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A. ROSMINI'S

STELLUNG IN DER GESCHICHTE DER NEUEREN PHILOSOPHIE,

DER ITALIENISCHEN INSBESONDERE.

VON

PROF. DR. KARL WERNER,

WIRKLICHEM MITGliede deR KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.

VORGELEGT IN DER SITZUNG AM 10. OCTOBER 1883.

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INHALTSÜBERSICHT.

Doppelseitiger Charakter der Philosophie Rosmini's zufolge der in ihr vollzogenen Verschmelzung moderner und älterer Denkanschauungen. §. 1. Erkenntnisstheoretische Grundanschauungen Rosmini's, sein Bemühen um Eruirung von Anknüpfungspunkten derselben bei Thomas Aquinas. §§. 2 f. Rosmini's Verhältniss zu Plato, Bevorzugung desselben vor Aristoteles, Stellungnahme zur Universalienlehre der mittelalterlichen Scholastik; Kritik der Ideologie Locke's und Condillac's, die angeborne Seinsidee als Stützpunkt aller metaphysischen Erkenntniss gegen jeden subjectivistischen Idealismus und Skepticismus, Erweisung der metaphysischen Wahrheit des Substanzbegriffes und der Causalitätsidee. §§. 4 ff. Die allgemeinen Intentionen des Rosmini'schen Philosophirens, seine Anschauung von der Aufgabe der Philosophie und deren in der religiösen und philosophischen Ideentradition der Menschheit gegebenen Unterlagen; seine Stellung zur nachkant'schen deutschen Speculation. §. 8. Rosmini's kritische Bemerkungen über Malebranche und Gerdil; seine Bemühungen um Wiedergewinnung einer dem italienischen Geiste congenialen Philosophie, Verhältniss derselben zu den auf einen gleichen Zweck gerichteten Bestrebungen Gioberti's und Mamiani's. §§. 9 f. Kritische Beleuchtungen der angebornen Seinsidee Rosmini's von Seite zeitgenössischer und später folgender Vertreter der italienischen Philosophie. §. 11. Rosmini's Uebergang von der Ideologie zur Ontologie; die dialektischen Momente des Gedankens vom reinen unbestimmten Sein und die darin enthaltenen Anknüpfungspunkte der Lehren über Gott und Welt. §. 12. Von den drei wesentlichen Formen des Seins und den ihnen entsprechenden Ordnungen. §§. 13 f. Von den realen Wesen insgemein, von Seele und Mensch im Besonderen. §§. 15 f. Entwicklung und Perfection des Menschenwesens; die Ethik als Theilglied der deontologischen Wissenschaften. §. 16. Gliederung des Gesammtcomplexes der philosophischen Disciplinen: Wissenschaften des intuitiven, perceptiven und reflexiven Erkennens. §§. 17 ff.

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Der charakteristische Zug der gesammten neueren Philosophie ist die Richtung derselben auf das erkenntniss theoretische Problem, dessen Lösung als die nothwendige Vorbedingung einer wahren und wirklichen Philosophie gilt. Zwar gehört die Untersuchung des Verhältnisses des menschlichen Gedankens zu dem in der Erfahrung gegebenen Wirklichen zum Wesen aller wie immer beschaffenen Philosophie, daher sich die Erörterungen dieses Verhältnisses durch die gesammte Geschichte der Philosophie hindurchziehen; zum eigentlichen Ausgangspunkte der philosophischen Forschung sind dieselben aber doch erst in der neueren Philosophie gemacht worden, daher mit Cartesius, durch welchen diese Weise zu philosophiren inaugurirt wurde, eine neue Epoche in der Geschichte des philosophischen Gedankens beginnt, indem von da an statt des bis dahin gesuchten natürlich Wahren das dem Menschen zufolge seiner specifischen

Denkschriften der phil.-hist. Cl. XXXV. Bd.

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Veranlagung als geistiges Denkwesen als wirklich und gewiss sich Bewahrheitende zum philosophischen Forschungsobjecte gemacht wurde.

