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rege Thätigkeit entfaltet. König Wilhelm verstand den Einfluß derartiger Männer wohl zu schäßen und es kann daher nicht Wunder nehmen, daß dem Vorschlage des Leonberger Amtsbürgermeisters volle Beachtung im königlichen Kabinette zu teil wurde. Schon unter dem 1. April 1818 erfolgte eine königliche Entschließung, durch welche Hoffmann aufgefordert wurde 1. einen genaueren Entwurf für die Einrichtung solcher Gemeinden vorzu- 6 legen, 2. anzugeben, wie viel Personen etwa auf diese Weise zurückgehalten werden könnten. Indem Hoffmann den zweiten Auftrag ablehnte, in welchem er gewissermaßen eine Falle erblickte, durch welche er sich als Agitator verraten würde (es waren etwa 5000 Personen, welche bei seinen Vertrauensmännern sich einzeichneten), reichte er unter dem 14. April einen Entwurf ein, der sich ausdrücklich auf den Vorgang der Brüdergemeinde bezog. 10 Hatte die lettere doch sogar unter dem autokratischen Regiment des Königs Friedrich 1806 in dem später an Baden abgetretenen Königsfeld Aufnahme gefunden.

Allein dieser raschen Einleitung der Sache entsprach nicht ebenso der Fortgang. Bei Prüfung des vorgelegten Entwurfs konkurrierten viele Behörden, mancher Widerstand war zu überwinden, so daß die allseitige Entscheidung erheblich länger auf sich warten ließ, als 15 die Ungeduld der Beteiligten für nötig hielt. Obgleich Hoffmann anfangs es abgelehnt hatte, von sich aus eine Bekanntmachung des Planes zu besorgen, um sich keinen allzugroßen Anlauf auf den Hals zu laden, ein späterer Versuch aber, durch eine Zeitungsnotiz den Stand der Dinge bekannt zu machen, von der Vorsicht der Redaktion des Schwäb. Merkurs zurückgewiesen wurde, so konnte es doch nicht fehlen, daß die betr. Brüderkreise 20 davon unterrichtet wurden und in dem Hungerjahre 1817 die Auswanderungslustigen_mit der Frage: ob gehen oder warten" den Urheber des Gedankens hart bedrängten. Doch erst unter dem 8. September 1818 erfolgte die königliche Entschließung, wodurch einer etiva sich bildenden religiös-politischen Gemeinde die Erteilung eines Privilegiums zugesichert wurde. Ursprünglich scheint H. Hohenheim ins Auge gefaßt zu haben, aber für 25 diesen günstiger gelegenen Ort erhielt er die königliche Genehmigung nicht. So erfolgte die Erwerbung des Görlitzschen Rittergutes Kornthal am 12. Januar 1819, am 22. Aug. 1819 die Fundationsurkunde und am 7. November desselben Jahres die Einweihung des Betsals der Gemeinde.

Bei den Verhandlungen, welche auf diese Weise zum Abschluß kamen, war Hoffmann 30 natürlich nur in Verbindung mit den übrigen Führern des Pietismus vorgegangen. Jnsbesondere war es der Eingangs erwähnte Michael Hahn, der als ebenbürtige Macht Hoffmann zur Seite stand und zum Vorsteher der neuen Gemeinde designiert war, aber unmittelbar nach dem Erwerb von Kornthal starb.

