Obrazy na stronie
PDF
ePub

Das ist von dem alten diplomatischen Ladenhüter selbstverständlich, wie es auch kein Geheimniß ist, daß die Petersburger Verständigung unter der Einsegnung aus Berlin stattgefunden hat. Der Hymnus des Ministers auf dieses ,,eminente Bollwerk des Friedens" erweckte indeß auf der Einen Seite unangenehme Erinnerungen. Ein czechischer Delegirter sagte: „Der Draht zwischen St. Petersburg und Berlin war zerrissen, jedoch erfuhr die staunende Welt vor noch nicht langer Zeit, daß derselbe unterirdisch wieder angeknüpft wurde durch den Neutralitäts- oder RückversicherungsVertrag zwischen Deutschland und Rußland. Welchen Nugen hätte Desterreich damals aus dem Dreibund gezogen, wenn es von Rußland angegriffen worden wäre? Entweder wußten unsere Staatsmänner von dem deutsch-russischen NeutralitätsVertrag, dann hätte man den Dreibund nicht verlängern sollen, oder sie wußten es nicht, dann hätte man ihn sofort, nachdem man von diesem Vertrag erfuhr, kündigen sollen. Zum Glück ergab sich nun ein Ausweg: das ist die Entente mit Rußland." Die Czechen, schloß er, haben ihre Ansicht über den Dreibund festgehalten, aber er habe nun seine gefährliche Spize verloren. Ueber die diesem Beifall ent sprechenden Auslassungen des Prager Hauptblattes der Partei wurde berichtet:

„Die Narodni Listy schreiben: Vielleicht noch niemals sind in den Delegationen Thatsachen von so enormer Tragweite mitgetheilt worden wie heute. Man muß dem Chef der gemeinsamen österreichischen Regierung das Zeugniß ausstellen, daß das von ihm aufgerollte Bild ein interessantes und fesselndes ist, daß es Detailmalerei ist und daß darin das Bestreben des größten Verismus zutage tritt. Wir verzeichnen das heutige denkwürdige Exposé des Grafen Goluchowski mit aufrichtiger Genugthuung. Durch dasselbe wird eine Politik des Wiener Kabinets gegenüber dem St. Petersburger verdolmetscht, welche von unsrer Partei in den Delegationen seit dem Jahre 1892 befürwortet wurde Vor fünf Jahren waren unsre Delegirten

auf diesem Standpunkt isolirt. Nach fünf Jahren hat sich der= selbe Geltung verschafft. Was wir immer wieder betont haben, daß auf der Balkanhalbinsel Desterreich Ungarn und Rußland keine diametral entgegengeseßten Interessen haben und daß sie dort Freunde sein können, das ist heute ein Fundamentalartikel des österreichisch russischen, wenn auch ungeschriebenen Vertrags. Was Graf Ignatiew vor 20 Jahren angestrebt, was natürlich und logisch gewesen, ist nun zur That geworden und OesterreichUngarn und Rußland haben einander gefunden. Wir begrüßen diese Wendung im Interesse Desterreich-Ungarns und aller seiner Bewohner, im Interesse des Fortschritts und der Zukunft der Balkanvölker und Staaten, wir begrüßen sie aber auch im Interesse der Erhaltung des allen Europäern theuersten Gutes, der Ruhe und des Friedens. Für die Aeußerungen Goluchowski's über den unwandelbaren Fortbestand des Dreibunds und der engen Freundschaft der drei in demselben vereinten Herrscher und Nationen hat das in panslavistischen Ideen befangene Tschechenblatt natürlich kein Wort der Sympathie und Zustimmung übrig".1)