Dieser Weise zu philosophiren gehört auch Rosmini's philosophisches Denksystem an, wie sehr immerhin dem Urheber desselben sowohl durch seine italienische Herkunft, als auch durch seinen freigewählten kirchlichen Beruf die Rücksicht auf die Erhaltung einer richtigen Continuität seiner auf dem Grunde der neuzeitlichen Philosophie erwachsenen Denkforschung mit den philosophischen Bestrebungen der mittelalterlichen und vorchristlichen antiken Zeit nahegelegt war. Das Bestreben, diesen Rücksichten. gerecht zu werden, gab seiner Philosophie jenen eigenartigen Charakter, dessen Beleuchtung und Auseinandersetzung den Inhalt der vorliegenden Abhandlung bildet.

§. 1.

Der doppelseitige Charakter der Philosophie Rosmini's, als eines im Denkleben der Gegenwart wurzelnden Denksystems unter nebenhergehender continuirlicher Beziehung auf die Denk- und Anschauungsformen einer älteren Weise zu philosophiren, spricht sich bereits in seiner philosophischen Terminologie aus, in welcher dieser doppelseitige Charakter augenfällig ausgeprägt ist. Wir stossen da auf die scholastischen Termini: Particolare und Universale, Potenz und Act, Materie und Form in der dem scholastischen Denken geläufigen Anwendung dieser Termini; nebenbei aber kommen die der neueren nachscholastischen Philosophie angehörigen Termini und Begriffe von Perception, Reflexion und geistiger Intuition in Anwendung, welche durch sich selber zu erkennen geben, dass wir es mit einem nach seinem erkenntniss theoretischen Unterbau wesentlich auf neuzeitlicher Grundlage ruhenden Denksystems zu thun haben. Das Bindeglied zwischen dem scholastisch-antiken Denkhabitus und den mit demselben verwobenen modernen Denkanschauungen bietet sich in einem psychischen Sensismus dar, der bereits in der scholastischen Speculation sich mehrfach zur philosophischen Geltung zu bringen suchte, aber durch anderweitige Elemente des scholastischen Denkens niedergehalten, es zu keinem durchgebildeten Ausdrucke seiner selbst zu bringen vermochte.

Die nachstehende Skizzirung der erkenntniss theoretischen Grundanschauungen des Denksystems Rosmini's möge die Belege für das Gesagte erbringen. Die menschliche Seele ist nach Rosmini wesentlich sensitiver Natur;' zufolge ihrer doppelseitigen Beziehung auf eine sinnliche und übersinnliche Wirklichkeit ist ihr ein doppelter Sinn grundhaft eigen: ein Sinn für die particulären Dinge und ein Sinn für die allgemeinen Dinge. Durch den ersteren dieser beiden Sinne wird dasjenige constituirt, was man gemeinhin Sensitivität nennt; durch letzteren das intellectuelle Wesen des Menschen (intelletto). Beide Sinne sind Potenzen der Seele. Jede Potenz ist ein particulärer Actus primus und wird constituirt durch einen ihr wesentlich inhärirenden Terminus, welcher, soweit er im Verhältniss zur Potenz etwas Passives ist, Materie heisst, soweit er aber im Verhältniss zur Potenz unpassiv und Object ist, Form genannt wird. Der essentielle Terminus der Sensitivität ist ihre Materie; der essentielle Terminus des Intellectes ist das Object und die Form seiner selbst. Die Sensibilität zerfällt in eine äussere und innere; der essentielle Terminus der äusseren Sensitivität ist der Körper, die ausge

1 Nuovo saggio sull' origine delle idee (ed. 5, Turin, 1852), §§. 1020 sqq.

dehnte körperliche Materie; der essentielle Terminus der inneren Sensitivität ist die Wahrnehmung des Ich und die Idee. Dasjenige, wodurch die Potenz der äusseren Sensitivität constituirt wird, ist die Grundwahrnehmung (sentimento fondamentale) der selbsteigenen Körperlichkeit; die Potenz der inneren Sensitivität wird durch die Wahrnehmung des Ich constituirt. Dasjenige, wodurch die Potenz des Intellectes constituirt wird, ist diejenige Wahrnehmung, durch welche die Idee des allgemeinen Seins (essere universale) percipirt wird.

