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Einleitung.

Als Herausgeber dieses zum Zwecke hymnologischer Studien die zahlreichen liturgischen Handschriften durchging, welche die Klostervergewaltigung Josephs II. aus allen Gegenden Böhmens auf der k. k. Universitätsbibliothek dahier zusammengeführt, stiefs er in mehreren derselben auf eine neue, ihm völlig fremde Art lateinischer Gedichte. Bei näherem Studium dieser ergab sich, dafs dieselben ihrer erdrückenden Mehrzahl nach so gut wie unbekannt, eines besseren Loses aber unter mehr als einer Rücksicht würdig seien.

Einmal schienen an dem gewaltigen Schatze mittelalterlicher lateinischer Hymnendichtung, zu dem die meisten abendländischen Völker in hervorragender Weise beisteuerten, die zur lateinischen Kirche rechnenden slavischen Stämme, also vor allem Polen und Tschechen in der denkbarst dürftigen Weise vertreten. Während die gedankenkühne, aber in der äufseren Form rauhkräftige Weise der älteren Sequenzendichtung, von Deutschland ausgehend, sich in Deutschland und fast ausschliefslich hier zur Blüte entfaltete, ja in den hervorragenden Leistungen der St. Galler und Reichenauer Sängerschulen zu einer Beliebtheit und einem Ansehen in der gesamten Christenheit gelangte, dafs selbst der veränderte Geschmack und die vollendeteren Formen des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts sie nur in beschränktem Mafse zu verdrängen vermochten; während die zweite, äufserlich glänzendere und anmutigere Blüte der Sequenzendichtung im südlichen Frankreich, speziell in Clugny ihren Anfang nehmend, im nördlichen, vor allem in der berühmten Abtei von St. Viktor ihre herrlichsten Triumphe feierte: war bisher nicht ersichtlich, dafs die slavischen Völker, soweit dieselben in die grofse Völkerfamilie eintraten, die man im Mittelalter das abendländische oder lateinische Christentum" zu nennen pflegte, sich in irgend er

heblicher Weise an der Hymnodie beteiligt hätten. Und doch mufste eine solche Beteiligung bei der bekannten Sangeslust der beiden zunächst in Betracht kommenden Stämme mindestens für das dreizehnte und vierzehnte Jahrhundert von vornherein so gut wie ausgemacht erscheinen. Wenn sich, wie die folgenden Seiten darthun werden, diese Beteiligung, wo nicht ausschliefslich, so doch vorzugsweise auf eine Art von Gesängen erstreckt, die im strengen. Sinne des Wortes nicht als liturgisch bezeichnet werden können, während die Ausbeute an eigentlichen Hymnen und Sequenzen sich auf die Offizien der Landesheiligen Vitus, Wenzel, Ludmilla, Prokop und etwa das Festoffizium der Heimsuchung beschränken dürfte, so kann diese Erscheinung uns nicht im mindesten befremden. Die römisch-christliche Bildung des Abendlandes wurde durch die von Nordosten gegen Südwesten dahinbrausenden Wogen der Völkerwanderung fast gänzlich in den europäischen Westen und Süden, und da dieser von den Griechen Italiens und den Mauren in Spanien verkümmert ward, fast ausschliesslich nach Gallien gedrängt, von dessen Gefilden der Ansturm der Hunnen wie der Mauren siegreich zurückgewiesen wurde. Folge und Lohn dieser rettenden That war, dafs das grofse germanische Weltreich des gewaltigen Karl, das wie eine neue Schöpfung nach ihren Tagen und Formationen aus dem Chaos der Völkerwanderung auftaucht, mit seinem geistigen Schwerpunkt auf gallischem Boden ruhte; dafs von Frankreich ausgehend 1) jene eigentümliche Mischung germanischer und römischer Bildung, die Kultur des Mittelalters, sich gen Osten ausbreitete. Bis diese Arbeit, die im Westen begann und zum Teil vollendet ward, ehe noch im Osten die Bewegungen der Völkerwanderung ihr Ende gefunden und die in Flufs geratenen Massen in die Gleichgewichtslage zurückgekehrt, das abgeschlossene Böhmen erreicht und von den Anfängen christlicher Gesittung ausgehend, langsam den hartnäckigen Widerstand des nationalen Heidentums überwindend, das Land auf jene Höhe der Bildung zu heben

1) Allerdings blieb auch die eigenartig gefärbte irisch-angelsächsische Bildung von dem verheerenden Einflusse der Völkerwanderung verschont und ihre Bedeutung für den späteren tand der Wissenschaften ist ein nicht zu unterschätzender. Allein auch ihre Wirkung wird durch das Reich der Merowinger den östlicher liegenden Ländern vermittelt; man braucht nur an Columban, Gallus und Bonifacius zu erinnern.

vermochte, wie sie in Frankreich schon zu den Zeiten der ersten fränkischen Dynastie bestand; bis es den Pionieren dieser Bildung, der Geistlichkeit und den Mönchen, vergönnt war, ihre Mulsestunden der heiligen Dichtkunst zu weihen: war auch die zweite Blüteperiode der lateinischen Rhythmendichtung bereits im Niedergange begriffen. Die reichen Kirchen und Klöster Böhmens sahen sich daher für ihren liturgischen Bedarf nur selten auf Neuschöpfung angewiesen, sie hatten nur zuzugreifen und aus dem überreichen Schatze aller Länder und Zeiten sich dasjenige auszuwählen, was ihrem Geschmacke am besten zusagte. Besonders bei Karl IV., dem eigentlichen Vater der Gröfse Böhmens, tritt dies Bestreben, sein geliebtes Erbreich wie in anderer so in kirchlicher Beziehung mit der Sahne aller Völker zu nähren in auffallender Weise hervor. Mufsten doch, damit seinem Prag keine Art kirchlicher Prachtentfaltung abgehe, die Mönche des nachmaligen Hibernerklosters sich des ambrosianischen Ritus gebrauchen, während Emaus nach der Absicht seines Stifters bestimmt war, der altslavischen Liturgie eine Heimstätte zu gewähren.

