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von Northumberland auf eine Art Gottesurtheil ankommen, wie Chlodwig.

Wie überall war auch in England mit der Taufe des Königs und der Vornehmsten das Heidenthum noch lange nicht begraben. Es bestanden noch viele heidnische Sitten, die nicht alle in gleicher Art zu verwerfen waren. Hier war es nun, wo der hl. Gregor auf Anfragen Augustins die bekannten entgegenkommenden, beinahe freisinnigen Entscheidungen gab. Gregor wollte feineswegs eine gänzliche Uniformirung der Liturgie, er wollte Schonung nationaler Eigenthümlichkeiten. Die Ehen zwischen Schwager und Schwägerinen sollten gestattet werden, ja selbst zwischen Schwiegersöhnen und Schwiegermüttern sollte man sie dulden, wenn sie vor der Taufe geschlossen seien. Der Kirchenraub sollte mit dem einfachen, nicht mit dem vier- bis zehnfachen Ersahe bestraft werden u. s. f. Dos war so bekannt, daß später der hl. Bonifaz es gar nicht glauben konnte, daß Aehnliches ein Papst habe verfügen können, und sich, als man ihm die Verfügungen vorhielt, in England nach den authentischen Quellen erkundigte.

In dem Geiste dieser Toleranz trat der hl. Augustin der etwas isolirten britischen Kirche, die unter den verdrängten Kelten in Wales und Irland bestand, mit großer Versöhnung und Milde entgegen. Auf der mit den bretonischen Prälaten vereinbarten Synode lud er sie nur ein zur Mitarbeit. Sie mögen mit ihm eins sein, bittet er, im katholischen Glauben. und gemeinsam mit ihm arbeiten an der Bekehrung der Heiden. Mehr verlangte er nicht, aber er erreichte auch nicht das Wenige. Zu den religiösen kamen nationale Gegensäße und es dauerte noch lange, bis die Kluft zwischen beiden Kirchen überbrückt wurde. Brou schildert diese Verhältnisse vorzüglich.

Wir müssen einen großen Sprung machen und uns von dem 6. in 15. Jahrhundert versezen, um uns mit dem Inhalte des vierten Bändchens der Sammlung von Heiligenleben beschäftigen zu können. Es trägt den Titel Le bien heureux Bernardin de Feltre. Der Verfasser, Flornoy, ist Municipalrath in Nantes, der einzige seines Charakters unter den Autoren. Es findet sich sonst weder ein Jurist noch Verwaltungs

mann in der Liste der in Aussicht genommenen Verfasser. Fielleicht hat man den Verfasser mit Rücksicht darauf gewählt, daß der Heilige, mit dem er sich beschäftigt, ein Franziskaner der strengen Observanz, auf städtische Verwaltungen einen großen Einfluß übte. Er ist nämlich der Gründer der wohlthätigen Leihanstalten (montes pietatis) und seine Hauptthätigkeit bestand in der Versöhnung der socialen Gegensäße, welche die Bürgerschaften zerrissen. Der Franziskanerorden hat ja überhaupt, wie er sich mitten in den Städten niederließ, mit städtischen Dingen und städtischer Verwaltung sich besaßt und die sociale Frage jener Zeit, soweit es damals möglich war, zu lösen gesucht.) Er stellte sich dabei entschieden auf Seite des niederen Volkes (popolo minuto) und suchte es zu schügen namentlich gegen die kapitalistische Auswucherung: daher auch der Kampf Bernardins gegen die Juden.

Bernardin war eine durchaus praktische Natur, klein und unansehnlich, aber ungemein beweglich und lebhaft. Er war ein Prediger nach dem Herzen des Volkes und wirkte mehr durch drastische Mittel und kräftige Beispiele, als durch tiefe Belehrung. Um seine Unzufriedenheit auszudrücken, wandte er einmal das Wort des Herrn an: „wenn sie eure Rede nicht anhören, so gehet aus der Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen“, nahm seine staubigen Sandalen, schüttelte sie aus und verließ die Kanzel. Die praktische Wirkung war ihm die Hauptsache und diese hat er auch in vollem Maße erreicht zu einer Zeit, wo das Buch und die Zeitung dem Prediger noch feine oder feine große Concurrenz machte.

Zwar begann bereits der Humanismus und das Studium des klassischen Alterthums die Geister zu fesseln. Der große Reichthum der italienischen Städte hatte viel Lurus und Genußsucht im Gefolge, und eine Strömung innerhalb der Kunst und Literatur begünstigte diese Sinnesrichtung. Aber eine geschlossene Phalanx von gotterfüllten Predigern nahm den Kampf auf und hemmte das allzu rasche Umsichgreifen

1) Vgl. Grupp, Kulturgeschichte des Mittelalters II, 361 f. histor-polit. Blätter CXXI. (1898).

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der Renaissancetendenzen. Sie wurde darin unterstüßt durch die ernstere Kunst und durch die älteren ernsten Humanisten. Zu diesen Streitern gehört bekanntlich auch Savonarola, mit dem Bernardin von Feltre Manches gemein hat. Wie bei diesem wurden auch nach den Predigten des Bernardin von den Zuhörern die Werkzeuge der Sünde, Schmuck- und Spielsachen herbeigeschleppt und daraus die Burg des Teufels (Castel-Diavolo) erbaut und in Brand gesteckt.

Es gibt noch andere Berührungspunkte zwischen Savonarola und Bernardin, Flornoy hebt sie gebührend hervor, findet aber das Verhalten des Letteren immer mäßiger und besonnener.

