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Es gibt gar keine Wahrheit, die nicht irgendwie dem Mißverständniß ausgeseßt wäre. Das Wort „Unfehlbarkeit“ fann im Sinne von Fehler- oder Sündelosigkeit genommen werden, und aus der nun dogmatisch definirten Wahrheit, daß Christus die oberste kirchliche Regierungsgewalt und zugleich mit ihr die Gabe der Unfehlbarkeit unmittelbar der Person des Apostels Petrus und in ihm seinen Nachfolgern verliehen habe, hat man jenes furchtbare Schreckbild. gemacht, das unter dem Namen einer „persönlichen“ Unfehlbarkeit so Viele in ihrer Ruhe stört. Sollen wir etwa eine zum richtigen Verständniß des Dogma nothwendige Wahrheit aus dem Kreis unserer Besprechungen bloß darum ausschließen, weil sie der Eine oder Andere mißverstanden hat? Darum gerade ist eine Verständigung darüber doppelt nothwendig. Uebrigens haben bereits mehrere der Hochwürdigsten Bischöfe Deutschlands in ihren jüngsten Hirtenschreiben jene landläufigen Mißverständnisse, wogegen auch wir nicht versäumt haben, unsere Leser sicher zu stellen, so energisch zurückgewiesen, daß von dieser Seite keine Gefahr mehr vernünftigerweise gefürchtet werden kann. Die Furcht vor etwaigen Mißverständnissen darf uns daher nicht von dem Versuch abhalten, ein tieferes Verständniß des Dogma auf wissenschaftlichem Wege und mit Berücksichtigung der modernen Bedürfnisse nach dem bescheidenen Maße unserer Kräfte wenigstens anzubahnen.

Der Kern der Frage liegt in Folgendem. Die päpstliche Unfehlbarkeit ist eine Amtsgnade des Papstes, sie ist ganz untrennbar von seiner Stellung als Oberhaupt der Kirche, und kommt ihm daher gerade so zu, wie die päpstliche Würde überhaupt. Ist nun der Papst - darum dreht sich die Frage das Haupt der Kirche und besißt er die hiezu erforderlichen Vollmachten durch unmittelbare Verleihung

Christi, oder wird ihm diese Würde und Gewalt erst durch die Kirche übertragen? Im erstern Fall ist er der unmittelbare, persönliche Inhaber der Vollmacht, die Glaubensund Sittenlehre für die ganze Kirche endgültig festzustellen, und weil er diese Vollmacht unabhängig von der Kirche besigt, so ist er auch in ihrem Gebrauche von der Zustimmung der Bischöfe unabhängig. Diese Unabhängigkeit oder die aus sich selber endgültige Kraft der päpstlichen Lehrentscheidungen führt aber zu keiner Trennung von Papst und Kirche, es bekundet sich darin vielmehr gerade umgekehrt ihre innigste Vereinigung, oder diese ist so innig und so tief im Wesen der Kirche begründet, daß bei keiner Thätigkeit ihres Hauptes, bei keiner Amtshandlung, welche der Papst als solcher und vermöge seiner höchsten apostolischen Autorität vollbringt, die Mitwirkung der Kirche ausgeschlossen ist; die Lehrentscheidungen des Papstes, wodurch er als Haupt der Kirche seines Amtes waltet, sind ihrem innersten Wesen nach zugleich Lebensacte der Kirche selber, und eben darum sind sie aus sich selber unabänderlich.

