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gekehrt dieses selber ist für die dogmatische Definition maßgebend.

Dies wäre das gerade Gegentheil von dem, was St. Thomas lehrt, daß bei der Glaubenserkenntniß stattfinde. Diese würde nicht durch das kirchliche Lehramt erst allmählich ihrer Vollkommenheit zugeführt, sondern da nach dieser Auffassung gerade umgekehrt der Glaube der Einzelnen die Nichtschnur der kirchlichen Lehrentscheidungen bildete, so besäße der menschliche Geist unabhängig vom kirchlichen Lehramt die volle Erkenntniß der Glaubenswahrheit. Dagegen lehrt bekanntlich St. Thomas, daß bei der Glaubenserkenntniß der menschliche Geist durch den bewirkenden Einfluß Gottes eine höhere, ihm zuvor noch fehlende Vollkommenheit erlange, und daraus eben folgert er die allmähliche Vervollkommnung der Glaubenserkenntniß in der Gesammtheit der Gläubigen durch den bewirkenden Einfluß Gottes, der hiezu das kirchliche Lehramt als sein Werkzeug gebraucht 1.

Jene Differenz in der Auffassung des kirchlichen Lehramts geht sohin tiefer, als bei oberflächlicher Betrachtung der Sache scheinen mag; sie entspringt schließlich aus einer abweichenden Ansicht über das Wesen und die bewirkende Ursache des christlichen Glaubens, und man ersieht daraus die hohe Wichtigkeit der wissenschaftlichen Kämpfe über diesen Lehrpunkt, welche sich durch das ganze leht verflossene Decennium hindurchziehen. Auf dem Boden der Gnadenlehre, auf welchem sich mehr oder weniger alle religiösen Controversen der Gegenwart bewegen, liegt auch die lette Wurzel der entgegengesetzten Ansichten über den Inhaber des kirchlichen Lehramts, welche in jüngster Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.

1 In manifestatione autem fidei Deus est sicut agens, homo autem est sicut materia recipiens influxum Dei agentis; et ideo oportuit quod ab imperfectis ad perfectum procederet cognitio fidei in hominibus.

Beruft man sich aber zu Gunsten der Ansicht, daß das Kriterium der Glaubenswahrheit in der Uebereinstimmung aller Gläubigen liege, auf die Unveränderlichkeit des christlichen Glaubens, so ist bereits der hl. Thomas diesem Einwurf mit der Bemerkung entgegengetreten, durch eine neue Glaubensdefinition werde der Glaube nicht seiner Substanz nach verändert, sondern der dadurch bewirkte dogmatische Fortschritt betreffe bloß die Erkenntniß des an sich unveränderlichen, göttlich geoffenbarten Glaubensgegenstandes. Die Kirche erklärt dabei kraft ihrer göttlichen Sendung, daß zum Inhalt der göttlichen Offenbarung auch eine bestimmte Wahrheit gehöre, von welcher dieses bisher noch nicht allgemein anerkannt war.

Eine auf diese Weise dogmatisch definirte Wahrheit ist schon vor ihrer Definition Gegenstand des Glaubens gewesen, weil sie nämlich überhaupt in der Offenbarung enthalten ist, so hat sich zu jeder Zeit die gläubige Annahme der Offenbarung auch auf diese bestimmte Wahrheit erstreckt, obschon nicht Allen bisher bekannt war, daß auch sie zur Offenbarung gehöre, denn daß auf diese Weise (implicite sagen die Theologen) eine Wahrheit Gegenstand des christlichen Glaubens sein könne, hiezu ist die Erkenntniß ihres Geoffenbartseins nicht nothwendig, sondern es genügt, daß sie in andern Glaubenswahrheiten eingeschlossen sei. Weil also die kirchliche Definition einer Glaubenswahrheit an ihrem objectiven Verhältniß zur Offenbarung nichts ändert, oder weil die Kirche keine neuen Offenbarungen empfängt, so wird unmöglich erst durch ihre kirchliche Definition eine bestimmte Wahrheit auch an sich zur Glaubenswahrheit, sondern jene bewirkt bloß, daß sie als solche oder als zum Glaubensinhalt gehörig von Allen erkannt werde. Eine erst später definirte Wahrheit wird aber vor ihrer Definition nicht nothwendig von Allen bloß implicite geglaubt, sondern sie konnte auch schon damals ausdrücklich oder explicite geglaubt werden und mußte es von allen, welche davon, daß sie in

der Offenbarung enthalten sei, eine hinreichende Erkenntniß hatten. Da diese Erkenntniß und damit die Verpflichtung daran zu glauben durch die kirchliche Erklärung darüber eine allgemeine wird, so übt die lettere auf das Glaubensbewußtsein der Kirche einen bestimmenden Einfluß aus, und nicht das Gegentheil, wie man behauptet hat, entspricht der Wahrheit.