Mehr oder weniger versteckt wird auch von russischen Stimmen betont, daß der endliche Anschluß an Rußland für Desterreich die Befreiung von gewissen Fesseln gegenüber dem neuen Deutschland sei. „Nachdem Desterreich-Ungarn," jagte die „Nowoja Wremja“, „sich aufrichtig Rußland genähert, und neben dem Dreibunde und dem französischrussischen Bunde ein österreichisch-russisches Einvernehmen in der Orientfrage bestehe, habe es die Möglichkeit erhalten, im europäischen Concert nicht nur eine wirksame, sondern auch eine hervorragende Rolle zu spielen." 2) Noch deutlicher spricht sich dasselbe Blatt aus: „Es läßt sich nicht verkennen, daß die Gesammtheit der internationalen Ereignisse im Allgemeinen und die der orientalischen im Besonderen in der lezten Zeit wohl im Stande waren, den politischen

1) Münchener „Allg. Zeitung“ vom 23. November d. Is 2) Berliner „Germania“ vom 25. November d. Js

Kreisen von Wien und Budapest die Erkenntniß beizubringen, es sei für sie weit vortheilhafter, auf der politischen Arena gemeinsam mit Rußland vorzugehen, als sich in einem beständigen geheimen Antagonismus zu dieser Macht zu befinden. So lange dieser geheime Antagonismus existirte, hat Desterreich-Ungarn thatsächlich im Dreibund nur eine Rolle zweiten Ranges gespielt, und es konnte auch nicht anders seyn, da es für den Fall irgend eines ernsteren Confliktes mit unserem Vaterlande die Unterstügung Deutschlands werth halten mußte. Berlin diktirte Wien seinen Willen, indem es stets daran erinnerte, daß Oesterreich-Ungarn nur unter der Bedingung voller Unterwürfigkeit gegen die Forderungen Deutschlands die oben erwähnte Unterstützung erwarten könne." 1)

Bei dem erdrückenden Erfolg, den der Minister mit seinen Auseinandersetzungen über die epochemachende Wendung“ seiner auswärtigen Politik, namentlich auch in der ungarischen Delegation einheimste, war es nicht zu verwundern, daß auf der Seite der Deutschnationalen eine merkliche Beklemmung herrschte. Mußten sie sich ja sagen, daß sie so lange in Wien an der Herrschaft waren und also nach dem für Herrn Goluchowski gespendeten Beifall auf diplomatischen Irrwegen. gewandelt seien. Nachdem der Czechenführer Dr. Stransky mit Begeisterung für das große historische Ereigniß der Aussöhnung Desterreichs mit Rußland" eingetreten war, erwiderte der deutsch-böhmische Delegirte Dr. Groß:

Wir können unmöglich die Meinung theilen, welche mein unmittelbarer Vorredner ausgesprochen hat, daß durch die Annäherung an Rußland der Dreibund seine Actualität verloren

Wir erblicken nach wie vor in demselben die unbedingte Grundfeste unserer auswärtigen Politik, und würden das geringste Abweichen von der Dreibund-Politik für gefährlich und verhängnißvoll halten, verhängnißvoll für den europäischen Frieden,

1) Münchener „Allg. Zeitung“ vom 5. December d. Is.

verhängnißvoll für die inneren Zustände Desterreichs. Deshalb muß ich auch der Befürchtung Ausdruck geben, daß der Wider pruch zwischen der panslavistischen inneren Politik und jener groß gedachten Friedenspolitik, welche in dem Dreibunde ihre Verkörperung findet, eine verhängnißvolle Rückwirkung auf den Bestand dieses Bündnisses ausüben könnte. In diesen Befürch= tungen bin ich noch mehr bestärkt worden durch die Ausführungen meines unmittelbaren Vorredners, welcher die freundschaftliche Annäherung an Rußland bereits als einen Sieg des Panslavismus zu betrachten scheint und einen wahren panslavistischen Panegyrikus angestimmt hat. So sehr wir die Verständigung mit Rußland als eine weitere Gewähr für die Erhaltung des Friedens begrüßen müssen, so dürfen wir uns doch nicht verhehlen, daß eine allzu weitgehende Annäherung nach jener Richtung nicht nur geeignet ist, die slavisirende Politik im Innern zu stärken, sondern unter Umständen auch eine Verstimmung zwischen den Mitgliedern des Dreibundes herbeizuführen geeignet wäre, und das umsomehr, als ja thatsächlich das Bündniß zwischen Rußland und Frankreich, welches der Minister mit Stillschweigen übergangen hat, besteht".

