sind in der That Proben von Epigrammen, die nichts taugen. Aber mit Recht erklärt Herder (1. c.), dafs jenes Epigramm, welches eine blofse Exposition enthalte, als „die Urform des griechischen Epigramms" zu betrachten sei. „Ich bekenne, sagt Herder, dafs manche dieser simpeln Expositionen für mich viel mehr Rührendes und Reizendes haben, als die geschraubte epigrammatische Spitzfindigkeit späterer Zeiten. Dort sprechen Sachen statt der Worte; die Worte sind nur da, jene vorzuzeigen und mit dem Siegel einer stummen Empfindung, wie mit dem Finger der Andacht oder der Liebe zu bezeichnen." Als Beispiele solcher Epigramme führt er u. a. aus der griechischen Anthologie an (ed. T. VII, 505) von der Sappho: Τῷ γριπεῖ Πελάγωνι πατὴρ ἀνέθηκε Μενίσας und (1. c. VII, 489): Τιμάδος ἅδε κόνις, τὴν δὴ πρὸ γάμοιο θανοῦσαν ἃς καὶ ἀποφθιμένας πᾶσαι νεοθᾶγι σιδάρο von Simonides (1. c. VII, 249) das bekannte: Ὤ ξεῖν', ἄγγειλον Λακεδαιμονίοις ὅτι τῇδε Lessings zweite „Aftergattung" des Epigramms, welche nach unserer Bezeichnung (vid. oben p. 397) „nur das Resultat der Gedankenbewegung zum Ausdruck bringt", nennen auch wir nicht Epigramm, sondern Gnome.*) Die Auseinandersetzungen bei *) Lessing hat vornehmlich“ hiermit „alle diejenigen kleinen Gedichte" gemeint, welche nichts als allgemeine moralische Lehren oder Bemerkungen enthalten", welche Epigramme nicht seien, wenn sie auch noch so witzig vorgetragen und in ihrem Schlusse noch so spitzig zugearbeitet seien." Ähnliches will wohl J. B. Rousseau (Sur l'épigramme) sagen: Le seul bon mot ne fait une épigramme; Il faut encor savoir la façonner, Avec adresse en nuancer la trame, Et le bon mot avec grâce amener. Un trait piquant d'abord plaît, frappe, étonne; Mais il s'émousse et devient monotone; Et si le goût ne le place avec choix, Si d'un sel pur grâce ne l'assaisonne, Si l'épigramme, à la vingtième fois, Ne vous plaît mieux, elle n'est assez bonne. Lessing und Herder lassen erkennen, wie man darauf kommen konnte, und wie weit man berechtigt ist, das Epigramm entweder der Lyrik oder dem Epos oder einer epischen Lyrik einzuordnen. Man bezeichnete damit lediglich eine allerdings vorhandene Analogie, und man glaubte damit die Sache zu treffen. Richtig würde man gesagt haben, wie der Epigrammatist entweder nach Art des Epikers seinen Stoff objektiv zur Gestaltung kommen lasse, also den Gedanken eben dadurch darstelle, dafs dessen Anlafs sich selbst zum Ausdruck bringe; oder nach Art des Lyrikers die eigene Auffassung in subjektiver Lebendigkeit an dem Anlafs herausstelle. Und auch mit didaktischen Dichtungen ist ja (cf. oben p. 398) bei vielen Epigrammen eine Analogie anzuerkennen, namentlich bei solchen, welche von einem inneren Anlafs aus entstehen. Dann nämlich unterscheidet sie von der Gnome nur dies, dafs sie von einem Einzelnen, irgendwie Bestimmten ausgehen, während die Gnome den Gedanken allgemein hinstellt.