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eine umgekehrte Bewegung begonnen. Der rastlosen Zertheilung des Landes und Volks in immer kleinere Splitter trat endlich wieder ein Einigungstrieb gegenüber, der fast gleichzeitig auf allen mächtigeren Sammelpunkten der Herrschaft rege und von der öffentlichen Meinung unterstützt wurde. Denn man fühlte und ahnte es, dass die Kleinstaaterei mit ihrem Geschlepp an Rechten und Formen nimmermehr genüge, damit ein grosses Volk sich auslebe und seiner Kräfte froh werde. Ganz von selbst ging jeder mächtigere Fürst darauf aus, seine Lande zu vergrössern, und jedes Stück, jedes Anrechtstheilchen an Gerichtsbarkeit, an Lehenrecht, an Landstandschaft, an Patronatsrecht, an Schutzherrlichkeit alles wurde geschickt benutzt, um Ansprüche auf Forst und Weide, Fisch- und Mühlwasser, Dörfer und Pflegen, Städte und Länder zu erheben. Es entstanden endlose Streitigkeiten Verhandlungen Schiedssprüche und Verträge, und sorgfältig suchte Jeder seine verbrieften Rechte zusammen und hielt. die Urkunden wohl verborgen. Die Archivgewölbe wurden Rüstkammern für Waffen des Angriffs und der Vertheidigung. Sie füllten sich mit Pergamenten gross und klein und mit schriftlichen Beweisen ohne Ende. Fortan legte sich das Geheimniss mit schwerem Schloss und Riegel vor die Archive, und wenn der Archivar in's »Briefgewölbe<< hinabstieg, sah er scheu sich um, ob ihm auch Jemand folge.

Zu gleicher Zeit empfingen die Archive einen dritten Bestandtheil, der mit jedem Jahrhundert in die Breite wuchs. konnte den Aufgaben der Zeit ohne eine Menge Beamte nicht mehr genügen. Je mehr die politische, administrative, richterliche Thätigkeit für das ganze Land sich am Hofe des Fürsten konzentrirte, um so grösser wurden nothgedrungen Zahl und Arten der Behörden, die er zur Regierung brauchte: beständig schälten sich neue aus den bestehenden heraus. Beamte aber fühlen ihre Verantwortlichkeit dem Fürsten, den Landständen, der Oeffentlichkeit gegenüber: sie suchten sich also zu decken, indem sie alles schriftlich machten. Das siegreiche Eindringen aber des römischen Rechts, welches das alte ehrbare Herkommen zersetzte, machte ebenso ein bloss mündliches wie rasches Verhandeln unmöglich. Schon das Pergament musste sich im fünfzehnten Jahrhundert hergeben zu langen Rechtsausführungen. Sobald aber mit Verbreitung des Papiers der Schreibstoff so billig und das Schreiben selbst so leicht wurde, gab man gleich die ganze Folgereihe der Verhandlungen schriftlich, während früher

bloss ihr Schlussergebniss beurkundet wurde. Wo man früher in Wachstafelbüchlein die Leistungen der Pflichtigen eintrug und wegwischte, da legte man jetzt Foliantenreihen von Grund- und Lagerbüchern an. So entstanden bei hohen und niedern Behörden Aktenarchive, und als die Akten, welche sich über die allgemeinen Landesangelegenheiten verbreiteten, zu den fürstlichen Archiven hinzutraten, ergab es sich aus der Natur der Sache, dass man das geheime Haus- von dem Kanzleiarchiv, archivum secretum und archivum cancellariae, wie Struve sie nannte 1), zu scheiden anfing.

Stets aber umhüllte der alte Archivcharakter noch mit seinen dunkeln Schatten die Ansammlungen von Urkunden und Akten: ohne Heimlichkeit und siebenfache Schlösser liess kein Archiv sich denken. Erlangte ein Forscher aus besondern Gnaden Eintritt, so hatte er sich mit dem zu begnügen, was man ihm vorlegte, und durfte schon eilen, dass er mit der Durchsicht fertig werde. Was er aufschrieb, musste er vorzeigen, damit man befinde, ob er's mitnehmen könne. Musste aber der Archivar Schriftstücke aus seinem Gewölbe herauslassen, so begleitete er sie in eigener Person, legte sie vor, erklärte sie, und brachte sie zum Verschluss zurück.

