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auf seine Stellung schädlich rückwirkenden Tadel wegen Verfassungsverletzung hatte kein Beamter zu fürchten.

In Privatgesprächen und Zeitungsartikeln wizelte die Partei gern über die,,löschpapierene Vorsehung“. Denselben Standpunkt durfte die Regierung nicht einnehmen; die Verfassung war einmal da, war beschworen, man mußte deshalb in amtlichen Erlassen sich dazu bequemen, von ihr im Ernst zu reden. Aber man bemühte sich, die Verfassung zur Bedeutung eines gewöhnlichen Gesetzes herabzudrücken und mit erheuchelter Loyalität sagte man: die Verfassung könne kein höheres Ansehen beanspruchen, weil es kein höheres Ansehen als das des Gesetzes gebe. Bei der höchsten Achtung vor dem Geseze würde dieser Gedanke eine irrige Auffassung, einen beschränkten Gesichtspunkt und eine schlechte Würdigung geschichtlicher Hauptabschnitte im Völkerleben darthun. Wie die geschichtliche Entwickelung und die innere Idee, so kennzeichnete auch das geschriebene Gesetz die hervorragende Bedeutung der Verfassung vor allen übrigen Landesgesehen. Denn eben dazu dient die feierliche Verkündung einer Verfassung, damit sie für den öffentlichen Zustand ein sicherer Wegweiser, für jedes Gesetz ein Prüfstein sei, damit jedes Gesetz als ausgeschieden betrachtet werde, welches mit ihr nicht vereinigt werden kann. Deshalb wird in dem Eide des Königs, der Kammern und der Beamten die Verfassung neben den übrigen Gesetzen besonders erwähnt, damit jeder Schwörende ihre besondere Bedeutung erkenne und in allen staatsrechtlichen Zweifeln zunächst prüfe, wie der Zweifel nach Inhalt der Verfassung zu lösen sei. In diesem Bewußtsein hat man bei der Revision die Verkündigungsformel mit dem Saße geschlossen:

"

„Wir verkünden dieselbe als Staatsgrundgesek, wie folgt."

Die Benennung der Verfassung als „Staatsgrundgeseß“ sollte verkünden, daß sie ein Gesetz von mehr als gewöhnlicher Bedeutung und die Quelle unsers öffentlichen Rechtszustandes zu sein bestimmt ist. Auf diese besonders erhabene Stellung des Staatsgrundgesezes kommt die Verfassung wiederholt zurück: im Art. 63, daß nur solche Verordnungen octroyirt werden dürfen,

welche der Verfassung nicht zuwiderlaufen; im Art. 109, welcher den älteren Gesetzbüchern, Gesetzen und Verordnungen eine ernente Sanction gibt, jedoch nur so weit, als sie der Verfassung nicht zuwiderlaufen, sodaß eben nur die nicht widersprechenden älteren Gesetze fortgesette Gültigkeit haben und ihre Weihe aus dem Staatsgrundgeseze herleiten; im Art. 107, welcher für jede Abänderung der Verfassung eine zweimalige Abstimmung in den Kammern mit einem Zwischenraume von mindestens 21 Tagen erforderlich macht. Und es verdient hervorgehoben zu werden, daß sowol der Name ,,Staatsgrundgesetz" sowie die Einschränkungen der Art. 63 und 109 und die zweimalige Abstimmung des Art. 107 Abänderungen der Revision gegen den Wortlaut der octroyirten Verfassung vom 5. December 1848, also nicht zufällig entstanden, sondern mit Vorbedacht gewählt sind. Und mit gutem Recht. Ohne der gebührenden Achtung vor dem Gesetze in seiner abstracten Bedeutung Abbruch zu thun, muß man zugestehen, daß viele Gesche dem vorübergehenden Bedürfniß des Tages, einer schnell aufgetauchten Ueberzeugung entspringen, ihrer beschränkten Bedeutung wegen oft der Ueberzeugung eines geringen Bruchtheiles des Volles ihr Entstehen verdanken und leicht einer entgegengesetzten und ver besserten Anschauung oder dem wechselnden Bedürfniß weichen dürfen. In der Verfassung aber soll jedes Wort die Frucht eines vieljährigen Strebens, die gewonnene Ueberzeugung der Volksgesammtheit, die Errungenschaft der fortgeschrittenen Eivilisation andeuten. Sie soll deshalb gegen jeden unbedachten Widerspruch, gegen eine nicht reiflich genug erwogene Abänderung geschützt sein. Es ist also eine erheuchelte Loyalität, wenn ein gleiches Anschen für alle Gesetze und die Verfassung proclamirt wird; nicht aus Achtung vor dem Gesetze, sondern aus Misachtung gegen die Verfassung und zu rückhaltigen Zwecken haben die Regierungsmänner des Jahres 1850 die Lehre des gleichen Ansehens aufgestellt. Leider haben sie die mit dieser Lehre verbundenen Absichten nur zu gut crreicht.

