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von Gottsched abhängig und verdanken ihm erst die hohe Auffassung vom Dichterberuf und vom Dichtwerk, ja sogar gewisse Einzelheiten in ihren Schöpfungen; trotzdem waren sie aber, als unzulängliche, widersetzliche und zu früh des Meisters Lehren entlaufene Schüler der ganzen »Kühnheit und Großartigkeit<< von Gottscheds Forderungen nicht gewachsen.

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Diese Forderungen, die bisher ihrer Anzahl und ihrer Strenge nach überschätzten, nach ihrer Tiefe und ihrem inneren Gehalt gänzlich unterschätzten »Regeln«, sind also in Wahrheit >>großherzig erteilte, aus dem feinsten Verständnis für das Wesentliche der Dichtkunst und einem überreichen, aus den besten Werken der Weltlitteratur, ihren Vorzügen und Mängeln, geschöpften Schatz des Wissens geflossene Anleitungen und Warnungen (p. 443). »Nie begeht er die Abgeschmacktheit, auf seine >> Regeln zu pochen<<; nie klammert er sich mit pedantischer Starrheit an seine » Regeln« . (p. 415). >>Keine Spur von jener, ihm immer aufs neue nachgesagten Pedantentorheit findet sich in seinem vielfach geradezu pathetischen Werke; von jener Torheit: daß seine » Regeln« das Wesen der Dichtkunst darstellen sollten; daß man aus ihnen die Dichtkunst >> erlernen << oder Gedichte »machen lernen« könnte.<< (p. 445). Vielmehr wollte er die deutschen Dichter von ihren Reimspielereien fort- und sie »den großen Werken der Dichtkunst zuführen und ihnen die ewige Notwendigkeit aller Kunstgesetze klarlegen» (p. 444). So legt er an Stelle der äußeren Handwerksregeln der poetischen Technik >> zum ersten Male in Deutschland, ja vielleicht in der ganzen Welt (denn auch Aristoteles kommt hier kaum in Betracht), allen Nachdruck auf die inneren, die naturnotwendigen Gesetze seiner Kunst<< (p. 418). So ist es auch kein Wunder, »daß es ihm als Erstem, in allem Wesentlichen gelungen ist, das tote, didaktische Wesen aller früheren Poetiken künstlerisch zu beleben (p. 436). Denn »erst Gottsched legt den vollen Nachdruck auf die Empfindung; erst ihm ist die schöpferische Tätigkeit aus dem Herzen heraus das A und Z alles Poesie;

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erst ihm ist die lebensvolle, naturgetreue Darstellung der Welt, des Menschen und aller seiner Gemütsneigungen, der Hauptzweck >> der vortrefflichsten unter allen freyen Künsten << erst bei ihm herrscht der Zug zur Größe, zur Freiheit; und vor allem der Zug zur Natur« (p. 437). » Er hat der Natur, dem Menschen mit all seinen Trieben und Gemütsneigungen, wieder (oder eigentlich zum ersten Male) das Daseynsrecht in der deutschen Dichtkunst erobert«< (p. 448). So ist die,critische Dichtkunst' nicht etwa ein litterarisches » Regelbuch«, ein Gesetzbuch im landläufigen Sinne des Wortes; sondern ein Reform-, ja mehr: ein Revolutionswerk ersten Ranges (p. 447). Allerdings ist zuzugestehen, daß der zweite Teil dem ersten an Wert, an innerer Selbständigkeit und Größe nachsteht«<, >> daß er im zweiten Teile noch vorwiegend in seinem Gegenstande steht, ihn nicht unbedingt beherrscht; daß er sich auf dem betretenen Boden nicht ganz frei bewegt« (p. 439). Diese Mängel und Schwächen, durch die »Gottsched sich dort und hier noch als einen an die abgedroschenen Dürftigkeiten und Umständlichkeiten seiner Zeit gebundenen Mann offenbart << (p. 441), die aber Gottscheds Großtat nicht verkleinern können, finden ihre Begründung und Entschuldigung in der engeren Aufgabe des II. Teils, die Sonderart der verschiedenen Gattungen nach den großen Mustern der Dichtkunst festzustellen und daraus anleitende Lehren oder Regeln zu gewinnen, wobei er oft nur >> Klärer und Ordner einer ungeheuren Fülle zusammengetragenen Stoffes << sein kann. Wo er dagegen Eigenes bringt, wie über Schauspiel und Oper, ist er »wieder ganz der über den Gegenständen stehende, philosophische Kunstwisser « (p. 440). Und wir empfangen auch in diesen vorzugsweise lehrhaft gehaltenen Abschnitten stets den Eindruck, es mit einem großen, wenn auch den massenhaften Stoff noch nicht in jedem einzelnen Falle frei beherrschenden, ganz ungewöhnlich klaren, sehr lebendigen und reichen Geiste zu tun zu haben; der zwar in diesem und jenem ein Kind seiner Zeit, aber zugleich

