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Zur Literatur der Heimatfrage Walthers.

Vielleicht mit Ausnahme Homers ist über keines großen Sängers Herkunft so viel geschrieben, das heißt gestritten worden denn schreiben heißt ja bei uns zumeist streiten. wie über die muthmaßliche Heimat des größten und gefeiertsten deutschen Spruch- und Liederdichters Walther von der Vogelweide. Und nichts dürfte so sehr geeignet sein, Ansehen und Bedeutung dieses Mannes in das rechte Licht zu stellen, als eben die Thatsache, daß die vielhundertjährige Zeit- und Streitfrage nach Walthers Vaterland immer und immer wieder aufgeworfen wird, kaum daß sie für Augenblicke scheinbar zur Ruhe gekommen war. In Wirklichkeit war sie es niemals. Und wer mag es den ungezählten braven Gelehrten und biederen Literaten am Rheine, im oberen Thurgau und in St. Gallen, in Franken, in Schwaben und Baiern, in Meißen und Sachsen, in Böhmen und Niederösterreich, in Steiermark, Tirol u. s. w. verargen, daß sie mit dem Aufwand aller Mittel polemischen Scharfsinnes oder doch patrioMittheilungen. 32. Jahrgang. 2. Heft.

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tischer Phantasie für die engere Landsmannschaft eines Unsterblichen wie Walthers einzutreten bemüht sind, insolange das Gegentheil ihrer Behauptungen nicht erwiesen und ihnen damit der Schatten eines Rechtes für diese Behauptungen geblieben ist? - Der Gegenstand selbst wandelt ein solches Recht in eine Art Gebot der Pflicht.

Immerhin mag gelten, was einer der Tüchtigsten aus der großen Walthergemeinde 1) behauptet: „Nicht darauf kommt es an, wo ein Mann geboren ist, wohl aber darauf, wo er die bildsamen Jahre der Jugend verlebte, in denen der Geist Form und Richtung erhält." Und doch! Derselbe verdiente Forscher weist in Uebereinstimmung mit vielen Anderen 2) nach, daß Walther, um das Jahr 1170 geboren, erst gegen 1188 als Sänger aufgetreten, mit anderen Worten: daß er nicht bloß die früheste Kindheit, auch einen guten Theil des Jünglingsalters an seiner Geburtsstätte zugebracht.

Nicht um ein blindes, zufälliges Ohngefähr handelt es sich somit bei der Frage nach Walthers Wiege. Der Erdenwinkel, der sich um die Auszeichnung bewirbt, als der Geburtsort Walthers von der Vogelweide anerkannt zu werden, beansprucht damit zugleich die Ehre und den Ruhm, in die empfängliche Seele des Knaben, in sein unendlich reichbegabtes, tiefes Gemüth die ersten zarten Keime gelegt zu haben zu all dem Großen, Guten und Schönen, mit dem er, herangereift, die Mit- und Nachwelt beschenkte, vor Allem die ihn wie keinen Zweiten kennzeichnende Liebe zur Natur und zur Heimat: unstreitig so recht eigentlich „die starken Wurzeln seiner Kraft." Sie, diese Liebe, muß schon das Kind, der werdende Mann, mit vollen Zügen in sich gesogen haben, um sie, nachdem der geborene Dichter „singen und sagen gelernt", in so anschaulicher

1) W. Wilmanns, Leben und Dichten Walthers von der Vogelweide, S. 48. 2) Wie Carl Lachmann, Die Gedichte Walthers von der Vogelweide (6. Ausg. von K. Müllenhoff, 1891), S. 197 fg., findet nach genauer Untersuchung Conrad Burdach, Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide, S. 8: „Walther begann um 1187 zu dichten und war etwa 1170 geboren." — Vergl. Franz Pfeiffer, Walther von der Vogelweide (6. Aufl., herausgegeben von C. Bartsch, 1880), Einleitung, S. XXX: „Kurz vor oder nach 1190 mag es gewesen sein, daß der etwa zwanzigjährige Jüngling das väterliche Haus verließ und sich nach Oesterreich begab.“ Selbst Rud. Menzel, Das Leben Walthers von der Vogelweide, der Walthers Geburtsjahr in dem Zeitraume von 1157-67 sucht, gesteht zu (S. 75): „In allzu zarter Kindheit kann er der Heimat nicht entrückt worden sein;" er mag frühestens im 14. bis 16. Lebensjahre dem väterlichen Heimwesen Lebewohl gesagt haben."

