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KLEINE BEITRÄGE ZUR ERLÄUTERUNG

WOLFRAMS.

1. Willehalm 62, 11 ff.:

sölh süeze an dime libe lac:
des breiten mers salzes smac
müese al zukermæzic sin,

der din ein zehen würfe drin.

ich habe auf diesen wunderbar überschwänglichen ausdruck in der klage Willehalms über den tod des Vivianz schon Zs. 33, 127 f hingewiesen und an eine nachahmung in dem gedicht 'Frauenpreis und ritterpreis'1 (Diutisca 1 321 HMS 442) erinnert, wo eine dame von ihrem geliebten rühmt:

=

quæme sin in daz mer zwó zehen,

ez müeste deste milter wesen.

aber eine andere, weit interessantere parallele war mir entgangen: in Unser vrouwen klage (her. von Milchsack Beitr. 5, 193 ff) 1293 ff bricht Maria in die worte aus:

des bittern mers salzes smac

der müeste zuckermæzic sin,

swie daz ein zäher kæm dar în
des bluotes, daz gevloszen ist

von dinem libe, süezer Crist.

dem dichter von zugleich aber zeigt statt Wolframs ein

Die nachbildung Wolframs an dieser stelle ist evident, wie überhaupt seine klage um Vivianz mehrfach Uvkl. vorgeschwebt hat (s. Milchsack s. 355 f). sich eine sehr bemerkenswerte abweichung: zehen ein zäher. wie viel schöner ist unserm gefühl nach dieses bild! die trähne ist sonst salzig wie das meer, aber von ihm, dem reinen und guten, würde selbst eine trähne das meer versüfsen.

Sollte der dichter selbständig auf diese leichte und doch so würkungsvolle änderung verfallen sein? seine lateinische quelle, der Planctus Mariae in der Interrogatio sancti Anshelmi de passione domini (Germ. 17, 231 ff)2, enthält nichts, was ihn darauf

1 unter diesem titel hat es ESchröder nach der Leipziger und der verbrannten Strafsburger hs. für das Marburger germanist. seminar drucken lassen.

2 [vielmehr aus dem Tractatus b. Bernardi de planctu b. M. v., wie Milchsack in einem mir oben entgangenen nachtrag Beitr. 7, 201 f dargetan hat.]

hätte führen können. ich darf hier wol, ohne dem verstorbenen zu nahe zu treten, eine vermutung von KLucae erwähnen, der ich, so geistreich sie ist, doch jetzt nicht mehr beizustimmen vermag: nach ihr wäre zaher (oder zäher) die echte Wolframsche lesart und zehen ein schon früh in die überlieferung eingedrungener fehler, den vielleicht die schreibung zeher im archetypus verursacht hätte. ich will nicht entwickeln, wie mislich diese auf den ersten blick wol bestechende annahme doch bei dem verwantschaftsverhältnis der Wh. - hss. ist; sie entsprang dem wunsche, den dichter von einer vermeintlichen geschmacklosigkeit zu reinigen, die wir ihm nicht gern zutrauen möchten. weitere erwägungen aber haben mich überzeugt, dass wir mit unrecht an dem ausdruck zéhen anstofs nehmen, weil derselbe in dem mhd. sprachgebrauch hinreichend begründet ist. haben ihn doch auch sämtliche hss. unverändert beibehalten ein zeichen, dass er den schreibern nicht fremdartig erschien und ein späterer autor, wie wir sahen, ohne scheu ihn widerholt.

