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gemäss mit sich brachte, hatte den hohen, idealen Flug etwas gedämpft; man begann sich mit dem theoretischen Glauben zu begnügen und das demselben entsprechende Leben daneben überflüssig zu finden; von einer so innigen (mystischen) Versenkung in Christus als Glaubensobjekt, wie sie Paulus verlangte, war man unter dem Einfluss der äussern Welt und ihrer Sorgen auch zurückgekommen. Und es mag wohl sein, dass Erinnerungen an die paulinische Premirung des Glaubens, vielleicht Vorlesung paulinischer Briefe in den Versammlungen dazu beitrugen, dass viele bei jenem äusserlichen Glauben sich beruhigten.') Ist dies so, dann begreift es sich leicht, dass der fromme, feurige Lebenschrist, der sich gedrungen fühlte, der lauwerdenden Zeit bei Gelegenheit neuer Verfolgungen ein ernstes Mahnwort zuzurufen, an einen der prägnantesten paulinischen Aussprüche sich anlehnt, wenn er, die Liebe als nothwendige Frucht des Glaubens verlangend (2, 5 ff.), gegen einen todten Glauben als werth- und wirkungslos polemisirt (2, 14ff.).2)

Nach alle dem müssen wir als früheste Entstehungszeit die Zeit des 1. Petrus- und Hebräerbriefs, also die spätere Zeit Domitians ansetzen. Ueber sie hinauszugehen aber veranlasst uns nichts. Jedenfalls ist gegen Baur und Schwegler als Zeitgrenze nach vorwärts etwa die Wende des Jahrhunderts, die Zeit der Pastoralbriefe und der Johanneischen Schriften, festzuhalten, weil erstens die Verfassung noch keine feste, gegliederte Ausbildung zeigt und den Beamten noch kein exempter Amtscharakter zugesprochen wird, und zweitens die häretische Gnosis) noch nicht die Lehrer der Christenheit beunruhigt. Denn wenn wir auch bei dem aller Speculation abgeneigten, allein auf das Praktische gerichteten Charakter des Briefschreibers sein Ignoriren etwa vorhan

1) Vgl. Reuss. S. 140:,,Der Zeit nach setzt die Epistel sicherlich einen weitverbreiteten Gebrauch und Missbrauch paulinischer Redeweise voraus." Ebenso Bleek, S. 632.

2) Die Naivität, mit welcher der Verf. das Beispiel von Abraham braucht, beweist nur, dass die Thesis Pauli es nicht ist, gegen die er polemisirt, aber dies kann ebenso daraus sich erklären, dass die Thesis Pauli nicht mehr verstanden wurde, als, wie Beyschlag und Haupt zu rasch schliessen, daraus, dass sie noch nicht aufgestellt war.

3) Schwegler sah in 3, 15 die Gnosis bekämpft.

dener, vielleicht ziemlich entwickelter gnostischer Ideen gut begreifen, so wäre gerade bei seinem praktischen Blick und bei seiner unumwundenen, feurigen Offenheit dieses Schweigen unbegreiflich, sobald die Gnosis einen häretischen, die Einheit und Nüchternheit in der Christenheit gefährdenden Charakter gewonnen hätte, wie dies in Pastoralbriefen und johanneischen Schriften (und in den Interpolationen des Kolosserbriefs) zum ersten Mal vorausgesetzt erscheint.1)

Sind unsere bisherigen Schlüsse aus den thatsächlichen Verhältnissen des Briefs richtig, so ist damit die Möglichkeit. dass Jacobus, der Bruder des Herrn, denn nur um diesen kann es sieh handeln der Verfasser sei, ausgeschlossen. Von den verschiedensten Gesichtspunkten aus hat Grimm (Z. f. w. Th. 70. S. 386 ff.) die Unvereinbarbeit unseres Briefcharakters mit dem bekannten Charakter jenes Haupts der jerusalemischen Gemeinde erschöpfend nachgewiesen. W. G. Schmidt (S. 151) meint freilich: ,,was der Brief selbst bezüglich seines Autors vermuthen lässt, stimmt durchgehends zu den Nachrichten des Neuen Testaments über Person und Charakter jenes Jacobus." Nämlich das Unternehmen ταις δωδεκα φυλαις εν τη διασπορα zu schreiben; der Ton seiner Rede, der zeige, dass der Verfasser „ein Mann von aussergewöhnlicher Autorität" gewesen; „,so kann nur ein Mann schreiben, der, wenn nicht in apostolischer, so doch in apostelgleicher Geltung stand und wahrhaft als „Säule der Kirche', als ,Schutzmauer des Volkes' angesehen ward". Ferner sollen,,Gedanken wie 1, 4. 22. 25. 2, 12. 3, 2 erinnern an den, der bei aller Geistesfreiheit auf dem jerusalemer

