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gefallen, wenn Thucydides die lehte so streng berücksichtigt, daß er ihretwegen die Erzählung mehre Male unterbricht und vorausseßt, man werde sich dennoch auf dem engen Schauplage des Krieges leicht zurechtfinden. Sallust begnügt sich Episoden wie ein künstliches Ganzes darzustellen, Cåsar trägt seinen Mittelpunkt in sich selbst, und Livius und Tacitus haben an der ewigen Roma eine feste Stelle von welcher Alles ausgeht und auf die sich Alles bezieht.

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Schon das christliche Europa im Mittelalter ist reicher gegliedert, doch bieten Lehnswesen und Kirche den verbindenden, zusammenhaltenden Faden oder Gedanken. Seit dem Ende des funfzehnten Jahrhunderts zerreißen aber diese Fåden, es brechen diese Gedanken in unvereinbare Gegenfäße auseinander und Alles steht in gewisser Hinsicht vereinzelt da, während es sich doch in Wahrheit noch immer auf einander bezieht. Wer nur eine Richtung, einen Gegensah, ein Land darzustellen übernimmt, hat allerdings eine leichtere Aufgabe und erwirbt verdienten Beifall für deren glückliche Lösung; weil aber die Entwickelung der europäischen Menschheit (wie gesagt) ein Ganzes, zu einander Gehöriges bleibt was, in Theile zerlegt, eben nur Theile zeigt und erläutert; so erscheint die umfassendere Aufgabe Europas Geschichte zu schreiben an sich natürlich

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und gerechtfertigt. Daß sich hiebei manche Schwierigkeiten, Hindernisse und Mißstånde (z. B. in Hin= sicht auf Anordnen, Verweisen, Wiederholen u. dergl.) gar nicht beseitigen lassen, darf dem Geschichtschreiber nicht zugerechnet werden. Nur wenn überall seine Kenntnisse mangelhafter, seine Grundsåße irriger, seine Darstellung unvollkommener find, als das was Andere bereits leisteten, so ist sein. Werk als werthlos, oder doch als überflüßig zu bezeichnen. Jeder Verfasser kennt (wenn¿ermanders nicht von Eitelkeit thd= richt verblendet wird) die Mängel seines Werkes viel genauer als die meisten Leser und Beurtheiler, und weiß am besten wien weite er vom Ziele der Vollkommenheit:: entfernt geblieben ist. Aber eben deshalb kann er nicht allen den widersprechenden Forderungen genügen, die an ihn gemacht werden.... Er darf selbst wohlgemeinte Rathschläge zurückweisen, sobald eine strenge Prüfung und ernstes Nachdenken ihn von deren Unbrauchbarkeit bereits überzeugten; er soll sich den Vorurtheilen nicht unterwerfen, welche über Personen und Sachen zufällig im Schwange find; er muß endlich seiner Natur getreu bleiben, weil jeder Versuch diese (etwa durch Nachahmung eines An= deren) zu verwandeln, nicht zu höherer Vollkommenheit, sondern zum Unnatürlichen und Erkünstelten führt.

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Die Schwierigkeiten, mit welchen ich zeither be reits zu kämpfen hatte, erhöhen sich noch mit dies sem Bande. Denn seit der Selbstregierung Lud= wigs XIV greifen die europäischen Angelegenheiten mehr in einander als zuvor; und doch wird kein Reich fo der allein bestimmende Mittelpunkt für die anderen, daß man etwa von Paris, London, Wien oder Madrit aus, alles Europäische genügend darf ftellen könnte. Daher habe ich an manchen Stellen die Kenntniß gewisser Thatsachen vorausseßen müssen, oder nur kurz darauf hinweisen können, um erst bei gewissen Wende- und Rühepunkten:: die umständlichere Erzählung nachzuholen. Verwirft man diese organische Anordnung größerer Maffen, so bleibt nichts übrig als alles Busammengehörige aus einander zu reißen, und es atomistisch etwa nach Jahrgängen neben einander zu stellen, wodurch Leben und übersicht zweifelsohne in üblerer Weise zerstört wird.

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Noch weniger als über: Auswahl und Stellung der Thatsachen, ist man einig in Hinsicht auf die Beurtheilung derselben. Vor allem muß hiebei der Maaßstab der dargestellten, und nicht einer anderen Zeit angelegt werden; obwohl jede Vergangenheit durch die spätere Gegenwart, sowie diese durch jene, Licht und Aufklärung erhält. So zeigt denn auch

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die Zeit von 1661 bis 1715 in einem klaren Spie= gel: was Geist und Thätigkeit, Unverstand und Lässigkeit, åchte Vaterlandsliebe und Parteiwuth, glänzender, leichtsinniger und eigensinniger Absolu= tismus, christlicher Sinn und heillose Unduldsamkeit an sich sind und welche Früchte sie tragen. Alle die einleuchtenden Thatsachen jener und der späteren Beiten sollten mit unwiderstehlicher Kraft die Geister belehren und die Gemüther reinigen. Herrscher und Unterthanen, sowie die Christen aller Bekenntnisse, sollten sich von den trennenden, auflösenden, zerstören= den Grundsätzen einer verdammlichen Politik und Diplomatik, von der Lust an Tyrannei und Anarchie, vom Verfolgen und Verkehern, endlich mit Entsehen abwenden und zunächst in den Kardinaltugenden (welche schon die Heiden als Richtschnur anerkannten) Hülfe suchen. Jedoch nicht in einer untergeordneten, vereinzelten Auffassung, wo Måßigung ohne Tapferkeit, oder Tapferkeit ohne Måßigung die höchsten Ansprüche macht, die Gerechtigkeit bloß am ertödtenden Buchstaben fest hålt, und die Weisheit gewöhnlich ganz verges= sen wird. Hat man zugleich die Eigenthümlichkeit und die Einheit dieser vierfachen Grundlagen aner= kannt und sich zu eigen gemacht; so werden die christlichen Tugenden des Glaubens, der Hoff=

nung und der Liebe größere Aussichten eröffnen, Wege bahnen und Ziele offenbaren, welche zeither nur zu oft unverständig geleugnet und verhöhnt, gewiß aber noch nie erreicht wurden.

Berlin, den 14ten Mai 1838.

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