Schon die einfache Bestimmung, daß die päpstliche Unfehlbarkeit eine Amtsgnade sei, schließt die Vorstellung aus, als bestehe jenes persönliche Vorrecht des Papstes in einer besondern Charaktereigenschaft. Beruhen etwa alle persönlichen Rechte eines Mannes, alle Befugnisse einer Person, auf einer Eigenart seines Charakters? Ist nicht die Person auch der Inhaber solcher Eigenschaften, welche mit ihrem Charakter schlechterdings nicht zusammenhängen? Obschon die Gabe der Unfehlbarkeit, wie dem Apostel Petrus, so auch seinem Nachfolger persönlich verliehen wird, so ist sie doch keine besondere Geistesanlage, keine seiner Persönlichkeit inhärirende Bestimmtheit; was vielmehr den Papst in Glanbenssachen unfehlbar macht, das ist zunächst und vorzüglich

etwas außer ihm Liegendes, das Gebet Christi, daß der Glaube Petri nicht abnehme; auf Grund dieser göttlichen Verheißung wacht eine besondere Vorsehung Gottes über dem Nachfolger Petri, und wenn es dem göttlichen Rathschluß gemäß zu einer Glaubensentscheidung kommen soll, so wird hiezu dem Papste ein besonderer Beistand Gottes zu Theil und bestimmt ihn durch eine innerliche Bewegung seines Geistes zur Anwendung der ordentlichen, sachgemäßen Mittel, wodurch überhaupt in solchen Fragen die Erkenntniß der Wahrheit auf gewöhnliche Weise erzielt wird. Die päpstliche Unfehlbarkeit beruht auf keiner Inspiration.

Der Inhaber dieser päpstlichen Amtsgnade ist die Person des Papstes, und nur in jedem einzelnen Papst ist das oberste, apostolische Lehramt der Kirche eine geschichtliche Wirklichkeit. Daher ist der Versuch, das Lehramt des Papstes von seiner Person zu trennen, gerade so unstatthaft, als die kaum zurückgewiesene Vorstellung, daß die wesentliche Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramts der menschlichen Persönlichkeit des Papstes als solcher inhärire. Nicht als menschliche Privatperson besigt der Papst die Unfehlbarkeit, sondern als Papst allein, jedoch gerade als Papst ist er ihr persönlicher Inhaber, denn weder existirt das Papstthum außer seiner Person, noch gibt es in der Kirche mehr als Einen Papst. Die leßten Consequenzen jener abstracten Trennung des päpstlichen Lehramts von der Person des Papstes, jenes künstlichen Dualismus zwischen dem Papst als solchem (der Person des Papstes) und seiner Unfehlbarkeit, wolle man zuvor in unserer Schrift nachsehen, und dann mache man sich darüber schlüssig, ob von jenem abstracten Standpunkt aus eine ersprießliche Behandlung dieses Gegenstandes möglich sei.

Nächst dem Inhaber der kirchlichen Unfehlbarkeit ist es die Frage über ihren Gegenstand, welche heutzutage am

meisten die Geister bewegt. Wem unsere Behandlung dieser im eminenten Sinne zeitgemäßen und praktischen, unter diesem Gesichtspunkte in Deutschland noch wenig erörterten Frage vielleicht etwas befremdlich vorkommen möchte, dem diene zur Nachricht, daß darüber in andern Ländern, in England zumal, in jüngster Zeit die eingehendsten Verhandlungen gepflogen worden sind, und daß ihre Ergebnisse mit unserer eigenen Auffassung vollständig übereinstimmen 1. Uebrigens bedarf sie nach den neuesten Erklärungen des kirchlichen Lehramts (wofern wir diese richtig verstehen) keiner weitern Empfehlung.

Außer für die Rechte der Autorität kämpft unsere Schrift für die ächte Geistesfreiheit, denn diese findet gerade in der wahren (unfehlbaren) Autorität den einzig wirksamen Schutz gegen eine unberechtigte Beschränkung durch falsche, bloß scheinbare Autoritäten, welche sich gewöhnlich dazu um so stärker versucht fühlen, je zweifelhafter ihre eigenen Rechtstitel sind.

Freiburg, im Oktober 1870.

1 Ich nenne hier bloß die Schrift: When does the Church speak infallibly? or the nature and scope of the Church's teaching office by Thomas Francis Knox, sowie die kleine Abhandlung von Ward, De infallibilitatis extensione.

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