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Die Rätsel der Sprache.

125-433

Grundlinien der Wortdeutung.

Von

Dr. Rudolf Kleinpaul.

Verfasser der ,,Sprache ohne Worte".

Ein Rätsel tritt das Heilige ins Leben;
Ein Rätsel wohnt es in des Busens Gründen.

Ernst Moritz Arndt.

Leipzig.
Verlag von Wilhelm Friedrich,

K. R. Hofbuchhändler.

1890.

900 K64ra

Alle Rechte vorbehalten.

Vorwort.

Besinne dich, sagt jener Präsident zu seinem Sohne,

besinne dich, dass du mir Rätsel sprichst! Das Buch, welches die Rätsel der Sprache zum Gegenstande hat, ist als das Endstück eines umfassenden Werkes über Sprachleben gedacht, dessen Anfang die Sprache ohne Worte bildet: die Mittelpartie, den Ursprung und die Entwickelungsgeschichte der Sprache selbst ententhaltend, steht noch aus. Ich habe in diesem vorweggenommenen Schlussband das Sprachbewusstsein, wie es, nachdem die Sprache ausgewachsen und der materielle Aufbau derselben vollendet ist, erwacht; also (da dies, Seite 56, der alte schöne Ausdruck ist, welcher dem lateinischen Conscientia entspricht) das Gewissen des Volkes schildern wollen, sein durch den Verfall jenes Baues und die allmähliche Entartung des sprachlichen Organismus gerührtes Sprachgewissen; ein langsames und schmerzliches Besinnen, mit dem Absterben der Sprache Schritt haltend, gleichsam eine Todesahnung, wie der Mensch anfängt, sich auf sich selber zu besinnen, wenn er seiner Auflösung entgegengeht; eine letzte Lebensphase, so man will, aber unfruchtbar, rückwärts gewandt, ohne frische, produktive

Triebe, wenn auch sie wieder zu nachträglichen Neubildungen führt nur eine Spiegelung, ein wehmütiger Reflex, der Abschiedsgruss eines Wesens, das sich anschickt zu entfliehn.

Jetzt im Rätsel, jetzt im dunkeln Spiegel; einst erscheinet uns der Wahrheit Siegel wirklich: Angesicht zu Angesicht (Herder). Soweit die Menschen zurückdenken können, haben sie sich Rätsel aufgegeben; von uralters her bilden sie einen Bestandteil germanischer Volksdichtung. Wirt und Gast, Gott und Zwerg, Altgeselle und Wanderbursch, streifende Jäger, weit herbeigereiste Sänger, grimme Helden prüfen sich mit Rätseln, Liebesleute stellen einander verfängliche Rätselfragen, ehe sie sich binden, für die sinnige, verständige Lösung eines Rätsels wird der Wanderer gastlich aufgenommen, der Dichter gekrönt, der Brautwerber erhört, ja, kann er nicht antworten, ist sein Haupt verfallen. Wodan setzt sich an Mimes Herde nieder: hier sitz ich am Herd, und setze mein Haupt der Wissenswette zum Pfand:

mein Kopf ist dein,
du hast ihn erkiest,

erfrägst du dir nicht

was dir frommt,

lös ich's mit Lehren nicht ein (aus Richard Wagners Ring des Nibelungen, nach der Herwörsaga, Vonved und den Gesta Romanorum).

So waren auch die Orientalen, Ägypter, Perser, Araber und Hebräer, von jeher Rätselfreunde. Die Königin Bilkis kam (Seite 394) vom Reich Arabien, die Weisheit Salomos mit Rätseln zu versuchen; und berühmt ist das Rätsel Simsons, das die Philister errieten, weil sie (Seite 136) mit fremdem Kalbe pflügten, das sie aber auch wirklich, wie schon der grosse niederländische Vielwisser Gerhard Johann

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Dunkle

Voss bemerkt hat, gar nicht raten konnten. Änigmen waren die Würze der griechischen Symposien: die Sphinx quälte, das Leben einsetzend wie die Edda, die Thebaner mit dem Rätsel auf den Menschen, und einer der Sieben Weisen, Kleobulus, dichtete sein schönes Rätsel auf das Jahr (εἷς ὁ πατήρ, παῖδες δὲ δυώδεκα, κ. τ. λ.), welches auch, gleich dem auf den Schröpfkopf, das Aristoteles rühmend erwähnt, seiner Tochter, der klugen Kleobuline, zugeschrieben wird. Die Sagen von der Sphinx und von Odin malen nur den tödlichen Kummer, den die Menschen früherer Zeit empfanden, wenn ihnen die Auflösung eines Rätsels misslang. Aristoteles starb angeblich vor Gram, dass er sich die Ebbe und Flut im Sund Euripus (Seite 347) nicht erklären konnte; von Vater Homer erzählt Plutarch, er sei vor Gram gestorben, weil er ein wirkliches Rätsel nicht herausbekommen habe. Spuren von Rätseln finden sich in der Bibel, im Koran, in der Edda, in allen alten Urkunden des Menschengeschlechts das grösste, älteste und heiligste Rätsel ist die Sprache, unter allen Rätselworten nicht blos die populärsten, sondern auch die interessantesten sind die Worte selbst.

Ein Rätsel tritt die Sprache in das Leben; ein tausendfältiges Rätsel wohnt sie, eisgrau und entblättert, in des Busens Gründen. Der kleinste Redeteil, das unscheinbarste Wörtlein ist eine fragwürdige Ruine, ein Torso, ein wundervolles, bis zur Unkenntlichkeit entstelltes Kunstwerk, wie die Italiener sagen, un Indovinello der Forscher hat es am frühen Morgen auf seinem Weg gefunden, trägt es den Tag über liebevoll auf einsamen Spaziergängen mit sich herum, lockt wichtigen Sinn heraus, rät, rät und rät, glaubt die Auflösung gefunden zu haben, jubelt, lässt sie

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