hervor 1), aber auch wieder ein hoher Idealismus, eine warme Liebe für die nationale Dichtung, ein ehrliches Bestreben, dem verachteten deutschen Geistesleben seinen Platz unter Europas Völkern zu verschaffen das alles findet sich in diesem scheinbar so trockenen Buche. Hier spricht nicht der blinde Nachahmer der Franzosen, sondern ein Deutscher voll vaterländischer Begeisterung für die geistigen Güter seines Volkes, die nur allzu tief, teils unter fruchtloser Gelehrsamkeit, teils unter geschmackloser Roheit begraben liegen. Dennoch gelingt es seiner rastlosen Umsicht, eine reiche Fülle deutscher Dichter wenigstens zum Belege seiner herüberverpflanzten Bestrebungen heranzuziehen, Namen, wie Opitz, Dach, Fleming, Canitz, Pietsch, Neukirch, Günther, Rachel, Amthor, Besser u. a. m. treten uns allenthalben entgegen und müssen die Beispiele etwa für die Einteilung der poetischen Figuren nach der Rhetorik eines P. Lami oder für die Rhythmik des Isaac Vossius liefern. Wenn Gottsched auch sein Bestes fremden und besonders französischen Vorbildern verdankt, — sein Empfinden war doch vaterländisch-deutsch. Freilich überwuchern die fremden Elemente allzu stark die eigene Persönlichkeit, und während der erste Teil noch manchen kräftigen Ausfall gegen die Franzosen enthielt, steht der zweite Teil der Critischen Dichtkunst überwiegend unter ihrem Zeichen. 1) Außerdem natürlich besonders aus seiner Phantasiefeindlichkeit und der Überschätzung bloßen Fleißes. IV. Der französische Einfluß im zweiten Teil der Critischen Dichtkunst. 1. Hauptstück. Von Oden oder Liedern. Wenn Gottsched in der Einleitung dieses ersten Abschnittes hervorhebt, daß er aus Gründen einer chronologischen Anordnung mit den Oden beginne, so ist ihm für die drei ersten Auflagen zum mindesten Mangel an Folgerichtigkeit vorzuwerfen, denn während das 2. Hauptstück von den Cantaten >>einer neuen Erfindung der Italiener, davon die Alten nichts gewußt haben«, handelt, folgen im 3. Abschnitt die Schäfergedichte, von denen wieder behauptet wird, sie seien die älteste Art von Liedern und somit die allerälteste Gattung von Gedichten überhaupt 1). 1) In der IV. Auflage wird Gottsched dagegen dem Gedanken der Entwicklung, des historischen und sprachlichen Zusammenhangs besser gerecht. Das zeigt schon seine Neueinteilung der Dichtarten in alte und neue, außerdem die Aufeinanderfolge verwandter Gattungen mit der Einschiebung von Zwischenstufen, auch die erweiterten historischen Rückblicke. Gottsched hat übrigens selbst in der Vorrede die Neuerungen dieser Auflage besprochen: der erste Teil soll unverändert auf der Grundlage des alten bestehen, für die zahlreichen Einfügungen und Umstellungen des zweiten Teiles ist in der Zusammenstellung Ursprungs- und Zeitgemeinschaft nach eigenen Forschungen! - ausschlaggebend gewesen. Während die Rückblicke beibehalten sind, sind die Beispiele aus technischen Gründen fortgelassen. Zur weiteren Charakteristik dieser äußerlich so andersgearteten Neuausgabe sei vorbemerkt, daß Gottsched an > Regeln<< wenig Neues bringt, daß vielmehr die alten Grundgedanken: For Ähnliche Inkonsequenzen und Widersprüche finden sich auch innerhalb des Kapitels selbst. Als Grundgesetz für das Lied wird die Sangbarkeit 1) aufgestellt, die schon Scaliger) als besonderes Charakteristikum hervorhebt: ». Neque enim ea sine cantu atque Lyra pronuntiabant, unde et Lyricorum appellatio<< etc. mit beständigem Rückweis auf die Antike. Auch die Einteilung in die Unterarten findet sich ähnlich bei Scaliger und besonders bei Horaz, allerdings mit der Abweichung, daß dieser vier), Gottsched drei ursprüngliche Klassen annimmt, nämlich traurige, lustige und verliebte Lieder. Später findet sich dann ziemlich unvermittelt bei Gelegenheit der Schreibart eine andere Einteilung in Loboden, lehrreiche, lustige und traurige Oden. Die Einteilung der Schreibart selbst geht auf den ersten Teil, XI. Hauptstück (§§ 10 ff.) zurück. Doch gestattet Gottsched der Ode bezüglich des Inhalts alle Freiheit; am besten freilich sei es, die anfänglichen Stoffe beizubehalten, Helden, Wein und Liebe zu besingen, wie Horaz es verlangt 4). Ein unmittelbarer und durchgehender Einfluß von französischer Seite liegt nicht vor. Gottsched gibt häufig im Einzelnen rein persönliche Urteile ab, die als solche schon an ihrer Form leicht erkennbar sind, nimmt seine Beispiele aus eigenen und anderen deutschen Gedichten, und selbst in der 3. Auflage, in der er sich sonst weit offenherziger zeigt, als etwa in der ersten, finden sich keine greifbaren Hinweise auf französische oder andere Vorbilder, im Gegenteil scheint derung der Natürlichkeit, Wahrscheinlichkeit, Einfachheit, Lehrhaftigkeit und Sittsamkeit immer wiederkehren. Reichere Kenntnisse und wohl auch die vielen bitteren Erfahrungen der Zwischenzeit lassen Gottsched duldsamer und weitherziger erscheinen. 