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Die

ars poetica

des

HORAZ

Kritisch-exegetische Untersuchung

von

Karl Welzhofer,
Gymnasialrektor in Straubing.

Cl. Attenkofersche Buch- und Accidenzdruckerei.

1898.

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An Herrn Geheimrat Professor Dr. Wilhelm von Christ.

Hochverehrter Herr Geheimrat! Drei Dezennien sind seit dem Jahre verflossen, in dem ich das Glück hatte, Ihr Schüler zu werden. Die Länge der Zeit hat die Gefühle der Dankbarkeit und Verehrung, die ich mit meinen Kommilitonen von Anfang an empfand und empfinden musste, nicht gemindert. Ebenso wie Leonhard Spengel, unser gemeinsamer Lehrer und Meister, haben Sie es ja verstanden, die jugendlichen Gemüter mit nachhaltiger Bewunderung für die herrliche Welt des klassischen Altertums zu erfüllen, die Flamme der Begeisterung in ihnen zu entfachen. Wenn es mir je gelingt, in den Herzen meiner Gymnasialschüler die Liebe zu den alten Klassikern zu wecken, so ist es im tiefsten Grunde Ihr und Spengels Werk. Unvergesslich ist mir Ihre für Lehrer vorbildliche Lebhaftigkeit des Vortrages, unvergesslich die anregende Weise, mit der Sie kritische Fragen, auch speziell solche auf dem Gebiete der Horazliteratur, zu behandeln pflegten. Es waren nicht selten kühne Wege der Kritik, die wir da an der Hand des Meisters gegangen sind. Als ein kühnes Werk mag auch vorliegende Abhandlung erscheinen, die ich in lieber Erinnerung an die Arbeiten im philologischen Seminar Ihnen, hochverehrter Herr Geheimrat, zu widmen wünschte. Zwar weiss ich aus Ihren brieflichen Entgegnungen, dass Sie gegen meine Umstellungsversuche sich skeptisch verhalten, trotzdem haben Sie mir die Ehre erwiesen und die Freude bereitet, die Widmung anzunehmen, indem Sie in vielen anderen Punkten méinen Ausführungen rückhaltslos beistimmen zu können erklärten. Für das, was an der bescheidenen Gabe Ihnen missfällt, möge die pietätvolle Gesinnung Ersatz bieten, in der ich sie Ihnen darbringe.

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n dem Buche von Albr. Dieterich „Pulcinella, Pompejanische Wandbilder und römische Satyrspiele", das im vorigen Jahre erschienen ist, befindet sich anhangsweise1) ein Aufsatz von Theod. Birt „über den Bau der ars poetica des Horaz." Dortselbst 2) wird die Behauptung ausgesprochen, dass der Archetypus des Briefes an die Pisonen 17 zeilige Seiten gehabt habe. Birt sagt: „Setzen wir an, dass V. 136-152 im Archetyp just eine Seite füllten, dass seine Seiten also 17 zeilig waren, so muss mit V. 135 eine Seite geschlossen haben, und die Verse 1-135 müssen durch 17 teilbar sein. Dies ist in der That der Fall. Rechnen wir für die -Überschrift eine Zeile hinzu, so ist die Verssumme just 136, das sind genau acht Seiten zu 17 Versen; bei V. 135 schloss pagina VIII, V. 136-152 standen auf pagina IX." Diese Worte waren es zunächst, die mich bestimmten, die Untersuchung aufzunehmen, als deren Resultat die vorliegende Abhandlung erscheint. Wir werden sehen, dass die von dem gelehrten Kenner des antiken Buchwesens ausgesprochene Vermutung richtig ist, indem sich wirklich ein Archetypus mit 17 zeiligen Seiten rekonstruieren lässt; wir werden ferner sehen, dass die Aufstellung dieser Hypothese keineswegs eine müssige Spielerei ist, sondern praktischen Wert hat.

Die Folgerung freilich, die Birt aus seiner Hypothese zog, muss als eine unrichtige bezeichnet werden. Er meint2), dass die Verse 136-152, der Jnhalt von pag. IX des Archetypus, hinter V. 44 eingeschaltet werden müssten, indem im Archetypus eine Unordnung entstanden sei. Doch selbst die Freunde der Umstellung von V. 45 und 46 werden diesem Vorschlage, den auch schon Hofman Peerlkamp gemacht hat, und der nun allerdings jetzt durch Birt eine bessere Begründung fand, kaum ihre Zustimmung geben. V. 44 steht so ziemlich mitten auf Seite III des Archetypus; von der Mitte der Seite sollten also 17 Verse sich weggeschlichen und auf einer eigenen Seite niedergelassen haben? Dies ist wenig wahrscheinlich. Ausserdem stehen die Verse 136 - 152 eben dort, wo wir sie lesen, an ihrem richtigen Platze3). Das also, was Birt auf seine Hypothese

1) Beilage zum 6. Kapitel, S. 279-301. Birt erklärt, dass die Miscelle,,im Wesentlichen schon im Jahre 1875 aufgesetzt" gewesen sei (S. 297 Anm.). 2) S. 293 f.

3) Die Begründung wird auf S. 15f gegeben werden.

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