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Herr Stumpf hielt einen Vortrag:

Ueber die Anwendung des mathematischen
Wahrscheinlichkeitsbegriffes auf Teile eines

Continuums"

und legte einen auf denselben Gegenstand bezüglichen Aufsatz des Herrn Dr. Hermann Brunn vor:

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In meinem Vortrage Ueber den Begriff der mathematischen Wahrscheinlichkeit" (Sitz.-Ber. 1892 S. 35 f.) habe ich in Consequenz der Wahrscheinlichkeitsdefinition von Laplace gegenüber neueren Auffassungen daran festgehalten, dass zur Wahrscheinlichkeitsbestimmung physische Gleichheit der sog. gleichmöglichen Fälle nicht erforderlich sei. Man kann, sagte ich, bei einem sechsseitigen Körper, dessen Seiten mit den Buchstaben a bis f bezeichnet sind, ohne dass wir das Geringste über ihr Grössenverhältnis wissen, in demselben Sinn und mit demselben Recht die Wahrscheinlichkeit, dass er mit der Seite d auf dem Boden aufliege, als bestimmen, wie bei einem Würfel. Das Bernoulli'sche Theorem und alle übrigen Folgerungen behalten da wie dort ihre Gültig

1892. Philos.-philol. u. hist. Cl. 4.

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keit, entsprechen den Erwartungen des gesunden Menschenverstandes und würden zweifellos auch von der Erfahrung in derselben Weise bestätigt werden, in welcher hier überhaupt Bestätigung stattfinden kann. Die gleiche Möglichkeit der disjungirten Fälle, deren Summe den Nenner des Wahrscheinlichkeitsbruches bildet, bedeutet also, wie Laplace richtig gesagt hat, nichts weiter als gleiche Unkenntnis.

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Einer der Einwände, gegen die ich diese Behauptung verteidigte, bezog sich auf die Teile eines Continuums. Ich hatte in dieser Beziehung einer von J. v. Kries in concreterer Form aufgestellten Paradoxie (über die Wahrscheinlichkeit, dass ein Meteor auf Teile der Erdoberfläche falle, von denen uns nur Zahl und Namen bekannt sind) zunächst folgende allgemeinere Form gegeben: Eine Kugel falle auf eine begrenzte Ebene, von der wir nur wissen, dass sie in 5 Teile a b c d e zerfällt, während uns über die relative Ausdehnung derselben nichts bekannt ist. Für jeden Teil also Wahrscheinlichkeit. Nun wird uns gesagt, dass der Teil a wieder in drei Teile a ẞy zerfällt. Für jeden dieser Teile also Wahrscheinlichkeit 1. Wir können aber ebensogut diese 3 Teile von vornherein auch als selbständige Teile neben b c d e ansehen, und danach würde sich für je einen derselben vielmehr ergeben. Und so können wir überhaupt willkürlich jede beliebige Wahrscheinlichkeit für einen und denselben Teil berechnen." (a. a. O. S. 68.)

Die Lösung fand ich darin, dass schon in der Problemstellung eine Absurdität liege, die dann natürlich auch in der Consequenz zu Tage trete: es werde verlangt, dass wir zuerst nichts weiter wüssten, als dass die Ebene in 5 mit a bis f bezeichnete Teile zerfällt, während wir doch factisch bei jedem Continuum wissen, dass es in's Unendliche Teile hat. Keine andere Fragestellung habe daher hier einen Sinn als diese: Welcher mathematische Punct wird getroffen?" wobei die Wahrscheinlichkeit für jeden unendlich klein wird.

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Diese Lösung der speciellen Frage hat bei zwei Gelehrten, die den Hauptthesen der Abhandlung ihre Zustimmung schenkten, Herrn Franz Brentano in Wien und Herrn Hermann Brunn in München, Anstoss erregt. Es schien ihnen, dass damit der gegnerischen Ansicht ein unnötiges und weittragendes Zugeständnis gemacht sei, indem die Wahrscheinlichkeitsrechnung dann auf endliche Teile eines Continuums von unbekannten Grössenverhältnissen keine Anwendung mehr fände. So gewendet würde in der That meine Lösung eine Inconsequenz bedeuten. Denn ob die Kugel senkrecht zu einer Ebene von n Teilen oder ob sie von einer uns ganz unbekannten Seite her auf einen Körper von n Seitenflächen auftrifft, das kann keinen Unterschied in der Berechnung machen: und für letzteren Fall folgt doch der Wahrscheinlichkeitsansatz aus dem früher Behaupteten.

