Beiträge zu einer Geschichte der Musik in Böhmen. Von Gustav E. Pazaurek. (Schluß.) Hand in Hand mit den Cantoren gingen stets die Organisten; war doch die Orgel das einzige geduldete, ja protegirte Kircheninstrument, während alle anderen Instrumente schon im Jahre 1348 vom Prager Erzbischof Ernst von Pardubig bei vier Schock böhm. Groschen Strafe aus den Gotteshäusern verbannt wurden. Aehnliche Verordnungen wurden auch später erlassen, doch stets wird die Orgel ausgenommen, da denn doch der Cantus planus, der unisone Gregorianische Choralgesang, eine mehrstimmige Begleitung sehr wünschenswerth erschienen ließ; außerdem war der Cantus firmus, die Melodie, wenn diese auf dem mächtigen Instrumente mitgespielt wurde, gegen Sängerwillkür oder Sängerungeschick geschüßt. Die Stellung eines Organisten (tsch. „Organysta“ oder „Warhanik“) war der der Cantoren verwandt; es mögen daher die biographischen Notizen über die Orgelspieler in der bisherigen Weise hier ange= fügt werden: Johann Bartkowsky siehe: Bratkowsky. Abraham Bomkart, Organist vom Spital nächst der Prager Brücke, berichtet am 16. August 1570 tschechisch vor dem Altstädter Stadtgerichte über einen Streit bei der Hochzeit eines Riemers, zu welcher er geladen war. (Prager Stadtarchiv cod. 1050 f. 31 b.) Johann Bratkowsky (auch „Bartkowsky“), Organist, kommt aus „Rzessow“ nach Prag und erhält den 2. November 1568 das Altstädter Bürgerrecht. (Prager Stadtarchiv cod. 535 f. 64 v.) Bei Bürgerschaftsbewerbungen anderer tritt er als Bürge auf, so am 25. Mai 1587 für den Trompeter Friedrich aus Taus und am 23. Juni 1589 für den ungarischen Tischler Adam Blunthamer. (Prager Stadtarchiv cod. 535 f. 194 v. und 219.) Auch als Proceßzeuge finden wir seinen Namen u. 3. am 1. Juni 1587, da er neben dem Organisten Naubiczer eine nebensächliche tschechische Aussage abgibt. (Prager Stadtarchiv cod. 1054 f. 214 v.) Bratkowsky starb nach Dlabacz (I, 205), der sein Epitaphium in der Altstädter Stephanskirche im Anschlusse an Hammerschmied wiedergibt, am 26. Juni 1610. Johann Czernohorsky, Organist aus Pardubit wird am 1. August 1586 Altstädter Bürger. (Prager Stadtarchiv cod. 535 f. 186 r.) Peter Ffelix, Organist, gebürtig aus Lublin, bekommt am 17. Januar 1590 das Altstädter Bürgerrecht. (Brager Stadtarchiv cod. 535 f. 226.) Als am 22. Juni 1594 der Neustädter Paul Gregor gegen einen Beamten, der sich verschiedene Uebergriffe erlaubte und Raub und Rache an einem Weibe übte, das ein unlauteres Verhältniß zu ihm löste, einen Proceß führt, tritt Ffelix für ihn vor dem Altstädter Stadtgerichte als Zeuge auf. (Prager Stadtarchiv cod. 1061 f. 254.) Andreas Freuen, Organist vom Kloster Strahow, wird im Jahre 1610 in die Hradschiner Bürgergemeinschaft aufgenommen. (Prager Stadtarch. cod. 573 f. 44.) Johann, Organist (tsch. „Jan Warhanik") in der Altstadt-Prag, der im Jahre 1601 in einer nebensächlichen Angelegenheit es handelt sich um den Verkauf von Schweinen genannt wird (Prager Stadtarchiv cod. 1063 f. 119), ist vielleicht mit Johann Bratkowsky, Czernohorsky, Naubiczer oder Pardubsky identisch. Martin Janowsky, Organist der S. Nicolauskirche auf der Kleinseite-Prag, aus Wartenberg stammend, erhält am 23. Februar 1616 das Kleinseitner Bürgerrecht. (Prager Stadtarchiv cod. 567 f. 140.) - Martin, Organist (tsch. „Martin Warhanyk“) in der Altstadt, wird im