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Ein reiches und bewegtes Leben bringt den Menschen in

tausendfältige Berührungen mit seinen Zeitgenossen und je bedeutender seine Natur ist, desto bedeutender werden die Begegnungen des Menschen mit Menschen sein. Es ist natürlich nicht daran zu denken, hier ins Einzelne einzugehen und über dergleichen Verhältnisse in Göthe's Leben sich insbesondere zu verbreiten, aber was ich wünschte zur hellen Einsicht zu bringen, ist, nur anschaulich zu machen, wie auch hier die Entwickelung einer so bedeutenden Indi vidualität nur unter Einwirkung vielfältiger anderer bedeutender Persönlichkeiten als möglich gedacht werden konnte. Regt es uns nämlich an sich schon zu merkwürdigen Betrachtungen auf, daß Entfaltung eines wahrhaft menschlichen Daseins nur unter der Bedingung des Vereinlebens des Einen mit Mehrern möglich ist und daß der Mensch, der allein und sich selbst überlassen erwächst, nur ein thie risches, kein menschliches Dasein erreicht, so muß es zwie= fach interessant sein, einem so bedeutenden Lebensgange nachzudenken und zu beachten, mit welchen Individualitäten er in Berührung kommen mußte, um gerade diese Höhe zu erreichen. - Bei Göthe mehr als bei vielen Andern möchte es interessant sein, zu unterscheiden, welches Verhältniß in seinem Lebensgange sich zu Männern und welches sich zu Frauen entwickelt hat, und auf welche Weise jedes dieser Verhältnisse gerade auf sein Wesen gewirkt habe. - Was zuerst anbetrifft sein Verhältniß zu Männern, so hat es mir immer von unberechenbarem Einflusse geschienen, daß ihm zeitig und selbst wiederholt das Glück zu Theil wurde, einen - man erlaube mir die Bezeichnung - wohlgesinnten Widersacher - einen feindlichen Freund oder freundlichen Feind anzutreffen, welcher, indem er einerseits wahres Interesse an ihm nehmen mußte, andererseits mit Wik und Schärfe ihm aufregend, erfrischend, erweckend entgegentrat.

Mehr als man glauben sollte, bedarf auch der Höherbegabte des Widerspruchs und der widerstrebenden Wirkung, wenn er mit Energie vorwärts dringen soll, und in Göthe's Leben ist darum früherhin der Mephistopheles Merk und der wunderliche Behrisch und späterhin der oft ironisch bitter ihm entgegentretende Herder von der höchsten Bedeutung. Es ist nicht zu sagen, wie viel dem Menschen entgeht, wenn eine frische scharfe Gegenwirkung ihm fehlt. Kaum eine Einrichtung des alten römischen öffentlichen Lebens hat mir daher so tiefsinnig und bedeutungsvoll geschie nen, als daß den Triumphatoren, wenn sie im höchsten Nuhmesglanz zu den Thoren der Weltstadt einzogen, und indem ihnen die größten Ehren zu Theil wurden, zugleich Spottlieder entgegengesungen werden durften und daß sie den Wizworten der Soldaten sich vollkommen preisgegeben fanden. Ebenso war es ein gesundes natürliches Gefühl, welches den Fürsten des Mittelalters die Schalksnarren bei

gesellte, damit die Geißel der Satyre und des Spottes auch dem gekrönten Haupte nicht fehle und damit eine kernige Individualität unter solcher Einwirkung zu voller Reife gelangen könne. Gewiß es fehlt eine wesentlich fördernde Einwirkung, wenn dem Menschen auf keine Weise dergleichen Spiken und Neckflammen in den Weg geworfen werden und es kann der Entwickelung fürstlicher Personen unserer Zeit keineswegs zum Vortheil gereichen, daß Ales, was nach solchen scheinbaren Hemmnissen schmeckt, ihnen überall sorgfältig aus dem Wege geräumt wird. - Kopf und Herz erstarken unter Gegenwirkungen dieser Art wie leibliche Bildung und Gesundheit sich stählen muß, wenn der Mensch nicht allein hinter dem warmen Ofen und unter weichen Bedeckungen schonend gehalten, sondern wenn er zeitig in Kampf gegen oft unfreundlich andringende Elemente geführt und geübt wird, und gewiß weniger oft würde man über Fürsten sich beklagen hören, könnte ihrem Leben dieses wohlthuende Element sarkastisch anregender Widersacher auf geeignete und genügende Weise zugetheilt werden. - Man sage nicht, es fehle den Fürsten in unserer Zeit die Opposition keineswegs, da überall das Prinzip der Demokratie ihnen entschieden entgegenzutreten sucht; das alles ist keineswegs, was wir oben gemeint waren. - Eine vollkommen feindliche Gegenwirkung kann zwar zuweilen auch erstarken, öfter aber nur erbittern oder lähmen; dahingegen die sarkastische Geiselung unserer wirklichen Schwächen von einem uns doch im Grunde Wohlgesinnten, nie ohne kräftigende ermunternde anregende Wirkung bleibt und gegen das Unglück der Selbstgefälligkeit am besten bewahrt. → Wie gesagt, Göthe vermiste glücklicherweise nicht in seinem Leben eine Einwirkung dieser Art; und was ihm für den Augenblick zuweilen widerwärtige, ja schmerzhafte Empfindungen hervorgebracht haben mag, erkannte er späterhin selbst ganz entschieden als fördernd und heilsam für Entfaltung seines geistigen Lebens. -

