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Philosophisch-philologische Classe.

Sitzung vom 3. Dezember 1892.

Herr v. Brunn hielt einen Vortrag:

„Eine kunstgeschichtliche Studie."

Wie die Bücher, so haben auch die Denkmäler ihre Schicksale: Zufälligkeiten walten, wie bei ihrem Entstehen, so bei ihrem Verschwinden. Zufall bleibt es, ob bei ihrer Wiederentdeckung Zeit und Umstände ihrem Verständniss förderlich oder hinderlich sind. Nicht immer liegen die Verhältnisse so günstig, wie z. B. bei der Eirenegruppe oder dem sich salbenden Athleten der Glyptothek, wo es, wenn auch erst lange Zeit nach ihrer Entdeckung, doch bei einem neuen Anlaufe zu ihrer Erklärung gelingen konnte, diesen Werken mit einem Schlage und fast ohne Widerspruch ihren sicheren Platz in unserem Denkmälervorrathe anzuweisen. Oft bedarf es einer Reihe von Zwischenstationen, um sich langsam und schrittweise dem Ziele nur zu nähern, das wirklich zu erreichen irgend ein zufälliger Umstand, der Mangel eines sicheren Vergleichungspunktes, irgend ein Missverständniss sich lange Zeit als hinderlich erweist. Hier darf die Gefahr zu irren uns von immer erneuten Erklärungsversuchen nicht abschrecken. Es gilt hier vielmehr, zwischen verschiedenen Ansichten, Meinungen und Beobachtungen ruhig abzuwägen, zuerst einzelne Thatsachen festzustellen, in der Erwartung, dass dieselben von andern Seiten weitere Ergänzungen finden, um sie endlich einmal zu einem Ganzen einheitlich zusammenzuschliessen. Solche Betrachtungen drängen

sich mir auf, wenn ich zum Ausgangspunkte meines heutigen Vortrages die Statue Nr. 162 der Glyptothek wähle, die Anspruch auf eine bestimmte Stellung in der Entwicklung der Kunstgeschichte hat, wenn es auch bisher noch nicht gelungen ist, dieselbe mit Sicherheit nachzuweisen.

Schon bei der ersten Abfassung meines Kataloges der Glyptothek im J. 1868 hatte ich dieser Statue eines kriegstüchtigen jungen Mannes etwas ernstere Beachtung geschenkt, als ihr bisher zugewendet worden war, zum Theil wohl in Folge der unrichtigen Ergänzung, die ihr eine zwar antike, aber nicht zugehörige kleine Nike in die Hand gegeben hatte. Ich begnügte mich damals, den künstlerischen Charakter an sich, aber noch nicht im kunstgeschichtlichen Zusammenhange zu betonen, ging aber in anderer Richtung allerdings weiter, indem ich für die Gestalt den Namen des Diomedes bei der Entführung des Palladiums glaubte in Anspruch nehmen zu dürfen. Um über das in ungünstiger Beleuchtung aufgestellte Werk sicherer urtheilen zu können und um auch weiteren Kreisen Gelegenheit zu eingehenderem Studium zu bieten, liess ich, da die Restaurationen für den Gesammteindruck nur störend sind, die antiken Theile in Gyps abformen. Längere Zeit verging, ehe sich das Verlangen auch nur nach einem einzigen Abgusse zeigte; erst in den letzten drei Jahren ist das Werk, man kann geradezu sagen, Mode geworden: der Abguss befindet sich jetzt bereits in acht auswärtigen Sammlungen, und von verschiedenen Seiten hat man angefangen, sich wissenschaftlich mit ihm zu beschäftigen. Bei der Philologenversammlung in München (1891) hat Flasch das Werk besonders nach der formalen Seite einer eingehenden Betrachtung unterzogen. Weiter ist es von Winter in einem Artikel über Silanion (Jahrb. d. I. V, 167; 1890) berücksichtigt worden. Ich selbst habe theils im Verkehr mit Freunden, theils im Zusammenhange mit andern Studien die verschiedenen Probleme, welche der Gegen

stand darbietet, nicht aus den Augen verloren, und es erscheint mir daher nicht ausser der Zeit, den allmählig angewachsenen Stoff einmal in grösserem Zusammenhange zur Erörterung zu bringen, um, wenn auch nicht zu einer definitiven Lösung der wissenschaftlichen Fragen zu gelangen, doch dieselbe vorzubereiten. Von Abbildungen mögen nur die in den Bruckmann'schen Denkmälern Nr. 128 erwähnt werden.

Halb

Ich beginne mit der Frage: ist die Bezeichnung als Diomedes wissenschaftlich gerechtfertigt? Als sich mir die Vergleichungen mit andern Diomedesdarstellungen darboten, war ich zuerst schwankend, ob ich mich mit dem blossen Hinweise auf dieselben begnügen oder sofort die dargestellte Gestalt mit dem Namen des Heros bezeichnen sollte. im Scherze verfiel ich auf den Ausweg, im Kreise der mir näher befreundeten Schüler die Frage durch Abstimmung zur Entscheidung zu bringen: de consili sententia wurde der Name angenommen. Nur in neuerer Zeit ist von einem der damaligen Getreuen, nemlich von Flasch, Widerspruch erhoben worden. Anstoss erregte ihm besonders die viereckige Marmorstütze mit Bohrloch zwischen den Falten der Chlamys in der Höhe der linken Achselhöhle, die sich mit der Annahme eines von Diomedes gehaltenen Palladiums nicht vereinigen lasse; sie deute vielmehr auf ein Attribut, das von der 1. Hand schräg gegen die Schulter gerichtet gewesen sei und weiter mit dem Gewande keinen Zusammenhang gehabt habe, also etwa den Speer eines Doryphoros. Der Widerspruch würde gerechtfertigt sein, wenn es sich um ein grösseres im Arm gehaltenes und gegen die Brust gedrücktes, ausserdem in Marmor ausgeführtes Palladium handelte. Mehrfach aber findet sich in Darstellungen des Diomedes, besonders in Gemmenbildern, ein kleines mehr in der Weise eines einfachen Attributes behandeltes auf der Hand getragenes Idol (Overbeck Heroengall. 24, 20-22; 25, 9 ff.). Ein solches