Jahre 1582 genannt (Prager Stadtarchiv cod. 1060 f. 203); seine Frau Katharina macht nämlich eine tschechische Aussage beim Altstädter Stadtgericht. Vielleicht ist Katharina die Frau jenes Martin Trziliczky, der in demselben Processe als Zeuge ge= nannt wird. Johann Naubiczer, Organist aus dem Meißnischen, wird am 29. August 1590 Altstädter Bürger. (Prager Stadtarchiv cod. 535 f. 237 b.) Schon am 1. Juni 1587 war er in Prag angestellt, da er an diesem Tage als „Arginist im Tain" (tsch. „Warhanijk Teynskey"), zugleich mit dem Organisten Bratkowsky, vor dem Altstädter Stadtgerichte eine kurze Aussage über einige Instrument Bicher Vnd Alchimisse saghen“ (Sachen) abgibt. (Prager Stadtarchiv cod. 1054 f. 215.) Johann Pardubskey (aus Pardubik), Organist, wird am 4. Juli 1594 als Proceßzeuge beim Altstädter Stadtgerichte einvernommen u. z. in dem Processe des Pfarrers von S. Adalbert dem Größeren in der Neustadt-Prag gegen einen Peter Ffetr, der den Glöckner von S. Michael in der Altstadt verwundet hatte. (Brager Stadtarchiv cod. 1061 f. 272.) Pardubsky dürfte daher wohl Organist im Altstädter S. Michaelskloster gewesen sein. Albrecht Rudner, Organist aus Budweis, wird am 19. April 1584 Bürger in der Altstadt-Prag; für ihn stellen sich als Bürgen der Maurer Ffrywirt und der Posauner W. Ssobr. (Prager Stadtarchiv cod. 535 f. 160 v. Ueber ihn hat K. Köpl zahlreiche Regesten aus dem Prager Statthaltereiarchive zu Tage gefördert, die im Jahrbuch der Kunstsammlungen des a. b. Kaiserhauses abgedruckt sind.) Am 5. August 1586 kommt er mit seiner Frau Margaretha vor das Altstädter Stadtgericht und berichtet über die Noth einer Familie, die er schon oft unterstützen mußte. (Prager Stadtarchiv cod. 1054 f. 74.) Rudner konnte dies leicht thun, da er in günstigen Vermögensverhältnissen lebte; so kaufte er im Jahre 1584 ein Haus nächst der Teinkirche um 168 Schock böhm. Gr., verkaufte dasseibe aber schon 1586 um 350 Schock meißn., um in demselben Jahre ein größeres Haus um 500 Schock meißn. erwerben zu können. (Prager Stadtarchiv cod. 69 f. 76, 95 v. und 96.) Nach Dlabacz (II, 603) war Albrecht Rudner später (1606) kaiserlicher Hofmusicus und Concordero. Joachim Rudner, Organist auf der Kleinseite-Prag, wahrscheinlich ein Verwandter des eben genannten Albrecht Rudner, wird im Kleinseitner Inventarbuche schon im Jahre 1576 genannt. (Prager Stadtarchiv cod. 1217 f. A. 19 v.) Ueber seine näheren Verhältnisse werden wir gelegentlich eines Processes unterrichtet, den ein Altstädter Bürger Joh. Koruna gegen Rudner führt; aus den Zeugenaussagen vom 29. Januar und 11. März 1592 (Prager Stadtarchiv cod. 1126 f. D. 26 ff.) erfahren wir, daß sich Joachim Rudner, der seinen Bruder aus Bayern beerbt hat, bereits auf sein Altentheil zurückgezogen und sein Haus und Vermögen seinem Sohne Severin überlassen hat. Severin, der ein gutes Auskommen besißt, hat mit seiner Frau Elisabeth den Vater bis zu dessen Tode zu pflegen, schaltet aber frei mit dem Vermögen, hat bereits einen Weingarten seines Vaters ohne dessen Wissen verkauft u. s. w. Albrecht Sftiaßtey, Organist, kommt mit einem lateinischen Briefe aus Lublin nach Prag und bekommt am 24. November 1588 ias Altstädter Bürgerrecht. (Prag. Stadtarchiv cod. 535 f. 212 v.) Heinrich Stasny, Organist aus Welwarn, wird am 18. August 1604 Bürger in der Altstadt-Prag. (Prager