Dagegen sehen wir, wenn nicht früher, so jedenfalls in hervorragenderem Mafse, als in andern Ländern der Fall, eine neue Sangesweise gepflegt, die einen mehr aufserliturgischen Charakter an sich hat; nicht etwa jene auf stille Privatandacht berechneten umfangreichen Psalterien und Rosarien, wie sie namentlich in süddeutschen Klöstern während des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts in grofser Menge zu Tage gefördert wurden, sondern jene kurzen, volkstümlichen, auf den Gesang berechneten Leiche, Lieder und Rufe, die als Vorläufer und Wegebereiter in unverkennbarem Zusammenhange mit dem späteren religiösen Volks- und Kirchenliede der Landessprache stehen.

Der Anfang des böhmischen Volksliedes ist dem des deutschen durchaus parallel. Wie in Deutschland, so beteiligte sich das Volk auch in Böhmen jahrhundertelang am Kirchengesange nur durch den Ruf Krleš (Kyrie eleison). Als 973 der erste Prager Bischof Dietmar von seiner Weihe aus Mainz zurückkehrte, und feierlich im Prager Dome inthronisiert wurde, da stimmte, wie uns Cosmas von Prag berichtet, der Klerus feierlich das Te deum. an; der Herzog und die Edeln des Landes aber sangen merkwürdig genug: Christe keinado, kyrie eleison und die halicgen

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alle helfent unse; die Einfältigen und Ungebildeten aber riefen Kerlessu1). Zum Jahre 1055 geschieht wieder bei der Wahl Spitihněvs zum Herzoge des Kyrie eleison Erwähnung 2). Ebenso bei der Erhebung der Gebeine des hl. Adalbert 1039, bei welcher Gelegenheit abermals zwischen dem Gesange der Kleriker, sie das Te deum sangen, und dem der Laien unterschieden wird, die sich auf das Kyrie eleison beschränkt sahen 3). Ähnlich ferner wie sich in Deutschland einige wenige Volkslieder finden, die sehr viel früher als die übrigen auftreten und das Privileg genielsen, an gewissen Festen selbst im Hochamte vom Volke abgesungen zu werden (wir erinnern an Christ ist erstanden" und „Gelobet seist du Jesus Christ"), tauchen auch in Böhmen zuerst zwei vereinzelte Lieder auf, von denen das eine litaneiartige Hospodine pomiluj ny (Herr, erbarme dich unser) durch die Überlieferung dem hl. Adalbert zugeschrieben wird, der es um das Jahr 972 gedichtet haben soll. Obschon diese Tradition nur bis in das Jahr 1397 sich zurückverfolgen läfst 4), das Lied auch handschriftlich sich erst in Manuskripten des XIV. Jahrhunderts vorfindet, hat doch die Kritik auf Grund der altertümlichen Sprache des Originals und der Nachrichten der Chronisten dem Liede ein ehrwürdiges Alter zuerkennen zu müssen geglaubt. Urkundlich sicher ist, dafs dieser Choral, der auch bei der Inthronisation Arnests von Pardubitz, des ersten Prager Erzbischofes, sowie bei

1) Ut ventum est metropolim Pragam juxta altare S. Viti inthronizatus ab omnibus clero modulante Te Deum laudamus. Dux autem et primates resonabant Christe keinado Kyrie eleison und die halicgen alle helfent unse et cetera; simpliciores autem et idiotae clamabant Kerlessu. Cosmas ad an. 967. 2) Post cujus (scl. Bracislai I.) obitum filium ejus primogenitum nomine Spitignev omnis Bohemiae gentis magni et parvi communi consilio et voluntate pari eligunt sibi in ducem cantantes Kyrie eleison cantilenam dulcem. Cosmas ad an. 1055.

3) Clerici Te Deum laudamus, Laici Kyrie eleison modulabantur, et resonant voces eorum usque ad aethera. Cosmas ad an. 1039. Äufserst interessant ist der Grabgesang, den ein Geistlicher bei dem Leichenzuge Břetislaw II. improvisiert haben soll: Cujus feretrum unus ex clero sequens usque ad sepulchrum hujusmodi luctum iterabat dicens: Anima Brecislai Sabaoth Adonai vivat expers thanaton Brecislaus yskiros. Cosmas ad an. 1100.

4) A. Voigt, Von dem Altertume und Gebrauche des Kirchengesanges in Böhmen. (Abhandlg. d. gelehrten Gesellsch. I. Bd.) Prag 1775, S. 214. Vgl. W. Nehring, Das altpolnische Marienlied Bogarodzica. Archiv für slavische Philologie I. Bd. S. 78. J. Jirecek, Hymnologia Bohemica S. 2.

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