Obrazy na stronie
PDF
ePub

Positivismus zum psychologischen Determinismus, zur vollständigen Negation der persönlichen Freiheit gelangt ist, daß die moderne Psychologie zur vollendeten Selbstironie, zu einem lucus a non lucendo, zu einer Seelenlehre ohne Seele geworden ist. Von dieser Selbstironie, von dem Hohne, mit welchem ein moderner Geschichtschreiber der Ethik von der menschlichen Freiheit spricht, wollen wir gar nicht reden.

Wie einst in den Tagen der Sophistik, so lauten etwa die Worte des Verfassers, die jedem gründlichen Kenner der Gegenwart aus der Seele gesprochen sind, es den geistreichen Repräsentanten des griechischen Zeitgeistes gelungen ist, die Grundbegriffe und damit den Apparat des menschlichen Denkens ins Schwanken zu bringen und in ihr Gegentheil zu verkehren, wie damals die griechische Welt, der griechische Staat, das öffentliche Recht und die öffentliche Sitte, die Grenzen von Mein und Dein im Processe der Selbstauflösung sich befanden

bis ein Sokrates es versuchte, allgemeine Marksteine der Wahrheit, feste Grenzen des Tenfens, allgemein giltige Mittel des Sichverstehens die Begriffe aufzustellen: so ungefähr

befindet sich troß all der großen Entdeckungen, troß der Fortschritte, troß des Glanzes der Gegenwart, die eigentliche Geisteswelt der Gebildeten, die Philosophie in einem unheimlichen Schwanfen, in einem so vielfachen Chaos, daß nicht selten zwei Parteien mit denselben Worten das Entgegengesezte bezeichnen und das Verkehrte dabei denken. Wenn der gelehrte Trendelenburg in der Vorrede zu den Elementa Logices Aristoteleae auf die babylonische Sprachverwirrung der Gegenwart hinweist, so hat er kaum zu schwarz gesehen.

Die Behauptung des deutschen Philosophen beleuchtet der Verfasser vom culturhistorischen Standpunkte. Er zeigt, daß mit dieser so vielfachen Begriffsverwirrung der Verfall der Gesellschaft, der physischen und geistigen Gesundheit Hand in Hand geht, und daß durch den Mißbrauch der geistigen Güter der Fortschritt der Civilisation zum Unsegen und Fluche für die Gesellschaft wird, welche durch die tausendfachen Pfeile der Volkspresse durch und durch vergiftet, in ihrem Marke erkrankt und diese ihre Krankheit auf die Nachkommen vererbt, die nicht selten an diesem endemischen Siechthum dahinsterben.

Es ist die Eigenart der vergifteten falschen öffentlichen Meinung. daß sie ganz von selbst die jugendlichen Gemüther erfaßt und durchdringt und zerseßt, bis sie an deren Folgen dahinsiechen oder dem Verbrecherthum in die Arme fallen. Ideen, bemerkt der Verfasser einmal, sind keine Schnappmesser, welche ruhig in der Tasche liegen bleiben. Er hat ein scharfes Auge und eine reiche Erfahrung aus seiner nächsten Umgebung und versäumt es nicht, diese praktische Seite der Philosophie, welche den Begriff der Persönlichkeit, der Pflicht und der Verantwort= lichkeit über Bord geworfen, den Glauben an Gott und die Liebe zu den Menschen preisgegeben, und zulezt nur noch vom Hasse zehrt, zu beleuchten.

Wir leben heute, wie in den Tagen des Sokrates die Griechen, in einer Zeit des Ueberganges, der Krisen, in der man mit Freuden daran geht, die Schöpfung der Vergangenheit zu zertrümmern, ohne sich nur irgendwie darüber klar zu werden, was man an deren Stelle zu sehen im Stande ist, wir leben in einer Zeit, in welcher sich unläugbare Zeichen der moralischen Anämie zeigen.

Nun wird kurz ein Seitenblick auf die „Werke“ der alten Zeit, der christlichen Cultur gethan, welche ja, soweit sie Menschenwerk war, auch die Schwäche der Menschen an sich trug, im Ganzen aber für die Nationen ein Duell des Segens wurde.

„Achtzehn Jahrhunderte," ruft der Verfasser (S. 351), ,,haben die cultivirtesten Nationen von dem christlichen Glauben gelebt und gezehrt: von demselben Glauben, welcher die indoeuropäische Civilisation begründet, sie emporgebracht und entfaltet hat, demselben Glauben, welcher die herrlichsten Güter ins Leben gerufen. Nun, was geschieht jett? In den Augen der Forscher, deren Gedanke unser Jahrhundert beherrscht, hat dieses Glaubenssystem sein Recht verloren (ne compte plus). Es gibt nichts Uebernatürliches: Alles muß sein, Alles ist das Resultat der immanenten naturnothwendigen Evolution. Es gibt keinen persönlichen Gott, es gibt keinen obersten Richter, der im Jenseits die schreienden Gottlosigkeiten unter der blauen Himmelsdecke richtet, es gibt kein anderes Leben, wo der Gerechte einen Vater findet, der seine Thränen trocknet" u. s. w.

„Die Stimme des Gewissens ist eine Selbsttäuschung, Selbsttäuschung ist das Bewußtsein der Freiheit, der Pflicht, die Idee der Verantwortlichkeit, wie sie unsere Väter hatten, wie sie uns selbst in das Herz geschrieben ist. All das stürzt nieder bei den Worten der Philosophen unserer Tage“. Und nun wird mit eisernem Griffel und markiger Hand das Glück, der Segen der Religion des Positivismus geschildert in seiner ganzen Dede und Trostlosigkeit mit dem trübseligen Imperativ: „Du sollst dich dem All conformiren“, welcher seine Bekenner zuletzt zum Wahnsinn der Zerstörung zur Revolution, zum Anarchismus und Nihilismus führt.