Eine neue kirchliche Glaubensdefinition stimmt daher zwar an sich und ihrem sachlichen Inhalt nach nothwendig immer mit dem vorhandenen Glaubensbewußtsein überein, dieses aber ist keineswegs ihre Norm, oder wenn es sich darum handelt, den allgemeinen Glauben der Kirche in eine lehrhafte Form zu bringen, was durch die Glaubensdefinitionen geschieht, so richten sich dabei diese Definitionen nicht nach dem vorhandenen Glaubensbewußtsein, denn nicht die allgemeine Nebereinstimmung aller Gläubigen ist die oberste Glaubensregel, sondern umgekehrt diese wird durch die Lehraussprüche der unfehlbaren Kirche gebildet. Also weit entfernt davon, daß sich die Kirche in ihren Glaubensentscheidungen nach der allgemeinen Ueberzeugung aller Gläubigen richten muß, ist sie vielmehr durch ihre Lehrentscheidungen die Ursache davon, daß sich über gewisse Lehrpunkte, welche bisher noch nicht allgemein angenommen waren, eine allgemeine Ueberzeugung bildet. Der Stiftung Christi gemäß soll eben durch diese Lehrentscheidungen die Einheit der Kirche erhalten werden, und deßhalb steht das Recht, Glaubensfragen endgültig zu entscheiden, der Lehre des hl. Thomas gemäß allein dem Papste zu; das sichtbare Haupt der Gesammtkirche ist zugleich die stets lebendige Wurzel ihrer sichtbaren Einheit.

VIII. Die Glaubensregel des hl. Vincenz von Lerin.

Die Vertheidiger der Ansicht, daß ein Concil bloß dieses als Glaubenswahrheit zu erklären befugt sei, was immer

allgemein dafür gehalten wurde, berufen sich auf den bekannten. Ausspruch des Hl. Vincenz von Lerin, um katholisch zu lehren, müsse man sich, wie schon das Wort „katholisch" anzeige, an das halten, was überall, immer und von Allen geglaubt worden sei1. Will etwa damit der hl. Vincenz dem kirchlichen Lehramt die Gränze seiner Befugniß vorzeichnen? Seine Mahnung richtet sich nicht an die Inhaber der kirchlichen Lehrgewalt, sondern an die einzelnen Gläubigen, welchen er einen sichern Weg zeigen will, um die katholische Wahrheit von häretischen Lehren zu unterscheiden. Die sichern Kennzeichen der katholischen Lehre sind ihm die Allgemeinheit, das Alter und die Uebereinstimmung. Um dem erstern Erforderniß der Allgemeinheit gerecht zu werden, oder um katholisch zu lehren, muß man den Glauben, wozu sich die ganze Kirche bekennt, für den allein wahren halten, wer zweitens im Geiste der Alten lehren will, der darf nicht von der feststehenden Lehre der Heiligen und Väter abweichen, und weil auch im kirchlichen Alterthum selber eine gewisse Meinungsverschiedenheit bemerkbar ist, so muß man endlich drittens der übereinstimmenden Ansicht der Alten oder derjenigen den Vorzug geben, welche von allen Lehrern gutgeheißen wird oder doch wenigstens die meisten Autoritäten für sich hat 2. Die katholische Lehre ist nothwendig an sich

1 Commonit. cap. 2: In ipsa item catholica Ecclesia magnopere curandum est, ut id teneamus, quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est; hoc est etenim vere proprieque catholi cum, quod ipsa vis nominis ratioque declarat, quae omnia fere universaliter comprehendit.

2 L. c. Sed hoc ita demum fiet, si sequamur universitatem, antiquitatem, consensionem. Sequemur autem universitatem hoc modo, si hanc unam fidem veram esse fateamur, quam tota per orbem terrarum confitetur Ecclesia; antiquitatem vero ita, si ab his sensibus nullatenus recedamus, quos sanctos majores ac patres nostros celebrasse manifestum est; consensionem quoque itidem, si in ipsa vetustate omnium vel certe paene omnium sacerdotum pariter. et magistrorum definitiones sententiasque sectemur.

die allgemeine, die alte und diejenige, worin alle Heiligen und Väter übereinstimmen. Ist es aber nothwendig, daß sie auch als solche immer allgemein erkannt werde? Oder mit andern Worten: ist nur das katholisch und kann nur das durch die Kirche als Dogma erklärt werden, was bereitszuvor allgemein dafür gehalten wurde?

Der hl. Vincenz spricht bloß von der Uebereinstimmung der Heiligen und Kirchenlehrer. Fürwahr im Widerspruch mit ihrer übereinstimmenden Lehre wird niemals der Papst ein Dogma definiren. Obschon indessen was katholisch sein soll, nothwendig zugleich die übereinstimmende Lehre der Heiligen ist, so wird doch diese Uebereinstimmung dadurch nicht aufgehoben, daß der eine oder andere Heilige dagegen ist, wie sich z. B. der hl. Cyprian gegen die unzweifelhaft katholische und später zum Dogma erhobene Lehre von der Gültigkeit der Kezertaufe erklärt hat, und wenn daher der vereinzelte Widerspruch auch eines Heiligen gegen eine bestimmte Lehre nicht zu verhindern vermag, daß sie dogmatisch definirt werde, so verhindert dies noch viel weniger der Widerspruch von einer Seite her, wo man keine der Eigenschaften wahrnimmt, welche nach der Ansicht des Hl. Vincenz von Lerin einer theologischen Richtung ein besonderes Ansehen zu verschaffen geeignet sind, weder eine hervorragende Liebe zur Kirche noch das gewissenhafte Streben nach Uebereinstimmung mit der bewährten Lehre des christlichen Alterthums.

Auch die große Zahl der Gegner einer Lehre thut für sich allein ihrer Katholicität keinen Eintrag. Das Gift der arianischen Keßerei, bemerkt der hl. Vincenz, hatte nicht etwa bloß einen kleinen Bruchtheil der Kirche, sondern fast den ganzen christlichen Erdkreis angesteckt, und fast alle Bischöfe lateinischer Zunge waren theils durch Gewalt theils durch List dahin geführt worden, daß sich allmählich ihre theologische Erkenntniß verdunkelte 1. Aehnlich verhielt es sich mit der

1 Ibid. cap. 4: Item quando Arianorum venenum non jam

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