Schon die Gemeinschaft dieses Mannes würde es erklären, daß der Gemeinde ein 35 umfassenderer Zweck gegeben wurde, als er in der ursprünglichen Hoffmannschen Motivierung gefordert schien. Nicht der Gedanke, die altlutherische reine Lehre vor der Gefährdung durch halb oder ganz rationalistische Kirchenbehörden zu beschirmen, trat als die Gemeindeordnung bestimmend hervor, sondern vielmehr die von Anfang an im Pietismus lebende Idee der Realisierung einer Gemeinde von Bekehrten. Hatte sich der ältere Pie- 40 tismus mit der Realisierung dieser Idee in den Konventikeln begnügt, so trat dagegen in der Hahnschen Abteilung eine gewisse Opposition gegen die Kirche hervor, die teils schon darin begründet war, daß an ihrer Spize ein Laie stand, der sich durch das Privilegium der Geistlichen zur Übung des Lehramtes beengt sah, teils in einem dem theosophischen Lehrgebäude Hahns inhärierenden asketisch-gesetzlichen Zug, der die Gemeinschaft von Hand- 45 habung der Zucht abhängig machen wollte, und sich auch mehr oder weniger deutlich_in einem Gegensatz zu dem Geist der kirchlichen Lehre wußte, endlich in dem apokalyptischen Glauben an die unmittelbare Zukunft des Herrn, auf die man sich nur durch Sammlung der Gläubigen recht vorbereiten könne. Dieser lettere Zug war dem schwäbischen Pietismus gemeinsam und die Auswanderungszüge nach Rußland verfolgten, wie wir sahen, 50 nicht nur den negativen Zweck, dem Gewissenszwange sich zu entziehen, sondern auch den positiven, dem Schauplah der kommenden Katastrophe näher zu stehen. Von diesem Gesichtspunkte aus war auch Hoffmann einem relativen Separatismus nicht abgeneigt, hat er doch auch sein Leben lang die Kirche, ihre Vertreter und ihre Wissenschaft nur als Hindernisse alles Fortschritts im Reiche Gottes beurteilt! Sodann hatte auch die Brüder- 55 gemeinde genügend auf ihn gewirkt, um ihm die Ausgestaltung des christlichen Lebens in einem Gemeindeorganismus zu einem wünschenswerten Ideal zu machen. Namentlich reizte ihn auch das Vorbild der Brüdergemeinde auf industriellem und pädagogischem Gebiete. Der Gedanke, aus der Gemeinde eine Mustergemeinde in gewerblichen Unternehmungen zu machen und durch Erziehungsanstalten ihr einen Einfluß auf das Volksleben so