*) *) Man wird oft zwischen Epigramm und Gnome nicht mit Bestimmtheit unterscheiden können, wenn in jenem der Anlafs" selbst abstrakt hingestellt wird, d. h. allgemein, gnomisch. Schiller verfafst z. B. („Delikatesse im Tadel"): „Was heifst zärtlicher Tadel? Der deine Schwäche verschonet? Nein, der deinen Begriff von dem Vollkommenen stärkt." Wenn hier der erste Vers etwa auf einen Vorwurf deutet, Sch.'s Kritik gegen Bürgers Gedichte betreffend (welche einen ähnlichen Gedanken ausspricht), so hat man Epigramm; wenn nicht, eine Gnome. So sagt ein anderes Sprachbild Schillers („Das eigene Ideal“): „Allen gehört, was du denkst; dein eigen ist nur, was du fühlest. Soll er dein eigen sein, fühle den Gott, den du denkst." Denkt man hier den zweiten Vers als einen Ausspruch (wie etwa in „Ideal und Leben“ es heifst: „Nehmt die Gottheit auf in euren Willen. Und sie steigt von ihrem Weltenthron"). welcher durch den ersten nur erläutert oder begründet wird, so haben wir eine Gnome; wir haben ein Epigramm, wenn wir den ersten Vers als allgemein giltig hingestellten Satz auffassen, aus dem der zweite Vers eine Folgerung, Anwendung zieht. Am deutlichsten werden sich diese didaktischen Epigramme von Gnomen durch die gröfsere Lebendigkeit unterscheiden, wie sie als Wirkung eines bestimmten, wenn auch inneren Anlasses im Ausdruck sich kundgeben wird. So sind Schillers berühmte Disticha gewifs Epigramine („Mein Glaube“): „Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst. Und warum keine? Aus Religion." und („Die Philosophieen"): „Welche wohl bleibt von allen Philosophieen? Ich weifs nicht; Aber die Philosophie, hoff ich, soll immer bestehn.“ Namentlich wird subjektive Erregung durch einen bestimmten Einzelvorgang, durch irgend eine besondere Beobachtung anzunehmen sein, wenn die Darstellung der Lehre, des Gedankens sich des Spottes bedient. (Logau sagte deshalb mit einigem Rechte: „Epigramma est brevis satira; satira est longum epigramma.“) So z. B. bei Schiller („Wissenschaft“): „Einem ist sie die hohe, die himmlische Göttin, dem andern Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Lessing (1. c.) sagt so mit Recht, dafs, wenn Wernicke zur Empfehlung einer milden Sparsamkeit geschrieben hätte: .. Lieb' immer Geld und Gut, nur so dafs dein Erbarmen Der Arme fühl', und flieh' die Armut, nicht die Armen" so wäre es nur ein gereimter Sittenspruch"; dagegen würde es sogleich ein Epigramm, wenn es hiefse, wie er wirklich an den sparsamen Celidor schrieb: Du liebst zwar Geld und Gut, doch so, dafs dein Erbarmen Der Arme fühlt; du fliehst die Armut, nicht die Armen." Nicht selten zeigen Epigramme in ihrer Darstellung auch Analogie mit dem dramatischen Vortrage, sofern sie in Form von Monologen, Anreden, Dialogen den Gedanken aussprechen. So bei Lessing (Auf die Magdalis): Die alte reiche Magdalis Wünscht mich zum Manne, wie ich höre. Reich wäre sie genug, das ist gewils; Allein so alt! bei dems. (An den Marull): Ja, wenn sie älter wäre! Grofs willst du, und auch artig sein? Aus der Anthol. gr. VII, 64: Εἰπέ, κύον, τίνος ἀνδρὸς ἐφεστώς σῆμα φυλάσσεις; καὶ μάλα· νῦν δὲ θανὼν ἀστέρας οἶκον ἔχει. (Die Form des Dialogs ist nicht selten in der griechischen Anthologie, so z. B. V, 101; 181; VI, 259; VII, 163; 164; 165: 426: XIII, 5; sehr häufig sind Monologe und Anreden.)