Demagog jene Provinz in Verwirrung stürzte? Eon scheint einer jener Menschen gewesen zu sein, in denen bewusste Täuschung und trügerisches Gaukelwesen mit schwärmerischer Verblendung so gemischt sind, dass die Grenzlinie nicht mehr sichtbar ist, die Mischung aber gerade hinreicht, einen höchst gefährlichen Volksverführer zu bilden. Was Wilhelm von Newbridge ) von den Gaukeleien erzählt, durch die er seinen Anhang an sich fesselte, ist offenbar ins Fabelhafte ausgemalt. Thatsache aber ist, dass er sich selbst für den Sohn Gottes, den Richter der Lebenden und Todten, den Herrn aller Dinge ausgab?) und von seinem obersten Eigenthumsrechte durch die Plünderung von Kirchen und Klöstern, die seine Anhänger auf sein Geheiss vollbrachten, praktischen Gebrauch machte. Als neue Incarnation der Gottheit ernannte er Engel und Apostel, ordinirte Bischöfe und Erzbischöfe, ward aber endlich in der Diöcese Rheims festgenommen, dann im J. 1148 auf die dortige Synode und von da auf Befehl des Regenten Suger in ein Gefängniss gebracht, in welchem er nach einiger Zeit starb. Aber eine Sekte von Eoniten erhielt sich noch einige Zeit und in dem Bisthum Alët wurden mehrere wegen beharrlicher Anhänglichkeit an Eons Irrthümer hingerichtet.) Die Annahme liegt demnach sehr nahe, dass diess eben die von Hugo bestrittene Sekte sei, und Mabillon 4) hat diess auch behauptet. In der That redet Hugo in der seiner Schrift vorangesetzten Widmung an den Kardinal Alberich von der Häresie, die damals in Armorica (der Bretagne) verbreitet gewesen, und von dem Stifter oder Anführer der Sekte, der sich nicht in die Nähe des Kardinal-Legaten gewagt habe; dass aber eine andere als die Eonitische Sekte damals in der Bretagne bestanden, davon findet sich bei keinem Chronisten eine Spur. 1) Guil. Neubrig. de rebus anglicis (ed. Picard, Par. 1610) I, 19. 2) Da er in der Kirche in den Worten des Exorcismus: per eum qui venturus est judicare vivos et mortuos, das eum wie Eon aussprechen hörte, sagte er zu seinen Anhängern, er sei es, der hier genannt werde. Guil. Neubrig. 1. c.; Otto Frising. De gestis Frid. 1, 54. Eine bretagnische Chronik (im Recueil des hist. de la Fr. XII, 558) gibt an, dass namentlich viele Einsiedlerwohnungen auf sein Geheiss verbrannt wurden. 3) Chron. Britann. im Recueil XII, 558. Indess bleibt es immer zweifelhaft, ob Hugo die Eoniten bestritten habe, denn einmal wäre es doch seltsam, wenn er in seiner Schrift gerade das, was so allgemeines Aufsehen erregte, die göttliche Würde, die Eon sich beilegte, übergangen hätte, und anderseits erwähnt keiner der Geschichtschreiber, die von Eon reden, dass derselbe auch die von Hugo bekämpften Lehren, vorgetragen habe. Eher möchte man annehmen, dass die damals so rührigen Sendboten der manichäischen Sekte sich die durch den bretagnischen Schwärmer zusammengebrachten und nach dessen Gefangennehmung ihres Haltes beraubten Eoniten als ein empfängliches Erdreich für die Einpflanzung ihrer Lehren ersahen, und wenn sie dann in der kurzen Frist von ein paar Jahren in den Gemüthern der Verführten das Andenken an den angeblichen Sohn Gottes und Weltenrichter, dessen Herrlichkeit in einem Kerker ein klägliches Ende genommen, so völlig auslöschten, dass Hugo der verrückten Anmassung weiter zu gedenken keine Veranlassung mehr hatte, so kann diess nicht befremden. Achtes Kapitel Tanchelm. Bisher sind wir, die bald erloschenen oder in Manichäer umgewandelten Eoniten abgerechnet, überall nur Verzweigungen der einen grossen neu-manichäischen Sektenfamilie begegnet, welche, wenn auch in einzelnen Meinungen von einander abweichend, doch in den Hauptpunkten, der Verwerfung des Alten Testaments, dem Dualismus, der Leugnung der Auferstehung, der Verachtung der Sacramente und anderen, übereinstimmten. Wie jedoch gegen Ende des Jahrhunderts die dem gnostisch-manichäischen Geiste ursprünglich ganz fremden Valdesier auftraten, so zeigt sich schon vor der Mitte desselben Jahrhunderts am Niederrhein eine kleine, wenig bemerkte Sekte, die, gleichfalls von gnostischen Elementen unberührt, als die Vorläuferin der Valdesier zu betrachten ist. Der Urheber derselben war jener Tanchelm, der die Grundsätze der Donatisten und die wilde, zerstörende Schwärmerei der Circumcellionen mit dem tollkühnen Übermuth und den frechen Blasphemien eines Eon verband. Tanchelm, ein unwissender Laie, dem aber eine mächtige, volksthümliche Beredsamkeit zu Gebote stand, war in Begleitung eines Priesters Everwacher, der ihm auch in der Folge anhing, in unbekannter Absicht nach Rom gegangen; nach seiner Rückkehr trat er in Flandern und Seeland, auf