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der Gegenwart eine feste Stellung vorzuzeichnen, feste principielle Orientirungspunkte zu gewinnen und einen sicheren Weg durch den Wirrwar der Meinungen zu finden. Hertling wendet sich gegen rechts und gegen links, gegen das starre Beharren und gegen den Umsturz und nimmt eine mittlere Stellung ein, verficht eine echte „Centrums"-Politif.

Hertlings Ausgangspunkt ist der sittliche Beruf des Menschen und sein Recht, diesem Berufe zu leben. Das ist ein Naturrecht, welches kein geschriebenes Gesetz und keine Gesellschaftsordnung aufheben kann. Dieses Princip ist nicht so unfruchtbar und so unbestimmt, wie es aussieht, es enthält vielmehr eine Reihe von Folgerungen. Aus diesem Principe ergibt sich vor allem die menschliche Freiheit, ergibt sich das Recht auf Eigenthum und in gewissem Sinne das Familienrecht. Es ergibt sich das Recht auf das Dasein und auf den Schuß des Daseins gegen rechtswidrige Ansprüche und wucherische Ausbeutung. Nicht aber ergibt sich daraus das Recht auf Arbeit und noch weniger das Recht auf den vollen Arbeitsertrag, wie manche meinen.

Die sittliche Weltordnung bildet so einen festen Standpunkt, von dem aus sowohl die Ansprüche der Staatsomnipotenz als der Revolutionspartei abgelehnt werden. Aus den Ausführungen Hertlings geht mit voller Klarheit hervor, daß die christliche, nicht aber die herrschende Rechtsphilosophie im Stande ist, der Staatsordnung eine feste Grundlage zu geben. Nach der herrschenden Rechtsphilosophie und den überwiegenden Anschauungen der Juristen gibt es kein Naturrecht, sondern nur ein positives Recht. Diese Anschauung hat ja vieles für sich, auch katholische Gelehrte haben sie angenommen.

Wenn man unter Recht nur das positive, erzwingbare Recht versteht, gibt es kein Naturrecht, das Naturrecht ist viel zu unbestimmt dazu. Aber um so energischer muß man dann an der sittlichen Ordnung und am Sittengeset festhalten. Hertling gibt das selbst zu:

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Wer an einer für alle Menschen giltigen sittlichen Ordnung festhält, der mag wenn auch im Widerspruche mit dem herkömmlichen Sprachgebrauch der Meinung huldigen, daß der Name Recht auf diejenigen Normen menschlichen Ge. meinlebens einzuschränken sei, welche durch Gesetz, Rechtsprechung und Gewohnheit festgelegt sind, während das Naturrecht nur einen Ausschnitt aus der Moral bezeichne. Darüber ist kein Streit nöthig. Entscheidend ist nur, daß es Normen des Gemeinlebens gibt und ebenso Anforderungen des Individuums an die Mitmenschen, welche unabhängig von derartiger Festlegung von der Vernunft als giltig anerkannt werden, mit der näheren Bestimmung, daß für ihre Durchsetzung die Anwendung von Zwangsmitteln moralisch zulässig ist".

Das Naturrecht haben die neueren Juristen nicht nur deßhalb verworfen, weil es zu unbestimmt ist und feinen Rechtscharakter hat, sondern auch deßhalb, weil man in ihm ein ungeseßliches Hinterthürchen, einen Schlupfwinkel für Gesezumgehungen und Mentalreservationen, einen Ausgangspunkt revolutionärer Bestrebungen vermuthete oder besorgte. Daß diese Besorgniß ganz und gar unbegründet sei, wer wollte das behaupten? Haben die Juristen das Naturrecht verunglimpft, so hat man auf der andern Seite Staatsgeseze als leges mere poenales herabgesezt. Ich will auf diesen interessanten Punkt, der, wie ich schon zu beobachten Gelegenheit hatte, in der Praxis immer noch eine Rolle spielt, nicht näher eingehen. Aber man muß das bedenken, wenn man das Mißtrauen mancher Moralisten gegen das Naturrecht verstehen will.1) Das Naturrecht wird nicht nur von den Reformparteien sondern auch von revolutionären entgegengestellt dem gemachten und gewordenen Rechte, dem historischen Rechte, und es wird in den Händen der Revolutionsparteien ein gefährliches Werkzeug. Die französische

1) Vergl. Linsenmann, Moraltheologie 1878, S. 610, 524 ff. Lehmkuhl, theologia moralis I3, 609.

Revolution hat ihre gesetzgeberische Thätigkeit damit begonnen, die Naturrechte des Menschen oder wie man furz sagte, die Menschenrechte zu codificiren und darin namentlich auch die Denk- und Redefreiheit festzustellen. Aber auch die ganze liberale Reformthätigkeit des 19. Jahrhunderts stüßte. sich auf das Vernunft- oder Naturrecht. Alle historischen Rechte der Stände wurden auf Grund derselben beseitigt. Die Gerichts- und Steuerprivilegien von Adel und Klerus, die Grundherrschaft, die Zunftoligarchie, die Confessionsvorrechte wurden abgeschafft zu Gunsten eines angeblichen oder wirklichen Vernunftrechtes, und Freiheiten ohne Zahl, vor allem Gewerbefreiheit, Wechselfreiheit, ja Wucherfreiheit gewährt. Es gab ein Uebermaß von Freiheiten, bis auf einmal ein Schrei von unten ertönte. Unter der Fülle von Freiheiten erstickte der vierte Stand. Auch er schrie nach seinem Naturrechte. Da war der schöne Traum vorbei. Der vierte Stand verlangte das Recht auf Leben und Lebensgenuß als sein Recht.