Nun hatte ich zwar weder die Fassung noch die Lösung des Problems so verstanden. Aber es ist richtig, dass das ursprüngliche Argument von Kries selbst noch verschiedene andere allgemeine Fassungen und entsprechend andere Lösungen gestattet, deren Vorführung geeignet sein dürfte, die an dieser Stelle etwa auch bei anderen Lesern zurückgebliebenen Zweifel über die Berechtigung des alten Wahrscheinlichkeitsbegriffes zu beseitigen. Ich erlaube mir daher, eine von Herrn Brunn gegebene Darstellung vorzulegen (s. u.) und einige durch die dankenswerten Erinnerungen beider Forscher angeregte Bemerkungen vorauszuschicken. Wenn hiebei einzelne Puncte dem Mathematiker, andere dem Philosophen wichtiger, oder auch dem einen mit einer gewissen Einschränkung, dem andern ohne solche richtig erscheinen, so werden diese Differenzen die Uebereinstimmung in der Hauptsache hoffentlich nicht verdecken.

1. Sind uns vorerst die Grössenverhältnisse der Teile eines Continuums (wir mögen der Anschaulichkeit halber an ein räumliches denken) gegeben, so ist die Wahrschein

lichkeit, dass ein Punct in einen dieser Teile falle, ausgedrückt durch das Verhältnis seiner Grösse zu der des Ganzen, also bei einer Linie durch Die in L, der Länge

L'

der Linie, enthaltenen Masseinheiten sind die gleichmöglichen Fälle, die in 7, der Länge jenes Teiles, enthaltenen die günstigen Fälle; und zwar wird der Anhänger der Laplace'schen Definition die Fälle als gleichmögliche nicht unmittelbar darum betrachten, weil es sich um physisch gleiche Grössen handelt, sondern weil wir in Folge dessen uns allen gegenüber in gleicher Unkenntnis befinden. Die disjunctiv-absolute Unkenntnis wird eben hier erst durch Rückgang auf die Masseinheiten erreicht.1) Ich möchte daher die obige Bestimmung nicht für eine Art willkürlicher Festsetzung, sondern für einen Ausfluss des allgemeinen Wahrscheinlichkeitsbegriffes ansehen. Ueber diesen Punkt freilich wird wegen des von Herrn Brunn angedeuteten Zusammenbangs der Frage mit der nach den geometrischen Axiomen, in der ich seine Anschauungen nicht zu teilen vermag, auch in weiteren Kreisen nicht so bald volle Einigung zu erzielen sein.

2. Wenn uns die Grössenverhältnisse der Teile nicht gegeben und nur ihre Anzahl n bekannt ist, so setzen wir die Wahrscheinlichkeit, dass ein in das Continuum fallender Punct in einen bestimmten Teil falle, 1. Dies ist die

n

Consequenz des alten Wahrscheinlichkeitsbegriffes. Man wird auch zugeben, dass wir unter äusserst zahlreichen Fällen solcher Art eine nahezu gleichmässige Verteilung der Fälle unter die n Teile erwarten. Aber es soll nun die Paradoxie folgen, die Kries im Auge hat, sobald man auf weitere Teilungen eingeht.

1) Lässt sich 1: L nicht absolut genau in Zahlen ausdrücken, so folgt nur, dass auch der Wahrscheinlichkeitswert, in Zahlen ausgerechnet, nicht absolut genau ist: eine principielle Schwierigkeit scheint mir daraus nicht hervorzugehen.

Denken wir zuerst nur zwei Teile A und B, so kann der Zusatz, durch den die Schwierigkeit entstehen soll, in verschiedener Form gemacht werden:

a) B zerfällt wieder in B und C."

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Versteht man dieses zerfällt" so, dass man die Teile darin unterscheiden kann (wie ich es a. a. O. verstanden), so wussten wir dies in der That schon vorher, und läge also in solcher Problemstellung von vornherein eine Absurdität. Ein Wahrscheinlichkeitsansatz in Bezug auf endliche Teile hat nur dann Sinn, wenn es sich um wirklich unterschiedene, nicht wenn es sich um blos unterscheidbare Teile handelt.

Um dies noch deutlicher zu machen, liess ich statt der Teile der Ebene, auf welche die Kugel fallen kann, ebensoviele Beutel gegeben sein. Hier kann eine bestimmte Wahrscheinlichkeit angegeben werden, auch wenn wir über ihr Grössenverhältnis gar nichts wissen, ja sogar wenn wir wissen, dass sie ungleich gross sind, aber nicht wissen, in welcher Weise (a. a. O. 70): denn es ist uns dann doch eine actuelle, vollzogene Teilung, also eine feste Anzahl gleichmöglicher Fälle (in unserem Sinne) gegeben.

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b) B ist actuell in B und C geteilt, ohne dass wir über den Hergang der Teilung, die etwaige Priorität der Teile A und B, die gewöhnliche Verwendung der Buchstaben verschiedener Alphabete in solchen Fällen u. s. f. etwas wissen."

Dann ist der Fall natürlich genau derselbe, wie wenn uns von Anfang drei Teile A B C gegeben sind, also Wahrscheinlichkeit für jeden. Ueberhaupt ist bei fortgesetzten Teilungen unter solchen Umständen selbstverständlich keine andere Anzahl von Teilen als die durch die letzte Teilung erhaltene massgebend und von einer Paradoxie, einem Gleichgelten mehrerer Teilungsergebnisse, keine Rede.

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