zu sichern, spielt bei ihm eine große Rolle. So kam es denn, daß, wenn auch von teilweise verschiedenen Gesichtspunkten aus, doch die zwei Strömungen des Pietismus — die mehr theosophisch-separatistische und die mehr orthodor-kirchliche sich bei dieser Gründung die Hand reichten. Zum Erweis der Gemeinschaft der neuen Gemeinde mit der Landes5 kirche wurde ausdrücklich die Augustana als Bekenntnis derselben vorgelegt, jedoch je mit Weglassung der Verwerfung der secus docentes. Es wurde sogar ein eigener Paragraph aufgenommen, welcher den Abscheu der Gemeinde gegen allen Religionshaß kund geben sollte. Daneben sollte die Gemeinde dann allerdings von aller Unterordnung unter das Konsistorium befreit und durch Vermittelung der Kreisregierung lediglich dem 10 Kultusministerium unterstellt sein, um so jeder Gefahr der Aufdrängung moderner kirchlicher Bücher und rationalisierender Einwirkung auf den Unterricht in Kirche und Schule enthoben zu sein. Doch wurde die Festhaltung an den älteren kirchlichen Büchern nicht in dem Maße premiert und sanktioniert, wie man nach der unmittelbaren Veranlassung ihrer Bildung hätte erwarten können. Es zeigte sich schon auf diesen Punkten, daß nicht 15 das Interesse der Orthodoxie, der Lehrreinheit oder des kirchlichen Archaismus sozusagen der Nerv der Bewegung war, sondern das pietistische, das allerdings den biblischen Supranaturalismus zur Voraussetzung hat, aber zum eigentlichen Zielpunkt die religiöse und sittliche Lebensgestaltung. Es ist das Ideal einer apostolisch lebendigen Gemeinde, das angestrebt wird, die Geseze der Bergpredigt sollen als das Gesetz der Gemeinde gelten. 20 Das geht mit aller Deutlichkeit hervor aus dem Verfassungsentwurf, welchen Michael Hahn für die Gemeinde Kornthal 1817 verfertigt hat (Bd XII sr. ges. Werke). Darum find auch in dem Statut am ausführlichsten die Punkte behandelt, welche sich auf Übung der Kirchenzucht, namentlich auf Aufnahme und Ausschluß aus der Gemeinde beziehen. Es waren auch diejenigen Punkte, welche die längsten Verhandlungen nötig machten. 25 Nicht nur war diese Frage mit allgemeinen Rechtsfragen kompliziert, sondern schien auch geeignet, in ethischer Hinsicht Bedenken zu erregen. In ersterer Beziehung kam einmal in Betracht, daß man die aus der Zugehörigkeit zur Gemeinde folgenden Rechtsansprüche der einzelnen von seiten des Staates nicht den Aussprüchen eines kirchlichen Sittengerichtes preisgeben konnte. Die Genossenschaft konnte also ihr Ausschließungs- resp. Aufnahmerecht 30 nur so sichern, daß sie ihre Glieder verpflichtete, ein bürgerlich rechtliches Domizil in einer andern Gemeinde festzuhalten. Sofern aber der Ausschluß aus der Gemeinde auch eine Besißveränderung notwendig machen konnte, hatten die Gründer von Anfang an die Einrichtung vorgeschlagen, daß die Genossenschaft als solche den Komplex der Güter, die zur Gemeinde gehören, nicht nur erwerbe, sondern auch sich das Vorkaufsrecht bei Abgabe der 35 einzelnen Parzellen den Käufern gegenüber vorbehalte, so daß die letteren, falls fie, namentlich wegen Ausschlusses aus der Gemeinde, ihre Liegenschaft zu veräußern, gezwungen wären, wofern kein anderer der Gemeinde genehme Käufer sich finden sollte, dieselbe an die Genossenschaft abzugeben hätten. Aber diese Bestimmung erhielt die Zustimmung doch nur unter der Voraussetzung, daß eventuell, wenn der Verkäufer sich bei diesem 40 Modus benachteiligt halten sollte, der Weg an die ordentlichen Gerichte vorbehalten bleiben müsse. In moralischer Hinsicht wurde beanstandet, daß die Gemeinde sich nicht nur vorbehalten wollte, die Annahme fremder Dienstboten von ihrer Zustimmung abhängig zu machen, bezw. ihre Entlassung zu fordern, sondern auch die Familie zur Entfernung von Familienangehörigen anzuhalten, welche mit den Ordnungen der Gemeinde sich im Wider45 spruch befänden. Die Staatsbehörde blieb wenigstens bei der Forderung stehen, daß die Einwirkung in dieser Beziehung nicht über einen guten Rat hinausgehen dürfe. Sofern die übrigen Zuchtmaßregeln überall die Freiwilligkeit der Gemeindeglieder, welche die Statuten unterschrieben hatten, zur Voraussetzung hatten und nicht mit obrigkeitlicher Zwangsgewalt ihre Durchführung forderten, gaben sie zu Bedenken weniger Anlaß. Die Forderung 50 der Befreiung vom Kriegsdienst gegen eine entsprechende Abgabe konnte zwar im allge= meinen nicht zugestanden werden, war aber unter den obwaltenden Verhältnissen insofern gegenstandslos, als in jedem einzelnen Falle der Loskauf statthaft war. Dagegen wurde die Ersehung des Eides durch Handtreue den Gemeindegenossen zugestanden. Das Zusammenfallen der kirchlichen und politischen Gemeinde in einem Maße, wie es selbst bei 65 unseren staatskirchlichen Zuständen sonst nicht erhört war, sollte nicht ausschließen, daß der Gemeindevorstand die gewöhnlichen Funktionen des württembergischen Schultheißen und das Altestenkollegium die des politischen Gemeinderats übernehmen und beide in dieser Richtung den ordentlichen politischen Behörden unterstellt sein sollten.

In kirchlicher Beziehung wurde die Berufung eines ordentlichen Geistlichen festgesezt, 60 dem auch die gemischt kirchlich-politischen Geschäfte der Schulinspektion, des Ehewesens, der

Führung der Kirchenbücher, übertragen werden sollten und dessen Amtsführung nach dieser Seite hin der Aufsicht der staatskirchlichen Organe unterstellt sein sollte, wobei von seiten der Gemeinde nur der Vorbehalt gemacht wurde, daß bezüglich der Anstellung des Lehrers und des Gebrauchs der kirchlichen Lehrbücher in den Schulen ihre Selbstständigkeit ge= wahrt bleiben und sie in dieser Beziehung lediglich der allgemeinen Staatsaufsicht unter 5 geben sein sollte. Der spezifisch pietistische Zug verriet sich in der Forderung, daß außer in den ordentlichen Gottesdiensten auch die Laien das Recht der Erbauung der Gemeinde haben sollten.

