Die poetischen Bearbeitungen der heiligen Geschichte führte die Geistlichen bald auch zur dichte rischen Behandlung der Weltgeschichte, die sie freilich mit den mannigfaltigsten und wunderbarsten Sagen vermischten, welche sie um so mehr für historische Thatsachen anzunehmen sich veranlaßt fanden, als die von den biblischen Büchern erzählten Wun- | der fie für eine solche Auffassung empfänglich gemacht hatten. Hieher gehört vor Allem die sogenannte Kaiserchronik und zum Theil das Lied vom heiligen Anno, indem dasselbe zur Moti- | virung des eigentlichen Gegenstandes einen raschen, nur in einigen Punkten ausführlicheren Ueberblick der Weltbegebenheiten dem eigentlichen Lobgesange voranschickt. " " Wie die bis jeßt erwähnten Gedichte das höfische Epos vorbereiten, so lehnen sich dagegen einige andere und zwar in mannigfaltiger Beziehung höchst merkwürdige Dichtungen an das volksthümliche Evos an, wie sie denn auch beinahe alle von fahrenden Sängern herrühren mögen. Schon aus | diesem Grunde könnte man sie dem volksthümlichen | Epos beizählen, noch mehr aber, weil ihnen ohne Zweifel ursprünglich deutsche Sagen zu Grunde licgen; allein es sind dieselben so vielfältig mit frem den, namentlich orientalischen Elementen vermischt, ja es ist die nationale Grundlage von den fremdartigen Beisäßen in einigen so sehr verwischt, daß | die ursprünglichen Beziehungen kaum mehr erkannt | werden können. Es sind dies die Gedichte von,, Kö - | nig Ruother" und von Herzog Ernst“, dann die legendenartigen Gedichte „Örendel“, | ,,St. Oswald“ und Salomon und Morolt". In allen diesen spricht sich der Einfluß der Beziehungen zum Morgenlande in unverkennbarer Weise aus; in Salomon und Morolt ist die ursprünglich deutsche Sage sogar ganz auf den Orient übertragen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß fahrende Sänger, welche entweder als Pilger oder als Kreuzfahrer nach Palästina gezogen waren, den reichen Stoff von Anschauungen, den sie auf ihren Wanderungen gewonnen hatten, dadurch dem Volke beliebt machen wollten, daß sie ihn mit volksthümlichen Sagen in Verbindung brachten. Wahrscheinlich waren dies nicht die einzigen deutschen Sagen, welche solchen Einfluß erfuhren, und hätten die höfischen Dichter auf denselben weiter gebaut, so würde sich in Deutschland vielleicht ein Sagenkreis ausund durchgebildet haben, der, wie der kerlingische in Frankreich, bei aller Einmischung fremdartiger Elemente doch die nationale Grundlage hätte bes wahren können. Frau Ava. Das Gedicht der Frau Av a ward zuerst in Görliz aufgefunden, und erhielt, weil es allerdings zum Theil eine poetische Bearbeitung der Evange lien ist, um es von ähnlichen Werken zu unterschei den, den Namen Görlißer Evangelienharmonie, unter welchem es bis jezt immer angeführt wird. In neuerer Zeit hat man jedoch eine ältere Handschrift aufgefunden, aus deren Schluß, welcher der Görliger mangelt, sich unzweifelhaft er gibt, daß eine Frau, Namens Ava, die Verfasserin des Gedichts ist. Es hatte sich dieselbe, wie es scheint, nachdem sie zwei Kinder geboren hatte, in ein österreichisches Kloster zurückgezogen, in dessen Einsamkeit sie das Leben Jesu nach den Evangelien in Reime brachte und das Gedicht mit der Schilderung des Antichrists und des jüngsten Tages beschloß. Sie starb im Jahre 1127. 