ein, seiner Zeit kühnen Mutes vorauseilender, allem Chaotischen abholder, jedes Chaos klärender Genius ist (p. 447).

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Die allzu zähe Geringschätzung Gottscheds von Seiten der undankbaren Nachwelt macht ein derartiges Extrem verständlich; aber die Versuche Reichels, das Bedeutungsloseste bedeutungsvoll und tiefsinnig zu machen, jeden Gedanken von Gottsched zum ersten Male gedacht oder wenigstens so gedacht erscheinen zu lassen, die Prinzipien der Naturnachahmung und des moralischen Satzes als in ihrer Tiefe völlig neu und unerhört hinzustellen, alle diese Übertreibungen und Entstellungen können m. E. zu einer wirklich gerechten Würdigung von Gottscheds Wirken nicht beitragen. Gegenüber der unausgesetzten Betonung von Gottscheds schöpferischer Eigenart möchte ich wenigstens für ein Teilgebiet auf den weiteren Verlauf dieser Untersuchung verweisen; denn auch seine gelegentlichen Zugeständnisse für den II. Teil der Critischen Dichtkunst macht Reichel wertlos, indem er schließlich doch alle guten Gedanken zu Gottscheds eigenem geistigen Gut stempelt und eine Beeinflussung nur für die unwesentlichen Einzelheiten und die Mängel seines Systems annimmt. Ohne im engen Rahmen meiner Aufgabe mich auf alle Irrtümer Reichels einlassen zu können, möchte ich auf Grund sorgfältiger Nachprüfung in Übereinstimmung mit der Auffassung Kochs u. a. gerade Gottscheds von Reichel bezeichnete Haupt lehren durchaus als Zeitgedanken und als Eigentum einer bestimmten, in Frankreich im Zusammenhang mit den klassizistischen Gebilden der akademisch-höfischen Kunst und aus der Reaktion gegen die Auswüchse des nationalen Geschmacks erwachsenen und damals sogar schon etwas veralteten, in Deutschland allerdings noch nicht durchgedrungenen uud gegenüber dem Marinismus sehr berechtigten Geistesrichtung bezeichnen, die im Zusammenhang mit der teleologischen Philosophie des Zeitalters den Grund ihrer Nützlichkeitstendenzen auch für die Kunst in der Natur finden und sie aus der >> Vernunft<«<, der »Raison«, dem » Bonsens « abgeleitet wissen