Dieser wichtigste Teil des Gemeindestatuts, aus dem wir hiermit die Hauptpunkte angeführt, enthält offenbar das Ideal einer pietistischen Gemeinde, und es wird dies noch deutlicher, wenn man hinzunimmt, daß die Kirchenzucht insbesondere auch auf Kleidung, 10 Nahrung, Lektüre ausgedehnt werden sollte. Dieser Teil des Gemeindestatuts dürfte auch ganz besonders auf die Einwirkung Michael Hahns zurückzuführen sein. Als das den beiden Teilen gemeinsame Dogma aber, welches für die Forderung der Herstellung der Zucht gewissermaßen die Basis abgab, ist der Chiliasmus anzusehen. Die Gemeinde sollte ja nicht etwa nur ein Bergungsort vor einer rationalistischen Liturgie, sondern vor den 15 unmittelbar bevorstehenden antichristlichen Kämpfen sein, und zwar nur ein vorläufiger (etliche Kornthaler zogen später doch noch nach Rußland). Die etwas leichte Bauart der Häuser in der neuen Ansiedelung soll sich der Sage nach nicht nur aus dem Drang der Umstände und dem Streben nach Billigkeit, sondern auch aus der Überzeugung erklären, daß bis zu der bevorstehenden Weltkatastrophe auch der leichteste Bau ausreiche. Gewissermaßen 20 als drittes Element neben dem Interesse der Abwehr des rationalisierenden Staatskirchentums und der Herstellung einer reinen Gemeinde machte sich bei Einrichtung Kornthals das Vorbild der Brüdergemeinde geltend, das namentlich auf Hoffmann einen großen Reiz ausübte. Nicht nur in der Herübernahme etlicher liturgischer Einrichtungen, in dem Ges danken der Bildung von Chören machte sich dieses Vorbild geltend, sondern vor allem 25 auch darin, daß die Gemeinde die pädagogische Aufgabe, wie sie in den Anstalten der Brüdergemeinde mit so viel Erfolg behandelt wurde, in Angriff nehmen, daß sie eine Missionsanstalt, Druckerei u. s. w. errichten sollte und in industrieller Beziehung in dem damals noch ziemlich industrielosen Württemberg eine besondere Bedeutung zu erringen fich bemühen sollte. Freilich gerade von diesen letteren Plänen Hoffmanns, dessen san- 30 guinisches Temperament für hochfliegende Projekte eine besondere Neigung verriet, trat wenig ins Leben. Wie es im wesentlichen bei der Einen Gemeinde blieb und der durch Hahn und das Beispiel der Brüdergemeinde angeregte Gedanke eine weitere Ausdehnung des hier verwirklichten Ideals zu suchen, nicht zur Ausführung kam, so gingen auch die versuchten industriellen Unternehmungen klanglos unter. Hatte Hoffmann in seinen Ein- 35 gaben wiederholt darauf hingewiesen, daß solche Gemeinden an,,großen Kommerzialstraßen" errichtet werden müssen, so petitionierte dagegen im 5. Jahrzehnt ihres Bestandes die Gemeinde um Verschonung mit einer Eisenbahnstation, welche Bitte ihr freilich ebensowenig gewährt wurde, als ehemals der Play an einer großen Kommerzialstraße eingeräumt worden war. Nicht einmal eine eigene Druckerei wurde eingerichtet. Am ehesten noch 40 fanden die pädagogischen Pläne Verwirklichung, namentlich die beiden Anstalten für Töchter höherer und mittlerer Stände erfreuten sich zeitweise eines bedeutenden Rufes. Die Veranstaltungen zur Ausbildung der männlichen Jugend nahmen etwas wechselnde Gestalt an, ihre Ziele und Einrichtungen waren nicht immer denen der übrigen Schulen des Landes angepaßt, die nötigen Lehrkräfte nicht immer zu finden, es waren daher mehr auswärtige 45 Schüler, namentlich auch aus der Schweiz, welche den hier bestehenden Anstalten anvertraut wurden. Immerhin darf der langjährigen ersprießlichen Wirksamkeit von Professor Pfleiderer am Knabeninstitut mit Anerkennung gedacht werden. Die jetzige, nach staatlichen Anforderungen eingerichtete Lateinschule steht ebenbürtig neben ähnlichen Anstalten. Die Missionsgedanken, wie sie im Pietismus lebten, waren wenige Jahre vor der Grün- 50 dung der Gemeinde Kornthal in Basel zur Realisierung gekommen, ein etwaiger Versuch, in Kornthal eine Missionsanstalt zu gründen, würde zu einer Konkurrenz mit Basel ge= führt haben. Nur durch Einrichtung eines Missionsfestes, das als volle Gemeindefeier, nicht nur im Nebengottesdienst gehalten wird, konnte sich die besondere Beziehung der Gemeinde zur Heidenmission einen Ausdruck verschaffen.

