langte ich ganz allein zur lebendigen Übersicht, aus welcher ein Begriff sich bildet, der sodann in aufsteigender Linie der Idee begegnen wird. Eine frische Aufmunterung genoß ich zuletzt durch Herrn Brandes und dessen "Beiträge zur Witterungskunde". Hier zeigt sich, wie ein Mann, die Einzelnheiten ins Ganze verarbeitend, auch das Isolierteste zu nutzen weiß. Ich ward dadurch angeregt, manches aus meinen Papieren mitzuteilen, das vielleicht, mit schon Vorhandenem zusammengeknüpft, von Wert sein könnte; da ich aber gleich darauf eine Badereise bei der glücklichsten, eine schöne Dauer versprechenden Witterung unternahm, so entschloß ich mich, die atmosphärischen Erscheinungen in der strengsten Folge zu beobachten und zu verzeichnen, um zu sehen und darzustellen, wie es sich mit dem Konflikt der obern und untern Region, der austrocknenden und anfeuchtenden, verhalte. Sonntag, den 23. April 1820, bis Schleiz. Stand in Jena früh des Morgens um fünf Uhr das Barometer 28′ 2′′ 5"". Am ganz reinen Himmel vor Sonnenaufgang einige Streifen im Osten, die sich, wie sie herankam, in Zirrus auflösten; ebenso die übrigen, im Norden und Zenit schwebenden Streifen. Die Nebel aus der Saale verflossen sogleich in die Luft, legten sich an die Berge, schlugen als Tau nieder; das wenige, was empor kam, zeigte sich auch gleich als leichtere Streifen. Gegen Süden zu fahrend, sah man am Horizont, in der Gegend der böhmischen und Fichtelgebirge, gleiche Streifen, aber gedrängter übereinander. Der Wind war Nord-Ost-Ost. Aufmerksamkeit verdiente nunmehr, daß alle diese Streifen die Neigung zeigten, in Zirrus überzugehen: denn sie lockerten und teilten sich in sich selbst, indem sie doch ihre horizontale Ausdehnung und Lage behielten. Bei wachsender Höhe des Sonnenstandes ließ sich ferner bemerken, daß sie eine Art von Annäherung gegeneinander ausübten, in Verbindung traten und Formen bildeten, die man für Stratus an zusprechen hatte. Diese, obgleich an ihrer Base ziemlich horizontal, als aufliegend auf einer Luftschicht, die sie trug, fingen doch an, ihren oberen Umriß aufzublähen, in verschiedene Erhöhungen zu gestalten und dadurch das Recht zu erlangen, für Kumulus zu gelten. Hier sah man nun die drei Hauptbildungen gleichzeitig und konnte die Möglichkeit ihrer Koexistenz bei dem höchsten Barometerstand gar wohl begreifen. Eine solche Schar von unten mehr oder weniger verflächten, oben ausgerundeten, geballten Luftkörpern hatte durchaus, vereinzelt und unzusammenhängend, gegen zwölf Uhr den ganzen Himmel eingenommen und schien bei fortdauerndem Nordostwind mit geringer Bewegung gegen Süden nicht abzunehmen. Gegen Abend jedoch ließ sich ganz deutlich bemerken, daß sie nach und nach von der Luft aufgezehrt wurden, und zwar, wie sie reihenweis sachte nach Süden zogen, entwickelte sich meist die unterhalb ziehende Wolke gegen die obere und verband sich mit ihr, indes diese nichts dabei gewann, indem auch sie von ihren oberen Teilen nach der höheren Luft, sich einzeln auflösend, abgab und sie sich endlich allesamt zerstreuten. So war nach Sonnenuntergang gar bald der ganze Himmel rein und hatte diese bedeutende Feuchtigkeit sich in der Atmosphäre aufgelöst. Es war der vierte Tag nach dem ersten Viertel des Mondes. Dieser Tag war auf der Fahrt bis Schleiz zugebracht. Montag, den 24. April, bis Hof. War die Folge des gestrigen Tages und der vergangenen Nacht gar wohl zu beobachten. Die Luft hatte alle Feuchtigkeit in sich aufgenommen, es entstand daher bei Sonnenaufgang eine Art von Höherauch, den man an entferntern Gegenständen, auch an einem blässern Himmelsblau gar wohl bemerken konnte. Es zeigen sich nach und nach zarte horizontale Streifen, in die sich der Höherauch zusammenzieht, sie überdecken den ganzen Himmel, zugleich manifestieren sie ihre zirröse Tendenz: sie lockern sich auseinander und zeigen sich als Reihen von Schäfchen. Ein Teil des Höherauchs ist als Tau niedergegangen. Der Nordostwind strömt heftig, schon löst sich der obere Umriß aller Streifen flammig auf, ja es steigen aus demselben einzelne Säulen wie Rauch aus den Essen hervor, die aber doch oben sich wieder zur Schicht legen, als wenn sie ihren vorigen Zustand wieder annehmen wollten. Alle diese Bemühungen gelten aber nicht gegen den Nordost, der mit Heftigkeit bläst: keine Wolke vermag sich mehr zu ballen, gegen Mittag schon ist der ganze Himmel rein. Im Gasthof zum Hirschen in Hof konnte man die bewegliche Wetterfahne vom scharfen Ost stoßweise auf Norden deutend beobachten. Der Mond stand am Himmel, nur wenige Wolken erschienen am Horizonte, und der Nacht blieb kaum übrig, das sie aufzulösen hätte. Dienstag, den 25. April, bis Alexandersbad. Vor Sonnenaufgang leichte Streifen an dem ganzen Horizont hin, die sich erhoben und verflockten, sobald sie hervortrat. Die Fahne, vollkommen in Nord, stand unbeweglich; mit wachsendem