Alles, was hier gewissermaßen gelobt und getadelt, gewünscht und abgelehnt worden, deutet doch auf das unaufhaltsam fortschreitende Wirken und Leben des menschlichen Geistes, der sich aber vorzüglich an der That prüfen sollte, wodurch sich denn erst alles Schwankende und Zweifelhafte zur löblichsten Wirklichkeit konsolidirt. III. Ritter Ciccolini in Rom an Baron von Zach in Genua. „Dieser Brief, mein Herr Baron, handelt von Aufzeichnung und Theorie horizontaler Sonnenuhren, welche als der Pivot gnomonischer Wissenschaft zu betrachten ist. Ich setze mir zum Hauptzweck, eine Methode wieder frisch zu beleben, die, wo nicht vergessen, doch verlassen worden, ob sie gleich den Vorzug verdient vor allen andern, die man in gnomonischen Werken vorträgt. „Damit man aber jene bessere Methode nach ihrem Werth schätzen lerne, will ich auch die andere vortragen, deren man sich allgemein bedient; ich werde ihre Fehler zeigen und diese sogar möglichst zu mindern suchen, um, wie ich hoffe, deutlich zu machen, daß ungeachtet dieser Verbesserungen ihr die weniger bekannte Methode vorzuziehen sei, als einfacher, eleganter und leichter anzuwenden. Deßhalb ich denn einen Platz für sie wieder zu erobern hoffe in den Abhandlungen über Sonnenuhren, welche man in der Folge herausgeben wird, und man giebt deren sehr oft heraus." Hier sucht nun der Verfasser dasjenige ausführlich zu leisten, was er sich vorgenommen, indem er die Mängel der bestrittenen Methode weitläufig an den Tag legt, sodann aber mit wenigem das Verfahren, das er begünstigt, vorträgt und sich darauf im Allgemeinen äußert wie folgt: „Man wird nicht läugnen, daß diese Konstruktion sehr einfach und selbst sehr zierlich sei, weil sie uns horizontale Sonnenuhren liefert, durch Vermittlung eines einzigen gleichschenkligen Triangels, einer symmetrischen, leicht aufzuzeichnenden Figur. Wundern muß ich mich daher, daß man ihrer in den Abhandlungen der Gnomonik nicht gedenkt, die in Frankreich und Italien herauskommen, da man in Frankreich oder England kurz vor der Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts jene Konstruktion schon erfunden hatte. Wußte man etwa nichts von diesem schönen Verfahren in Frankreich und Italien? oder vernachlässigte man dasselbe? vielleicht weil die großen Analytiker des vorigen Jahrhunderts, um die beiden gedachten Linien zu finden und zu beweisen, die analytische Methode anwendeten und dadurch, was leicht war, erschwerten? Leider ist dieß noch immer >, der Fehler mehrerer Mathematiker unserer Tage. ^ „In Werken über die Gnomonik, wie sie vor kurzem herauskamen, macht man von neuen Theorieen Gebrauch, die man von der analytischen Geometrie entlehnt, ohne zu bemerken, daß man das Einfache durch das Zusammengesetzte zu erklären denkt. Bei dieser Gelegenheit sage ich mit La Gran ge: „Dies nutzt zu weiter nichts als zur Uebung im Calcul." Und fürwahr, dieser großsprecherische Aufwand ist ein unnützer Luxus am falschen Platze. Der Wissenschaft der Gnomonik genügt die Lehre von der Kugel, der zwei Trigonometrieen und der Kegelschnitte; durch diese Mittel löst man alle Probleme dieses Geschäftes. Aber die Mode siegt, und der Mißbrauch, um nicht zu sagen die Thorheit, ist wirklich auf den Gipfel gelangt, und diese Uebertriebenheit dehnt sich unglücklicher Weise über alle Wissenschaften aus; die wahren Einsichtigen seufzen und klagen, spotten wohl auch manchmal, wie solches vor kurzem ein ausgezeichneter Gelehrter gethan, welcher ein bändereiches Werk eines großen Geometers die Apokalypse der Mathematiker nannte. Ein anderer Gelehrter, dem ich bei feiner Arbeit die Bemerkung machte, daß ein gewisser Uebergang einer Gleichung in die andere, bei Lösung eines gewissen Problems, mir nicht klar noch zulässig schiene, antwortete mir sehr leichtfertig: „„Was wollt Ihr? Ich habe die Schwierigkeit wohl gemerkt, aber die Zeit drängte mich, und da ich sah, daß die Herren N. N. N. und N. sich in ihren Werken noch größere Sprünge erlaubten, so habe ich, um aus der Verlegenheit zu kommen, auch einen Salto mortale gewagt."" „Ich für meinen Theil bin kein Feind