Dagegen nahm die Gemeinde durch Errichtung einer der ersten Rettungsanstalten für verwahrloste Kinder an den beginnenden Arbeiten für innere Mission vorbildlichen Anteil (vgl. H. Schmidt: Die innere Mission in Württemberg, 1879, S. 52 ff.).

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Wie die äußere Mission ihr Fest an dem in Württemberg noch kirchlich gefeierten Epiphanienfest feiert, so hat die innere ihren Festtag an dem gleichfalls noch kirchlich be- un

gangenen Gedächtnistag des Zebedaiden Jakobus (25. Juli). Daß diese Festfeiern mehr als ähnliche an anderen Orten auch Fremde anziehen, erklärt sich eben daraus, daß dieselben hier vollständige Gemeindefeiern sind. Das ist überhaupt der Reiz, den diese Gemeinde ausübt, daß religiös gestimmte Gemüter sich hier in einer durchaus gleichartigen 5 Atmosphäre befinden, in einer Atmosphäre, in welcher man sich nicht durch auffallende Erscheinungen weltlichen Sinnes plöglich gestört fühlt. Darum wird die Gemeinde auch jezt noch gerne als Rückzugsort von älteren Personen, die ihre Lebensarbeit hinter sich haben, aufgesucht. Früher geschah das auch etwa von solchen, welche zeitweise eine geistliche Luftkur gebrauchen wollten.

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10 Am Anfang freilich und damit nehmen wir den Faden geschichtlicher Entwickelung wieder auf war das Leben naturgemäß ein bewegteres, die Bedeutung der Gemeinde eine eingreifendere als jezt. Als die Gemeinde im Jahre 1819 ihre Gottesdienste anfangs im Saale des herrschaftlichen Schlosses, aber bald in dem nach dem Muster der Brüdergemeinden eingerichteten sehr einfachen Betsaal zu halten begann, berief sie zu ihrem ersten 15 Geistlichen den wegen Renitenz gegen das neue Kirchenbuch abgesetzten Pfarrer Friederich von Winzerhausen, zugleich einen Vertreter des Chiliasmus und zwar in seiner gröbsten Gestalt. Als Vorsteher trat trot anfänglicher Weigerung naturgemäß Hoffmann an die Spitze, nachdem der erst dazu bestimmte Hahn gestorben war. Es war natürlich, daß die Bewegung, welche zur Gründung der Gemeinde geführt hatte, namentlich in dem ersten 20 Jahrzehnt stark fortflutete. Die Gründung der Gemeinde hatte eine ganze Broschürenlitteratur hervorgerufen. Die rationalisierenden Kreise insbesondere innerhalb der Geistlichkeit konnten nur mit Widerwillen dieses Produkt des Pietismus und Mysticismus“ ansehen sie erwarteten nichts anderes, als daß die Greuel des Mysticismus hier nun zum Ausbruch kommen würden und daß jedenfalls dem Lichte heilsamer Aufklärung von einem solchen 25 Site der Finsternis her Gefahr drohe. Aber auch die milderen Supranaturalisten der Storrschen Schule wie Steudel und Bahnmaier, ja auch ein Dann und der aus dem Kirchendienst ausgetretene Dekan K. Fr. Harttmann, sahen nicht ohne Bedenken dem Unternehmen zu. Sofern sie in dem Pietismus ein Salz der Kirche erkannten, fürchteten sie, daß die Landeskirche durch solche Gemeindebildungen ein Gut verliere, und sofern sie am Pietismus etwas Extra30 vagantes erkannten, fürchteten sie nicht mit Unrecht die Gefahr der Verstärkung der Einseitigkeiten. Diese Angriffe und Bedenken dienten natürlich nur dazu, den Eifer der unmittelbar beteiligten Kreise und namentlich ihrer jugendlichen Freunde anzuregen, wie des damals noch auf der Universität befindlichen Gottlob Barth, des später berühmt gewor denen Gründers des Calwer Verlagsvereins. Da eine Anzahl der originellsten und be35 kanntesten Mitglieder der Gemeinschaften altpietistischer und Hahnscher Öbservanz in der Gemeinde ihren Wohnsitz aufschlugen, so wurde Kornthal schon deswegen ein Wallfahrtsort für diejenigen Glieder der Gemeinschaften, welche noch in ihrer alten Heimat geblieben und wie die Vorsteher Kornthals sich einen Rat auswärtiger Brüder als oberste Instanz gewissermaßen beigesellten, so sahen andererseits die Gemeinschaften ihr Haupt40 quartier in dieser neuen Gemeinde und die Furcht, es möchte das Salz des Pietismus in zu großem Umfange den übrigen Gemeinden entzogen werden, war insofern unbegründet, als vielmehr der Pietismus durch diese Gründung auch anderwärts ein höheres Selbstbewußtsein gewann. Mit den eigentlichen ausgesprochenen Mitgliedern suchten viele andere ernstere Christen die Gemeinde auf, um den Segen einer Erbauung zu erfahren, wie sie 45 ihnen in manchen Gemeinden der Landeskirche in damaligen Zeiten versagt war. Und endlich war selbstverständlich auch die Zahl der Neugierigen nicht gering, welche die Wunderdinge, die hier sich begaben und die Eigentümlichkeit des herrschenden religiösen Lebens kennen lernen wollten, so daß es uns nicht wundern kann, wenn ein Teil der vorher schon mißtrauisch gesinnten Geistlichkeit sich über diesen Zulauf beschwerte und namentlich wegen 50 Zulassung auswärtiger Gemeindegenossen zum Abendmahl in Kornthal Verhandlungen mit der Oberkirchenbehörde mehrfach veranlaßt wurden.

