an, daß ein Zusammengehöriges festgestellt, abgeschlossen und in seinem Charakter sixirt sei." ,,Betrachten wir aber alle Gestalten, besonders die organischen, so finden wir, daß nirgend ein Bestehendes, nirgend ein Ruhendes, ein Abgeschlossenes vorkommt, sondern daß vielmehr alles in einer steten Bewegung schwanke. Daher unsre Sprache das Wort Bildung sowohl von dem Hervorgebrachten, als von dem Hervorgebrachtwerdenden gehörig genug zu brauchen pflegt." ,,Wollen wir also eine Morphologie einleiten, so dürfen wir nicht von Gestalt sprechen; sondern wenn wir das Wort brauchen, uns allenfalls dabei nur die Idee, den Begriff oder ein in der Erfahrung nur für den Augenblick Festgehaltenes denken." ,,Das Gebildete wird sogleich wieder umgebildet, und wir haben uns, wenn wir einigermaßen zum lebendigen Anschauen der Natur gelangen wollen, selbst so beweglich und bildsam zu erhalten, nach dem Beispiele, mit dem sie uns vorgeht." Man muß freilich, um recht den Tiefsinn und das Folgenreiche dieser Worte anzuerkennen, eigentlich näher bekannt sein mit vielen in der Wissenschaft seit alter Zeit festgewurzelten Begriffen, man muß sich selbst damit abgequält haben, wie unerfreulich und erfolglos es bleibt, wenn das Lebendige aufgefaßt werden soll, als die Verbindung eines Starren, Todten, in sich nur gleichsam Verschiebbaren, keinesweges sich fort und fort Erneuenden, und einer hinzugedachten sogenannten Lebenskraft, einem Deus ex machina, welcher auf eine ganz unbekannte Weise jenes Todte bewegen sollte, wie etwa die Spiralfeder in der Uhr die vorher stillstehenden Räder. Nun hat der Mensch aber eine solche Neigung, stabil zu werden, er findet es großentheils so bequem, sich dem ewig Beweglichen zu entziehen und an ein, seiner Meinung nach doch wohl wenigstens eine gewisse Zeit Beharrendes sich festzuhalten, daß eine besondere innere und äußere Begünstigung und Befähigung dazu gehört, von dieser Neigung sich frei zu machen und durchaus an das Werden und nicht an das Gewordene sich zu halten. Leider findet daher auch in den meisten Schriften unsrer Naturforscher mehr die stabile als die fortschreitende Ansicht ihre Vertheidiger; und nur die neueste Beit, welche überall auf ein genetisches Verfahren, überall auf Studium der Entwickelungsgeschichte hindrängt, hat sich hier in vieler Beziehung lebendiger und geistiger gezeigt. Ich sagte nun, daß bei Göthe hingegen nicht nur dieses fortgesekte und bewundernde Schauen des Werdenden seine doch verhältnismäßig wenigen naturwissenschaftlichen Arbeiten durchdringe und belebe, sondern daß es auch sonst sich vielfältig fruchtbar erwiesen habe. - Es sei mir erlaubt, hier nur als einen Beweis jenes treffliche Gedicht, ,,Dauer im Wechsel" anzuführen, welches zu reichen Commentaren in dieser Beziehung die vollkommenste Gelegenheit darbietet; dort heißt es: Ist nun hier in Poesie, oben in Prosa eine schöne und höchst folgenreiche Entwickelung der Göthe'schen Naturanschauung als das Schauen eines unendlich fort Werdenden, Mannichfaltigen, sich immerfort weiter Bildenden, deutlichst ausgesprochen, so führt mich dieses alsbald wieder zu andern merkwürdigen Aeußerungen Göthe scher Gesinnungen, wie sie über Naturbetrachtung in seinen Schriften sich dargelegt finden; ich meine die Verhütung und das stete Protestiren gegen Einseitigkeit in jeder, auch der sonst wahrhaftigsten Richtung. Es lag nämlich in ihm eine so durchdringende Ehrfurcht gegen die unendliche Vielseitigkeit