Es handelt sich hier um die Aufhellung der den Ausdrücken: Terminus, essentieller Terminus, zukommenden Bedeutung. Unter Terminus ist gemeinhin dasjenige zu verstehen, in was ein Actus endiget;1 Terminus einer Potenz sohin dasjenige, in was die Potenz als Actus primus endiget. Jede Potenz muss als Actus primus einen inneren Terminus haben, ohne welchen sie weder bestehen, noch gedacht werden kann; und wie die Potenz als Actus primus im Gegensatze zu den transeunten und variablen Actibus secundis etwas Bleibendes und Beständiges ist, so muss auch ihr innerer Terminus etwas Bleibendes und Beständiges sein. In der materiellen Potenz ist die Materie der Potenz der innere Terminus derselben; die immaterielle Potenz kann nur ihr Object zum Terminus haben, welcher als innerer Terminus die dem Objecte correspondirende Form der Potenz ist. Die Form bedeutet da nichts Anderes als die Präsenz des Objectes vor dem Subjecte; die innere Sensitivität ist nicht zu denken ohne ihre Einigung mit dem Ich als ihrem essentiellen Terminus, der Intellect nicht zu denken ohne die Präsenz der Idee des allgemeinen Seins als seines essentiellen Terminus. Die Erkenntniss des von der inneren Sensitivität percipirten Ich vermittelt sich im Denken des Intellectes; Mittler dieser Erkenntniss ist die allgemeine Seinsidee, deren besondere Determination die Idee oder der Gedanke des eigenen Ich ist. Rosmini glaubt hiemit den psychischen Sensismus Malebranche's überwunden zu haben, welcher das Selbstinne werden des Ich mit der Selbstintellection des Ich vermengt und jenes Selbstinne werden selber schon für eine Intellection nimmt, während doch alle Intellection in der allgemeinen Seinsidee sich vermittelt. Indem Rosmini die dem Intellecte präsente Seinsidee mit dem Intellectus agens der speculativen Scholastik identificirt, glaubt er sich mit Thomas Aquinas Eins zu wissen, dessen Species intelligibilis der Mittler aller Erkenntniss, also auch der Selbsterkenntniss der Seele und somit jene allgemeine Idee ist, in deren Lichte alles Besondere erkannt wird. Auf diese Idee sich stützend, will Rosmini die Lehrüberlieferung der älteren Schulen zur erneuerten Geltung gebracht und alle höhere menschliche Erkenntniss auf eine objective Grundlage gestellt haben gegenüber dem Cartesianismus, welchem der Selbstgedanke des menschlichen Geistes als Ersterkanntes und als Quelpunkt aller philosophischen Erkenntniss galt. Malebranche erfasste, obschon auf Cartesius fussend, die Bedeutung der allgemeinen Seinsidee und die unlösliche Verwachsenheit derselben mit unserem Geiste; er sprach unumwunden aus, es sei unserem Geiste wesentlicher, diese Idee, als sich selber zu denken. Er beging nur mit anderen ausgezeichneten

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1 Nuovo Saggio, §. 1009.

2 O. c. §§. 439-442.

3 O. c. §. 443.

4 O. c. §. 442, Anm. 1.

5 Dieselbe Lehre sei Aristoteles (Anim. III, pag. 429 b, lin. 9) ausgesprochen: Aristotele connobbe questa stessa verità dove dice che l'intelletto possibile intende se stesso a quel modo che intende l'altre cose.