Besonders in den lezten Kapiteln, welche die Aufschrift: „Der Begriff der Verantwortlichkeit", und: „Verantwortung und Wissenschaft" führen, offenbart sich der Verfasser als feuriger Apologet der christlichen Lebensordnung und Gesittung im direkten Widerspruch mit den Vertretern des Positivismus.

Damit hätten wir wohl die praktische Bedeutung, doch noch keineswegs den Hauptinhalt der geistreichen Schrift des Abbé Piat angedeutet. Dieser liegt auf dem eigentlichen Gebiete der Philosophie und besonders der Psychologie, welche wir für unseren Zweck nur ganz kurz andeuten und nebenbei berühren dürfen. Nachdem in der Einleitung der aktuelle Stand der Frage dargethan, die Gegensäße des Substanzialismus und Phänomenalismus charakterisirt sind, wird im ersten Buche die Natur der Perception, im zweiten das Wesen der Reflexion und im dritten der Begriff der Verantwortlichkeit mit ganz besonderer Beziehung auf die moderne positivistische Literatur

entwickelt.

Dem Positivisten gilt die menschliche Person, das Ich, lediglich als ein Complex variabler Faktoren, und daher haben. die Untersuchungen über Hypnotismus, Somnambulismus, Hysterie einen Ribot, Binet, Richet zu einer Lieblingstheorie der sog. Verdopplung des Ich geführt. Ohne nun das eigentlich Werthvolle dieser Untersuchungen in Frage zu stellen, wendet ich Piat mit großer Schärfe gegen diese Verdopplungstheorie und erklärt sie als eine durch die falsche positivistische Hypothese herbeigeführte Selbsttäuschung, welche Alterationen, Suggestionen, Ausdehnung und Ueberspannung des menschlichen

[blocks in formation]

Bewußtseins als eine Theilung resp. Verdopplung des untheilbaren, substanziellen Persönlichkeitsgrundes betrachten. Die Verdopplungshypothese wird als eine Folgerung aus einer fuschen Deutung von Thatsachen einerseits und aus einer falschen Prämisse des positivistischen Apriorismus anderseits erklärt. Die sog. fixen Ideen der Kranken lassen sich sehr wohl aus Störungen in den Nervencentren, aus traumatischen Zu ständen des Gehirns erklären, ohne daß es einer Spaltung des persönlichen Ich bedarf. Die moderne Psychologie hat das Causalgeset und die Metaphysik über Bord geworfen und daher ist all der Reichthum empiristischer Untersuchungen so zerfahren, eine solche Fülle von Widersprüchen.

Eine streng erfahrungsgemäße Psychologie und eine erafte Erkenntnißlehre das ist der Grundgedanke fann die Aktivität der menschlichen Seele nur unter dem Gesichtspunkt der Identität des Ichs, der substanziellen Persönlichkeit betrachten.

Der Grundgedanke der psychischen Aktivität führt nothwendig zu dem Begriff der Untheilbarkeit des menschlichen Geistes, der Person.

Wie der göttliche Plato den Sokrates einem Gorgias gegenüber die Bemerkung machen läßt, daß man Begriffe nicht schneiden und beißen, d. h. nicht als sinnliche, sondern als geistige Elemente und somit als einheitliche Ganze betrachten müsse: so sagt der Verfasser, daß der Akt der Reflexion nothwendig ein einheitliches, somit untheilbares Ich voraussezt. Jeder wirkliche Geistesaft seßt eine einheitliche Energie, ein einheitliches Ich – die Person voraus, die sich nicht halbiren und viertheilen oder in beliebige Aggregate und Zustände (states of mind) zersplittern läßt.

Für unseren Zweck mögen diese kurzen Andeutungen genügen. Die vielseitigen Wendungen und Beziehungen des Themas namentlich auf den Gebieten der Thierpsychologie u.s.w. bereichern den Grundgedanken. J. Bach.

1

XLV.

Erläuterungen zu Janssens Geschichte."

Mit dieser kritischen Studie wird ein wichtiges literarisches Unternehmen eröffnet, nämlich die von Janssen noch wenige Monate vor seinem Hinscheiden durch testamentarische Bestimmungen eingeleiteten „Erläuterungen und Ergänzungen“, deren Herausgabe, gleichfalls auf Janssens Wunsch, Herr Pastor übernehmen sollte.

Wie das Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde die gewaltige Publikation der (Perz'schen) Monumenta historica Germaniae, wie die jüngeren Analecta Bollandiana die Folianten der Acta Sanctorum zum Zwecke der Förderung vorhergehend und nachfolgend umgeben, so sollen diese Erläuterungen und Ergänzungen zur Förderung der bekannten Janssen'schen Arbeit dienen. Alle diese Gegenstände," sagt die Vorrede Janssens zu seinem ersten Bande, „sind weiterer Behandlung ebenso würdig als bedürftig; ich wiederhole meinen dringenden Wunsch, daß von Anderen meine Forsch= ungen ergänzt, wo nöthig berichtigt und die angrenzenden. Fragen, wo es der Mühe werth, erörtert werden.“

"

Nach der Einführung", welche der Herausgeber diesem 1. Heste voranschickt, sollen vorzugsweise zur Behandlung kommen Arbeiten über Einführung des Protestantismus in ein

1) Luthers Lebensende. Eine kritische Untersuchung von Dr. Nikolaus
Paulus. (Der Erläuterungen und Ergänzungen zu Janssens
Geschichte des deutschen Volkes Heft 1. Herausgegeben von
Ludwig Pastor). Freiburg, Herder 1898.

« PoprzedniaDalej »