der Analyse, im Gegentheil, ohne gerade an den Rang des Mathematikers Anspruch zu machen, liebe ich sie sehr; und ich werde niemals irgend Jemand rathen, die kleinlichen Methoden des Clavius, des Tacquet und anderer dieser Art zu befolgen, aber ich wünschte gar sehr, daß alle Mathematiker in ihren Schriften des Geistes und der Klarheit eines La Gran ge sich bedienen möchten!" Die vorstehend übersetzte Stelle enthält eine doppelte Anklage des mathematischen Verfahrens; zuerst, daß man nicht etwa nur die höhern und komplizirtern Formeln im praktischen Leben eintreten lasse, wenn die ersten einfachen nicht hinreichen, sondern daß man ohne Noth jene statt dieser eintreten läßt und dadurch das aufgegebene Geschäft erschwert und verspätet. Es kommt dieser Fall in manchen, sowohl wissenschaftlichen als weltlichen Dingen vor, wo das Mittel zum Zweck wird. Und es ist dieses ein politisches Hilfsmittel, um da, wo man wenig oder nichts thut, die Menschen glauben zu machen, man thue viel; da dann die Geschäftigkeit an die Stelle der Thätigkeit tritt. Jene Personen, welche mit verwickelten Mitteln einfache Zwecke zu erlangen suchen, gleichen dem Mechaniker, der eine umständliche Maschine erfand, um den Pfropf aus einer Bouteille zu ziehen, welches denn freilich durch zwei Menschen-Arme und Hände gar leicht zu bewirken ist. Und gewiß leistet die einfache Geometrie mit ihren nächsten Rubriken, da sie dem gemeinen Menschenverstand näher liegt, schon sehr viel, hauptsächlich auch im geistigen Sinne, deßhalb, weil der Menschenverstand unmittelbar auf die Zwecke dringt, das Nützliche fordert und die Umwege abzuschneiden sucht. Obiges Beispiel, von den Sonnenuhren abgenommen, möge uns statt einer umständlichen Erklärung gelten. Der zweite Vorwurf aber, welchen jener römische Freund den Mathematikern macht, ist der schwerste, der ihnen, ja einem Jeden, welcher Wissenschaften behandelt, zu machen ist, nämlich die Unredlichkeit. Wenn in weltlichen Geschäften, wo von Mein und Dein in jedem Sinne die Rede ist, von Erreichung besonderer Zwecke, wo sich Gegenwirkungen denken lassen, sich nicht stets mit Redlichkeit verfahren läßt, so mag der erlangte Gewinn hiebei zur Entschuldigung dienen und die Vorwürfe, die man sich allenfalls machen könnte, möglichst aufwiegen; aber in wissenschaftlicher Angelegenheit, wo nichts Besonderes, nichts Augenblickliches stattfinden, sondern Alles unaufhaltsam ins Allgemeine, ins Ewige fortwirken soll, ist es höchst verwerflich. Denn da in jedem Geschäft, also auch im wissenschaftlichen, die beschränkten Individualitäten genügsame Hinderniß geben, und Starrsinn, Dünkel, Neid und Rivalität den Fortschritten in mannigfachem Sinne hinderlich sind, so tritt zuletzt die Unredlichkeit zu allen diesen widerwärtigen Leidenschaften hinzu und kann wohl ein halbes Jahrhundert Entdeckungen verdüstern und, was schlimmer ist, die Anwendung derselben zurückdrängen. Artikuliren wir nun jene Anklage nochmals, indem wir sie in Zusammenhang und Betrachtung stellen. D'Alembert vergleicht in der von uns übersetzten ersten Stelle eine Folge von geometrischen Propositionen, deren eine aus der andern hergeleitet ist, einer Art von Übersetzung aus einem Idiom in ein anderes, das sich aus dem ersten fortgebildet hätte, in welcher Verkettung aber eigentlich doch nur die erste Proposition enthalten sein müßte, wenn schon mehr verdeutlicht und der Benutzung zugänglicher gemacht. Wobei denn vorausgesetzt wird, daß, bei einem ohnehin bedenklichen Unternehmen, die größte Stetigkeit beobachtet werde. Wenn nun aber unser römischer Freund, indem er einen gewissen Uebergang einer Gleichung in die andere bei Lösung eines gewissen Problems nicht klar noch zulässig findet, und der Gelehrte, der diese Arbeit verfaßt, nicht allein gesteht, daß er diese Schwierigkeit wohl gemerkt habe, fondern da auch zur Sprache kommt, daß mehrere Gildeglieder in ihren Werken sich noch größere Sprünge erlauben, so frage ich an, welches Zutrauen man auf die Resultate jener Zauberformeln haben könne, und ob es nicht, besonders dem Laien, zu rathen sei, sich