Da zeigte es sich, daß das Naturrecht ungeheuer vieldeutig sei und daß man arz ihm vieles ableiten könne. Wer sollte nun das Naturrecht authentisch interpretiven? Man begann am Naturrecht zu verzweifeln und warf es einfach beiseite. Jezt stellt man die Ansicht auf, die Rechtsfrage sei im Grund genommen eine Machtfrage, das Recht stelle nur ein Mittel dar, womit die herrschende Partei ihre Macht auspräge und befestige. Diese Auffassung suchte man auch historisch zu beweisen, sie wurde damit zur Grundlage der materialistischen Geschichtsauffassung, unter deren Einfluß 3. B. auch Lamprecht steht. Einen merkwürdigen Versuch dieser Art stellt das Buch von Achille Loria, die wirthschaftlichen Grundlagen der herrschenden Gesellschaftsordnung, dar. Es wimmelt hier natürlich von kühnen Behauptungen und Construktionen, aber durchaus unrichtig ist ja diese Ansicht gewiß nicht und die Versuche in dieser Richtung nicht durchweg verfehlt. In semer positiven Ausgestaltung schließt sich

das Recht immer an die bestehende Gesellschaftsordnung an und man merkt ihm wohl an, ob es dem Feudalismus oder Kapitalismus angepaßt ist, ob es den Interessen der Landwirthschaft oder des beweglichen Verkehrs dient. Den Zusammenhang zwischen Wirthschaft und Recht festzustellen, haben sich seit Montesquieu eine Reihe von vorzüglichen Gelehrten abgemüht, besonders zu nennen ist Arnold. Nur wird sie heutzutage zum Extrem verzerrt und alle Gerechtigfeit, alle Sittlichkeit, alles Naturrecht geleugnet und zu materialistischen Voraussetzungen verwerthet.

Die materialistische Auffassung des Rechtes ist der Tod der Gerechtigkeit, ob nun jene Auffassung in feinerer oder gröberer Form zum Ausdruck kommt. Der feine Materialismus besteht schon lange, er spricht sich in der alten Anschauung der Juristen aus, die in der Erzwingbarkeit, im Zwangscharakter des Rechtes sein wesentliches Merkmal sehen. Diese Anschauung ruht auf dem Untergrunde der Staatsomnipotenz In ein System gebracht hat diese Anschauung bekanntlich Hegel. Nach ihm stellt die Staatsordnung und die Einordnung des Einzelnen in das Staatsganze die absolute Sittlichkeit dar. Die Moralität dagegen ist ein niederer Standpunkt, der Reflexionsstandpunkt. Auf ihm kann man sich so oder so entscheiden, dies oder jenes wählen. Der Erbe Hegels ist Mary, der Begründer der socialistischen Theorie. Im Socialismus wäre der Zwang vollendet, da gäbe es keine subjektive Sittlichkeit mehr, sondern nur eine objektive, ganz im Sinne Hegels. Das Machtrecht verschlingt das Vernunftrecht, die Legalität verschlingt die Moralität. Mit der Freiheit ist es dann aus

So stehen sich die Extreme gegenüber: Machtrecht und Vernunftrecht, bereit, in einander überzuschlagen. Hier gilt es nun, einen festen Standpunkt zu gewinnen und eine feste Stellung zu erobern. Freilich ist von vornherein darauf zu einen vor aller Anfechtung sicheren

verzichten, daß man

Standpunkt gewinnen könne. Durchaus unzweideutig und

frei von jeder Gefahr des Mißverständnisses und des Mißbrauches ist keine Scheidung der Gegensäße. Wie schon Pascal erkannte, hat das Recht selbst etwas Widerspruchvolles an sich. Das Recht, das sich gegen die Gewalt kehrt, hat selbst den Gewaltcharakter an sich. Das Recht kann nie alle Ansprüche befriedigen, eine absolute Gerechtigkeit ist ausgeschlossen. Wenn man dem einen Stande hilft, jammert der andere. Arbeiterschuß und Arbeitervereinigung machen die Lage der Unternehmer schwieriger. Wenn man, was wohl noch zu erwarten ist, die Ansammlung großer Kapitalien verhindert, wird damit auch vieles wegfallen, was von Privaten für Kunst, Wissenschaft und Religion geschieht. Der Staat aber kann die Privatthätigkeit in dieser Richtung nicht ganz ersehen. Die Freiheit schadet den Schwachen; wenn man aber die Schwachen durch Zwang schützen und gleichartige Bedingungen schaffen will, leidet darunter die freie Initiative. Die Gleichheit ist eine Feindin der Freiheit.

Ueber diese verschiedenen Dilemmas kommt auch Hertling nicht hinaus. Aber wenn es überhaupt möglich ist, einen objektiven und gerechten Standpunkt einzunehmen, so hat das Hertling gethan. Er sucht allen Seiten gerecht zu werden, wiegt feinsinnig Vortheile und Nachtheile, Nußen und Schaden principieller Entscheidungen ab und gibt dem Naturrecht eine Deutung und Auslegung, mit der sich jeder Conservative einverstanden erklären kann. Nur neigt Hertling sich in seinen Entscheidungen mehr auf die Seite der Freiheit gegenüber der Gleichheit und dem Zwange, bevorzugt daher das Naturrecht gegenüber dem Machtrecht. Er steht auf dem Standpunkte der Rechtsstaatstheoretiker und hält den Zweck des Staates mehr für einen formellen als materiellen, ähnlich wie Stammler in dem Buche: „Wirthschaft und Recht". Nach Aristoteles ist der Zweck des Staates ein materieller, das εv S, das vollkommene Leben. Aristoteles dachte das idealistisch, da ihm die Vollkommenheit

Hiftor..polit. Blätter CXXI. (1898.)

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