13. Doch nähern sie sich bei vielen Pflanzen der Blattgestalt; sie werden flächer, sie nehmen, dem Licht und der Lust ausgefetzt, die grüne Farbe in einem höhern Grade an; die in ihnen enthaltenen Gefäße werden kenntlicher, den Blattrippen ähnlicher. 14. Endlich erscheinen sie uns als wirkliche Blätter, ihre Gefäße sind der feinsten Ausbildung fähig, ihre Ähnlichkeit mit den folgenden Blättern erlaubt uns nicht, sie für besondere Organe zu halten, wir erkennen sie vielmehr für die ersten Blätter des Stünzels. 15. Läßt sich nun aber ein Blatt nicht ohne Knoten und ein Knoten nicht ohne Auge denken, so dürfen wir folgern, daß derjenige Punkt, wo die Kotyledonen angeheftet sind, der wahre, erste Knotenpunkt der Pflanze sei. Es wird dieses durch diejenigen Pflanzen bekräftiget, welche unmittelbar unter den Flügeln der Kotyledonen junge Augen hervortreiben und aus diesen ersten Knoten vollkommene Zweige entwickeln, wie z. B. Vioia ^ada zu thun pflegt. 16. Die Kotyledonen sind meist gedoppelt, und wir finden hiebei eine Bemerkung zu machen, welche uns in der Folge noch wichtiger scheinen wird. Es sind nämlich die Blätter dieses ersten Knotens oft auch dann gepaart, wenn die folgenden Blätter des Stünzels wechselsweise stehen; es zeigt sich also hier eine Annäherung und Verbindung der Theile, welche die Natur in der Folge trennt und von einander entfernt. Noch merlwürdiger ist es, wenn die Kotyledonen als viele Blättchen um Eine Achse versammlet erscheinen, und der aus ihrer Mitte sich nach und nach entwickelnde Stängel die folgenden Blätter einzeln um sich herum hervorbringt, welcher Fall sehr genau an dem Wachsthum der Pinusarten sich bemerken läßt. Hier bildet ein Kranz von Nadeln gleichsam einen Kelch, und wir werden in der Folge bei ähnlichen Erscheinungen uns des gegenwärtigen Falles wieder zu erinnern haben. 17. Ganz unförmliche einzelne Kernstücke solcher Pflanzen, welche nur mit Einem Blatte keimen, gehen wir gegenwärtig vorbei. 18. Dagegen bemerken wir, daß auch selbst die blattähnlichsten Kotyledonen, gegen die folgenden Blätter des Stängels gehalten, immer unausgebildeter sind. Vorzüglich ist ihre Peripherie höchst einfach, und an derselben sind so wenig Spuren von Einschnitten zu sehen, als auf ihren Flächen sich Haare oder andere Gefäße ausgebildeter Mütter bemerken lassen. II. Ausbildung der Stöngelblätter von Knoten zu Knoten. 19. Wir können nunmehr die successive Ausbildung der Blätter genau betrachten, da die fortschreitenden Wirkungen der Natur alle vor unfern Augen vorgehen. Einige oder mehrere der nun folgenden Blätter sind oft schon in dem Samen gegenwärtig und liegen zwischen den Kotyledonen eingeschlagen; sie sind in ihrem zusammengefalteten Zustande unter dem Namen des Federchens bekannt. Ihre Gestalt verhält sich gegen die Gestalt der Kotyledonen und der folgenden Blätter an verschiedenen Pflanzen verschieden, doch weichen sie meist von den Kotyledonen schon darin ab, daß sie flach, zart und überhaupt als wahre Blätter gebildet sind, sich völlig grün färben, auf einem sichtbaren Knoten ruhen und ihre Verwandtschaft mit den folgenden Stängelblättern nicht mehr verläugnen können; welchen sie aber noch gewöhnlich darin nachstehen, dah ihre Peripherie, ihr Rand nicht vollkommen ausgebildet ist. 20. Doch breitet sich die fernere Ausbildung unaufhaltsam von Knoten zu Knoten durch das Blatt aus, indem sich die mittlere Rippe desselben verlängert und die von ihr entspringenden Nebenrippen sich mehr oder weniger nach den Seiten ausstrecken. Diese verschiedenen Verhältnisse der Rippen gegen einander sind die vornehmste Ursache der mannigfaltigen Blattgestalten. Die Blätter erscheinen nunmehr eingekerbt, tief eingeschnitten, aus mehreren Blättchen zusammengesetzt, in welchem letzten Falle sie uns vollkommene kleine Zweige vorbilden. Von einer solchen successiven höchsten Vermannigsaltigung der einfachsten Blattgestalt giebt uns die Dattelpalme ein auffallendes Beispiel. In einer Folge von mehreren Blättern schiebt sich die Mittelrippe vor, das fächerartige einfache Blatt wird zerrissen, abgetheilt, und ein höchst zusammengesetztes, mit einem Zweige wetteiferndes Blatt wird entwickelt. 