In einer sehr feinsinnigen Analyse schildert Flornoy die Eigenheiten der Predigtweise seines Helden; er zeigt ein feines religiöses und psychologisches Verständniß und verräth mehr theologische Kenntniß. als man bei Laien vorausseßt. Diese Analyse ist Gegenstand eines ziemlich großen Kapitels mit der Ueberschrift: Der Prediger. Ein weiteres Kapitel, das namentlich auch culturhistorisch interessant ist, behandelt den Helden als Reformator der Sitten und wieder in weiteren Kapiteln als Friedensstifter und Socialpolitiker. Als Friedensstifter griff der Selige mächtig in den Gang der Geschichte ein und nicht weniger als Socialpolitiker. Bemerkenswerthe Ausführungen über die Leihhäuser und das Zinsverbot beschließen das ungemein lehrreiche Werk.

Wird die Sammlung der Heiligenleben in diesem Sinne fortgeführt, so ist nicht zu zweifeln, daß sie weite Verbreitung und dadurch einen großen Einfluß auf die Geister finden wird. Die Welt ist empfänglich für die Größe der Heiligen, sie anerkennt sie wenigstens als große geschichtliche Erscheinungen. Damit ist der Boden schon geebnet und die Bedingung zu einer mächtigen Wirkung der großen religiösen Erscheinungen gegeben. Die jetzige Kirche Frankreichs übt, wie leider bekannt ist, keinen allzugroßen Einfluß auf ihr Volk aus. Die Ursachen dieser traurigen Thatsache sind verschieden, aber eine dieser Ursachen, freilich nicht die einzige, wie der Spectator in der allgemeinen Zeitung meint, ist wohl auch die, daß es der französischen Kirche an hervorragenden Köpfen, selbständigen

Geistern und bedeutenden, allgemein anerkannten Leistungen fehlt. Arbeiten nun, wie die oben besprochenen, sind gewiß geeignet, viele Vorurtheile zu zerstören. Möge das Unternehmen glücklich gedeihen und Gelegenheit bieten, ebensowohl selbständige Leistungen zu erzielen, als den verlorenen kirchlichen Einfluß wieder zu gewinnen! Mögen nicht bloß die Heiligen führende Geister" werden, sondern auch die Verfasser selbst Lehrer und Führer im besten Sinne sein!

Dr. G. Grupp.

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XIV.
Zeitläufe.

Deutsche Weltpolitik" in China und die Flottenvorlage. Den 12. Januar 1898.

Der Neue Curs" in Berlin hat das Wort von der Weltpolitik schon vor einigen Jahren in Umlauf gebracht. Jezt ist der Schwung erfolgt. Die Wendung zu dieser „neuen Aera" hat sich in aller Heimlichkeit angebahnt und plöglich vollzogen. Am 30. November des abgelaufenen Jahres war dem Reichstag das berühmte Flottengeset vorgelegt und von dem greisen Reichskanzler in nüchterner Rede empfohlen worden; am 16. November hatten die deutschen Schiffe bereits die Bucht Kiao Tschau, den großen Hafenplay an der Halbinsel der chinesischen Provinz Shantung, besezt und am 15. Dezember verkündete der Kaiser die neue Heilsbotschaft in der feurigen Rede zu Kiel.

Vor drei Jahren hatte sich das deutsche Reich in das russisch = französische Eintreten gegen Japan zum Schuße

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China's eingemischt. Auch Bismarck war entschieden gegen ein solches Vorgehen, weil er fürchtete, was jezt thatsächlich eingetreten ist In einer, besonders hervorgehobenen, Zuschrift des Münchener Hauptblattes war damals zu lesen: Wir sind in dieser Frage durch falsche Weichenstellung auf ein verkehrtes Geleise gerathen, auf ein todtes Geleise. Unter keinen Umständen kommen wir ganz ohne Schaden davon; aber noch kann das deutsche Volk größeren Nachtheil verhüten, wenn es keinen Zweifel darüber läßt, daß es nicht gewillt ist, für die begonnene Politik materielle Machtmittel einzusehen“.1) Als aber der Schritt der geheimen Diplomatie einmal geschehen war, da unterließ das preußisch-conservative Hauptblatt in Berlin keine Gelegenheit, um zu fragen und zu drängen: was werden wir dafür bekommen, wenigstens doch eine Kohlenstation an den chinesischen Küsten? Jezt schreibt das Blatt denn auch hocherfreut:

„Wir haben gegen die Aktion unserer Regierung nur den Einen Einwand zu erheben, daß sie außerordentlich spät erfolgt. Der richtige Zeitpunkt war der Sommer 1895, da nach dem Frieden von Shimonoseki Rußland und Frankreich ohne viel Geräusch ihren Preis holten für den Schuß, den sie im Verein mit uns dem bedrängten Kaiser von China gewährten, als sie seine Residenz vor dem drohenden Anmarsch der Japaner schüßten. Seit dem Januar 1895 hat die Kreuzzeitung als einziges von allen deutschen Blättern diesen Standpunkt mit Nachdruck vertreten und ist seither stets darauf zurückgekommen. Kohlenstation und befestigter Hafen, das war unser ceterum censeo seit bald drei Jahren. Wenn heute dieser Wunsch der Verwirklichung nahe ist, so trägt niemand dem hohen Leiter unserer Politik wärmeren Dank entgegen, als wir. Aber über Eins soll sich niemand täuschen: mit Befriedigung sieht kein Staat der Welt die Thatsache an, daß Deutschland wieder an

1) Münchener „Allg. Zeitung“ vom 28. April 1895.

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