logie, unter allen Wissenschaften und Künsten des menschlichen Geistes, die Musik den ersten Plak einnehme. Und ich muß offenherzig bekennen, daß dieser kühne Ausspruch meine Blicke sehr auf den ausgezeichneten Mann hingerichtet hat. Denn die Seele, aus welcher ein solcher Ausspruch kommen konnte, mußte für die Kunst grade diejenige tiefe Verehrung empfinden, welche, ich weiß nicht woher, in so wenigen Gemüthern wohnt, und welche, nach meinem Bedünken, doch so sehr natürlich und so bedeutend ist. 1 Wenn nun die Kunst, (ich meŋne, ihr Haupt und wesentlicher Theil,) wirklich von solcher Wiche tigkeit ist; so ist es sehr unwürdig und leichtsinnig, sich von den sprechenden und lehrreichen Menschens figuren unsers alten Albrecht Dürers hinwegzuwenden, weil sie nicht mit der gleißenden äußeren Schönheit, welche die heutige Welt für das Einzige und Höchste in der Kunst hält, ansgestattet sind. Es verräth nicht ein ganz gesundes und reines Ge müth, wenn sich jemand vor einer geistlichen Bes trachtung, welche an sich triftig und eindringend ist, die Ohren zuhält, weil der Redner seine Worte nicht in zierlicher Ordnung stellet, oder weil er eine üble fremde Aussprache, oder ein schlechtes Spiel mit Händen an sich hat. Hindern mich aber der gleichen Gedanken, diese äußere, und so zu sagen, bloß körperliche Schönheit der Kunst, wo ich sie & % finde, nach Verdienst zu schäßen und zu bewuns dern? Auch wird dir das, mein geliebter Albrecht Dürer, als ein grober Verstoß angerechnet, daß du deine Menschenfiguren nur so bequem neben einander hinstellst, ohne sie künstlich durch einander zu verz schränken, daß sie ein methodisches Gruppo bilden. Ich liebe dich in dieser deiner unbefangenen Einfalt, und hefte mein Auge unwillkührlich zuerst auf die Seele und tiefe Bedeutung deiner Menschen, ohne daß mir dergleichen Tadelsucht nur in den Ginn kommt. Viele Personen aber scheinen von derselben, wie von einem bösen, quälenden Geiste, so geplagt, daß sie dadurch zu verachten und zuð verhöhnen angereizt werden, ehe sie ruhig betrachten können, und am allerwenigsten über die Schranken der Gegenwart sich in die Vorzeit hinüberzusegen vermögen. Gern will ich euch zugeben, ihr eifrigen Neulinge, daß ein junger Schüler jest klūger und gelehrter von Farben, Licht und Zusam menfügung der Figuren reden mag, als der alte Dürer es verstand; spricht aber sein eigener Geist aus dem Knaben, oder nicht vielmehr die Kunstweisheit und Erfahrung der vergangenen Zeiten? Die eigentliche, innere Seele der Kunst fassen nur einzelne auserwählte Geister auf einmal, mag auch schon die Führung des Pinsels noch sehr mangelhaft seyn; alle die Außenwerke der Kunst hingegen wer 1 Hin den nach und nach, durch Erfindung, Übung und Nachdenken zur Vollkommenheit gebracht. Es ist aber eine schnöde und betrauernswehrte Eitelkeit, die das Verdienst der Zeiten ihrem eigenen schwa= chen Haupte zur Krone aufseht, und ihre Nichtigs keit unter erborgtem Glanze verstecken will. weg, ihr weisen Knaben, von dem alten Künstler von Nürnberg! — und daß keiner verspottend ihn zu richten sich vermesse, der noch kindisch darüber naferümpfen kann, daß er nicht Tizian und Correg gio zu Lehrmeistern hatte, oder daß man zu seis ner Zeit so seltsam altfränkische Kleider trug! Denn auch um deßwillen wollen die heutigen Lehrer ihn, so wie manchen andern.guten Mahler seines