Noch kühner trat Herr von Westphalen mit einem zweiten Grundsatze hervor, welchen er zur praktischen Anwendung brachte und empfahl, und welcher gleichfalls, zur Beschädigung unsers

Rechtszustandes, bereitwillige Anerkennung bei den Verwaltungsbehörden, einzelnen Abtheilungen des höchsten Gerichtshofes und Staatsmännern fand. Er schied die Verfassung in gesetzeskräftige Vorschriften und in allgemeine Grundsätze. Diese letteren seien blos Regeln für die zukünftige Gesetzgebung, haben keine Gesegeskraft, namentlich nicht die Aufhebung entgegenstehender älterer Specialgesetze zur Folge. Der erste aus diesem Raisonnement hergeholte und öffentlich ausgeübte Angriff war nicht etwa gegen eine Bestimmung gerichtet, welche ihrer Form nach für ein ledigliches Versprechen hätte ausgegeben werden können, oder welche auf ein zukünftiges Gesetz verweist, sondern gegen ein in bündiger Gesetzesform abgefaßtes Gebot. Art. 12 der Verfassung sagt: „Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen.“ Dagegen Herr von Westphalen in mehrern Rescripten: Dies seien allgemeine Grundsätze, welche nicht die Kraft haben, ein bestimmtes älteres Recht ohne weiteres aufzuheben; die in früherer Gesetzgebung ausgesprochene, aus dem religiösen Glaubensbekenntnisse entnommene Beschränkung in den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechten habe noch Geltung, bis ein besonderes Gesetz sie aufheben würde. Möglich, sogar wahrscheinlich, daß die Abneigung dieses Herrn gegen die Juden zu diesem wider die Regeln der Logik und des Wortverstandes verstoßenden Kunststück die erste äußere Veranlassung gegeben hat, denn mit diesen Gründen hat er den Juden die Zulassung zu Schulzenämtern und den jüdischen Rittergutsbesitzern die Ausübung der Kreisstandschaft abgesprochen. Aber nach diesem Ausspruche des Ministers war, soweit die Macht der Regierung ging, keine bedeutende Garantie der Verfassung, namentlich kein im zweiten Theil den Preußen gewährleistetes Recht vor der Degradation zu einem,,allgemeinen Grundsage ohne Kraft und Wirkung“ sicher. Wer die vierzig Artikel,,von den Rechten der Preußen“ nachlesen will, findet keinen Satz in bündigerer und nur wenige Säge in gleich bündiger Gefeßesform ausgedrückt. In der That ist es kaum möglich, den Art. 12 und andere gleich gut