wollte. Die Priorität der Regeln wird niemals zugegeben. Der Sinn des »gewaltigen, die tiefste Einsicht in das Wesen aller Kunst offenbarenden Fundamentalsatzes«<, wonach der >>feste und notwendige Grund für die Schönheit eines künstlichen Werkes in der Natur der Dinge« beruht, ist lediglich der, daß sich das Kunstwerk in eben die angeblich naturentsproßten >> Regeln« fassen lassen kann. Diese Regeln nun bestehen freilich teilweise nur in den stets wiederkehrenden Forderungen der Naturtreue, Wahrscheinlichkeit, Moralität, Deutlichkeit und Einfachheit und des Maßhaltens in Form und Inhalt aber glaubt Reichel bei seiner Bekämpfung übertriebener Vorstellungen von den Regeln wirklich durch das Fortlassen der daneben hergehenden unzähligen kleinlichen Einzelvorschriften diese selbst aus der Welt schaffen zu können? Und die >> inneren Gründe« sind »>seltner<< als die » Regeln « selbst; Gottscheds ganze ästhetische Anschauungsweise ist keineswegs so klar bewußt, so scharf konzentriert, wie sie Reichel durch geschicktes Herausgreifen, Hinzufügen und Umdeuten mit einer gewissen Konsequenz hinzustellen weiß. Wie kann man behaupten wollen, daß Gottsched dem » romanischen Kunstideal so fern gestanden habe; von der Unbestimmtheit des Begriffs abgesehen, ist es ja gerade Gottscheds zweifelloses Verdienst, daß er zu einer Zeit, da unser Volk wieder einmal hilflos in geistiger Ohnmacht, ja zum Teil in völliger Roheit versunken erscheint, durch die Verpflanzung einiger an sich wenig fruchtbarer, aber ganz gesunder Ideen den größeren Reformbestrebungen der Folgezeit die Wege ebnete. Erst bei den Franzosen hatte er nach eigenem Eingeständnis (in der Vorrede zum Cato) das dunkel ersehnte Ideal künstlerischer und sittlicher Zucht klar ausgesprochen und teilweise verwirklicht gefunden und glaubte nun sein Volk auf dem gleichen Wege zu noch größerer Vollkommenheit führen zu können. Der schließliche Mißerfolg lag an der Begrenztheit seiner künstlerischen Einsicht und an dem vorwiegend negativen Charakter jener Bestrebungen (s. o.), nicht an seinem Wollen. Nicht alle

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jene ästhetischen Reformatoren, die inzwischen irgendwelche modische Schlagworte, wie sie der erfindungsreiche französische Geist so häufig prägt, zu einem neuen Evangelium für die nur allzu leicht überzeugten deutschen Bewunderer erhoben und damit gewöhnlich irgend eine formale Bereicherung ohne sonstigen bleibenden Gewinn erzielten, haben den Wundern gallischer Geisteskultur so verhältnismäßig kritisch gegenüber gestanden, wie Gottsched, der immer wieder gegenüber dem unbeirrbaren Überlegenheitsdünkel unseres Nachbarvolkes auf die große geistige Vergangenheit unseres Volkes verweist und bei aller eignen Abhängigkeit immer wieder zur Selbständigkeit mahnt ein hochsympathischer Zug, den Reichel mit vollem Recht betont. Aber auf seine Benutzung französischer Quellen hat diese Skepsis durchaus keinen Einfluß; das ist auch garnicht nötig, denn seine Gewährsmänner stehen zum großen Teile, ohne freilich ihre nationale Begrenztheit je zu verleugnen, selbst der Geschmacksrichtung ihrer meisten Landsleute fremd oder gar feindlich gegenüber (z. B. in ihrer Opposition gegen die Oper - vgl. 12. Hpt.). Überhaupt ist Gottsched in der Wahl seiner Quellen sehr wenig peinlich und in seinem weiteren Verhalten gegen seine Gewährsmänner durchaus nicht immer konsequent, was mir aber weniger auf eine überlegene Freiheit, wie Reichel meint, als auf eine gewisse Unsicherheit hinzudeuten scheint.

Die angebliche Vertiefung der Hauptlehren durch Gottsched, die Reichel immer dort eintreten läßt, wo die Behauptung der absoluten Originalität nicht durchzuführen ist, scheint mir durch die vorurteilsreiche Abfertigung von Gottscheds Vordermännern von seiten Reichels nicht erwiesen zu sein; insbesondere dürfte die dünkelhafte Verwerfung des Aristoteles bei genauerer Kenntnis des Traktats und seines vorbildlichen Charakters für alle jene Kunstlehrer, besonders auch gerade in der Lehre von den Charakteren, wenig sachentsprechend erscheinen. Was Reichel über die sittliche Wirkung eines jeden großen Kunstwerks sagt (S. 385), ist an sich ganz ausgezeichnet, aber

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