1) Während unter den Vertheidigern der Echtheit Bleek, Wiesinger, W. G. Schmidt, Brückner, Sieffert sich den Gründen, welche eine Abhängigkeit von Paulus beweisen, nicht entziehen konnten und den Brief in die paulinische oder unmittelbar nachpaulinische Zeit versetzen, halten alle anderen an der Zeit vor 52 fest. Von denen, welche Jacobus aufgeben datiren: Immer ,,vor Ausbruch des jüdischen Kriegs" ohne nähere Begründung; Gass: etwa 70;" Schenkel: gegen Ende der Siebziger Jahre", weil er keine Spuren von Verfolgungen findet; Blom, Hilgenfeld, Holtzmann: Domitian; Grimm: 70-90; Baur: die zwei ersten Decennien des 2. Jahrhunderts; Schwegler Mitte des 2. Jahrhunderts.

Concil doch der alttestamentlichen Heilsökonomie Rechnung trug." Endlich soll 5, 15 die Hochhaltung des Gebets den. Mann verrathen, der nach Hegesipp,,fleissig sein Flehen vor Gott brachte und in derselben Fürbitte eifrig war, welche der Brief 5, 15 den Christen empfiehlt." Was sollen diese Worte? Gab es wohl ausser und nach Jacobus in der Christenheit keine Männer, die Autorität genug besassen, mahnend und bittend an diese zu schreiben? Steht in 1, 4. 22. 25. 2, 12. 3, 2 ein Wort von der ,,alttestamentlichen Heilsökonomie"? Hielt unter den Christen Jacobus allein Gebet und Fürbitte hoch? Aber der Bilderschmuck, dessen sich der Verfasser bedient, ist offenbar der Lokalität Palästina's entlehnt (1, 6. 11. 3, 4. 11 f. 5, 7)." Gab es in Jerusalem ein vom Wind bewegtes Meer (1, 6)? gab es nur in Jerusalem eine Sonne, die das Gras versengte (1, 11)? war das israelitische Volk ein Schifffahrt treibendes (3, 4)? gab es nur in Palästina Quellen, Weinstöcke Feigenbäume, Oelbäume (3, 11)? Apоiuos und ouos (5, 7) welches wir mit Hofmann von Frühfrucht und Spätfrucht deuten, giebt es überall.1)

Ist so keinerlei Grund zu finden, der eine Abfassung des Briefs durch den Herrnbruder Jacobus und in Jerusalem auch nur nahe legte, andererseits aber auch nichts anzuführen, was das aus unserer Untersuchung sich ergebende Resultat zweifelhaft machen könnte, so fällt jeder Anlass, seine Abfassung in Jerusalem anzunehmen. Der Brief zeigt Vertrautheit mit fast allen literarischen Produkten des damaligen Christenthums und nahe Verwandtschaft des religiösen Charakters und der herrschenden Gedanken mit Clemens und Pastor Hermä, zwei Schriften, die im Anfang des zweiten Jahrhunderts in Rom entstanden. Dies legt die Vermuthung nahe, dass auch er selbst, wie beinahe alle literarischen 1) Aehnliche Gründe macht Sieffert a. a. O. 477 geltend. Wenn aber auch die ausgeprägte Individualität des Verfassers,,fast Zug für Zug auf den uns aus dem N. T. und Heges. bekannten Bruder des Herrn, J., passt, so hat doch auch er keinen Zug gefunden, der dem J. specifisch eigenthümlich wäre und nicht ebensogut auf ähnlich geartete Christen anderes Namens passten. Dass aber, der sich J. zum Patron gewählt hat, eine Wahlverwandtschaft mit ihm gefühlt hat, ist ja nur natürlich.

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v. Soden, Der Jacobusbrief.

