Obrazy na stronie
PDF
ePub

selbst ein scheinbar so geschlossenes sociales Gebilde, wie die mittelalterliche Stadt, birgt den folgenschweren Antagonismus zwischen aristokratisch-patrizischer Kaufmannschaft und demokratischplebejischem Handwerkerthum in ihrem Schooß Zumal aber sind es die conservativen Mächte des Beharrens und die fort= schrittlichen Bestrebungen nach Reformen, die in einem Zeitalter, wo so viel Neues fertig da steht, wider einander sich kampfgerüstet zu erheben drohen. Dennoch aber tönt durch diese erregte Zeit machtvoll Einhalt und wirksam Eintracht gebietend das versöhnende Friedensglockengeläute der Kirche. Der Geist der Kirche allein vermag alle die socialen Gegensäße zum Einklang zu stimmen, den Widerstreit der Interessen im Gemeinsinn auszugleichen. Er steht über allen wirthschaftlichen, politischen und socialen Parteien und deren Feindseligkeiten, weil sein ganzes Programm Gerechtigkeit ist und Liebe.

Und wer im Geist der Kirche die Kämpfe menschlicher Meinungen, Bestrebungen und Leidenschaften erforscht, der steht ingleichem über den Parteien, und vermag allem gerecht zu werden, nur der Ungerechtigkeit nicht, vermag alles, auch die Irrenden zu lieben, nur den Irrthum nicht. Darum weht ein Hauch socialer Versöhnung und socialen Friedens durch diese Schilderung der „Culturzustände des deutschen Volkes im 13. Jahrhundert". Das Schlußwort des Verfassers gibt den Schlüssel zu solcher Höhe der Auffassung des Verhältnisses von Kirche und Cultur: „Es gibt keine Macht, welche die Bestrebungen Einzelner, wie ganzer Völker, sofern durch dieselben das Sittengeset nicht verlegt wurde, hochherziger geduldet und wirksamer gefördert hätte, als die conservativste und zugleich im edelsten Sinne des Wortes freisinnigste Macht auf Erden, die Kirche, und in ihr das Papst thum".

Feldkirch in Vorarlberg.

R. v. N.

ΧΧΧ.

1)

Forschungen zur bayerischen Geschichte. "

Dieses Werk an dieser Stelle anzeigen zu dürfen, ist mir wahrhaft Freude. Razinger hat sich entschlossen, seine seit Jahren zerstreut erschienenen Aufsäße historischer Art nach den Ansprüchen der jezigen Forschung umzuarbeiten und dieselben gesammelt aufs neue zu veröffentlichen. Die so entstandene Sammlung darf weiteres Interesse als nur in den Kreisen. der Fachleute beanspruchen; sie ist entschieden eine Bereicherung der Geschichtswissenschaft.

Sie zerfällt in zwei Theile. Im ersten bietet Razinger eine bis ins Einzelne eindringende Monographie des päpstlichen Vorstreiters Albert Böheim, eines der bekanntesten Männer des 13. Jahrhunderts, die sich an dem Kampfe zwischen der Curie und dem Staufer Friedrich II. betheiligt haben. So vollständig, ja man darf sagen, da Razinger in einem besondern Anhang auch die Beziehungen des Albertus Bohemus zu dem bayerischen Regentenhause bespricht, in so erschöpfender Weise ist das wechselvolle Leben dieses thatkräftigen, leidenschaftlichen Verfechters der curialistischen Ideen seiner Zeit noch nicht ge= schildert worden.

Nachdem Razinger erwiesen hat, daß sein Held nicht zur Familie der Herren von Possemünster, sondern zu der der „Böheim von Kager" gehörte, daß er also ein echter Bayer, nicht etwa ein Tscheche war, zeichnet er uns in breiten Zügen in fünf Abschnitten die Thätigkeit Albert Böheims an der

1) Razinger, Dr. G., Forschungen zur Bayerischen Geschichte. Kempten, J. Kösel. VI u. 653 S. (Preis 9 Mark.)