gefaßte Artikel von den Rechten der Preußen", wie die vorangehenden Art. 4-11 und mehrere nachfolgende an Schärfe des Ausdruckes und an bündiger und zugleich unbedingt befehlender Haltung des Tones zu übertreffen. Die Bestimmtheit und Entschiedenheit des Wortlautes in einzelnen Artikeln dieses Titels entspricht der Wucht des Inhaltes, dem allgemein durchgedrungenen. Verständniß für die hier verbürgten Rechte und dem durch alle intelligenten Volkskreise fühlbar gewordenen Bedürfniß nach ihrer verfassungsmäßigen Verbürgung. Jeder Sah drückt eine Errungenschaft des unaufhaltsam fortschreitenden Freiheitssinnes aus, bezeichnet den Abschluß eines lange geführten weltgeschichtlichen Kampfes und eines durchsiebenden wissenschaftlichen Streites. Bei keiner dieser Errungenschaften gilt die selbstbeschuldigende Entschuldigung, wie sie Graf Arnim-Boizenburg wegen der von ihm als Minister gewährten Urwahlen gebraucht hat, daß man aus mangelnder Erfahrung, Unkenntniß des Wesens und in dem Rausche einer alles ergreifenden Bewegung die Gewährung sich habe entschlüpfen lassen. Wer sich nicht völliger Unkenntniß der Weltgeschichte, der Culturgeschichte, der Ereignisse seit den vierziger Jahren und des ihn umgebenden Lebens anklagen will, der wird zugeben, daß Rechte, wie Gleichheit aller Bürger vor dem Geseße, Aufhebung der Standesvorrechte, Zugänglichkeit der Aemter, persönliche Freiheit, Sicherheit der Wohnung, Unverleßlichkeit des Eigenthums, Religionsfreiheit, Freiheit der Lehre, Abschaffung der Censur und Entfesselung der Presse, das Recht zur Vereinigung und Versammlung, Entlastung der Grundstücke von feudalen oder andern unablöslichen Beschränfungen lange vor 1848 auch in Preußen Gegenstand eingehender Erörterungen waren, sowol in wissenschaftlichen und populären Schriften, sowie in Gesprächen. Keine Forderung dieser Art ist unvorbereitet aufgetaucht, für jede waren die Wünsche und das Streben derer gewonnen, die nicht ihr selbstsüchtiges Interesse der öffentlichen Ueberzeugung vorzogen. Gerade deshalb ist der Titel von den Rechten der Preußen so rein in der Revision erhalten worden, von der Abneigung der Reactionäre so frei geblieben und meist in zweifelloser Fassung erhalten. Nur an wenigen Stellen dieses Titels ist es gelungen, in versteckter Weise einen zweideutigen

Satz, wie den Art. 14, oder eine aufschiebende Clausel, wie in den die Civilehe vorschreibenden Art. 19, einzuschmuggeln. Vorwiegend aber herrscht Klarheit im Inhalt und Bestimmtheit im Ausdruck. Was uns den Titel von den Rechten der Preußen so lieb und werth macht, das hat ihn der damaligen Regierung zum besondern Gegenstand ihrer zerstörenden Wirksamkeit empfohlen; die Schärfe des Ausdruckes, welche hier so sehr zu rühmen ist, wußte der an sophistischen Künsten reiche Denker der damaligen Regierung, Herr von Westphalen, in eine Angriffswaffe zu verwandeln. Bestimmt war die Allgemeinheit der Vorschriften, um ihnen eine durchgreifende Wirksamkeit zu verschaffen und jeden Zweifel über das gültige Recht zu entfernen; benutzt hat sie Herr von Westphalen, und nach seinem Beispiele die gesammte Regierung, um, soviel als möglich, ihren Einfluß auf das praktische Leben wegzuschaffen.

Die Combination der beiden Lehren von dem gleichen Ansehen aller Gesetze und der Verfassung und von der Unwirksamkeit der allgemeinen Grundsätze gewährte reiche Ausbeute. Bald konnten Herr von Westphalen und Herr von Raumer ihren nach Verfassungsänderungen lüsternen und drängenden Parteigenossen bei den Punkten, in Betreff deren ein abänderndes Gesetz nicht durchzusetzen war, in den Kammern erklären, daß sie infolge ihrer Verwaltungsgrundsäge mit der Verfassung sehr wohl auskommen könnten. Herr von Westphalen konnte die Kreis- und Provinzialstände wiederherstellen, den Gottesdienst der gesetzlich anerkannten Dissidenten wie politische Versammlungen bewachen, die Juden von den staatsbürgerlichen Rechten ausschließen, die alte Polizeiwirthschaft mit ihren Verhaftungen, willkürlichen Strafen, Ausweisungen zu einer seit Jahrzehnten ungekannten Wirksamkeit erhöhen, die nicht reactionären Vereine schließen, die misliebigen Beamten entfernen, die Presse zum Schweigen bringen, wenn sie keinen Beifall zollen wollte. Herr von Raumer konnte statt des versprochenen Unterrichtsgesetzes seine Schulregulative erlassen, die öffentlichen Schulen Preußens in Anstalten zur Fortbildung seiner Parteianschauungen umwandeln, Privatschulen unterdrücken, den besonderen Religionsunterricht für die Kinder der Dissidenten verbieten. Herr Simons konnte die

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