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Einleitung.

Die theologische Forschung hat sich in der neuern Zeit mit großer Lebendigkeit der Geschichte des apostolischen und nachapostolischen Zeitalters, d. h. der beiden ersten christlichen Jahrhunderte zugewandt. Es ist dies ein Gebiet der Geschichte, zu dessen Aufhellung bei dem Mangel direkter Quellen der Konjekturalkritik ein weiter Raum gelassen ist, deren Anwendung ebenso viel Reiz darbietet, als sie Schwierigkeiten zu überwinden hat. Die Schwierigkeiten, welche der Geschichtschreibung des bezeichneten Zeitraums entgegentreten, sind aber nicht einfacher und gewöhnlicher Art, sondern gewissermaßen potenzirt. Nicht alle Schriften nämlich, welche jenem Zeitraume angehören, tragen das Zeichen ihres Ursprungs und ihrer Zeitbestimmung so deutlich an der Stirn, daß man an ihnen eine feste Basis zur Kontrole der einzelnen ge= schichtlichen Data, welche aus verschiedenen Gründen unsicher sind, und zur Aufstellung von Hypothesen besäße, mit welchen allein die Lücken der Geschichtsanschauung ausgefüllt werden können. Dies gilt von fast allen Schriften, von denen es klar ist, daß sie dem Jahrhunderte von der Zerstörung Jerusalems bis auf die Zeit des Irenâus angehören; aber auch eine Reihe neutestamentlicher Schriften, auf welche sich die Geschichte stüßen muß, entbehrt der unzweifelhaften Merkmale ihrer geschichtlichen Stellung. Damit also diese Schriften der Geschichtsforschung feste Anhaltspunkte gewähren können, bedarf es literargeschichtlicher Untersuchungen, und bei diesen ist nicht zu umgehen, daß die Gesammtanschauung der Periode, welche erst hypothetisch aus der Analyse der einzelnen Schriften hervorgehen soll, vielmehr schon

Ritschl, Altkath. Kirche. 2. Aufl.

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als Bass der Untersuchung derselben sich geltend macht. Wenn also überhaupt eine Vorausseßungslosigkeit der Geschichtschreibung möglich wäre '), so ist sie auf diesem Felde gar nicht in Anspruch zu nehmen. Wird nun aber nicht eine solche Geschichtschreibung, welche erst den geschichtlichen Ort der Quellen nach der Lotalanschauung der Periode, und dann diese nach jenen bestimmt, sich im Kreise bewegen? Wird diese Methode Gewißheit zu geben im Stande sein, und nicht in die größten Fehler und Willkürlichkeiten sich verwickeln? Dies alles wird freilich stattfinden, wenn man die streitige Periode, oder die einzelnen ihr angehörigen Quellen isolirt behandelt; allein wenn man eine feste Anschauung der Zeiträume und historischen Gestalten hat, welche der dunkeln Periode vorausgehen und folgen, so ist ein Grundfehler in der Lotalanschauung der dazwischen liegenden Entwickelung nicht leicht zu begehen. Uebrigens aber kann bei den sich ergänzenden Untersuchungen des Ganzen und des Einzelnen immer nur eine der Wahrheit sich annäherude Gewißheit erstrebt werden. Die vollkommene Erfassung des Gegenstandes, welche die Zustimmung zu ihren Resultaten erzwingt, liegt nie in der Macht einer bewußten Absicht, und kann durch eine bestimmte Methode der Forschung doch nicht hervorgebracht werden.

Bei der Verfolgung der Aufgabe ist es aber nöthig, ein neuerdings manchmal angewandtes Mittel unbenußt zu lassen. Es ist freilich ein ganz richtiger Gedanke, daß die Kritik des neuen Testamentes, wenn sie die Echtheit einer kanonischen Schrift zu leugnen Ursache findet, nicht nur bei dem negativen Urtheile ste