Erscheinungen der nachpaulinischen Zeit, dem fruchtbaren Schoss der römischen Gemeinde, die seit des Paulus dortigen Wirken und Sterben und vollends seit der Zerstörung Jerusalems der Mittelpunkt der sich allmälig zusammenschliessenden Christengemeinden wurde, entsprungen sei. Dort hatte man den weiten Blick über die ganze ozovuɛvn: dort liefen die Nachrichten über die Erlebnisse der Provinzgemeinden zusammen; dort fühlte man sich am ehesten berufen und berechtigt, mahnende Worte an die ganze Christenheit zu richten; von dort aus begreift sich am leichtesten, wie man beginnen konnte, die Christenheit draussen im Reich als „diaσлooɑ“ zu betrachten.1)

Die Wahl des Jacobus zum Patronus des Briefs erklärt sich gewiss vor allem daraus, dass das traditionelle Bild des ehrwürdigen Gerechten, der, wenn irgend einer, ein lebendiger Protest gegen die Verweltlichung und gegen die Vielgeschwätzigkeit war, die in den Gemeinden einrissen, dem Verfasser besonders congenial war und wegen seines Auftretens gegenüber dem Paulus hier, wo es sich um Zurückweisung einer falschen Glaubensseligkeit handelte, zum Organ dieser Werkpredigt besonders geeignet erschien. Vielleicht hatte der Verfasser, ohne Frage ein geborener Jude, den Herrnbruder einst gekannt und verehrt; vielleicht kam er, als er der Sitte seiner Zeit gemäss nach einer Autorität suchte, unter die er seine Mahnungen stellen konnte, auch dadurch auf Jacobus, dass er allein von den grossen Gestalten der apostolischen Zeit, von den ,,Säulen der Kirche" noch nicht literarisch verwendet war, während Paulus im Epheserbrief und Petrus im ersten Petrusbrief schon zu Predigern der zweiten Generation aufgerufen worden waren. Vielleicht auch sollte die Gestalt des Jacobus, welche die Ebjoniten schon mit Sagengewinden an ihre Sectengemeinde zu fesseln begannen, dadurch der grossen Kirche gewonnen, zu einem ihrer Patrone gemacht und damit den Ebjoniten entwunden werden. Das sind Möglichkeiten. Ueber Vermuthungen aber können wir in diesen Dingen wohl nie hinausgelangen.

1) Rom vermuthen auch Brückner (S. 541), Holtzmann (Bibell. S. 188), Harnack (a. a. O.).

Kurze Darstellung und Kritik der philosophischen Grundlage der Ritschl-Herrmann'schen Theologie.

Von

Pred. Dr. R. Wegener.

Angesichts der mancherlei Anfechtungen, die die Ritschl'sche Theologie, diese immerhin epochemachende Erscheinung in der Geschichte der neueren wissenschaftlichen Theologie, seit ihrem ersten Auftreten erfahren hat, dürfte es an der Zeit sein, die philosophischen Voraussetzungen ins Auge zu fassen, die dem Lehrbegriff Ritschl's sein charakteristisches Gepräge geben, und die von der Kritik klar aufgefasst sein müssen, wenn ihr anders eine zwingende Beweiskraft einwohnen soll.

Dies ist um so mehr nöthig, als es Ritschl versäumt hat, seine philosophische Anschauung, deren integrirender Bestandtheil die Erkenntnisstheorie ist, im Zusammenhange darzustellen, indem er nur hier und da aus apologetischem und polemischem Bedürfniss den Schleier lüftet, der seine Weltansicht, insbesondere seine Auffassung der menschlichen Erkenntniss, die für das theologische System von grossem Belang ist, sofern sie den Kanon bildet, nach dessen Regel scheinbar wichtige Lehrsätze der traditionellen Theologie ausgeschieden werden, vor dem Blick des Uneingeweihten verhüllt. Grade dieser Umstand aber bringt den Kritiker wie den Verfasser des Systems in eine gleich ungünstige Position, den ersteren, weil er nur mit unsäglicher Mühe die verborgene Struktur der Begriffe findet und sich des beunruhigenden Gedankens, das System hier und da inkorrekt zu beurtheilen, kaum entschlagen kann, den letzteren, weil er sch, wie apodiktisch vorauszuwissen, in handgreifliche Wider

Jahrb. f. prot. Theol. X.

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