waren

Daß trotz des Zusammenflusses religiös eigentümlich gerichteter Persönlichkeiten teils zu dauerndem, teils zu vorübergehendem Aufenthalt, eigentlich schwärmerische Ausschreitungen nicht vorkamen, erscheint um so bemerkenswerter, da in der chiliastischen Stimmung 65 der Gemüter, in dem ungezügelten Subjektivismus der schwäbischen Pietisten Zündstoff genug vorhanden war, den das Auftreten des aus der evangelischen Bewegung in der katholischen Kirche Bayerns bekannt gewordenen Lindl wirklich im Jahre 1831 zur Erplosion zu bringen drohte. Es ist ein Zeugnis von einem bedeutenden áoιoua xvBɛorýoews, das dem Vorsteher Hoffmann innewohnte, daß es ihm gelang, die gären60 den Geister in dieser Jugendzeit der Gemeinde in leidlicher Zucht und Ordnung zu erhalten.

Das organisatorische Talent des Mannes wurde freilich nicht nur nach der inneren Seite bezüglich der Leitung der Geister in Anspruch genommen, auch die äußerlichen Ordnungen, deren die Gemeinde bedurfte, die manchfachen Einrichtungen für die Erziehung u.s. w., die er selbst als Aufgabe für die Gemeinde geltend gemacht hatte, stellten große Anforde rungen an ihn. Insbesondere war es aber die Einrichtung einer zweiten Gemeinde, die 6 ihm viel zu schaffen machte. Versuche weitere Gemeinden zu gründen waren selbstverständlich ins Auge gefaßt worden. Aber der Widerstand der Regierung war unterdessen erstarkt. Nur wenn zugleich eine Kulturaufgabe damit gelöst werden könne, sollte die Errichtung einer zweiten Gemeinde gestattet werden. König Wilhelm, der offenbar durch die Auseinandersehung der volkswirtschaftlichen Vorteile, die solche Gemeinden versprechen, 10 in Hoffmanns erster Denkschrift sehr angenehm berührt war, hatte nun den Gedanken gefaßt, eine Moorgegend Oberschwabens durch den Fleiß seiner Pietisten zu fruchtbarem Lande umgestalten zu lassen. Er bot daher der Gemeinde Kornthal die Überlassung dieser Gegend und die Erteilung der gleichen Privilegien wie sie Kornthal genoß, an. Hoffmann wagte nicht nein zu sagen und mochte in seiner sanguinischen Art auch allerlei Hoffnungen 15 daran knüpfen. So wurde denn mitten im katholischen Oberschwaben 1824 die Gemeinde Wilhelmsdorf gegründet. Doch wurde diese Gründung für die Muttergemeinde zur schweren Last. Nicht der Drang, der die Pietisten nach Kornthal geführt hatte, führte fie auch nach Wilhelmsdorf. Die sich dort ansiedelten, betrachteten diesen Schritt als ein Opfer. Es waren durchschnittlich die ärmsten Glieder, die zu dem Opfer sich entschlossen. 20 Fernab von allem Verkehr nicht nur mit der Muttergemeinde und den Pietistenbrüdern, sondern von allem Verkehr überhaupt gelegen, erregte diese Gründung auch nicht die Teilnahme, die das mitten im Herz des Landes gelegene Kornthal gefunden. Nur mit großen und schweren Opfern konnte der Gemeinde ihr Bestehen gesichert werden, bis sie im Jahre 1852 ihre Verbindung mit Kornthal löste und in die Reihe der gewöhnlichen 25 politischen Gemeinden eintrat, sie ist wohl vom Konsistorium exemt wie Kornthal, aber in anderer Hinsicht, z. B. Schule, nicht privilegiert wie dieses. Übrigens hat auch Wilhelmsdorf durch seine Erziehungsanstalten sich einen guten Namen gemacht.