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Das Mhd. wb. II 861 führt zur erklärung unserer Wh.-stelle an, dass von gewissen gewürzen, zb. ingwer, kleine stückchen zehen genannt würden; es fasst also das wort hier in übertragener bedeutung auf: 'ein teilchen, ein quentchen von dir'1. das ist auch gewis der sinn der stelle, aber ich möchte ihn doch in anderer, unserm sprachgefühl näherliegender weise vermitteln. wir gebrauchen heute vielfach das wort 'finger', um damit allgemein ein möglichst kleines glied des menschlichen körpers zu bezeichnen, zb. 'er ist so gesund, ihm tut kein finger (dh. auch nicht das geringste glied) weh'; oder 'wir konnten keinen finger still halten' (dh. zitterten an allen, auch den kleinsten gliedern) 2. auch mhd. kommt vinger in dieser bedeutung vor, zb. Parz. 298, 26f: het ab ir ein vinger dort verlorn, da wagte ich gegen min houbet 'hättet ihr das geringste glied dort verloren, dagegen wagte ich das vornehmste, das haupt, also zugleich mein leben'; j. Tit. 3319,3: (sein tod wäre mir lieber,) danne ob dir ein vinger swære (nhd. etwa: 'als wenn dir nur ein haar gekrümmt würde'); ebda 5942, 2 f: man war mich e begrabende dann ob ich wolt daz im ein vinger swære. man braucht nur das

=

1 ebenso Starck Die darstellungsmittel des Wolframschen humors s. 20a. 2 beide beispiele sind im DWb. angeführt, wo aber die in rede stehnde bedeutung von 'finger' nicht besonders hervorgehoben ist.

bei Lexer s. v. vinger zusammengestellte material durchzugehn, um noch mehr belege zu finden. in demselben sinne aber wird mhd. auch die bezeichnung für digitus pedis, zehe, verwendet : Konrads Trojanerkrieg 38380 ff:

é dir an diner zehen (: vlehen)
solte ein cleiner schade geschehen,
und si daz müeste sehen,

é lite si grôz ungemach.

der vordersatz besagt genau dasselbe, als wenn er lautete: é dir ein vinger swære. ähnlich ist eine stelle in Rosenblüts Kaiserin zu Rom (Keller Fastnachtspiele m 1144):

er sprach 'an irer minsten zehen (: flehen)

wolt ich ir ungern leit lossen thun'.

wir würden statt dessen sagen: 'an ihrem kleinsten finger'. aus Lexer entnehme ich Suchenwirt 42, 74:

manic groz gesleht zerget,

daz sin ein zehe niht bestêt.

nhd. etwa: 'dass auch kein atom von ihm übrig bleibt'. als zwei weitere beispiele sind unsere Wh. - stelle und ihre nachbildung im Frauenpreis und ritterpreis anzusehen. hätte Wolfram den markgrafen sagen lassen: 'das kleinste teilchen, ein finger von dir schon müste das meer versüfsen', so würden wir mit dem ausdruck völlig einverstanden sein. das wort 'zehe' aber hat in diesem zusammenhang für uns etwas unedles, verletzendes. wer die angezogenen verse dem sinne gemäfs ins nhd. übertragen will, darf diesen unterschied im sprachgebrauch nicht unberücksichtigt lassen.

Das bild von der zähre wird also nach dem, was unsere betrachtung ergeben hat, doch erst dem verfasser von Uvkl. angehören. was ihn zu dieser abweichung von Wolfram veranlasst haben mag, ist nicht mit sicherheit auszumachen: gewis war es nicht scheu vor der im mhd. gar nicht ungewöhnlichen ausdrucksweise. herr dr Milchsack schrieb mir: 'zaher ist sentimentaler (als zehen) und ganz im character dieses gedichtes'. ich glaube, dass er damit den grund der änderung getroffen hat.

Schliefslich notiere ich noch eine stelle, die gleichfalls an die worte des Willehalm anklingt, ohne jedoch für die oben behandelte frage in betracht zu kommen. Dietrichs von Glatz gedicht 'Der borte' (vdHagens Ga. 1 nr 20) v. 73 ff:

ir güete was sô süeze,

und waren ir die vüeze
komen in des meres vluot,

daz mer daz wære worden guot

von ir vüezen reinen

und von ir wizen beinen.

2. Will. 307, 1 ff. das zur schlacht ausrückende christen heer ermahnt Gyburg zur menschlichkeit gegen die heiden; auch sie seien ja gottes geschöpfe und nicht alle zur verdammnis bestimmt.

306, 28 schônt der gotes hantgetát.

ein heiden was der erste man

den got machen began.

307, 1 nu geloubt daz Eljas unde Enoch
für heiden sint behalten noch.

Noe ouch ein heiden was,

der in der arken genas.