II. Aenderungen der Neuzeit.

Zu Ende des vorigen Jahrhunderts wurde das Staatswesen von Grund aus umgestaltet. Die Ideen, die in weit vorblickenden Geistern bis auf Friedrich den Grossen und Joseph II. gezündet hatten, brachen sich in der französischen Umwälzung gewaltsam Bahn und überflutheten die Völker in unwiderstehlicher Strömung. Der Staat schied von sich ab, was ihm von der Natur des Haus- und Familienvermögens anhing, der Staat wurde Hort und Meister für alle und durch alle, wurde der durchgreifende Gesetzgeber und Ordner, Wächter und Richter für die mannigfachsten Lebenskreise. Jetzt konnte sich in Deutschland die Menge der Stäätchen nicht mehr halten: Bisthümer und Abteien, Ritter- und Ordenslande, Reichsstädte und Fürstenthümer wurden von den grösseren Staaten verschlungen. Auch die Landstädte, die Klöster, die Schul- Dom- und andere Stiftungen, selbst viele geistliche und weltliche Genossenschaften mussten ihr selbständig Leben, häufig sogar ihren Güter

1) Corp. jur. publ. c. 30, §. 22.

bestand dem Staate zum Opfer bringen. Noch nicht genug, auch im Güterrecht der Privaten ging eine tiefgreifende Aenderung vor sich aus den Banden und Lasten der lehns- und gutsherrlichen Verstrickung schälte sich aller Orten das freie klare Grundeigenthum hervor.

Die natürliche Folge war, dass der Staat jetzt eine Menge von Organen bedurfte und sich schaffte. Verwaltung und Gericht schieden sich. Die Ministerien zogen gegen einander scharfe Gränzlinien, und in den Ministerien sonderten sich verschiedenartige Amtsgebiete aus. Ueberall griff der Grundsatz der Arbeitstheilung durch, und jedes Amtsgebiet erzog sich fortan seine eigenen Beamten, die für das Fach wissenschaftlich und praktisch eingeschult wurden.

Und die Archive? Alles änderte sich, sie allein änderten sich nicht.

Die Archive waren und blieben der schriftliche Niederschlag jeder Thätigkeit der öffentlichen Gewalten und jedes Theilchens einer Staatsgewalt, sie waren und blieben auch deren stete Begleiter, Rath- und Beweisgeber: sie hätten also mit der Neugestaltung des Staatswesens sich ebenfalls neuformen und ihre eigene Verwaltung bekommen müssen. Es erfolgte aber in den meisten Ländern nichts weiter, als dass der Staat die Archive der Säkularisirten und Mediatisirten einzog und zusammenlegte.

Diese vielen kleinen Archive hätten nun zum organischen Ganzen gegliedert werden müssen, gleichwie der Staat die Landesgebiete, deren historisches Leben sich in ihren Archiven abgeprägt hatte, in seine Provinzen einschmolz. Sie verharrten aber, das war die Regel, im hergebrachten Zustande eines todten Nebeneinander.

Das ganze Staatswesen wurde konstitutionell: nur in dem Theil, welcher die Landesarchive umfasst, blieb etwas von der alten Staatsanschauung hartnäckig festsitzen.

Ja, die Archive verblieben auch gewöhnlich in Bausch und Bogen unter den Ministerien des k. Hauses und der auswärtigen Angelegenheiten, wenn auch ihr Hauptinhalt längst eigentliche Landessachen umfasste, und obgleich die nachbarlichen Differenzen, die einst in den Archiven soviel Gesandtschaftsberichte Streitakten und Verhandlungen aufhäuften, längst und für immer verstummt waren; denn die feindlichen Nachbarn waren ausgelöscht aus dem Buche der Lebendigen und ihre Länder einverleibt.

Zu gleicher Zeit hatte sich in der historischen Wissenschaft eine

neue Macht erhoben, die ganz andere Ansprüche an die Archive stellte, als alle Forschung ehedem. Sie zertheilte sich in politische Geschichte, Rechtsgeschichte, Kirchengeschichte, Kunst-, Kultur-, und Wirthschaftsgeschichte, sie erzog sich neue Hülfswissenschaften in der Paläographie, Diplomatik, Heraldik, Sphragistik, Genealogie und Statistik, und von all diesen Gebieten griffen die Forscher tief in die Archive hinein und wandten suchend und prüfend manches Blatt um, ob es ihnen Stoff gebe. Die Wissenschaft verschmähete es, länger von blossen Ideen und hergebrachten Ueberlieferungen zu leben: sie wollte die Thatsachen aus ihren unmittelbaren schriftlichen Zeugnissen erforschen und vergleichen.