an die erste Proposition zu halten und diese, so weit Erfahrung und Menschenverstand reicht, zu untersuchen und das Gefundene zu nutzen, das aber, was außer seinem Bereich ist, völlig abzulehnen! Und so möge denn zur Entschuldigung, ja zur Berechtigung des Gesagten das Motto dienen, womit der vorzügliche Mann, dem wir die obenstehende Mittheilung schuldig sind, im wissenschaftlichen Felde vorangeht und Unschätzbares leistet, sich in seinem Thun und Lassen wie mit einer Aegide beschirmt: 8au8 Lrane-peuser eu l^xereiee des lettres II Q)5 a ni lettre, ui LeienoeL, ni esprit, ni rien. Weimar, den 12. November 1826. Vorschlag zur Hüte. 1817. Die Natur gehört sich selbst an, Wesen dem Wesen; der Mensch gehört ihr, sie dem Menschen. Wer mit gesunden, offenen, freien Sinnen sich hineinfühlt, übt sein Recht aus, eben so das frische Kind als der ernsteste Betrachter. Wundersam ist es daher, wenn die Naturforscher sich im ungemessenen Felde den Platz unter einander bestreiten und eine gränzenlose Welt sich wechselsweise verengen möchten. Erfahren, schauen, beobachten, betrachten, verknüpfen, entdecken, erfinden, sind Geistesthütigkeiten, welche tausendfältig, einzeln und zusammengenommen, von mehr oder weniger begabten Menschen ausgeübt werden. Bemerken, sondern, zählen, messen, wägen sind gleichfalls große Hülfsmittel, durch welche der Mensch die Natur umfaßt und über sie Herr zu werden sucht, damit er zuletzt Alles zu seinem Nutzen verwende. Von diesen genannten sämmtlichen Wirksamkeiten und vielen andern verschwisterten hat die gütige Mutter Niemanden ausgeschlossen. Ein Kind, ein Idiot macht wohl eine Bemerkung, die dem Gewandtesten entgeht, und eignet sich von dem großen Gemeingut, heiter unbewußt, sein beschieden Theil zu. Bßi der gegenwärtigen Lage der Naturwissenschaft muß daher immer wiederholt zur Sprache kommen, was sie fördern' und was sie hindern kann, und nichts wird förderlicher sein, als wenn Jeder an seinem Platze fest hält, weiß, was er vermag, ausübt, was er kann, Andern dagegen die gleiche Befugniß zugesteht, daß auch sie wirken und leisten. Leider aber geschieht, wie die Sachen stehen, dieß nicht ohne Kampf und Streit, indem nach Welt- und Menschenweise feindselige Kräfte wirken, ausschließende Besitzungen sich festbilden und Verkümmerungen mancher Art, nicht etwa im Verborgenen, sondern öffentlich eintreten. Auch in diesen unfern Blättern (zur Naturwissenschaft) konnte Widerspruch und Widerstreit, ja sogar heftiger, nicht vermieden werden, doch wünsche ich nichts mehr, als daß die feindlichen Elemente sich nach und nach daraus immer mehr entfernen. Weil ich aber für mich und Andere einen freiern Spielraum, als man uns bisher gegönnt, zu erringen wünsche, so darf man mir und den Gleichgesinnten keineswegs verargen, wenn wir Dasjenige, was unfern rechtmäßigen Forderungen entgegensteht, scharf bezeichnen und uns nicht mehr gefallen lassen, was man seit so vielen Jahren herkömmlich gegen uns verübte. Damit aber desto schneller alle widerwärtige Geistesaufregung verklinge, so geht unser Vorschlag zur Güte dahin, daß doch ein Jeder, er fei auch, wer es wolle, seine Befugniß prüfen und sich fragen möge: Was leistest du denn eigentlich an deiner Stelle, und wozu bist du berufen? Wir thun es jeden Tag, und diese Hefte sind die Bekenntnisse darüber, die wir so klar und rein, als der Gegenstand und die Kräfte es erlauben, ungestört fortzusetzen gedenken. Unalqse und Synthese. 1829. Herr Viktor Cousin, in der dritten dießjährigen Vorlesung über die Geschichte der Philosophie, rühmt das achtzehnte Jahrhundert ^vorzüglich deßhalb, daß es sich, in Behandlung der Wissenschaften, besonders der Analyse ergeben und sich vor übereilter Synthese, d. h. vor Hypothesen in Acht genommen; jedoch nachdem er dieses Verfahren fast ausschließlich gebilligt, bemerkt er noch zuletzt, daß man die Synthese nicht durchaus zu versäumen, sondern sich von Zeit zu Zeit mit Vorsicht wieder zu derselben zu wenden habe. Bei Betrachtung dieser Aeußerungen kam uns zuvörderst in den Sinn, daß selbst in dieser Hinsicht dem neunzehnten Jahr |