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hoffentlich für unser ganzes volksleben ein neuer fruchtverheißender frühling hervorblüht. und ob ich auch inzwischen wieder in amtliche tätigkeit auf fremderem gebiete kam, von Kassel nach Minden, von da schon bald nach Merseburg in feste amtsstellung versetzt wurde, so konnte ich doch die lieb gewordne arbeit zu ende führen, wobei ich nur zu bedauern hatte, daß es in Minden wie hier sehr an literarischen hilfsmitteln fehlt, und nirgends mir ein beratender einsichtiger freund zur seite stand, dessen urteil über das ganze wie über einzelnes ich hätte einholen können.

Daß ich nach den unvergänglichen verdiensten W. Grimms um Freidanks Bescheidenheit und bei den nicht geringen und eigentümlichen schwierigkeiten, welche an diesem werke vor andern dichterischen erzeugnissen des deutschen mittelalters haften, ein wol über meine kräfte reichendes wagnis begönne, habe ich mir nicht verhehlt. immerhin, den versuch war es wert, sei es auch nur, um neuen anstoß zu geben. dir, mein freund, schien die forderung, welche ich als nächste und unabweisbare für eine neue ausgabe erklären muste: ein auf bestimmter kritischer grundlage ruhender text, klare sonderung der einzelnen sprüche und das zum verständnisse dieser notwendige, welches man sich bei Grimm in der einleitung und den anmerkungen der I. ausgabe sowie in der abhandlung über Freidank zusammen suchen muß, aber nur unvollständig findet, unschwer erfüllbar. anders dem, welcher die aufgabe lösen sollte.

Zwar die sonderung der sprüche, die in Grimms II. ausgabe in fortlaufendem texte ohne jegliche gliederung innerhalb der capitel gedruckt sind, war bei einiger aufmerksamkeit leicht zu bewirken; nur hie und da, namentlich wo die ordnung durch die jüngere redaction gestört ist oder zusätze stattgefunden haben, ist sie nicht außer zweifel. Für die

feststellung des textes aber erhoben sich größere schwierigkeiten, die teils in den handschriften, hinsichtlich deren die frage entstand, welche zu grunde zu legen seien, und wie weit man ihnen folgen dürfe, teils in Freidanks metrik ihren grund haben. nur das erkannte ich bald, daß jenes nicht diejenigen seien, auf welchen zum grösten teile der text von Grimms II. ausgabe beruht, und daß mein text sich wieder mehr dem der I. ausg. nähern würde. diese untersuchung hätte wol erneute vergleichung der handschriften selbst gefordert; davon muste ich jedoch absehen und durfte dieß um so eher, als ich mich nach mancher überlegung entschloßen hatte, bei der von Grimm angenommenen ordnung der sprüche zu verharren. ich habe mich darüber kurz in der einleitung (s. 53 ff.) ausgesprochen, und wenn ich bereitwillig zugebe, daß mein verfahren mit einer berechtigten kritischen forderung nicht ganz in einklang stehe, so verdienen meine gründe doch wol einige anerkennung, und durch die im anhange gegebene zusammenstellung der beiden hauptordnungen hoffe ich, die vergleichung derselben und der handschriften wesentlich erleichtert zu haben. Endlich für die erklärung der sprüche, so weit es einer solchen bedarf, waren verschiedene weisen möglich; da ich mich aber bald überzeugte, daß die wenigsten sprüche aus Freidanks reflexion hervorgegangen, vielmehr die Bescheidenheit in der tat wesentlich sammelwerk sei, worauf auch Brant schon durch seine glossen hinweist; so glaubte ich, vor allem den quellen innerhalb gewisser grenzen mit möglichster sorgfalt nachgehen zu müßen, um diese streitfrage zu einiger entscheidung zu bringen. damit war der vorteil gegeben, daß ich die eigene erklärung in den meisten fällen zurücktreten laßen durfte, da die belege den gedanken Freidanks, oft nach mehreren seiten hin, in helles licht setzen.