Tag häuften sich die Wolken. In Alexandersbad stand das Barometer 28 Zoll weniger 11/2 Linie, welches nach der Höhe des Orts schön Wetter andeutet. Nach Tische bewölkte sich der Himmel immer mehr, die Wolken schienen in tieferer Region zu schweben, Natur und Gestalt des Stratus anzunehmen, auch war das Barometer eine halbe Linie gefallen. Um acht Uhr war der Himmel ziemlich klar; doch lag im Süden eine langgestreckte dichte Wolke, die sich aber nach und nach aufzuzehren schien. Mittwoch, den 26. April, bis Eger. Das Barometer war etwas gesunken, demohngeachtet war vor Sonnenaufgang der Himmel ganz rein, nur wenige Streifen am Horizont im Norden. Windstille vor und nach Sonnenaufgang; die. Hähne krähten. Den ganzen Morgen bis zu Mittag der Himmel völlig rein. In Eger vernahmen wir, das Barometer sei gefallen, aber ohne nähere Bestimmung. Der Himmel blieb den ganzen Tag rein und so auch vollkommen in der Nacht; der Mond schien hell, und die Sterne funkelten; ein Nordostwind hatte den ganzen Tag fortgedauert. Jedoch bei wachsender Nacht zeigte sich eine große, obgleich nicht verdichtete Wolkenmasse, welche, von Osten heraufsteigend, den ganzen Himmel mit einzelnem Gewölk überzog. Donnerstag, den 27. April, bis Marienbad. Ebenso verhielt es sich morgens bei Sonnenaufgang. Der ganze Himmel war mit einzelnem, einander berührendem Gewölk bedeckt, davon sich ein Teil in die obere Luft auflöste, ein anderer aber so zottig und grau herunterhing, daß man jeden Augenblick erwartete, ihn als Regen niederfallen zu sehn. Auf dem Wege nach Sandau, wo wir gegen Südost fuhren, sahen wir die sämtlichen Wolkenphänomene in ihrer charakteristischen Mannigfaltigkeit, Abgesondertheit, Verbindung und Übergängen, als ich sie nie gesehen, und zwar in solcher Fülle, daß der ganze Himmel davon überdeckt war. Das leichteste Gespinst der Besenstriche des Zirrus stand ruhig am obersten Himmel, ganze Reihen von Kumulus zogen, doppelt und dreifach übereinander, parallel mit dem Horizonte dahin, einige drängten sich in ungeheure Körper zusammen, und indem sie an ihrem oberen Umriß immer abgezupft und der allgemeinen Atmosphäre zugeeignet wurden, so ward ihr unterer Teil immer schwerer, stratusartiger, grau und undurchscheinend, sich niedersenkend und Regen drohend. Eine solche Masse zog sich uns über das Haupt hin, und es fielen wirklich einige Tropfen. Da nun alles dieses in der mitt- lern Luft vorging, war uns die Aussicht auf den Horizont nicht versagt. Wir sahen auf dem ganzen Halbkreis der entferntesten böhmischen Gebirge ein übereinander getürmtes Amphitheater von Kumulus liegen, davon die einzelnen wolligen Massen durch kräftigen Sonnenschein in Licht und Schatten gesetzt wurden. Der Wind hatte sich geändert, es war ein Südwest, der aber nur die untere Region zu affizieren schien. Und so dauerte der Konflikt zwischen der Atmosphäre und den Wolken den ganzen Tag über. Nach Sonnenuntergang jedoch und Aufgang =des Mondes hatte sich der Himmel ganz aufgeklärt, so daß nur ganz leichte Zirrusstreifen zu sehen waren. Freitag, den 28. April, bis Eger. Bei Sonnenaufgang ganz klarer Himmel, in Westen Nebelwand, die sich nach und nach heranzog, indem sich = der Ostwind in Westwind umlegte; der ganze Himmel überzog sich wieder, aber leicht. Auf dem Wege nach Eger sahen wir abermals ein herrliches, höchst unterrichtendes Schauspiel vor uns, zu dessen Erinnerung ich folgendes allgemeiner bezeichne. Der Kumulus kann seiner Natur gemäß vorerst in einer mittlern Region schwebend angesehen werden, eine Menge desselben zieht in langen Reihen hintereinander hin, oben ausgezackt, in der Mitte bauchig, unten geradlinig, als wenn sie auf einer Luftschicht auflägen. Steigt nun der Kumulus, so wird er von der obern Luft ergriffen, die ihn auflöst und in die Region des Zirrus überführt; senkt er sich, so wird er schwerer, grauer, unempfänglicher dem Lichte, er ruht auf einer horizontalen, gestreckten Wolkenbase und verwandelt sich unten in Stratus. Diese Erscheinung sahen wir in der größten Mannigfaltigkeit an dem Halbkreise des westlichen Himmels vorgehen, bis die untere schwere Wolkenschicht, von der Erde angezogen, genötigt war, in Regenstrichen niederzugehn. Aber auch diese behielten einen leichten luftigen Charakter, indem sie, schief und in sich selbst gekrümmt, nach der Erde gerichtet, bald abzuregnen schienen, bald eine Zeitlang in der Höhe schwebend verweilten, endlich aber strichund streifenweise vertikal in die Höhe stiegen, sich mit oberen stratusartigen Wolken verbanden und wieder zu ihrem ersten Ursprung zurückkehrten. Indessen sahen wir am ganzen westlichen Horizont unzählbare solche Regenschauer einzeln über Felder und Hügel niedergehn, wie uns denn auch ein solcher dem Landmann höchst erwünschter Regenstrich vorüberstreifend benetzte. Durch den Flor sowie durch die Zwischenräume dieser GOETHE XVI 8. |