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I. Die Entstehung der >>Critischen Dichtkunst<«<.

Gottsched selbst berichtet über die Entstehung seiner >> Critischen Dichtkunst<< in der Vorrede zur ersten Auflage 1). Er geht bis auf die poetischen Kollegien seiner Königsberger Universitätsjahre unter Rohde und Pietsch zurück; weiter erwähnt er die mancherlei Beeinflussungen in der Leipziger Zeit, besonders auch durch die Diskurse der Maler. Daran schließt sich ein regelrechtes Quellenverzeichnis, in dem er all die älteren und neueren, (meist französischen) Werke erwähnt, die er in der Büchersammlung seines Gönners Mencke gelesen hat, in der Absicht sich selbst einen regelmäßigen Begriff von der Poesie zu machen«. Die Aufforderung, einigen Freunden ein Collegium poeticum zu lesen, veranlaßte ihn zu einer geordneten Zusammenfassung seiner mancherlei »Gedanken und Anmerckungen << von der Poesie, die er nach nochmaliger Überarbeitung ein Jahr später (1729) als >>Critische Dichtkunst<< herausgab. Er gesteht dabei zu: »Ich hatte mir nur vorgesetzt, dasjenige, was in so unzehlich vielen Büchern zerstreut ist, in einem einzigen Wercke zusammen zu fassen. . .«

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In der Vorrede zur zweiten Auflage (1737) wiederholt er sein Geständnis, daß er alles, was etwa in seiner Critischen Dichtkunst Gutes enthalten sei, nicht sich selbst, sondern den

1) »An den Leser« 5.-8. Seite. Außerdem ist besonders für die Anschauungen Gottscheds über das Theater die Vorrede zum >>Sterbenden Cato« 1. Aufl. lehrreich.

größten Critikverständigen alter und neuer Zeiten zu verdanken habe1). Es folgt wiederum das ausführliche Verzeichnis der >>größten Meister und Kenner der Dichtkunst«, von denen er alle seine >> critischen Regeln und Beurtheilungen alter und neuer Gedichte<< erlernt hat; »Aristoteles, Horaz, Longin, Scaliger, Boileau, Bossu, Dacier, Perrault, Bouhours, Fénelon, St. Evremond, Fontenelle, La Motte, Corneille, Racine, des Callières und Furetière; ja endlich noch Shaftesbury, Addison, Steele, Castelvetro, Muralt und Voltaire. . . haben mich fähig gemacht, solch Werk zu unternehmen«. Gegen den von Heinecke erhobenen Vorwurf des Ausschreibens verwahrt er sich mit einem Wort des Rollin, wonach dieser lieber ein guter Kompilator, als ein schlechter Autor sein will: >> Pour embellir et enrichir mon Livre, je declare, que je ne me fais point un scrupule, ni une honte de piller par tout, souvent même sans citer les Auteurs que je copie, parce que quelquefois je me donne la liberté d'y faire quelques changemens<< etc. 2).

So führt er denn noch eine weitere Reihe von Gewährsmännern an, die er für diese neue Auflage benutzt hat: Riccoboni, den Grafen Conti 3), Muratori, Rapin, P. Brumoy, Hédelin d'Aubignac, Remond de St. Mard, mehrere englische Schriftsteller, Pope u. a., und von den Alten Plato, Cicero, Quintilian, Seneca, von Renaissancepoetikern Heinsius und Rappolt.

Bedeutsame Einzelheiten zum Werdegang von Gottscheds aesthetischen Anschauungen bringt noch Waniek in seinem vortrefflichen Werke »Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit«< (Leipzig 1897). Danach hätte Gottsched, abgesehen von seinen früheren Aristotelesstudien und den Anregungen seiner älteren Lehrer, sowie der damaligen deutschen Dichter, zuerst Horaz und hierauf Boileau studiert, später (1726) in

1) S. 3.

2) S. 4.

3) Der ihm als der Verfasser des Paragone allerdings noch nicht namentlich bekannt ist.

Leipzig, besonders zielbewußt nach seinem Eintritt in die deutschübende poetische Gesellschaft, sich näher mit den Franzosen beschäftigt, die er im Gegensatz zur späteren Zeit zunächst noch mit Perrault über die Alten stellt. In den »vernünftigen Tadlerinnen << zeigt er sich nach Waniek zuerst als >> unver: frornen Plagiator«, dabei beseelt von dem Ehrgeiz, den französischen Vorbildern gleichzukommen, von denen ihm damals u. a. besonders Fontenelle und Le Clerc 1), auch St. Evremond nahestanden. Jetzt tritt auch die alte aristotelische Formel von der Naturnachahmung als Gegenstand der Poesie bei ihm auf 2). Auch die anderen Grundanschauungen und viele Einzelheiten der >> Critischen Dichtkunst<< entwickeln sich im »Biedermann «< (1726—29), so die lehrhafte Auffassung der Poesie, die Feindseligkeit gegen die freischaffende Phantasie, die zum allmählichen Zerfall mit den Schweizern führt.

1) Jedenfalls haben diese Beeinflussungen bis zur Abfassung der Critischen Dichtkunst noch mancherlei Einschränkungen erfahren. Fontenelle ist viel radikaler als Gottsched, seine Lehre vom Ursprung der Fabeln (Abhandl. in den Schr. der deutschen Ges. I. Teil, Lpz. 1742) aus Lüge und Irrtum und von der Entstehung des Wunderbaren aus der Unwissenheit erinnert zwar stark an Gottscheds Auffassung von der Zügellosigkeit der unverbildeten Phantasie, geht aber doch noch über Gottsched hinaus; besonders weicht Fontenelle von Gottsched in der respektlosen Auffassung der Antike ab. Mit Le Clerc (Pietschs ges. poet. Schriften u. s. w. Lpz. 1725) steht es ähnlich. Bei ihm findet sich neben anderen Berührungspunkten das gleiche Streben nach Klarheit und Sprachreinheit, wie bei Gottsched, aber auch er will von der moralisierenden Tendenz der antiken Epen, wie sie später Gottsched als wackerer Verfechter der Antike (gegen die Moderne) unter Le Bossus Aegide vertritt, nichts wissen, wenn er auch das Utile cum dulci als erstrebenswertes Ideal anerkennt.

2) Wanieks Zurückweisung Braitmaiers, dessen Befangenheit gegen Gottsched ihn zuweilen bis zur vollendeten Ungerechtigkeit fortreißt, scheint mir sehr am Platze. Braitmaier stellt z. B. Gottsched gerade für diesen Zeitpunkt noch als völligen Ignoranten hin, der erst durch die Schweizer eine Ahnung von der poetischen Theorie bekommen habe und zunächst ganz von ihnen abhängig` gewesen sei. (Braitmaier Gesch. d. poet. Theorie u. Kritik I, S. 47).

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