5 Jóp für war ein heiden hiez,

den got dar umbe niht verstiez usw.

die beiden gesperrt gedruckten zeilen (307, 1f) sind nicht ganz leicht zu verstehn. San-Marte übersetzt sie höchst unbefangen: 'für heiden sind Elias und Enoch gehalten auch, so glaubt ihr doch'. dass mhd. behalten nicht wofür halten' bedeuten kann, braucht kaum gesagt zu werden. Elias und Enoch sind nach der bibel (v Reg. 2, 11. Gen. 5, 24. Eccli. 44, 16. 49, 16. Ebr. 11, 5) die einzigen menschen, die nicht gestorben, sondern lebend von der erde entrückt worden sind. auf dieses wunder hat Gyburg schon in der unterredung mit ihrem vater Terramer (218, 16 ff) angespielt: (um Evas schuld willen)

dar umb die helleclichen vart

Adams geslähte fuor iedoch,
wan Helias (1. Eljas?) und Enoch.

die andern muosen alle queln:

dane kund sich niemen von versteln.

die christen erinnert sie jetzt gleichfalls daran: 'Elias und Enoch sind noch (heute) am leben erhalten - für heiden!' auf diese beiden worte kommt es an.

Ein freund, mit dem ich über unsere stelle correspondierte,

meinte 'E. und E. haben das vor den heiden voraus, dass sie usw.' diese auffassung wäre sprachlich vielleicht möglich, ist aber durch den zusammenhang ausgeschlossen. denn dem zweck ihrer rede gemäfs kann Gyburg nur solche fälle hier anführen, wo gott in besonderer weise grade heiden seine gnade erzeigt hat. am allerwenigsten aber hat sie veranlassung, zu erzählen, was zwei nichtheidnische männer vor jenen 'voraus haben'. folglich muss der sinn der worte sein: 'E. und E. sind als heiden (dh. obwol sie heiden sind) noch (heute) am leben erhalten'.

Dass die praeposition vür im mhd. bisweilen zur hervorhebung des praedicativen verhältnisses dient (= nhd. 'als'), während gewöhnlich in der alten sprache der blofse nominativ erscheint (vgl. MSD 75 f), zeigt deutlich noch eine zweite stelle bei Wolfram, Parz. 471, 1f: sie komen alle dar für kint, die nu da grôze liute sint. 'sie kamen alle dahin (zum gral) als kinder, die nun dort erwachsene leute sind.' das Mhd. wb. (ш 377a, 32) citiert daneben Rol. 305, 14 f (8940 f): unt wiltu Geneline gewegen, fur aigen wil ich dir dienen. dieser stelle sehr ähnlich ist wider j. Tit. 6034, 1: dri India die witen im dienent gar für eigen. auch beim praedicativen accusativ steht vür in fällen, wo wir nhd. 'als' anwenden, zb. Parz. 105, 22: den man noch malet für das lamp; 735, 11: (die richeit) die der heiden für zimierde truoc; Wh. 159, 2f: ich pin iedoch des selben suon, der si für eine tohter zôch; Georg 3830 ff: den hie vor der künic Nabchodonosor ane bette für ein kalp. bei weiterem suchen werden sich ohne frage noch mehr belege aus der mhd. litteratur nachweisen lassen. eine sammlung zumeist aus späteren quellen bringt das DWb. Iv 1, sp. 625 ff 1.

1 in der oben angeführten Parzivalstelle 105, 22 list d also statt für, und 42, 28 heifst es ohne varianten: gemalt als ein durchstochen man; Greg. 3440: (zodiacus) der ist als ein rat gemålet; Parz. 470, 11 ff: da von der stein enpfæhet swaz guots úf erden drohet von trinken unt von spise, als den wunsch von pardise. hat man in diesen und ähnlichen constructionen die ersten spuren des heutigen gebrauches von 'als' beim praedicat zu erblicken? ich glaube nicht, denn in den angeführten beispielen ist das als vergleichend (='wie'), während unser heutiges 'als' beim praedicat von JGrimm DWb. 1 254 wol mit recht als demonstrativ bezeichnet wird. wenigstens hat es sich aus der demonstrativpartikel entwickelt. es scheint mir vorbereitet durch das hinweisende als oder alsó in fällen wie

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