Eine zweite Periode in der Geschichte der Gemeinde dürfen wir wohl von dem Eintritt des zweiten Geistlichen an datieren. Nach Pfarrer Friedrichs Tod 1827 wurde 30 das Amt zunächst interimistisch versehen. Nun aber wurde aus der Landeskirche heraus Anfang 1833 ein Mann berufen, der spätere Stiftsprediger und Prälat Dr. v. Kapff, der mit den Ordnungen dieser Kirche nicht wie sein Vorgänger in einen Konflikt geraten war, der kein prinzipielles Hindernis gefunden hätte, auch in den Dienst der Landeskirche zu treten. Schon diese Thatsache ließ den Gedanken an einen schon vorhandenen oder 35 sich erst nach und nach heraus bildenden Gegensatz zwischen der Gemeinde und der Kirche, von der sie ausgegangen war, zurücktreten. Etwaige separatistische Gelüste innerhalb der Gemeinde wurden dadurch gewissermaßen dementiert. Es ist denn auch, obgleich mit Vorsicht, vom Konsistorium den Geistlichen Kapff und Staudt gestattet worden was anfangs streng verweigert war, Zulassung von Auswärtigen zu Abendmahlsgenuß, Kon- 40 firmationsunterricht und -Handlung. So auch dem gegenwärtigen Geistlichen, doch in stets widerruflicher Weise. Die Erinnerung an die mißtrauische Behandlung, welche die Gemeindeglieder von seite der staatskirchlichen Behörden erfahren hatten, erblaßte und nachdem die Aufgaben der Gründung in den Hintergrund getreten waren, das Leben der Gemeinde regelmäßigere Bahnen gefunden hatte, trat unter der Einwirkung eines Geistlichen, der 45 durch seinen Ursprung wie durch seine fortwährende Verbindung mit dem Leben der Landeskirche geeignet war, die Zucht eines größeren kirchlichen Gemeinwesens auf die Gemeinde überzutragen, die Gefahr religiöser Extravaganz zurück. Hatten die Pietisten nach jener apokalyptischen Berechnung Bengels im Jahre 1836 die große Katastrophe erwartet, so diente der ruhige Verlauf dieses Jahres dazu, die chiliastischen Erwartungen zu dämpfen. 60 Auf der anderen Seite zog auch im Laufe der anderthalb Jahrzehnte von 1831-48 in der Landeskirche ein neuer Geist ein Nach dem im Jahre 1829 erfolgten Tode des Hauptvertreters kirchlicher Neologie in der Oberkirchenbehörde traten Männer in dieselbe ein, welche man zum Teil schon als Vertrauensmänner des Pietismus bezeichnen konnte. War L. Hofackers gewaltiger Zeugenmund auch frühe verstummt, so traten in dem Jahr- 55 zehnt von 1830-40 nach und nach Söhne eines neuen lebendigen Geistes in der Landeskirche auf man darf nur an einen A. Knapp, W. Hofacker, Chr. Dettinger erinnern. Die religiöse Wärme des Pietismus machte sich innerhalb der Kirche immer fühlbarer, namentlich auch in den Bestrebungen für Erneuerung der Liturgie und des Gesangbuchs Bestrebungen, die im Jahre 1841 zum Ziele führten und im wesentlichen eine Rückkehr 60

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