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Historisch kritische Einleitung.

Maier, Evang. Joh.

1.

§. 1. Integrität.

Eine kritische Einleitung in das vierte Evangelium hat sich zuerst mit der Frage zu befassen, ob dasselbe nach seiner ganzen gegenwärtigen Ausdehnung und Einrichtung von einer und ders selben Hand herrühre, ob seine jeßige Gestalt in diesem Sinne ursprünglich sei. — Es wurden zwei Hypothesen aufgestellt, welche die Ursprünglichkeit unseres Evangeliums auf verschiedene Weise in größerem Umfange leugnen.

Die eine hypothese, zuerst von Herm. Weiße 1) ausgez sprochen, von Dan. Schenkel 2) vertheidigt und weiter ausgebildet, will die Reden des Evangeliums von dem historischen Inhalte trennen und diese zwei Bestandtheile verschiedenen Händen zuschreiben. Es wird eine Urschrift angenommen, welche eine Sammlung didaktischer Reden Jesu enthielt, und in einer rein doktrinellen, nicht erzählenden Absicht verfaßt worden sei. Eine spätere Hand habe die historischen Theile zwischen die Reden der Urschrift hineingefügt, oder dieselben mit Abänderungen und Zusäßen an historische Begebenheiten vertheilt und ihnen anbequemt. Auf diese Weise sei unser gegenwärtiges Evangelium entstanden, welches also als eine Uebers arbeitung einer didaktischen Urschrift zu betrachten sei. Die Ver anlassung zu dieser Hypothese gab die Vorstellung Schleier

1) Die evangelische Geschichte, kritisch u. philosophisch bearbeitet. Leipzig. 1838. I. S. 97 ff.

2) In den theologischen Studien und Kritiken, herausgegeben von Ullmann und Umbreit. Jahrg. 1840. H. 3. Ueber die neuesten Bearbeitungen des Lebens Jesu." . 763 .

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macher's 1) von der Entstehung und Composition des ersten Evangeliums, welcher unter den „λoyia“, die Matthäus nach dem Zeugnisse des Papias niedergeschrieben hat 2), eine Spruchsammlung, eine Sammlung von Reden und Aussprüchen Jesu versteht, diese für den Grundstock des jeßigen Mätthäus-Evangeliums hält und dessen Erzählungen später in jenen hineingelegt werden läßt. Die Anwendbarkeit dieser Vorstellung auf das vierte Evangelium soll aus einer genauen Betrachtung des Verhältnisses seiner Reden zum historischen Stoffe, so wie der Lehrbestandtheile selbst unter einander sich klar herausstellen. Auf eine ursprüngliche Sammlung von Christusreden und zwar von zusammenhängenden Redevorträgen sollen die Erscheinungen im Evangelium hindeuten: daß die Reden desselben überall das Grundelement bilden, der Erzählungsinhalt dem Redestoffe untergeordnet sei, daß die Reden zum Theile in unpassender historischer Verbindung stehen, welche ihnen in der objektiven Geschichte nicht zukommen könne, daß sich dieselben Gedanken in derselben Form des Vortrages immer wiederholen, insbesondere aber, daß die jetzt gesonderten Reden und Lehraussprüche natürliche Anknüpfungspunkte darbieten, welche sie wieder in Eins zusammenfügen und die Gesondertheit als eine willkührlich gemachte kenntlich machen.

Schenkel versucht die Urschrift herzustellen, welche aus zwei Abschnitten bestanden haben soll. Den ersten Abschnitt bildeten nach seinem Urtheile die jest in den ersten zwölf Kapiteln zerstreuten, durch historischen Einschlag aus dem Contert gebrachten Reden, welche in ein Ganzes verbunden und zu dem Zwecke niedergeschrieben waren, die Lehre Christi von der durch den Glauben vermittelten Theilnahme am ewigen Leben darzustellen. Die dem Läufer zugetheilte Rede 3, 27 ff. sei mit Ausschluß von V. 28-30. eine Fortsetzung der Rede des Herrn 3, 11–21.; der Ausspruch 4, 14. hänge mit 3, 36. unmittelbar zusammen; die Rede 4, 32 ff. sei durch schon früher vorkommende Gedanken vorbereitet und seße sich in der Rede 6, 27 ff. fort; die Gedankenreihe 5, 19 ff. schließe sich an 3, 15. an, c.

1) S. Theolg. Studd. u, Kritt. 1832. 4. G. 735–767. Vgl. Credner Einleitung in das neue Testament. Halle 1836. I. Thl. 1. Abthlg. S. 91. und S. 203.

2) Eusebius H. E. 1. III. c. 39.

Der zweite Abschnitt der Urschrift soll die Abschiedsreden Jesu enthalten haben und in seiner Ursprünglichkeit von dem Herausgeber weniger gestört worden sein. Nur scheine 12, 23. aus diesem Redeabschnitte herausgenommen zu sein und Kap. 15. nicht mehr in seiner ursprünglichen Verbindung zu stehen; auch die ursprüngliche Stellung von 13, 15 ff. wird bezweifelt.

Es blieb aber dem Vertheidiger der Weiße'schen Hypothese selbst nicht verborgen, welche Schwierigkeit derselben in der Gleichartigkeit des Styles, die. das Evangelium im Allgemeinen darbietet, entgegentritt. Es ist ein schwacher Nothbehelf, diese Erscheinung durch die Annahme erklären zu wollen, daß der spätere Bearbeiter den Styl der Urschrift nachgeahmt habe; durch das Bestreben der Assimilation hätte nicht eine solche Gleichartigkeit zu Stande kommen können, daß man nur in einzelnen Theilen des Evangeliums auf einige unbedeutende stylistische Abweichungen hinzuweisen weiß. Die Gleichartigkeit des Styles weiset auf Einen Verfasser des ganzen Evangeliums, auf die Urs sprünglichkeit seines ganzen Umfanges hin.

Zieht man aber die kritischen Momente, welche diese Hypothese stüßen sollen, in genaue Erwägung, so muß sie vollends als unhaltbar erscheinen. Daß die Reden im Evangelium das Grundelement bilden, ist in dem Sinne wahr, daß sie bis zum Anfange der Leidensgeschichte Kap. 18. nach Ausdehnung und innerer Bedeut samkeit den Hauptinhalt desselben ausmachen. Doch ist das historische Element durchgängig das ordnende; es zieht sich ein chronologischer Faden durch diesen ganzen Abschnitt hindurch; an diesen sind die historischen Begebenheiten angereiht, welche die Redevorträge und Lehraussprüche einleiten. Es erscheint also das Historische hier doch als das formelle Grundelement und es beherrscht als solches so sehr den didaktischen Stoff, bildet einen so genau gegliederten Rahmen für denselben, daß sich nach dieser allgemeinen Betrachtung die Verbindung desselben mit dem Lehrstoffe wieder als ursprünglich charaks terisirt. Während nun aber bis zu Kap. 18. den einzelnen Thats sachen und Begebenheiten im Leben Jesu weniger Aufmerksamkeit geschenkt ist, werden von hier an Christi Leiden, Tod und die Begebnisse nach seiner Auferstehung mit Weitläufigkeit und mit Sorgfalt beschrieben; diese Begebenheiten sind mit derselben Aus, zeichnung behandelt, wie der Lehrstoff im anderen Theile,

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