Jahrhunderts, nicht schön und edel nennen, weil sie die Geschichte aller Völker, und wohl selbst die geistlichen Historien unserer Religion in die Tracht ihrer Zeiten kleiden. Allein ich denke daben, wie doch ein jeder Künstler, der die Wesen vergangener Jahrhunderte durch seine Brust gehen läßt, sie init deni Geist ünd Athem seines Alters bes leben muß; und wie es doch billig und natürlich ist, daß die Schöpfungskraft des Menschen alles Fremde und Entfernte, und also auch selbst die himmlischen Wesen, sich liebend nahe bringt, und in die wohl. bekannten und geliebten Formen seiner Welt und feines Gesichtskreises hüllt. Als Albrecht den Pinsel führte, da war der und Deutsche auf dem Völkerschauplaß unsers Welttheils noch ein eigenthümlicher und ausgezeichneter Charak ter von festem Bestand; und seinen Bildern ist nicht nur in Gesichtsbildung und im ganzen Äuße ren, sondern auch im inneren Geiste, dieses ernst hafte, grade und kräftige Wesen des deutschen Charakters, treu und deutlich eingeprägt. In unfern Zeiten ist dieser festbestimmte deutsche Charakter, und eben so die deutsche Kunst, verloren gegangen. Der junge Deutsche lernt die Sprachen aller Völker Europa's, und soll prüfend und richtend aus dem Geiste aller Nationen Nahrung ziehen; der Schüler der Kunst wird belehrt, wie er den Ausdruck Raphaels, und die Farben der venezianischen Schule, und die Wahrheit der Niederländer, und daß Zauberlicht des Corregio, alles zusammen nachahmen, und auf diesem Wege zur alles übertreffenden Vollkommenheit gelangen solle. 0 traurige Afterweisheit! O blinder Glaube des Zeit: alters, daß man jede Art der Schönheit, und jedes Vorzügliche aller großen Künstler der Erde, zusam mensehen, und durch das Betrachten aller, und das Erbetteln von ihren mannigfachen großen Gaben, ihrer aller Geist in sich vereinigen, und sie alle be Siegen könne! Die Periode der eigenen Kraft ist vorüber; man will durch ärmliches Nachahmen und klügelndes Zusammenfeßen das verfagende Talent erzwingen, und kalte, geleckte, charakterlose Werke - find die Frucht. Die deutsche Kunst war ein / frommer Jüngling in den Ringmauern einer kleinen Stadt unter Blutsfreunden häuslich erzogen; nun sie älter ist, ist sie zum allgemeinen Welts manne geworden, der mit den kleinstädtischen Sit ten zugleich sein Gefühl und sein eigenthümliches Gepräge von der Seele weggewischt hat. Ich möchte um Alles nicht, daß der zauberhafte Correggio, oder der prächtige Paolo Veronese, oder der gewaltige Buonarotti, eben so gemahlt hätten als Raphael. Und eben auch stimme ich keinesweges in die Redensarten derer mit ein, welche sprechen: Hätte Albrecht Dürer nur in Rom eine „zeitlang gehauset, und die ächte Schönheit und das „Idealische vom Raphael abgelernt, so wäre er ein „großer Mahler geworden; man muß ihn bedauern, und sich nur wundern, wie er es in seiner Lage noch so weit gebracht hat." Ich finde hier nichts zu bedauern, sondern freue mich, daß das Schicksal dem deutschen Boden an diesen Manne einen ächtvaterländischen Mahler gegönnt hat. Er würde nicht er selber geblieben seyn; sein Blut war kein italienisches Blut. Er war für das Idealische und die erhabene Hoheit eines Raphaels nicht gebohren; er hatte daran seine Lust, uns die Menschen zu zeigen, wie sie um ihn herum wirklich waren, und es ist ihm gar trefflich gelungen. Dennoch aber fiel es mir, als ich in meinen |