21. In eben dem Maße, in welchem das Blatt selbst an Ausbildung zunimmt, bildet sich auch der Blattstiel aus, es sei nun, daß er unmittelbar mit seinem Blatte zusammenhange oder ein besonderes, in der Folge leicht abzutrennendes Stielchen ausmache. 22. Daß dieser für sich bestehende Blattstiel gleichfalls eine Neigung habe, sich in Blättcrgestalt zu verwandeln, sehen wir bei verschiedenen Gewächsen, z. B. an den Agrumen, und es wird uns seine Organisation in der Folge noch zu einigen Betrachtungen auffordern, welchen wir gegenwärtig ausweichen. 23. Auch können wir uns vorerst in die nähere Beobachtung der Afterblätter nicht einlassen; wir bemerken nur im Vorbeigehn, daß sie, besonders wenn sie einen Theil des Stiels ausmachen, bei der künftigen Umbildung desselben gleichfalls sonderbar verwandelt werden. 24. Wie nun die Blätter hauptsächlich ihre erste Nahrung den mehr oder weniger modisicirten wässerigen Theilen zu verdanken haben, welche sie dem Stamme entziehen, so sind sie ihre größere Ausbildung und Verfeinerung dem Lichte und der Luft schuldig. Wenn wir jene in der verschlossenen Samenhülle erzeugte Kotyledonen, mit einem rohen Safte nur gleichsam ausgestopft, fast gar nicht oder nur grob organisirt und ungebildet finden, so zeigen sich uns die Blätter der Pflanzen, welche unter dem Wasser wachsen, gröber organisirt als andere, der freien Luft ausgesetzte; ja sogar entwickelt dieselbige Pflanzenart glättere und weniger verfeinerte Blätter, wenn sie in tiefen, feuchten Orten wächst; da sie hingegen, in höhere Gegenden versetzt, rauhe, mit Haaren versehene, feiner ausgearbeitete Blätter hervorbringt. 25. Auf gleiche Weise wird die Anastomose der aus den Rippen entspringenden und sich mit ihren Enden einander aufsuchenden, die Blatthäutchen bildenden Gefäße, durch feinere Luftarten, wo nicht allein bewirkt, doch wenigstens sehr befördert. Wenn Blätter vieler Pflanzen, die unter dem Wasser wachsen, fadenförmig sind, oder die Gestalt von Geweihen annehmen, so sind wir geneigt, es dem Mangel einer vollkommenen Anastomose zuzuschreiben, Augenscheinlich belehrt uns hiervon das Wachsthum des KanuueuluL 8^uatiou3, dessen unter dem Wasser erzeugte Blätter aus fadenförmigen Rippen bestehen, die oberhalb des Wassers entwickelten aber völlig anaftomosirt und zu einer zusammenhängenden Fläche ausgebildet sind. Ja es läßt sich an halb anastomosirten, halb fadenförmigen Blättern dieser Pflanze der Ueberganc genau bemerken. 26. Man hat sich durch Erfahrungen unterrichtet, daß die Blättei verschiedene Luftarten einsaugen und sie mit den in ihrem Innen enthaltenen Feuchtigkeiten verbinden; auch bleibt wohl kein Zweife übrig, daß sie diese feineren Säfte wieder in den Stängel zurück' bringen und die Ausbildung der in ihrer Nähe liegenden Auger dadurch vorzüglich befördern. Man hat die aus den Blätten mehrerer Pflanzen, ja aus den Höhlungen der Rohre entwickelte: Luftarten untersucht und sich also vollkommen überzeugen können 27. Wir bemerken bei mehreren Pflanzen, daß ein Knoten aus dem andern entspringt. Bei Stängeln, welche von Knoten zu Knoten geschlossen sind, bei den Cerealien, den Gräsern, Rohren, ist es in die Augen fallend; nicht eben so sehr bei andern Pflanzen, welche in der Mitte durchaus hohl und mit einem Mark oder vielmehr einem zelligten Gewebe ausgefüllt erscheinen. Da man nun aber diesem ehemals sogenannten Mark seinen bisher behaupteten Rang neben den andern inneren Theilen der Pflanze, und wie uns scheint, mit überwiegenden Gründen, streitig gemacht, ^ ihm den scheinbar behaupteten Einfluß in das Wachsthum abgesprochen und der innern Seite der zweiten Rinde, dem sogenannten Fleisch, alle Trieb- und Hervorbringungskraft zuzuschreiben nicht gezweifelt hat, so wird man sich gegenwärtig eher überzeugen, daß ein oberer Knoten, indem er aus dem vorhergehenden entsteht und die Säfte mittelbar durch ihn empfängt, solche feiner und filtrirter erhalten, auch von der inzwischen geschehenen Einwirkung der Blätter genießen, sich selbst feiner ausbilden und seinen Blättern und Augen feinere Säfte zubringen müsse. 