68 wäre demnach ihr Gedicht, wie auch noch einige von den nachfolgenden, noch in die vorangehende Periode zu seßen, wenn man sich streng an die chro nologische Ordnung binden wollte; allein da fich diese Werke ihrem ganzen Charakter und ihrer Haltung nach offenbar schon ganz zur mittelhochdentschen Periode neigen, und sie zudem auch rücksichtlich der Zeit ihrer Abfassung den rein mittelhochs deutschen Dichtungen weit näher stehen, als den althochdeutschen, von denen sie durch mehr als ein Jahrhundert getrennt sind, so war es ohne Zweifel am geeignetsten, sie als Uebergangsgedichte. den Werken der mittelhochdeutschen Evik voranzustellen. Frau Ava, welche wohl die älteste deutsche Dichterin ist (denn Hroswitha, die Nonne pon Gandersheim, welche in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts lebte, schrieb ihre Dramen in lateinischer Sprache), hat jedoch das Gedicht nicht allein abgefaßt; sie ward in ihrer Arbeit, wie sie selbst ausdrücklich berichtet, von ihren beiden Söhnen unterstüßt. Wer diese seien, wird wohl nicht so leicht mit voller Bestimmtheit erwiesen werden können; der gelehrte Herausgeber der ältesten Handschrift unsers Gedichts (Diemer) will sie in dem „armen Hartmann“ (S. 164) und in „, Heinrich“, dem Laien (S. 165) finden. " Was das Gedicht der Fran Ava insbesondere betrifft, so ist in diesem eine künstlerische Behandlung des Stoffs freilich nicht zu suchen; die Dichterin folgt in der Darstellung der Thatsachen ihren Quellen mit so naiver Trene, daß, wenn die vers schiedenen Evangelisten eine und dieselbe Thatsache verschieden berichten, sie nicht ansteht, eine doppelte Erzählung von derselben mitzutheilen. Die Syrache, im Ganzen nicht ohne Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit, bietet noch sehr viele alterthümliche Formen dar. Der Reim ist noch ziemlich unentwickelt, sehr häufig erscheint er als bloße Assonanz; nicht selten bricht dagegen die Alliteration noch durch, namentlich in den Stellen, in welchen die Dichterin einen höheren Schwung nimmt. Aus dem Leben Jesu. Des anderen tages vil fruo, duo brâhten si ime ein wip zuo, die heten si vunden an tôtlichen sunden. Vil frò si duo wâren, da si mit ir fuoren; si wânten, daz si malten daz im diu ê daz werte, Do sprach er durch sin guote, anders neheiner. ze den turn si ûz drungen: da ne bestuont inne nehain lip, wanne Christ unde daz wîp. Dô screip der Gotes werde mit den vingeren an der erde; vil lang er nider nihte, dar nach er ùf blihte: duo sprach er ze der gemeinen: ,Wâ sint, die dich wolten steinen?" Dô sprach daz suntige wip: Hie nist, hèrre, nehein lip!" Duo sprach daz êwige licht: ,, Ich verteile din ouch niht! Nu denche an die sèle, unde ne sunde niht mère : ze wâre sagen ich iz dir, dine sunde sint vergeben dir!“ Als ich vernomen habe, vor dem tultlichen tage, duo begurte sich der Gotesun; duo dwog er sinen jungeren die vuoze unde die hende: do wolt er iz allez enden in sîner heiliger minne; er lèrte si duo mit tiefeme sinne. Dô chnit er vil fuoze vuore sîner jungeren suoze; dô sprach sancte Péter: ,,Du ne gedwest mir niemer!" Dô sprach Got der riche: ,,So ne gewiunest niemer tail in mînem riche!" Dô antwurte ime uber lût Péter, der sin trût: Mine hende und min houbet, daz si dir, hèrre, è erloubet." Dô dwog er in allen die fuoze nach ein ander. Do iz alles was getân, sin gewate er an sich nam, dô saz ér ze muose, begunde mit in chosen: Under iu ist ein man, er lienete ûf sinen brusten, Dô sprach der heilige Christ: Under iu zwelven er ist: dem ich piute daz brôt, der hat mir gegarwet den tôt!" duo geberehtôt er daz obrist lieht: von siner heiligen minne. Dar nach wihte er daz prôt, den einleven er iz bôt, er