*) Die Einteilung der Epigramme, welche bei der nicht zu bestimmenden Mannigfaltigkeit des Gedankeninhalts aus Betrachtung der Form sich ergeben mufs, kann nach dem bisher Besprochenen nur die folgende sein. Es wird 1. entweder der Anlafs allein Butter versorgt." („Buchhändler-Anzeige“): „Nichts ist der Menschheit so wichtig, als ihre Bestimmung zu kennen; Um zwöf Groschen Courant wird sie bei mir jetzt verkauft." („Die Sonntagskinder“): „Jahrelang bildet der Meister und kann sich nimmer genug thun; Dem genialen Geschlecht wird es im Traume beschert." *) J. C. Scaliger bemerkt schon (Poët. p. 431): „recipit epigramma omne genus poseos: διαλογικὸν sive δραματικὸν et διηγηματικών et μικτόν. so dargestellt, wie er zugleich Ausdruck ist für den durch ihn angeregten Seelenmoment (objektive Darstellung); oder 2. der Seelenmoment allein kommt zu solchem Ausdruck, dafs an diesem zugleich der Anlafs zu erkennen ist, welcher ihn hervorrief. (subjektive Darstellung); oder 3. es tritt beides gesondert hervor: der Anlaf's und der an ihm sich entzündende Gedanke, so dafs ein Verhältnis dieser Teile eintritt, wie es verschiedentlich bezeichnet worden ist: als „simplex cujuspiam rei, vel personae, vel facti indicatio“ und „ex propositis deductio" (Scaliger); ,,expositio rei" und "conclusio" clausula ",. (Vavassor); ,,Vortrag des Subjekts, der Sache, die den Gedanken hervorgebracht oder veranlafst hat" und der Gedanke selbst, welchen man die Spitze nennt, oder dasjenige, was den Leser reizt, was ihn interessiert" (Batteux bei Lessing 1. c.); „Erwartung“ und „Aufschlufs" (Lessing); „Darstellung" „Exposition“ und Befriedigung" (Herder); „Protasis“ und „Apodosis" (Anon. bei Herder); „Perceptio“ und „expeditio".(Groke). Es ist klar, dafs es der ersten Form nicht eigen ist, den Gedanken zur gröfsten Helligkeit zu bringen, dafs bei der zweiten der Reiz sinnlicher Anschauung zurücktritt, dafs die dritte die Vorzüge der beiden ersteren in sich vereinigt. Beispiele zur ersten Art z. B. bei Herodot (V, 59), der im Heiligtume des Ismenischen Apollo in Theben auf Dreifüfsen in Kadmeischer Schrift Epigramme las, wie z. B.: Σκαῖος πυγμαχέων με εκηβόλω Απόλλων Νικήσας ἀνέθηκε τεῖν περικαλλὲς ἄγαλμα. So Archilochos (Anth. Gr. VI, 133): Αλκιβίη πλοκάμων ἱερὴν ἀνέθηκε καλύπτρην Bei Virgil (Aen. III, 288): Aeneas haec de Danais victoribus arma. Owen (Christus): Venit in hunc mundum, vidit mortalia, mortem Platen (Die Insel Tino bei Palmaria): Myrtengebüsch, Steineichen, in Trümmer zerfallenes Kloster, Ders. (Ciceros Villa bei Castellone): Hier an dem schönen Orangengestade trank selige Muse Beispiele der zweiten Art sind: Anthol. gr. (X, 30), mit persönlicher Beziehung: Ebenso (X, 43): Ἓξ ὧραι μόχθοις ἱκανώταται· αἱ δὲ μετ ̓ αὐτὰς Ebenso (XI, 279) von Lukillos: Οὐδεὶς γραμματικῶν δύναταί ποτε ἄρτιος εἶναι, und (XI, 300) von Palladas: Πολλὰ λαλεῖς, ἄνθρωπε, χαμαὶ δὲ τίθῃ μετά μικρόν, Anth. Lat. ed. R. 769 (In mensa beati Augustini): ib. 701 (Petronii): Accusare et amare tempore uno Ipsi vix fuit Herculi ferendum. Von Schiller (Kunstgriff) mit Beziehung auf die sogenannten moralischen Romane: Wollt ihr zugleich den Kindern der Welt und den Frommen gefallen, Malet die Wollust nur malet den Teufel dazu. Ders. (An die Mystiker): Das ist eben das wahre Geheimnis, das allen vor Augen Platon (Anthol. gr. VII, 669): Αστέρας εἰσαθρεῖς ἀστὴρ ἐμός· εἴθε γενοίμην Ders. (ib. IX, 506): Ἐννέα τὰς Μούσας φασίν τινες· ὡς ὀλιγώρως. Kallimachus (ib. VII, 451): Τῇδε Σάων ὁ Λίκωνος Ακάνθιος ἱερὸν ὕπνον Anthol. Lat. 277 (Tucciani): Cantica gignit amor et amorem cantica gignunt. Cantandum est, ut ametur, et ut cantetur, amandum. |