1) Dafür aber, daß sie es nicht ist, erlaube ich mir die treffenden Worte W. v. Humboldts in der Charakteristik Schillers vor dem Briefwechsel zwi schen S. und H. (Stuttg. 1830) E. 57 anzuführen: „Eine Thatfache läßt sich ebenso wenig zu einer Eeschichte, wie die Gesichtszüge eines Menschen zu einem Bildniß bles abschreiben. Wie in dem organischen Bau und dem Seelenausdruck der Gestalt giebt es in dem Zusammenhange selbst einer einfachen Begebenheit eine lebendige Einheit, und nur von diesem Mittelpunkt aus läßt sie sich auffassen und darstellen. Auch tritt, man möge es wollen, oder nicht, unvermeidlich zwischen die Ereignisse und die Tarstellung die Auffaffung des Geschichtschreibers; und der wahre Zusammenhang wird am sichersten von demjenigen erkannt, der seinen Blick an philosophischer und poetischer Nothwendigkeit geübt hat. Denn auch hier steht die Wirklichkeit mit dem Geiste in geheimnißvollem Bunde."

hen bleiben darf, sondern auch die Aufgabe hat, den historischen Ort zu bestimmen, welchem die unechte Schrift wahrscheinlich angehört. Es liegt aber eine sehr dringende Gefahr des Irrthums darin, solange das zweite christliche Jahrhundert nicht nach allen Seiten durchforscht ist, solchen wie man vermuthet unechten Schriften des N. L. nicht nur aus blos innern Gründen ihren Ort in demselben anzuweisen, sondern noch dazu sie in erster Reihe als Quellenschriften und repräsentative Dokumente jener Periode zu benußen. Geseßt, daß wirklich Grund dazu vorhanden wåre, Schriften, wie das johanneische Evangelium, die Apostelgeschichte, die Pastoralbriefe dem zweiten Jahrhundert zu überweisen, so muß die Kritik sich erst viel vollständiger, als bisher geschehen ist, über die Geschichte des zweiten Jahrhunderts orientiren, ehe sie dazu fortschreiten kann, den Ort unechter Schriften des Kanons positiv zu bestimmen.

Ueber die dunkle Periode der nachapostolischen Zeit glauben wir am sichersten Klarheit gewinnen zu können, wenn wir unsere Aufgabe bestimmt fassen als die Geschichte der Entstehung der altkatholischen Kirche aus dem Urchristenthume. Die Richtungen und Verhältnisse im apostolischen Zeitalter sind die nothwendige Vorausseßung, aus welcher die bis jeßt dunkle Entwickelung des zweiten Jahrhunderts hervorgegangen sein muß, und die Gestalt der altkatholischen Kirche am Ende des zweiten und am Anfang des dritten Jahrhunderts ist das Resultat derselben. Es wird wohl keinem Zweifel unterliegen, daß dies Resultat nicht nur indirekte Schlüsse auf die Art seiner Entstehung erlaubt, sondern daß die Gestalt des katholischen Christenthumes in jener Epoche für die Erforschung des zweiten Jahrhunderts auch direkte Gesichtspunkte an die Hand giebt. Mit dieser Untersuchung hoffen wir einmal eine Lücke der Dogmengeschichte auszufüllen, dann aber auch eine Schuld der protestantischen Geschichtsforschung abzutragen. In den dogmengeschichtlichen Handbüchern und Monographieen suchen wir nämlich vergebens nach einer Charakteristik des åltesten katholischen Christenthumes, dessen Unterschied vom Urchristenthum doch eben so einleuchtet, wie der vom Protestantismus. Um so weniger dürfen wir also dort einen Nachweis der