sprach:,, Dize ist wirez min fleisk: zuo den jungeren sin: ,, Iz ist ein wile, daz ir mich sehet, und daz ir min chûme verjehet, dar nách ne sehet ir min niht, so wirt bechèret iuwer lieht; so sehet ir mich denne, vil churzlich ist iz denne, sô var ich offenliche in mines vaters riche: so ne fråget mich niemen denne, Du vrågest chintlichen! Ich unde der vater min, vil ungesceiden sul wir sîn: ich pin in ime unde er in mir, vil wol geloube du iz mir. Ir birt mine friunte, ob ir tuot, dei ich gebiute; der scalch ne mach wizzen niet, waz deme herren si liep: durch daz nenne ich iuch vriunt min, wande ich iu chunt sol sin. Nu zin chôset aver Got: ,,Iz nist nehein mêrre gebot, denne daz ir iuch minnet, also ich iuch hàn geminnet; doch nist nehein mêrre minne vone wibe, noch vone manne, danne man durch sines vriuntes nôt den lip gebe in den tôt: daz han ich durch iuch getan, daz solt ir vor iuweren ougen hân!" Dô sprach unser hèrre: , Der scalch nist niht mère, der.ne sîn hêrre ist, daz man erchenne da bi, daz ir mîn jungere welt sin!" Dô sázen die herren, nach des heiligen geistes geleite Dà ze deme houbite er bigan 235 daz pilede machon: daz houbit tet er sinewel, 240 gab dem weichen hirne Er tet an dem antlutze 245 daz er muge hôren; daz er sehe die getougen; daz er stinchen muge; 250 in deme munde einez, 255 260 sô nutze nist neheinez. In dem munde hiez er hangen eine zungen lange; fure die îlte er machen einen chinnebachen, daz si daz ezzen prechen, Svenne si den wint fähit, Då nåch tet er ime die ahselun file geliche gescaffen; fon den rechent sich zvêne arme geliche; den stênt an deme ende zvô wolgetâne hente; 270 an den sint forne Wie das vorangehende Gedicht, so stammt auch dieses aus dem Anfang des zwölften Jahrhunderts, und theilt mit jenem alle Eigenthümlichkeiten, welche die Dichtungen jener Zeit von den späteren unterscheiden; besonders ist die Sprache noch rauh und ungefüg, und der Reim ebenfalls noch unentwickelt, der Versban oft unbeholfen, so daß oft kurze Zei len mit übermäßig langen verbunden werden; doch herrscht in dieser Beziehung eine merkliche Verschie denheit zwischen dem legten Theile, der schon besse ren Versbau darbietet, und den übrigen. Es hat sich durch neuere Forschungen ergeben, daß das Gedicht, welches die vier ersten Bücher Mofis poetisch umschreibt, ursprünglich nicht von Einem, sondern von drei verschiedenen Verfassern, deren Namen un- | 265 bekannt geblieben sind, herrührt. Der Bearbeiter des mittleren Theils hat dann aber noch versucht, das Ganze in vollständigeren Einklang zu bringen, indem er im ersten und leßten Theil Mancherlei nach seiner Anschauungsweise umgestaltete und erweiterte. Dieser Dichter ist ohne Zweifel der bes gabteste unter den dreien, oft gelingt es ihm fogar, die unfügsame Sprache zu bewältigen. Er hält sich nicht streng an den Tert der heiligen Schrift, sondern erweitert ihn oft mit epischem Takte. Die lie: benswürdige Naivetät, die er dabei entfaltet, paßt, eben weil sie ganz unbewußt ist, vollkommen gut zu der einfachen und doch gehaltenen Darstellungsweise des hebräischen Vorbilds. Wir theilen zwei Stellen daraus mit, eine, in welcher der Dichter die Erschaffung des Menschen in selbstständiger Ausführlichkeit darstellt, und eine zweite, in welcher er die Traumdeutungen Josephs ziemlich wörtlich nach dem Terte der heiligen Schrift (1. Buch Mosis, Kap. 40 u. 41) überseßt. 