Männern vor und nach ihm (Nicolaus Cusanus, Marsilius Ficinus, Thomassin, Gerdil) den Fehler, den Unterschied zwischen dem unbestimmten generellen Sein und zwischen dem allgemeinen Sein in seiner absoluten Actualität zu vernachlässigen.' Thomas Aquinas hatte seinerzeit diesen Unterschied sehr richtig hervorgehoben und auf denselben gestützt erwiesen, dass Gottes Existenz nicht unter die Res per se notas gehöre. Im Allgemeinen jedoch widmeten die Scholastiker den erkenntniss theoretischen Untersuchungen nicht den nöthigen Grad von Aufmerksamkeit, und so kam es, dass ihnen die Primo vera aus einer dunklen, unbekannten Quelle zu fliessen schienen." Die neuere Philosophie zeigt in ihrer mit Reid beginnenden Entwicklungsphase bis auf Galluppi herab dieselbe Neigung, die Primo vera aus einem nicht weiter aufzuhellenden instinctiven Verhalten unserer geistigen Natur zu erklären, während, wenn nicht ihre vom menschlichen Subjecte unabhängige objective Existenz aufgezeigt wird, die Wahrheit und Gewissheit der gesammten auf sie gestützten menschlichen Erkenntnisse in Frage gestellt ist.

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§. 2.

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Die Objectivität der menschlichen Erkenntniss ist auf die dem menschlichen Intellecte präsente Idee des allgemeinen Seins gestützt. In der Apprehension dieser Idee greift der Mensch über die Subjectivität seiner Empfindungszustände hinaus und percipirt etwas von seiner Subjectivität Unterschiedenes in der Form einer Anschauung. Der Intellect ist wesentlich Intuition; die Sensitivität ist ihrem Wesen nach primitive Empfindungswahrnehmung. Im menschlichen Grundgefühle existiren beide Potenzen vor ihren besonderen Bethätigungen in ungeschiedener Einheit; eben deshalb verbindet sich in ihm mit der Empfindungswahrnehmung die im Intellecte präexistirende allgemeine Idee der apprehendirten Existenz des Appercipirten. Rosmini nennt diese Verbindung die primitive Synthesis und bezeichnet sie als Auffassung einer Beziehung, 5 nämlich der Beziehung auf den generischen Allgemeinbegriff des Objectes, welcher als eine durch die Empfindungs wahrnehmung causirte Determination der dem Intellecte präsenten unbestimmten Seinsidee zu verstehen ist. Der Träger der Wahrnehmung der Beziehung des appercipirten Objectes auf die allgemeine Seinsidee ist das Ich, und die aus dem seelischen Grundgefühle sich herausentwickelnde Thätigkeit, in welcher jene

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1 Rosmini macht eine Ausnahme zu Gunsten des P. Juvenal von Anagni († 1713), eines Zeitgenossen Malebranche's und Vorläufers der durch Herculan Oberrauch und Philibert von Gruber repräsentirten christlich -philosophischen Tiroler Schule. Nuovo Saggio §. 1034, Anm. 2. Strenger urtheilt er über denselben in seiner Teosofia IV, pag. 360.

2 Dies tritt nach Rosmini's Bemerkung auch bei Dante hervor; vgl. Purg. XVIII, V. 55–60.

3 Il Reid introdusse una misteriosa suggestione della natura; il Kant, tornando anche alla frase scolastica, alcune forme nella stessa natura; e queste due sentenze furono ravvivate, poco tempo fa, in Francia, ove due opposte parti sembrano intente a trar profitto da uno stesso principio di fede cieca ed instintiva, onde tutte le prime notizie all'uomo derivino; e finalmente in Italia il Galluppi, che confutò acutamente l'errore di tutti questi, ritenne però la denominazione di soggettive per le idee dell'unità, dell'identità e d'altre tali, quasichè dal soggetto medesimo uscissero e traessero l'esistenza. Nuovo saggio, §. 1037. 4 O. c. §. 1023 ff.

5 Concepire un rapporto è avere un' idea generale, una di quelle idee che formano i generi e che danno luogo ai nomi O. c., §. 209.

comuni.

6 L'universalizzazione è un' azione diretta e naturale del nostro spirito, che lasciando da parte il giudizio sulla sussistenza che è nella percezione, ritiene l'idea determinata, cioè quell' unione tra il sentito e l'idea dell' essere, che si opera per l'unità del soggetto senziente e intuente l'idea dell' essere: sicchè l'idea dell' essere come determinabile e il sentito come determinante, vengono da sè a trovarsi insieme nello stesso soggetto, e dall' identità, per così dire, del luogo, sono congiunti. O. c. §. 511.

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