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und eindringlicher, in so rührender und erhebender Weise äußern zu können, wie das nur wieder eben ein Walther von der Vogelweide vermochte.

Es ist ein wahres Wort gewiß, „daß jeder große Dichter den Willen gehabt hat, es zu werden in der Jugend am stärksten."1) Dieser Wille war es, der Walther als Jüngling aus der Heimat in die Fremde trieb. In dieser Fremde aber, inmitten des wirren Glanzes höfischen Lebens und Treibens, der falschen Lächler" und ungezogenen Kläffer“, in hoher und niederer Minne, denkt er doch treulich der fernen harmlosen Anmuth, die ihn als Kind umgeben, in Haide und Wald und Feld.

Swie wol der heide ir manicvaltiu varwe stât,

so wil ich doch dem walde jehen,

daz er vil mêre wünneclîcher dinge hât,

noch ist dem velde baz geschehen. (Lachmann 64, 13.)

Es ist seine Kinderwelt, von der er singt:

Diu welt was gelf, rot unde blâ,

grüen' in dem walde und anderswâ,

die kleinen vogele sungen dâ. (L. 75, 25.)

Nicht übergroß ist diese Welt und auch nicht überreich. Immer dasselbe Bild tritt ihm vor Augen - in unerschöpflicher Mannigfaltigkeit und doch unsagbar köstlicher Schlichtheit:

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Es ist nichts Anderes, als die Variation dieses Themas, wenn er anhebt:

Sô die bluomen uz dem grase dringent,
same sie lachen gegen der spielden sunnen,
in einem meien an dem morgen fruo,
und diu kleinen vogellîn wol singent

in ir besten wîse die sie kunnen,

was wünne mac sich dâ gelîchen zuo?

ez ist wol halb ein himelriche. . . . (L. 45, 37.)

...

Nicht an dem Wiener, noch an dem thüringischen oder am Kaiserhofe war ihm dies „halbe Himmelreich" aufgegangen; darin war er geboren, darin erwachsen, und unvergessen und unverloren blieb es ihm

1) C. Burdach a. a. D., 21.

sein Leben lang. 1) Zieht er sich auf sich selbst zurück, so sieht er es auch wieder, dieses Himmelreich, in Sommers- und Winterszeit.

Der rife tet den kleinen vogelen wê,

daz sie niht ensungen.

nû hôrt ich s' aber wünneclîch als ê:

nû ist diu heide entsprungen. (L. 114, 23.)

Auf blumiger Haide, am Saume des Waldes, an den sich bebaute Felder lehnen: da stand Walthers Vaterhaus, der Vogelweidh o fr umschwärmt von unzähligen lieben, kleinen gefiederten Kameraden, die es ihn lehren, sich Freude und Leid frisch von der Seele zu singen. Tandaradei! er übertraf sie alle an Fülle des Wohllauts, da seine Zeit gekommen war. Bilder der Heimat sind es wieder, die ihn im hellen Uebermuthe zu dem Liede begeistern

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Und wohl gedenkt er ihrer nicht minder, singt er in hoher

Minnelust:

Swâ ein edeliu schoene frowe reine

wol gekleidet unde wol gebunden

dur kurzewîle zuo vil liuten gât

hovelîchen hôchgemuot, niht eine,

umbe sehende ein wênic under stunden,

alsam der sunne gegen den sternen stât. (2. 46, 10.)

