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Vita sine litteris mors est, et hominis vivi sepultura.

MEM AOKK

SENECA.

Seit

Vorrede.

dreifsig Jahren beschäftige ich mich ununterbrochen mit der österreichischen Literatur; über zwei tausend Quellen der österreichischen Literärgeschichte habe ich gesammelt, aber mir ist weder ein inländisches, noch ein auswärtiges Werk bekannt geworden, das die Gesammt-Literatur des österreichischen Kaiserthums in allen ihren Zweigen und nach allen ihren Idiomen umfafst hätte. Immer nur waren es einzelne Theile derselben, die, wenn gleich oft höchst verdienstlich, doch immer vereinzelt ausgestellt wurden, wornach der Geschichtforscher weder ein getreues Bild der Österreichischen Gesammt-Literatur erhalten, noch der Österreicher selbst die literärischen Reichthümer seines Vaterlandes gehörig würdigen oder mit einem Blicke übersehen konnte: Und dennoch ist die Gesammt - Übersicht der österreichischen Literatur so merkwürdig und gibt für die Darstellung der fortschreitenden Cultur der Nation im Allgemeinen ein so erfreuliches Bild, dafs es jeden Falls eine lockende Aufgabe ist, ein Werk dieser Art zu bearbeiten.

Die hier vorliegende Darstellung, vorerst nur als Versuch nach dem Mafse der zu Gebote stehenden Materialien anzusehen, erstreckt sich über vierzehn einheimische lebende Sprachen (ohne die Mundarten zu rechnen), in welchen die literärischen Erzeugnisse des österreichischen Kai

serthums ausgepräget werden. Welche Mannigfaltigkeit! Welche Eigenheiten! Welch verschiedener Bildungsgrad! Welche Schicksale der Sprache und Literatur! Und endlich welcher Einfluss auf den Orient und dessen allmälige Bildung durch die Cultur der armenischen sowohl, als der neugriechischen und hebräischen Literatur. Wird doch die armenische Zeitung des Klosters S. Lazzaro bei Venedig im Serail gelesen. Hat doch Neugriechenland die Ausbildung und Bereicherung seiner Kenntnisse grofsen Theils von Österreich aus erhalten! Waren doch die gröfsten Orientalisten des vergangenen und zum Theil auch des gegenwärtigen Jahrhunderts österreichische Diplomaten! Und ist doch die Sprache des lombardisch-venetianischen Königreichs auch jene der Seefahrer auf dem adriatischen, mittelländischen und zum grofsen Theil auch auf dem schwarzen Meere!

Wer das österreichische Kaiserthum nach seiner ganzen Ausdehnung, nach seiner Völkerverschiedenheit, nach der grofsen Zahl seiner wissenschaftlichen Anstalten, und nach den allgemeinen Bestrebungen seiner Bewohner, hinter den Fortschritten der Wissenschaften nicht zurückzubleiben, kennt, wird die Frage: ob: Österreich: wohl eine Literatur habe gewifs für Scherz halten. Sie ist aber, wie einige Nachrichten über Österreich ausweisen, nichts weniger als Scherz, sondern sie ist das Ergebniss eines vorschnellen Urtheils, das bei dem Mangel an genauer Völkerkenntnifs oft mit, oft auch ohne Absicht die Cultur und Literatur der österreichischen Monarchie in schiefes Licht setzt. Diese Unkenntnifs aber ist es, welche das Weiterschreiten lähmt,

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welche der Achtung im Auslande schadet, welche das heimische Verdienst beeinträchtigt, welche die Geschichte der Cultur verkürzt, welche Einseitigkeiten und Mängel in die Ansicht von der Ausbildung der Völker einer Monarchie bringt, die zwar ohne eigentlichen merkantilischen Centralpunct ihrer literärischen Erzeugnisse (wie Teutschland nach der wohl eingerichteten Ordnung seines Buchhandels an Leipzig hat), aber dennoch voll Eifers, dieselben zu vervollkommnen, geräuschlos, aber allmälig, sicher und bedeutend ihrer wissenschaftlichen Höherstellung entgegenarbeitet. Diese Unkenntnifs soll nicht unbelehrt über ihre ungegründeten Angaben weiter verbreitet, sondern sie soll aufgeklärt und berichtigt werden; denn es handelt sich hierbei nicht blofs um eine literärische Behauptung, sondern es ist um die Ehre einer Volksmenge von 32 Millionen, um die Wahrheit eines Zeitraumes. von mehreren Jahrhunderten zu thun, welche beide ans Licht gezogen und gegen unverdiente Vorwürfe vertheidigt werden müssen. Würde Österreich, wie Teutschland gröfstentheils blofs teutsche Einwohner zählen, so würde die Monarchie wahrscheinlich schon längst einen Stapelplatz ihres Buchhandels besitzen; aber der Teutsche kauft nicht die ungarischen, der Böhme nicht die italienischen, der Pole nicht die*teutschen, der Israelite nicht die neugriechischen, der Walache nicht die serbischen, der SloIwake nicht die armenischen Bücher. Ein solcher Einigungspunct kann also hier durchaus nicht die erwünschlichen Früchte bringen. Die österreichische Literatur ist ihrer Natur und nationellen Verschiedenheit nach vorzüglich in die gröfsern Hauptstädte:

Wien, Prag, Pesth, Lemberg, Venedig, Mailand u. s. w., vertheilt, von wo aus die schriftstellerischen Werke nach ihren verschiedenen Idiomen sich directe unter die teutschen, slawischen, ungarischen, italienischen, walachischen, armenischen und hebräischen Völker ihrer Wohnsitze verbreiten, ohne erst den Weg nach der Residenz, als dem zu proponirenden Einigungspuncte des österreichischen Buchhandels, und von da wieder in die besagten Provinzen zurück zu machen.

Eben aus diesem Grunde kann man auch in Teutschland die böhmische, polnische, ungarische, walachische, neugriechische, armenische und zum grofsen Theil auch die italienische Literatur nur sehr mühsam in ihrem ganzen Umfange kennen lernen, weil den Teutschen diese Idiome in der Regel fremd sind, weil kein Bindungsglied da ist, durch welches die Literatur dieser Völkerschaften den Teutschen zugänglich wird, und weil davon aus obigen Ursachen höchst selten ein Werk auf den Leipziger Büchermessen erscheint. Wenn nur äusserst sparsam in Heinsius allgemeinem teutschen Bücherverzeichnisse ), und beinahe gar nie in Kayser's teutscher Bücherkunde 2) ein Werk aus den oben angeführten Sprachen aufgenommen wurde, wenn wir in der böhmischen, polnischen, ungarischen und, wer sollte es glauben, sogar in der italienischen Literatur kein Bücher-Verzeichnifs besitzen, wie Teutschland an seinem Heinsius, oder

1) Heinsius allgemeines Bücherlexicon von 1700 — 1815, 5 Bände, gr. 4., Leipzig, dessen sechster Band, fortgesetzt von Kayser, d. J. 1816-1821 enthaltend, dessen siebenter Band von 1822. 2) Ch. G. Kayser, teutsche Bücherkunde von 1750 bis Ende 1823, 2 Bände, Leipzig 1825, gr. 8.

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