einem dem Reichstage vorgelegten diplomatischen sogenannten Weißbuche durch einfache Mitteilung pon Tatsachen, insbesondre von erstatteten Berichten entgegengetreten:

8. Januar. Veröffentlichung des dem Reichstage zugehenden diplomatischen sogenannten Weißbuchs über die Angelegenheit bezüglich Marokkos.

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Ueber dessen Inhalt wird in der Nordd. Allg. 3tg." folgendes ausgeführt: Das Weißbuch beginnt mit der Wiedergabe einer englischen und einiger französischer Stichproben von Zeitungsäußerungen, die einerseits die in französischen Kreisen gegenüber Marokko ge= hegten Monopolwünsche beleuchten, andrerseits bekunden, daß der französische Gesandte in Fez sich auf ein Mandat Europas zur Durchführung der Reformen berufen habe. Diese Zeitungsausschnitte sind aus der Zeit von Januar bis April 1905.

Auch das erste amtliche Schriftstück, das mitgeteilt wird, ein Bericht des deutschen Konsuls Vassel in Fez vom 21. Februar 1905, handelt von der Mandatsfrage. Der Sultan kam gegenüber dem Konsul in einer Unterredung vom gleichen Tage auf die allgemeine Lage zu sprechen und sagte, er halte daran fest, „drei, nein vier Nationen" gleich zu behandeln: Deutschland und England wegen ihres Handels mit Marokko, Frankreich und Spanien auch wegen der Nachbarschaft. Er fragte, ob sich der französische Gesandte auf ein allgemeines Mandat berufen könne. Der Konsul erwiderte, solches Mandat sei deutscherseits nicht erteilt. Der Sultan gab seiner Freude darüber Ausdruck, daß Deutschland sich der französischen Aktion nicht angeschlossen habe.

Am 21. April berichtet der Konsul über den Eindruck der vom Minister Delcassé am 31. März im französischen Senate abgegebnen Erklärung in der Marokkofrage: Der Sultan sei besonders über die Stelle aufgebracht, wo Delcassé sagt, daß die marokkanische Regierung die Ratschläge Frankreichs erbeten und, nachdem diese erteilt worden, die Erklärung abgegeben habe, diese Ratschläge befolgen zu wollen. Der Konsul berichtet weiter: In einer Audienz, die ich heute bei dem Sultan hatte, kam dieser ebenfalls darauf zu sprechen und verstieg sich dabei zu dem Ausruf: ‚Aber das sind ja reine Unwahrheiten!" Ich erzählte ihm dann auch, daß die Franzosen die Nachricht dementierten, daß Herr Saint René Taillandier sich hier auf ein europäisches Mandat berufen hätte. Der Sultan bemerkte dazu: „Mir selbst gegenüber haben sich die Franzosen in diesem Sinne ausgesprochen." Auf meine Frage, wer es gewesen sei, erwiderte der Sultan: „Herr Saint René selbst!" und fügte hinzu: „Ich habe dann gefragt:

Wer sind denn die Nationen? da ich wußte, daß Deutschland und Italien solches Mandat nicht erteilt haben. Herr Saint René hat darauf nichs erwidert, und ich habe daraus meine Schlüsse gezogen, die der Verfolg mir bestätigt hat."

Am 15. Mai meldete dann der deutsche Gesandte Graf Tattenbach folgende Erklärung des Sultans: Die Aeußerung, die Delcassé nach dem Kaiserbesuche in der Deputierten= fammer gemacht habe, die marokkanische Regierung habe die französischen Reformvorschläge im Prinzip angenommen, entspreche ebensowenig der Wahrheit wie die Behauptung des französischen Gesandten, daß er im Auftrage Europas spreche. Von vornherein habe er die Richtigkeit der leztern Angabe be= zweifelt und habe lebhafte Freude empfunden, daß die Sachlage inzwischen klargestellt sei. Er habe den Franzosen bisher nicht das geringste zugeständnis gemacht, sondern die Ankunft des deutschen Gesandten abgewartet, um die Verhältnisse eingehend zu besprechen.

Graf Tattenbach fügt hinzu: „Der Sultan ist augenscheinlich von dem Bewußtsein durchdrungen, daß es sich gegen= wärtig für ihn und sein Reich um Sein oder Nichtsein handelt, und daß die Verantwortung und Entscheidung bei ihm allein liegt."