28. Indem nun auf diese Weise die roheren Flüssigkeiten immer abgeleitet, reinere herbeigeführt werden und die Pflanze sich stufenweise feiner ausarbeitet, erreicht sie den von der Natur vorgeschriebenen Punkt. Wir sehen endlich die Blätter in ihrer größten Ausbreitung und Ausbildung und werden bald eine neue Erscheinung gewahr, welche uns unterrichtet, die bisher beobachtete Epoche sei vorbei, es nahe sich eine zweite, die Epoche der Blüthe. III. Nebergang zum Bliithenftande. 29. Den Uebergang zum Blüthenstande sehen wir schneller oder langsamer geschehen. In dem letzten Falle bemerken wir gewöhnlich, daß die Stängelblätter von ihrer Peripherie herein sich wieder anfangen zusammenzuziehen, besonders ihre mannigfaltigen äußern Eintheilungen zu verlieren, sich dagegen an ihren untern Theilen, wo sie mit dem Stüngel zusammenhängen, mehr oder weniger auszudehnen; in gleicher Zeit sehen wir, wo nicht die Räume des Stängels von Knoten zu Knoten merklich verlängert, doch wenigstens denselben gegen seinen vorigen Zustand viel feiner und schmächtiger gebildet. 30. Man hat bemerkt, daß häusige Nahrung den Blüthenstand einer Pflanze verhindere, mäßige, ja kärgliche Nahrung ihn beschleunige. t Hedwig, in des Leipziger Magazins drittem Stück. Es zeigt sich hierdurch die Wirkung der Stammblätter, von welcher oben die Rede gewesen, noch deutlicher. So lange noch rohere Säfte abzuführen sind, so lange müssen sich die möglichen Organe der Pflanze zu Werkzeugen dieses Bedürfnisses ausbilden. Dringt übermäßige Nahrung zu, so muß jene Operation immer wiederholt werden, und der Blüthenstand wird gleichsam unmöglich. Entzieht man der Pflanze die Nahrung, so erleichtert und verkürzt man dagegen jene Wirkung der Natur; die Organe der Knoten werden verfeinert, die Wirkung der unverfälschten Säfte reiner und kräftiger, die Umwandlung der Theile wird möglich und geschieht unaufhaltsam. IV. Bildung des Kelches. 31. Oft sehen wir diese Umwandlung schnell vor sich gehen, und in diesem Falle ruckt der Stängel, von dem Knoten des letzten ausgebildeten Blattes an, auf einmal verlängt und verfeinert, in die Höhe und versammlet an seinem Ende mehrere Blätter um eine Achse. 32. Daß die Blätter des Kelches eben dieselbigen Organe seien, welche sich bisher als Stängelblätter ausgebildet sehen lassen, nun aber oft in sehr veränderter Gestalt um Einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt versammlet stehen, läßt sich, wie uns dünkt, auf das deutlichste beweisen. 33. Wir haben schon oben bei den Kotyledonen eine ähnliche Wirkung der Natur bemerkt und mehrere Blätter, ja offenbar mehrere Knoten, um Einen Punkt versammlet und neben einander gerückt gesehen. Es zeigen die Fichtenarten, indem sie sich aus dem Samenkorn entwickeln, einen Strahlenkranz von unverkennbaren Nadeln, welche, gegen die Gewohnheit anderer Kotyledonen, schon sehr ausgebildet sind; und wir sehen in der ersten Kindheit dieser Pflanze schon diejenige Kraft der Natur gleichsam angedeutet, wodurch in ihrem höheren Alter der Blüthen- und Fruchtstand gewirkt werden soll. 34. Ferner sehen wir bei mehreren Blumen unveränderte Stängelblätter gleich unter der Krone zu einer Art von Kelch zusammengerückt. Da sie ihre Gestalt noch vollkommen an sich tragen, so dürfen wir uns hier nur auf den Augenschein und auf die botanische Terminologie berufen, welche sie mit dem Namen Blütenblätter, k'olla iloris., bezeichnet hat. |