An diese untersuchung über die quellen schloßen sich andere, und so erweiterte sich der plan unter der arbeit. mir schwebte Zarnckes classische ausgabe von Brants Narrenschiff (Leipzig 1854.) als muster vor; du aber beharrtest auf deinem verlangen nach einer ausgabe in engerem rahmen und zu mäßigem preise, indem du mir vorhieltest, daß eine solche, welche die ausführliche darlegung aller einschlagenden untersuchungen und den vollständigen kritischen apparat ausschließe, das größere bedürfnis sei. die zahlreichen verehrer altdeutscher dichtung, sagtest du, forderten anderes, als die gelehrten germanisten, welche der realen interpretation zu wenig raum gäben; für diese möchten Grimms ausgaben unentbehrlich sein, für jene reichten sie nicht aus, und wenn für die germanisten eine die untersuchung nach allen seiten hin führende sog. kritische ausgabe bedürfnis sei, so genüge eine solche den andern nicht, wie der erfolg der von Pfeiffer begründeten sammlung beweise, welcher sich nun die von Zacher unternommene in andrer weise glücklich anschließe. es sei aber zeit, ein so durchaus volkstümliches buch wie die Bescheidenheit, das viel genannt, aber wenig bekannt sei, größeren leserkreisen zugänglich zu machen und zum verständnisse zu bringen, zumal da alle bis jetzt erschienenen übertragungen derselben ins neuhochdeutsche den echten Freidank nicht erkennen ließen. auch schlöße eine ausgabe, wie du sie wünschtest, nicht aus, daß zugleich den germanisten durch text und erklärung neues und erwünschtes geboten würde. jedesfalls werde Vilmars gedanken, die Bescheidenheit, einen edelstein, wie wir einen zweiten weder in alter noch neuerer zeit besitzen, als tägliches vademecum zum nutzen und ergetzen zu gebrauchen, so eher verwirklicht, als durch eine bloß kritische ausgabe.

Diesen ansichten konnte ich in mehrfacher hinsicht nur beistimmen, also fügte ich mich und faßte meinen plan enger, obgleich mir dadurch die arbeit mehr erschwert als erleichtert wurde. demnach beschränkte ich die einleitung auf das notwendigste und behandelte dieses möglichst kurz. ganz ausschließen muste ich nun das literarhistorische über Freidank so wie jede weiter gehende oder nicht unmittelbar zur sache gehörende untersuchung, z. b. über die entwicklung der deutschen spruchdichtung vor Freidank und deren verhältnis zur spruchweisheit der alten indogermanischen völker, Freidanks einfluß auf spätere spruchdichter und das deutsche sprichwort überhaupt, ferner über die im mittelalter umlaufenden lateinischen sprichwörter und sentenzen, die übersetzung der Bescheidenheit ins lateinische und ihre übertragung ins niederdeutsche, Freidanks verhältnis zur theologie seiner zeit, zum archipoeta und andern dichtenden standesgenoßen, seine spracheigentümlichkeit und behandlung der metrischen gesetze, welche letztere ich in der einleitung nur ganz allgemein besprochen habe, die echtheit oder unechtheit mancher sprüche, welche untersuchung den vorzug von Grimms vierter handschriftenklasse vor den andern auch in dieser richtung ergeben wird, u. a. m. lauter gegenstände, deren jeder fast für eine kritische ausgabe unumgänglich und sorgfältiger arbeit wert ist, die manches bisher unberührte an das licht fördern würde. das alles mag nun künftiger besondrer bearbeitung oder einem späteren herausgeber der Bescheidenheit überlaßen bleiben.

Ob ich in dem texte, für den uns keine der zeit des dichters sehr nahe liegende handschrift zu gebote steht, und der unter der hand späterer redactoren und schreiber sehr dem verderben ausgesetzt war, im allgemeinen das wenig

stens annähernd rechte getroffen habe, darüber muß ich das urteil abwarten; jedesfalls aber hat dieses auch alle die schwierigkeiten zu bemeßen, welche der feststellung des textes im einzelnen im wege stehen. inwiefern ich darin von der I. und II. ausgabe Grimms abweiche, ist nebst den handschriften, auf welchen dessen lesarten beruhen, unter dem texte angegeben, so weit es nicht bloße (freilich für die metrik und das lesen der verse nicht gleichgiltige) schreibweisen betrifft. vielleicht hätte ich gut getan, nicht bloß die von Grimm in den lesarten der II. ausgabe verzeichneten unechten sprüche, sondern auch die in deren text aufgenommenen, mit buchstaben bezeichneten in den anhang zu verweisen, da die handschriften, in welchen diese stehen, geringe bürgschaft für ihre echtheit geben. jedoch auch unter den übrigen findet sich manches zweifelhafte gut, das in einer rein kritischen ausgabe keine stelle finden möchte. namentlich bin ich mistrauisch gegen alle diejenigen sprüche, welche sich nur in den handschriften der jüngeren recensionen (AB und C-H), einigen späten handschriften der klasse J, auszügen und den lateinischen bearbeitungen finden. in diese ausgabe aber durften alle aufgenommen werden, jedoch habe ich die nicht genug beglaubigten in klammern eingeschloßen, wobei ich nur hier entschuldigend bemerken muß, daß diese im drucke öfters ausgefallen sind, was aber meistens in den anmerkungen noch bemerkt werden konnte. Daß ich in der interpunction weniger sparsam als Grimm gewesen bin, wird wol da getadelt, dort gelobt werden. für uns, die wir so zu lesen gewohnt sind, daß das auge sie fordert, dient genaue interpunction wesentlich zur förderung des verständnisses, wie denn auch Lachmann (Wolfram v. Eschenb. VIII.) sorgfältige interpunction für ein erstes erfordernis einer ganz gewöhnlichen ausgabe erklärt.

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