der Natur, daß er nie verkannte, daß auch die stringenteste und scharfsinnigste Anschauungsweise derselben, sobald sie zur ganz ausschließenden und alleinigen sich erheben wolte, über die rechte Mitte hinausschlagen und ins Abstruse sich verlie ren müsse. - Auch hieraus erwuchs ihm dann eine eigen thümliche und abermals für alle Lebensverhältnisse höchst bedeutungsvolle Weisheit im Anschauen der Welt. Giebt es doch ein gewisses höheres Bedürfniß von Gleichgewicht in der Seele des reifern Menschen, welches ihn am besten dagegen schüßt nach einer Seite hin in irgend ein Extrem zu verfallen, welches ihn dazu drängt, immer dem Streben nach einer Richtung, wenn es übermächtig und alles beherrschend zu werden droht, das Streben nach einer andern Richtung beschwichtigend entgegenzustellen, und welches, indem es zwischen Metaphysischem und Physischem, zwischen Himmlischem und Irdischem, zwischen Leiblichem und Geistigem, wie zwischen verschiedenen scientifischen oder ethischen Tendenzen auf eine gewisse höhere Mitte dringt, wesentlich zur Gesundheit unsres Daseins beiträgt. Hiervon finden sich nun sogar in Bezug auf jene vorherrschende metamorphologische Richtung Göthe's merkwürdige Belege. So heißt es in seinen naturwissenschaftlichen Heften einmal: „Die Idee der Metamorphose ist eine höchst ehrwürdige, aber zugleich höchst gefährliche Gabe von Oben. Sie führt ins Formlose; zerstört das Wissen, löst es auf. Sie ist gleich der Vis centrifuga und würde sich ins Unendliche verlieren, wäre ihr nicht ein Gegengewicht zugegeben: ich meine den Specificationstrieb, das zähe Beharrlichkeitsvermögen dessen, was einmal zur Wirklichkeit gekommen. Eine Vis centripeta, welcher in ihrem tiefsten Grunde keine Aeußerlichkeit etwas anhaben kann." „Da nun beide Kräfte zugleich wirken, so müßten wir sie auch bei didactischer Ueberlieferung zugleich darstellen, welches unmöglich scheint." ,,Vielleicht retten wir uns nicht aus dieser Verlegenheit, als abermals durch ein künstliches Verfahren: Vergleichung mit den natürlich immer fortschreitenden Tönen und der in die Octaven eingeengten gleichsch w ebenden Temperatur; wodurch eine entschieden durchgreifende höhere Musik, zum Truk der Natur eigentlich erst möglich wird." Dasselbe Gefühl des Hingedrängtwerdens nach einer Art von gleichschwebender Temperatur zwischen verschieden artig fortschreitenden Momenten brachte ihn bei einer andern Gelegenheit, wo er den entschiedenen Gegensak seiner Ansicht gegen eine andere fühlte, zum Niederschreiben folgender Stelle: ,,Hierbei mußte bei mir eine milde, gewissermaßen versatile Stimmung entstehen, welche das angenehme Gefühl giebt, uns zwischen zwei entgegengesekten Meinungen hin und her zu wiegen, und vielleicht bei keiner zu verharren. Wir verdoppeln dadurch gleichsam unsre Persönlichkeit." Kurzum auch in dieser Beziehung weht in den Schrif ten Göthe's ein gewisses Ebenmaß, eine Biegsamkeit und innere Lebendigkeit, welche ihn fähig macht bei dem entschiedensten Beruf für die eine Richtung, doch auch für die Eigenthümlichkeiten und wie irgend bedingten Wahrheiten einer andern nicht verschlossen zu sein, eine Eigenschaft, die so vielen Menschen und insbesondere auch so vielen forschenden Gelehrten wohl zu wünschen wäre. Und so bleiben dem aufmerksamen Leser in seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten noch so manche Seiten übrig, welche ihm besonderes Nachdenken abnöthigen. Möge das alles jedoch für |