Curie in Rom, am herzoglichen Hoflager in Landshut, auf den Burgen seiner Verwandten, an der Curie zu Lyon und im Tomkapitel zu Passau. Ein leßter Abschnitt handelt von Alberts literarischen Reliquien. Noch besißen wir nämlich einen Theil seiner Conceptbücher, und in ihm eine paläographische Cimelie ersten Ranges, denn dieselbe ist die älteste bis jetzt bekannte Papierhandschrift in Deutschland überhaupt und ist zudem auch inhaltlich für die deutsche Geschichte des 13. Jahrhunderts von höchstem Werthe. Leider ist dieses Manuscript, das jetzt zu den Schäßen der kgl. Hof und Staatsbibliothek in München zählt, in so schlimmem Zustande, daß an die Rettung seines Inhaltes allen Ernstes gedacht werden muß. Eine vollständige Ausgabe dieser Handschrift sollte möglichst bald erscheinen; darüber wird kaum in fachmännischen Kreisen Meinungsverschiedenheit bestehen. Razinger beantragt, der neuen Ausgabe eine Reihe von Blättern des Originals in Lichtdruck vervielfältigt beizugeben; bei der Wichtigfeit der böheimischen Handschrift aber scheint mir die vollständige Wiedergabe der ganzen Handschrift in Lichtdruck an= gezeigt. Dies war bei der Nibelungenhandschrift A möglich, weshalb sollte es hier nicht ebenso ausführbar sein? Erst dann ist Alberts Werk für alle Zeit gerettet und zugleich der wissenschaftlichen Forschung schrankenlos zur Verfügung gestellt.

Albert Böheim ist keine sympathische Erscheinung; er ist ein einseitiger Parteigänger. Razinger sucht als echter Historiker ihn und sein Thun aus seiner eigenen Zeit und deren Anschauungen zu erfassen. Er sagt . 264/65: „Es gibt eine Richtung in der Geschichtsschreibung, welche an Persönlichkeiten der Vergangenheit den Maßstab der Parteischablonen der Gegenwart anlegt. Entsprechen Anschauungen und Handlungsweise dem eingenommenen eigenen Parteistandpunkt, dann wird das Lob in vollen Backen geblasen. Ist das Gegentheil der Fall, dann wird die volle Schale des Zornes in Tadel und Kritik ausgegossen. Bei dieser Einseitigkeit ist aber die Geschichte nicht mehr Lehrmeisterin, sondern sie führt weit in die Irre, nicht blos in der Beurtheilung der Vergangenheit, sondern auch in der Erfassung des Ganges der Ereignisse in der Gegenwart.

Wer ein zutreffendes Urtheil fällen will, muß sich in den Geist der handelnden Personen der Vergangenheit hineinzudenken und von diesem Gesichtspunkte aus Wollen und Handeln, Thun und Lassen abzuwägen vermögen. Albert Böheim war in Theorie und Praxis Anwalt der damaligen curialistischen Auffassung des Verhältnisses von Kirche und Staat. Diese Auffassung war ebenso einseitig, wie die entgegengesezte imperialistische." Dieser Auffassung des geschichtlichen Studiums ist Razinger bei seiner Monographie über Albert von Böheim und, das sei gleich hier hinzugefügt, überhaupt bei allen in den Forschungen zur bayerischen Geschichte vereinigten Aufsägen strengstens gerecht geworden. Er beurtheilt die Personen aus ihrer Zeit heraus und bewährt sich deshalb auf jeder Seite des vorliegenden Werkes als strengen Forscher, der fernab von den Bahnen der „Geschichtsbaumeister" wandelt.

