ist, aus seinem Kreise sich nicht entferne oder wohl gar in einen weit abgelegenen hinüberspringe. Wagt es einer, so weiß man ihm keinen Dank, ja man gewährt ihm, wenn er es auch recht macht, keinen besondern Beifall. Nun fühlt aber der lebhafte Mensch sich um sein selbst willen und nicht fürs Publikum da, er mag sich nicht an irgendeinem Einerlei abmüden und abschleifen, er sucht sich von andern Seiten Erholung. Auch ist jedes energische Talent ein allgemeines, das überall hinschaut und seine Tätigkeit da und dort nach Belieben ausübt. Wir haben Ärzte, die mit Leidenschaft bauen, Gärten und Fabriken anlegen, Wundärzte als Münzkenner und Besitzer köstlicher Sammlungen. Astruc, Ludwig des XIV. Leibchirurg, legte zuerst Messer und Sonde an den Pentateuch, und was sind nicht überhaupt schon die Wissenschaften teilnehmenden Liebhabern und unbefangenen Gastfreunden schuldig geworden! Ferner kennen wir Geschäftsmänner als leidenschaftliche Romanenleser und Kartenspieler, ernsthafte Hausväter jeder andern Unterhaltung die Theaterposse vorziehend. Seit mehreren Jahren wird uns zum Überdruß die ewige Wahrheit wiederholt, daß das Menschenleben aus Ernst und Spiel zusammengesetzt sei und daß der Weiseste und Glücklichste nur derjenige genannt zu werden verdiene, der sich zwischen beiden im Gleichgewicht zu bewegen versteht; denn auch ungeregelt wünscht ein jeder das Entgegengesetzte von sich selbst, um das Ganze zu haben. Auf tausenderlei Weise erscheint dieses Bedürfnis dem wirksamen Menschen aufgedrungen. Wer darf mit unserm Chladni rechten, dieser Zierde der Nation? Dank ist ihm die Welt schuldig, daß er den Klang allen Körpern auf jede Weise zu entlocken, zuletzt sichtbar zu machen verstanden. Und was ist entfernter von diesem Bemühen als die Betrachtung des atmosphärischen Gesteins? Die Umstände der in unsern Tagen häufig sich erneuernden Ereignisse zu kennen und zu erwägen, die Bestandteile dieses himmlisch-irdischen Produkts zu entwickeln, die Geschichte des durch alle Zeiten durchgehenden wunderbaren Phänomens aufzuforschen, ist eine schöne würdige Aufgabe. Wodurch hängt aber dieses Geschäft mit jenem zusammen? Etwa durchs Donnergeprassel, womit die Atmosphärilien zu uns herunterstürzen? Keineswegs, sondern dadurch, daß ein geistreicher aufmerkender Mann zwei der entferntesten Naturvorkommenheiten seiner Betrachtung aufgedrungen fühlt und nun eines wie das andere stetig und unablässig verfolgt. Ziehen wir dankbar den Gewinn, der uns dadurch beschert ist! Schicksal der Druckschrift [Zur Morphologie. Ersten Bandes erstes Heft. 1817] Derjenige, der sich im stillen mit einem würdigen Gegenstande beschäftigt, in allem Ernst ihn zu umfassen bestrebt, macht sich keinen Begriff, daß gleichzeitige Menschen ganz anders zu denken gewohnt sind als er, und es ist sein Glück: denn er würde den Glauben an sich selbst verlieren, wenn er nicht an Teilnahme glauben dürfte. Tritt er aber mit seiner Meinung hervor, so bemerkt er bald, daß verschiedene Vorstellungsarten sich in der Welt bekämpfen und so gut den Gelehrten als Ungelehrten verwirren. Der Tag ist immer in Parteien geteilt, die sich selbst so wenig kennen als ihre Antipoden. Jeder wirkt leidenschaftlich, was er vermag, und gelangt so weit es gelingen will. Und so ward auch ich, noch ehe mir ein öffentliches Urteil zukam, durch eine Privatnachricht gar wundersam getroffen. In einer ansehnlichen deutschen Stadt hatte sich ein Verein wissenschaftlicher Männer gebildet, welche zusammen, auf theoretischem und praktischem Wege, manches Gute stifteten. In diesem Kreise ward auch mein Heftchen als eine sonderbare Novität eifrig gelesen; allein jedermann war damit unzufrieden, alle versicherten, es sei nicht abzusehen, was das heißen solle. Einer meiner römischen Kunstfreunde, mich liebend, mir vertrauend, empfand es übel, meine Arbeit so getadelt, ja verwerfen zu hören, da er mich doch bei einem lange fortgesetzten Umgange über mannigfaltige Gegenstände ganz vernünftig und folgerecht sprechen hören. Er las daher das Heft mit Aufmerksamkeit, und ob er gleich selbst nicht recht wußte, wo ich hinaus wolle, so ergrift er doch den Inhalt mit Neigung und Künstlersinn und gab dem Vorgetragenen eine zwar wunderliche, aber doch geistreiche Bedeutung. "Der Verfasser", sagt derselbe, "hat eine eigene verborgene Absicht, die ich aber vollkommen deutlich einsehe: er will den Künstler lehren, wie sprossende und rankende Blumenverzierungen zu erfinden sind, nach Art und Weise der Alten in fortschreitender Bewegung. Die Pflanze muß von den einfachsten Blättern ausgehen, die sich stufenweise vermannigfaltigen, einschneiden, vervielfältigen und, indem sie sich vorwärts schieben, immer ausgebildeter, schlanker und leichter werden, bis sie sich in dem größten Reichtum der Blume versammeln, um den Samen entweder auszuschütten oder gar einen neuen Lebenslauf wieder zu beginnen. Marmorpilaster, auf solche Weise verziert, sieht man in der Villa