der Insel Walchern und in der Umgegend als Prediger einer neuen Religion auf. Dieser war die alte donatistische Lehre zu Grunde gelegt, dass der Werth und die Kraft der Sacramente ganz abhängig seien von der moralischen Beschaffenheit des Ausspenders, jene Lehre, die, so oft sie dem Volke in der einen oder anderen Gestalt gepredigt worden, sich als eine so furchtbare Waffe religiöser Demagogie und als ein mächtiger Hebel des Abfalls von der Kirche erwiesen hat. Tanchelm behauptete nun, der Klerus in Masse sei ausgeartet und lasterhaft, seiner ursprünglichen Bestimmung und der apostolischen Lebensweise entfremdet; daher sei die Gewalt der Kirchenvorsteher erloschen, die Succession des Priesterthums unterbrochen; in den Händen solcher Unwürdigen seien die Sacramente unrein, sacrilegische Cere monien, die den Empfänger nicht heiligen, nur beflecken könnten; auch die Eucharistie, von solchen Geistlichen geweiht, sei zu verachten. Der Zustand der Gegenden am Niederrhein war seinem Unternehmen günstig; in den dortigen, übergrossen Diöcesen war für die religiösen Bedürfnisse des Volkes wenig gesorgt; in dem grossen, volkreichen Antwerpen befand sich ein einziger, noch dazu mit seiner Nichte in Ehe oder im Concubinat lebender Priester. Zudem war, seitdem der grosse Kampf gegen Simonie und Concubinat der Geistlichen begonnen hatte, das Volk häufig selbst im Namen und aus Auftrag der Päpste aufgefordert worden, dem Gottesdienste der von diesen Lastern angesteckten Priester nicht beizuwohnen und die Sacramente nicht von ihnen zu empfangen. Manche Prediger hatten sich dabei von ihrem Eifer bis zu Behauptungen fortreissen lassen, welche leicht bei dem Volke den Wahn erzeugen konnten, als ob wirklich die Sacramente durch die Sündhaftigkeit des weihenden oder austheilenden Priesters selbst entweiht und entkräftet würden. Um so leichteren Eingang fand nun Tanchelms Lehre; auch seine Nutzanwendung, dass das Volk den Geistlichen den Zehnten nicht mehr entrichten solle, klang vielen Ohren willkommen. Sobald er einen starken Anhang um sich gesammelt hatte, begann er auch mit äusserem Glanze aufzutreten; er schmückte seine Kleider mit Gold, seine Haare mit Juwelen, umgab sich mit einer Leibwache von dreitausend Bewaffneten, liess eine Fahne und ein blosses Schwert vor sich hertragen, predigte auf freiem Felde und machte sich so furchtbar, dass niemand vor ihm erscheinen durfte, der nicht sofort seine Lehre annahm, und selbst die dortigen Fürsten sich ihm nicht zu widersetzen wagten. Widerstrebende wurden auf sein Geheiss ohne weiteres niedergehauen. So verblendet, so ganz mit Leib und . Seele ihm hingegeben waren seine zahlreichen Anhänger, dass er sich die gröbsten Ausschweifungen erlauben durfte. Er soll Weiber in Gegenwart ihrer Männer, Töchter vor den Augen ihrer Mütter missbraucht haben. Es sei diess, sagte er, das Werk des Geistes, und beklagenswerth seien jene Frauen, die nicht durch die fleischliche Vermischung mit ihm des Geistes theilhaft würden, Berauscht von seinen Erfolgen, trug er kein Bedenken, selbst göttliche Ehre für sich in Anspruch zu nehmen. Christus, verkündete er dem Volke, sei insofern göttlicher Würde gewesen, als die Fülle des heiligen Geistes auf ihn herabgekommen sei; er, Tanchelm, habe denselben Geist empfangen und sei demnach nicht geringer als Christus. Man glaubte ihm; schon der Boden, den er betrat, wurde für heilig geachtet, das Wasser, in dem er sich gebadet hatte, als kostbare Reliquie aufbewahrt oder von Kranken als Heilmittel getrunken; selbst eine Kirche soll ihm zu Ehren errichtet worden sein. Da er seine Anhänger prächtig bewirthete und dadurch immer mehrere anlockte, bedurfte er reichlicher Zuflüsse; er verlobte sich daher öffentlich mit der Jungfrau Maria, deren Bild zu dem Ende in die Versammlung gebracht wurde, und liess sich darauf von Männern und Frauen, was sie Werthvolles besassen, als Hochzeitsgeschenk darbringen. Einer seiner Anhänger, der Schlosser Manasses, errichtete, dem Beispiele des Meisters folgend, eine Gilde oder Brüderschaft, in der zwölf Männer die Apostel vorstellten, ein Weib die heilige Jungfrau, und man erzählte, dass, um das Band der neuen Innung recht fest zu knüpfen, jeder der sogenannten Apostel nach der Reihenfolge mit diesem Weibe sich verbinde.) Tanchelm fiel endlich in die Gewalt des Erzbischofs von Köln, kam wieder los und wurde im J. 1115 von 1) Epistola Traject. eccl. ad Trid. Episc. bei Tengnagel, Vet. monum. p. 368. Vita S. Norberti in den Acta SS. Bolland. 6. Jun. Roberti de Monte App. ad Sigeb. im Recueil des bist. de la Fr. XIII, 328. P. 843. |