1) cf. auch I. I. cap. I. cap. XLIV. 2) Auf den Braitmaier hinweist.. 3) Ars poetica v. 83 ff. und Daciers Anm. (Oeuvres d'Hor. X S. 136) bezw. Gottsched C. D. 2. Aufl. Anm. zu v. 110. 4) Demnach ist die bloße Forderung des bedeutenden Gehaltes (nach La Motte) schon wieder durch eine Spezialisierung verdrängt. Gottsched im eigenen Urteil sicherer geworden zu sein, und dieses stützt sich auf eine noch genauere Kenntnis und höhere Achtung der älteren deutschen Literatur. Das verraten die mancherlei Einschiebungen (deren größte sich allerdings mit Pindar befaßt), vor allem aber die angereihten Lieder von Opitz und anderen, die hier wie überall die eigenen Dichtungen Gottscheds als Musterbeispiele ersetzen müssen. Dagegen ist wohl für die Versübersetzung der XII. Olympischen Ode von Pindar, die in § 5 der IV. Auflage die Gottschedsche Ode ersetzen soll, ein französischer Mittelsmann in dem Abbé Massieu anzunehmen (Mem. Bd. VI La Haye 1724 p. 189 ff.); dort konnte G. die griechischen Verse mit französischer Prosaübersetzung und Erläuterungen finden. Auch Boileau wird in der 3. Auflage zurückgedrängt, und es bleibt nur noch das berühmte >> beau désordre« übrig. Auf ein französisches Werk wird neu hingewiesen, auf eine Abhandlung von de la Nauze in den Mémoires de l'Académie des Belles Lettres Tom. XIII p. 501 u. f.1). In der Pariser Ausgabe der Mémoires findet sich diese Abhandlung im IX. Bande 320 und 347 u. f. unter dem Titel: >> Premier und Second Mémoire sur les Chansons de l'ancienne Grèce«, par M. de la Nauze. Ihr hat Gottsched jedoch lediglich die Bemerkungen über die ersten Lieder, die in der 3. Auflage dem § 1 eingefügt sind, entnommen: »Die Alten haben ihre Gesetze gesungen .«< >>Ils chantèrent leurs loix, et c'est ce qui fit donner le même nom grec vópot aux loix et aux chansons. Car Aristote « 2) >> Alles was vor dem Cadmus von Milet und dem Pherecydes von Scyros in Griechenland gemacht worden, das waren Lieder und Gesänge«. les ouvrages des écrivains Grecs antérieurs à Cadmus de Milet et à Phérécydes des Scyros, estoient des pièces de vers qui se chantoient<< 3). Ebenso sind sämtliche Beispiele aus der Odyssee »>. . tous 1) Diese Angabe trifft auf die Amsterdamer Ausgabe von 1741 zu. 2) Mem. IX. S. 320. 3) S. 321. fast wortgetreu aus der französischen Abhandlung herübergenommen: »Dans le premier livre, Phemius chante aux amants de Pénélope la difficulté du retour des Grecs après le sac de Troye<< etc. 1). Damit endigt auch die Beeinflussung Gottscheds durch de la Nauze, der sich weiterhin in unzähligen Einzelheiten verliert, die Gottsched nicht gebrauchen konnte. Denn die » Dépendance mutuelle« von Text und Musik, die, »weil sie sich zu einander schicken sollen, sich eins nach dem andern richten müssen<«, wie Gottsched ziemlich überflüssig bemerkt, wird von der 1. Auflage an schon betont, während jene Memoiren erst 1736 erschienen sind. Eher kommt noch die in der IV. Auflage zweimal erwähnte Abhandlung von Fraguier im II. Band der Pariser Ausgabe der Mémoires p. 34 ff. (Amsterdamer Ausg. III. Band p. 42): >>Le Caractère de Pindare« von Anbeginn an in Betracht. Dort (p. 35) findet sich »die so genannte Begeisterung, das berühmte Göttliche . . ., weswegen Pindar so bewundert wird«< (§ 11). Und dieser Zustand der Inspiration wird ganz ähnlich, nur noch weitläufiger ausgemalt, wie es bei Gottsched geschieht: > son esprit s'échauffe, son imagination s'allume . . .; et le feu qui l'anime . . . luy découvre tout d'un coup . . . ce qu'avant cela il n'estoit pas capable d'appercevoir. Tantost les pensées nobles et les traits les plus brillants; tantost les images tendres et gracieuses; tout cela se vient présenter en foule, avec une suite de choses agréables La chaleur de l'enthousiasme Ces différentes impressions pro s'empare. de son esprit duisent des effets différents: des descriptions quelquefois simples etc. quelquefois riches, nobles et élevées; des comparaisons justes et vives. (p. 36). Noch zwei weitere französische Werke kommen für diesen Abschnitt in Betracht. Nach La Motte 2) ist der einzige Zweck aller Poesie das 1) S. 322. 2) Houdars de la Motte, Disc. sur la poésie en gén. et sur |