lässt sich aber auch für die Statue als durchaus geeignet voraussetzen. Das Original derselben war ursprünglich für Bronze erfunden, woraus sich die Anlage des 1. Armes, das Hervortreten des Unterarmes mit dem ihn leicht belastenden Palladium sehr einfach erklärt. Den Künstler aber, der das Werk in Marmor übertrug, können wir nur loben, wenn er das Palladium als kleines Bronzebild beibehielt, das der Sicherheit wegen nur leicht durch einen Bronzestift an der Marmorstütze befestigt zu werden brauchte, künstlerisch aber sich vortrefflich von den umgebenden Theilen loslöste, um mehr als die Bronze eine sehr saubere und sorgfältige Durchführung gestattete, die im Marmor bei einem kleinen Figürchen nicht so leicht in den richtigen Einklang mit der reichlich lebensgrossen Hauptgestalt zu setzen gewesen sein würde.

Neben der Anordnung des attributiven Beiwerkes muss aber auch auf die gesammte Erscheinung der Hauptfigur ein besonderer Nachdruck gelegt werden und hier möchte ich von einer etwas aussergewöhnlichen, aber gerade deshalb charakteristischen Einzelnheit ausgehen, nemlich von dem noch nicht voll entwickelten, das Kinn noch völlig freilassenden Barte. Der Kopf gewinnt dadurch einen etwas individuellen Charakter, der schon zu der Frage Anlass gegeben hat, ob in der dargestellten Persönlichkeit nicht geradezu ein Portrait zu erkennen sei. Und doch besitzen wir ein Zeugniss, welches die Art des Bartwuchses gerade bei Diomedes rechtfertigt. Philostratos im Heroïkos (IV, 4) beschreibt die körperliche Erscheinung des Diomedes mit folgenden Worten: Τον Διομήδην δὲ βεβηκότα τε ἀναγράφει καὶ χαροπὸν καὶ οὔπω μέλανα καὶ ὀρθὸν τῶν ῥῖνα, καὶ οἴλη δὲ ἡ κόμη καὶ σὺν αὐχμῷ. Der Ausdruck οὔπω μέλανα scheint aus der Terminologie des Bühnenwesens entnommen. Unter den tragischen Masken bei Pollux (IV, 136, 49) repräsentirt der uélag ávie das kräftigste Mannesalter, das seinen Ausdruck

findet in dem dunkeln Teint und dem vollen Haupt- und Barthaar. Der gereifte Jüngling wird allerdings bezeichnet als ayévetos, was aber nur als ohne Voll- und Kinnbart verstanden zu werden braucht; denn zugleich heisst er uɛλαινόμενος, was uns bestimmt wieder auf das οὔπω μέλας des Philostratos hinweist. Jedenfalls gewinnen wir hier einen Zug zur persönlichen Charakteristik des Diomedes, der wohl geeignet ist, das allgemeine Bild des Helden individuell zu beleben. Auch die übrige Schilderung bei Philostratos passt, wenn auch nicht streng wörtlich, doch im Wesentlichen auf die Statue: die stramme Haltung der Gestalt, die Wendung des Kopfes, der scharf nach aussen gewendete Blick würde bei einem gewöhnlichen Doryphoros, mit welchem der Körper allerdings eine nahe Verwandschaft zeigt, kaum genügend motivirt erscheinen; für einen Diomedes sind sie dagegen in besonderem Maasse charakteristisch, ja die ganze Composition erhält erst durch die Beziehung auf diesen Helden ihren individuellen Werth. Wenn aber die statuarische Darstellung eines Diomedes für die Zeit, welcher das Original angehört, problematisch sein soll, so wird dieses Bedenken so lange nicht wohl geltend gemacht werden dürfen, als unser Urtheil über die historische Stellung des Werkes noch nicht genügend festgestellt ist. Zu diesem Zwecke aber werden wir bei unseren Betrachtungen zwei Seiten, nemlich die Behandlung der Form und die geistige Auffassung, zuerst bestimmt unterscheiden müssen; und erst auf dieser Grundlage werden wir wagen dürfen, scheinbar widersprechende Erscheinungen zu einem einheitlichen Charakterbilde zu vereinigen.

"

Die formale Behandlung ist von Flasch mit gewohnter Schärfe analysirt worden, und ich kann mich mit seinen Ergebnissen im Wesentlichen durchaus einverstanden erklären. Um dieselben kurz zusammenzufassen, so erweist sich der Diomedes als noch unberührt von dem lysippischen Formensystem; er neigt vielmehr entschieden nach der älteren,

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