Medicis, und nun verstehe ich erst recht, wie es dort gemeint ist. Die unendliche Fülle der Blätter wird zuletzt von der Blume noch übertroffen, so daß endlich statt der Samen körner oft Tiergestalten und Genien hervorspringen, ohne daß man es nach der vorhergehenden herrlichen Entwickelungsfolge nur im mindesten unwahrscheinlich fände; ich freue mich nun, auf die angedeutete Weise gar manchen Zierat selbst zu erfinden, da ich bisher unbewußt die Alten nachgeahmt habe." In diesem Falle war jedoch Gelehrten nicht gut gepredigt; sie ließen die Erklärung zur Not hingehn, meinten aber doch: wenn man nichts weiter als die Kunst im Auge habe und Zieraten beabsichtige, so müsse man nicht tun, als wenn man für die Wissenschaften arbeite, wo dergleichen Phantasien nicht gelten dürften. Der Künstler versicherte mich später: in Gefolg der Naturgesetze, wie ich sie ausgesprochen, sei ihm geglückt, Natürliches und Unmögliches zu verbinden und etwas erfreulich Wahrscheinliches hervorzubringen. Jenen Herrn dagegen habe er mit seinen Erklärungen nicht wieder aufwarten dürfen. Von andern Seiten her vernahm ich ähnliche Klänge: nirgends wollte man zugeben, daß Wissenschaft und Poesie vereinbar seien. Man vergaß, daß Wissenschaft sich aus Poesie entwickelt habe; man bedachte nicht, daß nach einem Umschwung von Zeiten beide sich wieder freundlich, zu beiderseitigem Vorteil, auf höherer Stelle, gar wohl wieder begegnen könnten. Freundinnen, welche mich schon früher den einsamen Gebirgen, der Betrachtung starrer Felsen gern entzogen hätten, waren auch mit meiner abstrakten Gärtnerei keineswegs zufrieden. Pflanzen und Blumen sollten sich durch Gestalt, Farbe, Geruch auszeichnen; nun verschwanden sie aber zu einem gespensterhaften Schemen. Da versuchte ich, diese wohlwollenden Gemüter zur Teilnahme durch eine Elegie zu locken, der ein Platz hier gegönnt sein möge, wo sie, im Zusammenhang wissenschaftlicher Darstellung, verständlicher werden dürfte als eingeschaltet in eine Folge zärtlicher und leidenschaftlicher Poesien. Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung Dieses Blumengewühls über dem Garten umher; Viele Namen hörest du an, und immer verdränget Mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr. Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern, Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz, Auf ein heiliges Rätsel. O könnt ich dir, liebliche Freundin, Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort! Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze, Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht. Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde Stille befruchtender Schoß hold in das Leben entläßt Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten, Gleich den zärtesten Bau keimender Blätter empfiehlt. Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes Vorbild Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt, Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos; Trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt, Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend, Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht. Aber einfach bleibt die Gestalt der ersten Erscheinung, Und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das Kind. Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuet, Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild. Zwar nicht immer das gleiche; denn mannigfaltig erzeugt sich, Ausgebildet, du siehsts, immer das folgende Blatt, Ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und Teile, Die verwachsen vorher ruhten im untern Organ. Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte Vollendung, Die bei manchem Geschlecht dich zum Erstaunen be wegt. Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender Fläche, Scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu sein. Doch hier hält die Natur mit mächtigen Händen die Bildung An und lenket sie sanft in das Vollkommnere hin. Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße, Und gleich zeigt die Gestalt zärtere Wirkungen an. Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke, Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus. Blattlos aber und schnell erhebt sich der zärtere Stengel, Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an. Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin. Um die Achse gedrängt, entscheidet der bergende Kelch sich, Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt. Also prangt die Natur in hoher voller Erscheinung, Und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft. Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel die Blume Über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter bewegt. Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens Verkündung; Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand, Und zusammen zieht es sich schnell; die zärtesten Formen, Zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt. |