An der Haide die Linde, der Wald und das Feld, die Blumen und Vögel und edle schöne Frauen, die das Alles beleben: sie sind aber nicht genügend, Walthers Geburtsstätte zu charakterisiren. Dazu gehört noch ein Besonderes, das unmöglich vergessen werden darf. Es muß auffällig erscheinen, daß Walther wiederholt, geleitet er uns im Liede in seine Heimat, an einen See erinnert, ein fließendes Wasser, das ihm untrennbar von dem Gedanken an seine Kindheit.

Ich saz uf eime grüenen lê:

da ensprungen bluomen unde klê

zwischen mir und eime sê. . . . (L. 75, 32.)

Das Bild findet sein Gegenstück in den Versen:

Ich hôrte ein wazzer diezen

und sach die vische fliezen. . . .(2. 8, 28.)

1) Vergl. Wilmanns a. a. D., 59.

Unfern der Haide, dem Felde und dem Walde, die Walthers Wiege umgaben, lag auch ein See, ein Flußsee, wohl gar eine Anzahl von Seen und Teichen, an deren Ufer er träumend saß oder spielend lust= wandelte. Wo dieses Merkmal nicht zu finden, so sollte man glauben, da ist auch Walthers Vaterhaus nicht zu suchen. Als er am Ende seiner Tage in die Heimat zurückkehrte, die er seit dem Knabenalter nicht wiedergesehen, da findet er Leute und Land verändert; die ihm Gespielen waren, find träge und alt; bereitet ist das Feld, der Wald verhauen

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wan daz daz wazzer fliuzet alz ez wîlent flôz. (Pfeiffer 188.)

Es soll und kann hier nicht wiederholt werden, was Alles bisher zur Heimatfrage Walthers von der Vogelweide vorgebracht worden: eine stattliche Literatur.

Bekanntlich noch W. Grimm1) war der Meinung, „da es kein Geschlecht gab, das von der Vogelweide hieß, so mag auch Walther (gleichwie Freidank) einen dichterischen Namen angenommen haben." Lachmann, dessen große Verdienste um die Ausbreitung der Kenntniß Walthers unbestritten bleiben, ging von der Voraussetzung aus, „daß Walther von Kind auf für einen Desterreicher gegolten hat." Auch ihm galt er dafür, und zwar in einem Maße, daß er behauptete,,,ihm ein anderes Geburtland zu suchen, ist grundlos und ist unnüg wenn man ein altes Geschlecht von der Vogelweide doch nirgend nachweisen kann.“2)

Man hat seither mit gutem Grund bezweifelt, ob die Existenz eines solchen Geschlechtes so unbedingt zu leugnen sei. Familien des Namens Vogelweid und Vogelweider wurden urkundlich in der Schweiz und in Süddeutschland, in Reutlingen, Nürnberg und Frankfurt a. M., ein „Walther von der Vogelwaid“ für 1368 in Steiermark nachgewiesen.3)

Pfeiffer entdeckte in Tirol im Wipthal, in der Nähe von Sterzing,

1) Ueber Freidank," in W. Grimms Kleineren Schriften" (herausgegeben von G. Hinrichs, IV [1887]), S. 5 fg. Vergl. auch daselbst, II (1882), S. 452 fg.

2) Die Nachweisung des Irrigen dieser Ansicht Lachmanns (a. a. D., 219), die übrigens von Vielen getheilt wurde, scheint uns die gelungenste Partie bei R. Menzel a. a. O., 20 fg. — In Wilmanns' gegentheiligen Bemerkungen a. a. O. paßt das Zutreffende sehr wohl auf Oesterreich als Walthers zweite Heimat.

3) H. Palm in Höpfners und Zachers Zeitschr. für deutsche Philologie, V (1874). S. 203 fg. Vergl. Wilmanns a. a. D., 302, und die dort angeführten

Quellen.

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