Zwei Tage später berichtet der deutsche Gesandte, daß unmittelbar nach seiner Ankunft in Fez dort der französische Ge= sandte im Auftrage des Ministers Delcassé erklärt habe, die französische Regierung würde es als eine Beeinträch= tigung ihrer Interessen ansehen, wenn die französischen Reformvorschläge den Signatarmächten zur Kenntnisnahme und Aeußerung unterbreitet würden. Das Recht, in marokkanischen Angelegenheiten zu intervenieren, stehe keiner andern Macht zu. Der Annahme der französischen Vorschläge müsse sich die marokkanische Regierung fügen, da sie nicht in der Lage sei, Ruhe und Ordnung im Lande zu schaffen. Die französische Regierung behalte sich vor, je nach den Umständen zu handeln und die Dinge in Marokko scharf zu überwachen.

Ein Erlaß des Reichskanzlers an den Botschafter in Paris vom 22. Mai faßt den Inhalt und den Eindruck dieser Meldungen dahin zusammen, daß sie nicht geeignet seien, die Ansicht von dem stürmischen Charakter der bisherigen Marokkopolitik Delcaffés zu ändern. Der Vertreter Frankreichs wolle ohne weiteres Beschlag auf Marokko legen und dem Sultan den Verkehr mit den übrigen Vertragsstaaten verbieten. Nach Rouviers Aeußerungen halte sich der Reichskanzler zu der Annahme berechtigt, daß der Ministerpräsident diese Art des Vorgehens mißbillige.

Eine weitere Reihe von Schriftstücken bezieht sich auf die Unterlassung der offiziellen Mitteilung des französischenglischen Abkommens durch Herrn Delcassé.

Am 12. April ergeht ein Erlaß des Reichskanzlers an mehrere Missionen, in dem zu dieser Frage wie folgt Stellung ge= nommen wird: Es ist falsch, daß das französisch-englische Marokkoabkommen der deutschen Regierung schriftlich oder mündlich zur Kenntnis gebracht worden sein soll. Delcassé hat zwar wiederholt dem Kaiserlichen Botschafter hie und da Andeutungen allgemeiner Art gemacht über unhaltbare Zustände in Marokko und die Notwendigkeit, die sich daraus für Frankreich ergebe, auf die Sicherung seiner algerischen Grenze bedacht zu sein. Als aber im vorigen Sommer bereits längere Zeit nach der englischfranzösischen Konvention der deutsche Botschafter an Delcaffé eine Frage richtete, die sich auf den Inhalt jenes Abkommens bezog, erwiderte der Minister nur: „Sie finden das alles im Gelbbuch."

Am nächsten Tage suchte Delcassé Gelegenheit, sich über diese Frage gegenüber dem deutschen Botschafter zu äußern. Er kam auf das vor dem Abschluß des Abkommens mit dem Fürsten Radolin stattgehabte Gespräch zurück und bemerkte, wie der Botschafter am 14. April berichtet, spontan, diese damalige vertrau= liche Unterhaltung habe keineswegs den Charakter einer amtlichen Mitteilung gehabt noch haben sollen. Der Botschafter erwiderte hierauf: Gern nehme er Akt von dieser seiner Erklärung, denn zu seinem höchsten Erstaunen hätte die Pariser offiziöse Presse die Tatsache verdreht und ein amtliches Communiqué aus einem gelegentlichen Gespräch heraus konstruieren wollen, was er nicht ohne weiteres hinnehmen könnte. Dies bestätigte Herr Delcassé.

Zur Begründung der unterlassenen amtlichen Mits teilung des Abkommens führte Delcassé aus, daß es in London abgeschlossen und daselbst zu gleicher Zeit veröffentlicht worden sei. Der Gedanke sei ihm nicht gekommen, der Kaiserlichen Regierung dieses Schriftstück mitzuteilen, das sofort der Deffentlichkeit übergeben worden sei. Dagegen habe er den spanisch-französischen Vertrag in Paris unterzeichnet und ihn vor der Veröffentlichung dem Freiherrn v. Richthofen durch den französischen Gesandten Bihourd mitteilen lassen. Herr Delcaffé fuhr fort, er habe geglaubt, durch die Mitteilung dieses aus dem englisch-französischen Abkommen entspringenden Vertrages für alles gesorgt zu haben.

Dieser Auffassung tritt ein Erlaß des Reichskanzlers nach Paris vom 1. Mai entgegen. Darin heißt es: Daß ein diplomatisches Aktenstück von solcher Tragweite wie das Marokkoabkommen nicht auf Grund mündlicher und schriftlicher Wieder

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