Entstehung jener Form des Christenthums aus seiner ursprünglichen Gestalt erwarten. Zweitens aber ist die Lösung unserer Aufgabe, der Entstehung der einen altkatholischen Kirche aus dem einfachen Keime des Evangeliums durch die mannigfaltigen Formen der urchristlichen Vorstellungen und Richtungen hindurch nachzu= forschen, eine wissenschaftliche Pflicht, welche die protestantische Theologie seit ihrem Ursprunge der katholischen Geschichtsanschauung gegenüber noch nicht erfüllt hat. Wenn die römischkatholische Kirche die Festsetzung ihrer wesentlichen Formen von Christus und den Aposteln herleitet, so entstand für die Theologen der Reformation nicht nur die Aufgabe, diesen Anspruch als unhistorisch abzuweisen, sondern es ergab sich auch die Nothwendigkeit, die von dem ursprünglichen Sinne des Evangeliums und von den Formen der apostolischen Lehre und Einrichtungen abweichende Gestalt der katholischen Religionsanschauung und Verfassung auf historischem Wege zu begreifen. Für die Erfüllung dieser Pflicht ist bis jetzt keinesweges Alles gethan, und darum das, was geschehen ist, wegen der anhaftenden Halbheit durch aus nicht sicher gestellt. Der Grundfehler fast aller protestantischen Versuche, den Umschlag des Urchristenthums in die katholische Form zu begreifen, liegt aber darin, daß man das Verhåltniß der Verfassung und der dogmatischen Grundanschauung im Katholicismus nicht erkannte. Entweder wurde über der sich deuts lich aufdrångenden Abweichung der katholischen Episkopalverfassung von den urchristlichen Gemeindeeinrichtungen die von den apostolischen Lehrtypen principmäßig verschiedene dogmatische Grundanschauung der altkatholischen Kirche ganz übersehen; oder die letztere in Abhängigkeit von der ersten gestellt, und zwar so, daß das Aufkommen alttestamentlicher Verfassungsformen innerhalb des Christenthums den Rückschlag der apostolischen Glaubensfreiheit in die alttestamentliche Form des religiösen Bewußtseins bewirkt habe. In beiden Fällen tritt uns ein hinter den Ansprüchen an Geschichtschreibung zurückbleibender Mangel entgegen, den wir am besten an den beide Richtungen darstellenden Schriften nachweisen.

In den magdeburgischen Centurien wird die aposto

lische Herkunft des Episkopates geleugnet, und auf dem Felde der Verfassung die Abweichung der katholischen Kirche des zweiten Jahrhunderts von den apostolischen Einrichtungen nachgewiesen; allein einen Umschwung der Grundanschauung, welche mit der Entwickelung der Kirchenverfassung zugleich sich bemerklich macht, erkennen die Verfasser so wenig, daß sie die Abfassung des apostolischen Symbolums durch die Apostel, welche doch der Behaup tung des apostolischen Ursprungs des Episkopates ganz parallel ist, ohne Anstand annehmen. In dieser Beziehung also haben die Centuriatoren selbst den katholischen Standpunkt nicht verlassen, und sind deßhalb nicht im Stande, den Punkt zu finden, von wel= chem an die Gesammtentwickelung der Kirche die apostolische Grundanschauung verläßt. Allerdings weisen sie schon bei Kirchenlehrern des zweiten Jahrhunderts einzelne Vorstellungen nach, welche von dem rechten Wege der apostolischen Lehre sich entfernt haben sollen, und die Masse dieses abweichenden Lehrstoffes wird in jedem folgenden Jahrhundert größer; das vorgeblich Unrichtige wird aber so mechanisch neben das Richtige gestellt, daß für dessen Auftreten auch nur die mechanische Kategorie eines Falles als Erklärungsgrund übrig bleibt. Diese aber giebt die Geschichte allen Mächten des Zufalls Preis, um so mehr, wenn nicht einmal ein gemeinsames Merkmal der vom rechten Wege abgekommenen Lehrelemente aufgezeigt werden konnte.

Der andere Fall macht sich in Neanders Anschauung von dem Gange der inneren Geschichte des zweiten Jahrhunderts bemerklich 1). Derselbe erkennt den innern Charakter der Abweichung des katholischen Christenthums von dem paulinischen sehr wohl, indem er den Entwickelungsgang so schildert, daß aus dem durch die Vermittelung des Paulinismus zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit vom Judenthum entwickelten Christenthum sich wieder ein dem alttestamentlichen verwandter Standpunkt, eine neue Veräußerlichung des Reiches Gottes, und eine neue Zucht des Gesezes herausgebildet habe. Als Mittelglied dieses Umschlages

1) Vgl. Allgem. Gesch. der chriftl. Rel. und Kirche (2. Aufl.) Bd. 1. .331-333.

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