Wir wollen und können hier nicht in das Einzelne der Schilderung dieser verschiednen feindlich freundlichen Einwirkungen eingehen, denn diese Blätter sollen nur denen bestimmt sein, denen Göthe schon aus seinen Werken bekannt ist; und in seinen Werken, namentlich in seinem Leben und in seinen Tages- und Jahresheften, findet sich alles, was hierhin gehört, auf's deutlichste vor; aber ich empfehle allen Denen, welchen es wahrhaft darum zu thun ist, Göthe's Wesen sich deutlich zu machen, daß sie einmal seine Werke besonders in dieser Beziehung durchgehen wollen. - Ein eigenthüm= liches merkwürdiges psychologisches Schauspiel werden sie sich damit bereiten. - Man gewahrt nämlich, zumal in dem noch jungen Göthe, eine gewisse Weichheit, eine bei den lebendigsten Flügelschlägen des Genius oft mancherlei Unvollkommenheiten und Schwächen darbietende Eigenthümlichkeit. Dieses mitunter molluskenartig schwankende unreife Wesen, aus dem doch wiederum hie und da die hellsten Strahlen. des Genius aufleuchten (so etwa geben gerade die weichsten fast formlosen Geschöpfe des Meeres das hellste Meeresleuchten), hat den Tadlern Göthe's immer das breiteste Feld gegeben, welche den jungen Mann nur als wohl= durchgebildeten Gymnasiasten und als fleißigen, zum ernsten Geschäfts- und Ehemann sich vorbereitenden Studiosus ih= res Beifalls würdig gefunden hätten. Dergleichen Leute bedenken nicht, daß der Krystall, der zu schnell erhärtet, sich nicht weiter fortbilden kann und daß eben eine gewisse jugendliche Formlosigkeit, Unstätigkeit und Weichheit allein es möglich macht, daß eine lange fortgehende Entwickelung die höhere Vollendung des Ganzen endlich herbeiführt. Aber bleibend durfte freilich sich jenes Weichliche und Unreise nicht erhalten, fortgedrängt mußte der Geist werden von Stufe zu Stufe, immer weiter hinan gegen seine höhere und höchste Entfaltung, und dazu bedurfte es zwar tausend günstiger wohlwollender Einwirkungen aber auch mancher scharfer und reizender Berührungen; so etwa hat man in neuerer Zeit gefunden, daß ein junger Baum, wenn er rasch und kräftig emporwachsen soll, zwar der Wohlthat geeigneten Bodens und Clima's wie günstiger Pflege und Witterung bedarf, daß er aber fast um das sechsfache seiner Entwickelung gefördert werden kann, wenn ihm statt reinen Wassers ein Wasser zugeführt wird, dem die Schärfe des Chlor's in rechtem Maße beigemischt worden war.

Bei alle dem darf man nicht verkennen, daß auch auf spätere Zeiten in Göthe's Leben hinaus, dieser Kampf einer innern Weichheit gegen äußere antagonistische Einwirkungen sich behauptet hat; für das Verständniß jenes ablehnenden, förmlichen, ministeriellen Wesens, welches gerade dem Dichter so oft verargt worden ist und welches nicht nur als Nothwehr gegen unbedeutende Ueberlästige gebraucht wurde, sondern oft auch ganz tüchtige, aber etwas heterogene Naturen (man denke an Bürger) widerwärtig berührte, mag diese Betrachtung sehr wichtig genannt werden. - Oft drehte sich sogar hier das Verhältniß um; Göthe, im Gefühl der innern Weichheit, verbarg sich unter der härtern Schale der Förmlichkeit und drückte und reizte dadurch

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