Man hätte denken sollen, gegenüber diesem zehnfach gesteigerten wissenschaftlichen Werth, gegenüber diesen hundertfach gesteigerten Anforderungen hätten die Archive neues Leben bekommen, hätten durch vielvermehrte Thätigkeit sich aufhellen müssen bis in ihre Tiefen. Was erfolgte? Die Wissenschaft hatte einigen Vortheil davon, dass ihr die alten Reichs- Kriegs- und Religions-Geschichten sammt den Archiven alter Bisthümer Stifte Klöster und Reichsstädte zugänglicher wurden. Im Ganzen und Grossen aber beharrten die meisten Archive als unbewegliche todte Massen, und nicht wenige hüllen sich mit ihren ältesten, wie mit ihren neuesten Urkunden noch immer in ein Geheimniss, das zuweilen groteske Formen annimmt.

III. Zerstreuung von Archiven.

In der Revolutionszeit aber gestalteten sich die archivalischen Zustände noch viel bedenklicher.

Vor hundert Jahren besassen noch jedes Stift und Kloster, jede Stadt und Genossenschaft, jeder grosse und kleine Fürst ihr Archiv, und sie hielten alle grosse Stücke darauf, nicht bloss um der Beweise ihrer Besitzrechte und Freiheiten willen, sondern schon aus alter Gewohnheit, aus Achtung vor dem Altüberlieferten, aus Ehrund Selbstgefühl. Wenn auch ängstlich gehütet und verschlossen hatte doch jedes Archiv das Seinige wohl beisammen, und war es an seinem Heimathsorte zu finden.

Jetzt brausete der revolutionäre Sturm daher, entwurzelte die alten historischen Stämme, brach ihre Wipfel, warf sie über und durcheinander. Neue Herren kamen über die Archive und fühlten natürlich wenig von der Scheu und Achtung, mit welcher sie die

Eigenthümer betrachtet hatten. Alle politischen und grundherrlichen Verhältnisse schienen sich umzuwälzen: wozu ihre schriftlichen Taufscheine noch länger bewahren? Ja, es erfasste die meisten Menschen ein wahrer Hass gegen die alten Schriften und Pergamente, die Beweise und Stützen der Feudalherrlichkeit. Es ist gar nicht zu sagen, wieviel kostbare Archivalien in der Zeit von 1802 bis 1815 verkauft, verschleudert, für immer zu Grunde gegangen. Der alte Gerichtsdirektor Wigand, der die Grundlagen zur westfälischen Rechtsgeschichte legte, pflegte zu erzählen, wie er selbst es mitangesehen, dass grosse Aerntewagen unter die Fenster der fürstlichen Abtei Corvey gefahren; die Leitern seien mit Leintüchern ausgeschlagen gewesen, als hätte man Rübsaat vom Felde holen wollen; aus den Fenstern seien die Urkunden kunterbunt hinunter geschüttet; Wagen auf Wagen voll sei fortgefahren zu den Magazinen der jüdischen Händler. Welches deutsche Land oder Ländchen wüsste nicht ähnliche Geschichten vom Untergang alter Archivschätze zu erzählen!

Nicht wenigen Archiven schlug gerade die Sorge, sie zu retten, zum Verderben aus. In den langen Kriegsunruhen fürchtete man bald hier bald dort den Einfall räuberischer Feinde, dann trieb die alte Vorstellung vom Geheimniss der Archive zur Flucht mit ihnen. Gleich nach der Schatzkammer kam das Archiv auf die Rettungswagen. In Hast und Eile wurde verladen, die Schriftstücke geriethen durch einander, und öfter griff man zu unbedeutenden Aktenmassen und liess die schönen Kodizes im Stiche. Nun ging's bei Nacht und Nebel von dannen, bis man in ein befreundetes Land kam, und häufig waren die Kisten irgendwo kaum nothdürftig geborgen, als der Feind schon nachrückte, das Flüchten von neuem begann, und der Transport zuletzt aufgefangen oder hierhin und dorthin verschleppt wurde.

Nur zwei Beispiele aus der Rheinpfalz. »Nach Nachrichten vom bischöflichen Ordinariat in Speyer ist das alte Archiv des Domkapitels zu Speyer zur Zeit der französischen Revolution nach Karlsruhe gekommen<< 1). Mit dem Wesentlichsten des fürstlich Zweibrücker Archivs flüchtete Bachmann im Jahr 1793 erst nach Mannheim; ein Jahr später suchte er Sicherheit für einen Theil in Heilbronn, für den andern in Anspach; erst nach dreijährigem Exil kehrte das

1) Burkhardt Hand- und Adressbuch der deutschen Archive. Leipzig 1875, Seite 2.

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