Beigegeben sind der Monographie Albert Böheims auf S. 300-321,,Bemerkungen und Belege", welche von einer seltenen Quellenkenntniß ihres Verfassers beredtes Zeugniß ablegen. Manches hier Gesagte mag Widerspruch hervorrufen; ich bestreite 3. V., daß die S. 309 behauptete Abstammung der Herren von Reiffen von den Grafen von Eschenlohe richtig ist. Die Neiffer sind in Wirklichkeit Nachkommen der Grafen von Sulmetingen, Schwaben, nicht Bayern (s. Chr. Fr. Stälin, Wirtembergische Geschichte I, 564; II, 571--586). Wenn Grafen von Eschenlohe de Neiffen urkundlich genannt werden, so will das nur sagen, daß sie zum Unterschiede von gleichnamigen Stammesvettern den Namen ihrer Mutter zu dem ihrigen gemacht haben. Das geschah im Mittelalter nicht selten (. Archivalische Zeitschrift, Neue Folge, VII, 245). Schreibfehler auf S. 309, 3. 5 von unten ist Unterinnthal; es muß heißen Oberinnthal". Ueber die Grafenrechte in diesem Thale wären noch beizuziehen gewesen die Mittheilungen des österr. Instituts für Geschichtswissenschaft 1895, 518-525.

2. Die zweite Abtheilung der Forschungen zur bayerischen Geschichte behandelt auf 316 Seiten: Lorch und Passau. (1. Lorch als Bischofsiz, 2. die Lorcher Fälschungen); das Projekt eines Wiener Bisthums im 12. und 13. Jahrhundert; Aelteste Reliquicnverehrung in Bayern; Zur älteren Kirchengeschichte

Bayerns; Zur Geschichte der Marienfeste in Bayern; Quirinus und Arsacius; Tegernsee und Ilmünster (1. Geschichte der Translation der hl. Quirinus und Arsacius, 2. der hl. Quirinus von Tegernsee und Bischof Quirin von Siszia, 3. die Stifter von Tegernsee und Ilmünster sind Huosier); den bayerischen Kirchenstreit unter dem leßten Agilulfinger; die sociale Bedeutung des hl. Franziskus; Anfänge der Bettelorden in der Diöcese Passau; Bäuerliches Leben im 13. Jahrhundert; BayerischMailändischen Briefwechsel im 12. Jahrhundert; Lombardische Bauinnungen in Bayern; Diakonat und städtische Gemeindearmenpflege im Mittelalter; Projekt der Errichtung eines Münchener Bisthums 1579.

Das ist ein reicher und mannigfaltiger Inhalt. Ein Theil desselben, wie insbesondere der Aufsaß über die sociale Bedeutung des hl. Franziskus und der über die städtische Armenpflege im Mittelalter haben allgemeine Bedeutung. Sie stehen sichtlich in Zusammenhang mit den hochbedeutsamen nationalökonomischen Arbeiten Rahingers, denen er hauptsächlich seinen Ruf in der gelehrten Welt verdankt. Die große Mehrzahl der in der zweiten Abtheilung vereinigten Aufsäge aber gehören. der bayerischen Geschichte an. Von ihnen ist nur einer, der über das bäuerliche Leben im 13. Jahrhundert rein profan= geschichtlichen Wesens. Gestüßt auf die Darstellungen der Dichter Neidhart von Reuenthal und Wernher, des Klostergärtners von Ranshofen, gibt uns da Rahinger ein Bild vom bäuerlichen Leben in Bayern und Cesterreich während des 13. Jahrhunderts in satten Farben. Ich kann jedoch meine Bedenken gegen eine solche Schilderung auf Grundlage mittelalterlicher Dichtungen nicht unterdrücken. Dichter und Moralisten übertreiben; wer z. B. aus den heute in den Theatern beliebten Schauspielen ein Bild des deutschen Mittelstandes entwerfen wollte, würde der Wahrheit kaum Zeugniß geben. Glücklicherweise besteht unser Mittelstand doch noch nicht aus lauter „Gigerln“ und Ehebrechern. Was die mittelalterlichen Dichter berichten, berubt ohne Zweifel auf Thatsachen, aber neben diesen Thatsachen gab es eben auch andere, von denen sie schweigen. Sie intereñirt nur das, was von si, reden macht; die biedere, vielleicht auch manchmal philifröse Menge bat für sie fein

« PoprzedniaDalej »