Auch davon war auf czechischer Seite der Delegation die Rede, daß gerade jetzt in einem großen Staate des Dreibunds ein tief zu bedauernder Vorstoß gegen das Polenthum erneuert werde." In denselben Tagen äußerte sich die angesehene „St. Petersburger Zeitung“ des Fürsten Uchtomsky in einer Weise, die bezeugte, daß man in Rußland den Ursprung des österreichischen Staates auf deutscher Grundlage bereits in den Wind schlägt.1) Der Fürst war Begleiter des Tzaren auf seiner ostasiatischen Reise und wird als sein besonderer Freund bezeichnet. Neuerlich ist er auch als Wortführer derjenigen Gruppe genannt, welche auf eine Versöhnung zwischen Polenthum und Ruffenthum hinarbeitet. im gesammtslavischen Interesse, und der auch der Czar selbst sympathisch gegenüberstehen soll. Ueber das neue Einvernehmen

1) Berliner „Kreuzzeitung“ vom 1. Dezember d. Js.

der im Orient zunächst betheiligten zwei Mächte", wie Goluchowski sagt, äußerte sich das Blatt zur selben Zeit:

„Ohne diese Aufhellung des Horizonts von russischer Seite, ohne die Sicherheit, daß in den Fragen, welche die Balkanhalbinsel betreffen, Rußland und Lesterreich Hand in Hand gehen, hätte weder die österreichische Regierung, noch die Volksvertretung in ihrer slavischen Majorität so kühn und so entscheidend die germanisirende deutschliberale Gruppe in Cisleithanien abwehren können, die gewohnt ist, ihren Stüßpunkt im Mißtrauen der österreichischen Staatsmänner gegen Rußland zu finden. Seit den historischen Besuchen der Kaiser von Rußland und Desterreich, weht eine andere Luft in Desterreich und es athmet sich leichter. Die Fruchtbarkeit dieser zweimaligen persönlichen Berührungen beider Monarchen, die direkt oder indirekt über alle slavischen Völker gebieten, liegt auf der Hand und wird mit jedem weiteren Schritte noch flarer zu Tage treten. Die polnische Nationalität in Desterreich und die polnischen Staatsmänner, die heute in Gemeinschaft mit den Tschechen die Geschicke Desterreichs bestimmen, haben sich ganz auf der Höhe ihrer Aufgabe gezeigt: von der cisleithanischen. Reichshälfte das Joch der deutschen Freundschaft und die germanisirenden Machinationen einer früheren Epoche abzustreifen. Schon allein der Entschluß, eine solche Aufgabe auf dem Boden des Dreibundes anzugreifen, zeigt klar, wie hoch die polnischen politischen Führer den Werth einer freundschaftlichen Annäherung Rußlands an Cesterreich schäzen. Andererseits beweist die ganze Politik der jezigen polnischen Führer Desterreichs, daß die Entfremdung des polnischen Elements vom laventhum, gleichsam die Gleichgültigkeit gegen die Zufunft der Slaven, die man mit Recht den polnischen Politikern der früheren Epoche vorwerfen konnte, sich heute umgewandelt hat zu ihrer völligen Solidarität mit dem Slaventhum und, wie der Versuch gezeigt hat, zur Bereitwilligkeit, mit ihnen offen und gemeinsam gegen das Joch der germanischen Culturträger zu kämpfen. Es kam für die Slaven Cesterreichs nur darauf an, den Hader zu vergessen, und sich zusammenzuthun, um die germanischen Knechter des Slaventhums gleich fühlen

« PoprzedniaDalej »