275 280 finf fingere mit horne: daz horn sint die negele daz ist der dûme, Der då bi stât, ein iegelich ding er zeiget; der dritte heizet ungezogen, 285 wande er ilit sich furnemen, svare diu hant reichet, aller eriste er iz pegrifet. In deme fierden scinent fingerlin, die zieren, 290 dâ mite der man spulget sin wib mahilen. Ouch hat der chunig ze site, daz pischtuom mahilen darmite, svelehen phaffen 295 er ze herren wil machen. Der minneste finger, von der lungene wir den âtem nemen, 330 von der gallen den zorn, des manec man wirt vlorn. Unter deme houbet iouch der ahsilun tet er ime eine svegelen, durch die habe ganch 335 beidiu, maz ioch tranch. Hintene tet er ime den rucke: ́ab deme gènt rippe, deme herzen ze were, 340 daz ime stôz, noch slag dà die arme ana wervent, 345 svenne si sich rüerent. Då awer irwintet der rucke, dâ stant zvô huffe, von den chliubet sich der lip in zvei bein gelich; 350 dâ ze deme chnieraden, då sint si gebogen; daz si sich leichen, svenne si scrîten. Nider halp des chnieraden 355 an deme bein stânt die waden, sô sich daz bein recche, daz iz niene stèt, sam ein stecche. hanget daz gedarme, 360 ein weichiu wamba, wart ze dere hûte. Duo er daz pilede êrlich 405 gelegete fure sich, duo stuont er ime werde obe der selben erde: sinen geist er in in blies, michelen sin er ime friliez. 410 Die âdere alle wurden pluotes folle: ze fleiske wart din erde, 415 svâ zesamene gie daz lit. 425 wurze iouch poume. 430 Michel wunter in habete, daz der fisk in deme wazzere spilete: dere würme freissam er niewet erchom. Dù solt in minem stal dises phlegen al: dù solt sin alles wesen herre: 435 waz bedarfstu denne mère? Elliu dinch furhten dich, svenner dich verneme, 445 nieht mag dir wider stån. Ich pin din Got! unze dù behaltest min gebot, 2. Josephs Traumdeutungen. Do in allen gåhen 3860 zwène wider den chunich missetâten, ein phister und ein skenche, 3865 si muosen in daz gebende; Jôsêbe wurten si bevolehen, 3870 mit sviu er hète. Do die selben hêrren wol stunte då wâren, eines nahtes daz gescach, daz ir iewederer einen troum gesach, 3875 wi sin dinch scólte ergên. Der chunig hête si unsenfte bestên: waz ir scolte werden, 3880 Joseph sprach in zuo: iz nevert umb iuch nieht rehte; iz ne zâme nieht adale. 3885 Saget, waz iu sì, unt wesit piderbe." Si sprachen dô etwaz trùrichliche: flôs ich mines hèrren hulde : in dise viustere gruobe. 3935 daz er mir gnåde, daz er mich hinnen lôse, è ich den liep fliese." Do der phister vernam, wie er die troume kunde skeiden, 3940 do sprach er, wie er såhe, do er insuebe ware, obe sineme houbte drî zeinen, melewes folle, und in der obristen ware 3945 allere brote gebare, 3950 dei dehein phister chande machen, Joseph antwurte ime des: muost du wol weinen! Vernim, waz ich dir sage: 3955 die dri zeinen sint dise drî tage: der chunig denne gebiutet, daz man dir abe slehet daz houbet: er heizzet dich an den galgen hâhen: då beginnent dich die vogele ȧsen; 3960 nieht si din leibent, gare si dich vrezzent!" Uber dri tage gelach des chuniges geburt tag. Michel wirtscaft er hête 3965 mit aller siner diete: dâ begunde er gedenchen daz er ime vile hête gedienôt; 3970 er hiez in ime bringen. Dù muose er wol gedingen; er chod, daz er ime alle sine sculde vergabe, wolte, daz er sines ambahtes phlage. Den phister hiez er fàhen, 3975 houbeten unde hâhen; dâ muosen in die vogele åsen, als ime was geskeiden. Sô der skenche an daz ambahte gesaz, sines troumskeiden er vergaz; 3980 er irgaz triùwen iouch maniger riûwen, die er in dem charchâre leid, è im Josèph den troum skiet, 241 |