Stadtarchiv cod. 536 f. 37 v.) Marcus Straubinger, Organist, geboren in Wien, erhält auf Grund eines Briefes vom Verwalter der Herrschaft Pöchlarn am 25. Mai 1592 das Bürgerrecht der Altstadt. (Prager Stadtarchiv cod. 535 f. 254.) Am 14. Mai 1594 kauft er für sich, seine Frau Salomena und seine Erben um 810 Schock meißn. ein Haus in der Karpfengaffe. (Prager Stadtarchiv cod. 69 f. 155 v.) Wenzel Weselskey, Organist aus Unhoscht, wird am 3. Juli 1602 Altstädter Bürger. (Prager Stadtarchiv cod. 536 f. 16 v.) Aus der Zeit während des dreißigjährigen Krieges und nach demselben sich noch folgende Organisten hinzuzufügen: Melichar Beczkowsky, Organist aus Ungarisch-Skalik, erhält am 30. August 1628 das Altstädter Bürgerrecht. (Prager Stadtarchiv cod. 536 f. 250.) Georg Frank, Organist aus Neisse in Preuß. Schlesien, wird am 13. März 1654 Bürger in der Altstadt-Prag. (Prager Stadtarchiv cod. 536 f. 422.) Samuel Krombholk, Organist, weist sich mit einem Losbriefe des J. W. Grafen von Kaunit auf Neuschloß vom 16. April 1700 und mit einem Geburtsbriefe aus dem Kaunit'schen Städtchen Neustädtl vom 10. April 1700 aus und bekommt darauf hin am 20. April 1700 das Altstädter Bürgerrecht; am 28. Februar 1721 wird er aber wieder aus dem Bürgerverzeichniß gestrichen, da er eine Schuldverschreibung auf 33.500 fl. fälscht. (Prager Stadtarchiv cod. 538 f. 179.) Fr. Fabian Panik, Organist, wird am 28. Februar 1680 in das Bürgerrechtsbuch der Altstadt-Prag eingetragen. (Prager Stadtarchiv cod. 537 f. 203 v.) Martin Weczka, Organist, der aus Beneschau und Tuchomierzik nach Prag kommt, wird am 26. September 1635 Altstädter Bürger. (Prager Stadtarchiv cod. 536 f. 313.) Ob alle hier angeführten Cantoren und Organisten, wie ihre zahlreichen schon von Dlabacz zusammengestellten Collegen, als Künstler an Mittheilungen. 32. Jahrgang. 1. Heft. 5 gesehen werden dürfen, ist eine Frage; die praktische Thätigkeit als Gesanglehrer und Chormeister nahm wohl die meiste Zeit in Anspruch. Mußte doch ein Cantor der alten Schule bei allen Uebungen und Aufführungen auf die „Vera toni ratio & Cantus Grauitas“ sehen die der Stadtprediger von Eger, Johannes Hagius 1572 in seinen „Symbola“ besonders betont1) —, damit nicht „das gehör empfindlich offendirt wird"; außerdem mußte er sich das erforderliche Notenmateriale meist selbst schaffen, wie uns z. B. der Joachimsthaler Cantor Nicolaus Hermann mittheilt,2) daß er in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhundertes, beim Antritt seiner „Canterey“, „dieweil keine Bücher furhanden“ waren, solche erst mit eigener Hand schreiben mußte. Hermann, der nach seinem eigenen Geständnisse, „von Jugend auff die Musicam lieb gehabt, vnd meine meiste zeit damit zugebracht, auch die Kinder mit meinem höchsten vleis alhie in Jochimsthal darinnen vnterweiset" hat, von dem auch der Wittenberger Pastor Paul Eber sagt, daß er die Joachimsthaler ,,in der Latinischen Schul nu eine lange zeit inn der schönen Singkunst trewlich vnterweiset vnd geübet hat",3) hat bloß zahlreiche Lieder „Reimenweiß verfaßt", die nach schon vorhandenen Melodien gesungen oder von Anderen, zuweilen erst nach seinem Tode 4) componirt wurden. Das 16. Jahrhundert ist noch offenherzig. Während in unserer Zeit Vieles componirt“ sein will, was der wörtlichen Uebersezung nach nur nach berühmten Mustern „zusammengestellt“ ist, componirt man damals eingestandenermaßen noch ganz naiv, d. h. man nimmt einfach eine entsprechende Melodie, wo man sie eben findet. In den meisten Fällen wird nicht zu einem Texte eine neue Melodie erfunden, sondern gewöhnlich einem neuen Texte irgend eine alte Melodie angepaßt. „Sie haben aber die alten Kirchenmelodien, weis vnd noten behalten, weil sie köstlich sind, vnd der Christenheit in brauch komen, auch viel dieselben gern hören und singen", heißt es in den großen, dem Kaiser Maximilian II. 1566 gewidmeten Kirchengeseng" 5) von den böhmischen Liederverfassern von Johannes Hus angefangen. Nicolaus Hermanns „Historien von der 1) R. Wolkan: Böhmens Antheil I. Nr. 203. 2) ebenda Nr. 109. 2. Vorrede. 3) ebenda Nr. 98. 4) 3. B. von Johann Steuerlein aus Schmalkalden im Jahre 1573: Wolkan a. a. . Nr. 209. 5) ebenda Nr. 137. 2. Vorrede. Andererseits spricht Balbin (Vita venerab. Arnesti p. 199) von einem uralten Buche, das abgefaßt ist „eodem prorsus tono & melodia, qua hodie utimur". Sindfludi" 1) (Wittenberg 1562) sind wie in der Vorrede des Mathefius betont wird, „nach form vnd mas der alten Meistergeseng gestelt". Als im Jahre 1580 der Augsburger Prediger Gregor Sunderreitter Hermanns „Sontägliche Euangelia" in veränderter Form herausgibt, wählt er „der Augspurgischen Confeßions Kirchen gebreuchlichste Melodehen".2) Diese Beispiele für viele mögen genügen. Mit wenigen Ausnahmen der Egerer Clemens Stephani aus Buchau, der seinen Dichtungen ge= wöhnlich Originalcompositionen hinzufügte, muß da besonders genannt werden ist der Text die Hauptsache und das Interesse an der Melodie tritt fast gänzlich in den Hintergrund. Der Text ist die Seele eines Tones," sagt Mathesius 3) und ähnlich äußert sich der Herausgeber des ersten deutschen Gesangbuches von Böhmen, Michael Weiße: „Wo ein thon oben an gestelt Den nehm ich mit allem danck an; Er seh nur mit allem Fleiß zu, Das er dem text keinn schaden thu.“ *) Ob die Melodie einem uralten katholischen Kirchengesang entstammt, ob sie husitischen oder protestantischen Ursprungs ist, ob sie einem „Gassenhawerlîn" oder irgend einem romanischen Gesange angehört, darnach frägt man ebenso wenig, wie nach dem Umstande, ob eine Melodie, die man gerade für zweckentsprechend hält, bisher lateinische, deutsche oder tschechische Worte begleitete; die Musik ist da interconfessionell und international. Die einzeln als Flugblätter herausgegebenen Lieder enthalten meist gar keine selbständige Melodie, sondern gewöhnlich bloß den Vermerk, das sie im Thon" dieses oder jenes bekannten Liedes zu singen sind,5) ja ein 1) Wolkan, a. a. D. Nr. 109. 2) Ebenda Nr. 267. 3) In der Vorrede zu N. Hermanns: Die Historien von der Sindfludt (Wolkan N. 109). 4) R. Wolkan: Das Kirchenlied p. 6. 5) Die gebräuchlichsten lateinischen Kirchenlieder, deren Melodie später deutschen Gesängen dienten, sind: „Cedit hiems" (Wolkan: Böhmens Antheil I. Nr. 40), „In natali Domini" (ebenda Nr. 94), „Nobis est natus hodie, de pura virgine (ebenda Nr. 66) und „Resonet in laudibus“ (ebenda Nr. 90). Von den zahlreichen deutschen Liedern, die ihre Melodien an andere abgaben, nenne ich nur Erhalt Vns Herr bej deinem wort", nach welchem nicht nur G. Spindlers Gebet vnd Gesang wider den Türken" (ebenda Nr. 227) sondern auch N. Hermanns „Sanct Paulus die Corinthier" (ebenda Nr. 97 " " |