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VI. Geschichte des Archivwesens in Deutschland.

Vom

Herausgeber.

(Schluss.)

V. Städtezeit.
(Fortsetzung.)

Was nun die Ordnung betrifft, in welcher man in den Städten all' diese Urkunden, Hefte und Bände aufbewahrte, so wurden sie gewöhnlich in zwei Theile zerlegt, in einen kleineren, der besonders Werth hatte, und einen grösseren minder wichtigen. Nicht dass man sorgfältig von einander geschieden hätte, welche Schriften zum täglichen Gebrauch gehörten und welche nicht, - es gab noch keine strenge Scheidung zwischen Archiv und Registratur, sondern man traf nach alter Gewohnheit obenhin eine Auswahl der Schriftstücke, welchen am meisten Bedeutung innewohnte, als da waren kaiserliche, päpstliche, bischöfliche und andere fürstliche Gnadenbriefe; ferner Urkunden, welche die Vereinbarung über das Stadtrecht, und etwaige Verträge mit dem früheren Stadtherren bezeugten; sodann die Bündnissbriefe mit Herren und Städten; die Besitztitel über die bedeutendsten Grunderwerbungen und damit zusammenhängende Realrechte; endlich Schuld- und Darlehensbriefe und dergleichen. Von all' diesen Schriftstücken behielt man in der Kanzlei gerne Abschriften oder doch reichliche Inhaltsangaben zurück, die Originale aber wurden an einem besonders geschützten und heimlichen Orte hinterlegt. Am liebsten wählte man dazu eine gewölbte Kammer auf einem Kirchthurme, da ein solches dickgemauertes und fest verschlossenes Versteck in Thurmhöhe an einer Kirche am meisten Sicherheit im Falle von Häuserstürmen, Brandstiften und Rauben gewährte. Der Bergungsort des Archivs musste, indem man auch

hier am alten Herkommen festhielt, ebenfalls Heilthümer und allerlei Kleinodien aufnehmen. So war in Freiburg im Breisgau ein Repertorium überschrieben: „Warliche Anzaig aller laden und darin liegenden freyhaiten, brieven und handtvesten im Münster allhie in dem Gewölb zum Hänen (Hahnenthürme) genant einer löblichen statt Freyburg zugehörende", während es z. B. von anderen Freiburger Urkunden heisst: „Dise vorgeschrieben missive lit im rathus in der noteskisten in einen grossen Schindelladen by den andern briefen“, und „der gräfen von Fürstenberg brieff lit in dem rathus in der kisten by des cardinals briefen". In Frankfurt a. M. lagen im Thurm der Leonhardskirche Ledersäcke voll Schriften, einer über dem andern. Die Nürnberger hatten drei Bewahrungsorte. Im „oberen Gewölb Sant Sebaldskirchen ob der Sakristei" stand ein verschlossener Kalter, der bis 1626 die vornehmsten Urkunden bewahrte. Den nächst wichtigen Theil des Archives, „gemeiner Stadt Briefe und Bücher", Testamente und andere Urkunden, die von Bürgern hier hinterlegt waren, hatte einer der beiden Losunger (Schatzbeamten) „,zu pflegen und zu bewahren". Den dritten Theil bildete die eigentliche Kanzleiregistratur: er umfasste die Protokolle und Briefbücher des Rathes und die anderen Amtsbücher und Akten der städtischen Verwaltung, sowie die Kopialbücher, in welchen die Abschriften von Urkunden der Losungsstube vereinigt waren.

Die Verwahrungsart aber liess aller Orten noch viel zu wünschen übrig. Die ältesten Urkunden wurden wahrscheinlich gerollt, sie waren an sich nicht gross, später zusammengefaltet aufbewahrt. Nun hatte die Erfahrung gelehrt, wie schädlich es sei, Urkunden offen liegen zu lassen, weil Staub, Sonnenstich, Frass und Unrath von Insekten mit der Zeit zerstörend auf Schrift und Pergament einwirkten. Also umhüllte man die Urkunden. Allein wie? Man legte sie in Holzkisten unter Deckel, oder steckte sie in Säcke von Leinen oder Leder, schloss sie freilich dadurch ab vom frischen Luftzug, der den Moder zerstören muss. So wenig an gewölbte Gemächer eigens für Archive, so wenig dachte man an besondere Einrichtungen derselben. Genügte in der Kaiserzeit noch die Truhe, der Kasten, die Schachtel, so wusste man in der Städtezeit, als der Urkunden immer mehr wurden, nichts Besseres zu thun, als immer mehr Behälter anzuschaffen. Ein Fortschritt war es bereits, wenn man daran dachte, diese regelmässig über einander oder unter bestimmte Bänke zu stellen, oder Schiebläden unter

Tischen und Bänken anzubringen. Auch der Ledersack und der Kalter war ein Fortschritt gewesen. Den Ledersack benützte man für die Urkunden, die auf Kirch- oder Burgthürmen oder in Kellern verwahrt wurden. Der Phalter oder Kalter aber war ein grosser hölzerner Kasten mit verschiedenen Einsätzen. Wichtige Urkundenbündel wurden noch besonders mit Barchent umwickelt.

Einen deutlichen Einblick in die damalige Archivwirthschaft gewähren uns die Räume der Rechnungskammer im Nürnberger Rathhaus. Besser als dort ist es damals selten um ein Archiv bestellt gewesen: Nürnberg, Strassburg, Köln und Lübeck waren ja die vier, die unter den blühenden grossen Reichsstädten am meisten auf Ordnung und gutes Aussehen hielten. Es herbergte aber die Nürnberger Rechnungskammer in der „,grossen Losungsstube" und drei Gelassen nebenan. Eines davon bildete in dicker Mauer in ein Gewölbe den Durchgang. Dieser war vorn durch hölzerne, hinten durch eiserne Thür verschlossen. Ueber der grossen Stube befand sich eine Kammer, in welche man zu den Zollschwertern, Hörnern und Trompeten, die dort lagen, einen Kasten Schriften nach dem andern ausleerte, wenn sie zu voll wurden von Bestallungsund Urfehdebriefen, die nichts mehr bedeuteten, oder von Urkunden über abgelöste Hypotheken und dergleichen. Im Gewölbe lagen auf einem Brette über der eisernen Thür seit vielen Jahren her die grossen Rechnungsbücher der Losunger, darunter hing an dieser Thür ein Rothbuch in einem Ledersack, „dorein man pfligt zu schreiben etlicher Diener Bestallung, auch Geldschuld und ander Handel, die man gern zu gedechtnusse oder ingeheyme halten wil". Am Fenster des Gewölbes zeigten sich eine Truhe und eine Schachtel voll Rechnungssachen, in der Ecke waren Holzkisten über einander gethürmt, und rings umher standen und lagen Lederbüchsen und hölzerne Kisten und Schachteln voll Schriften. Im Durchgang vor dem Gewölbe befand sich eine eigene Lade mit einem alten Rothbuch, und hingen lederne Säcke mit Nachweisungen über Freiheitsbriefe und mit den Schlüsseln dazu. Die Hauptmasse der Amtsbücher, Urkunden und Schriften umfasste aber die grosse Stube, und steckten sie entweder in den drei Kaltern am Ofen, oder in einer grossen Truhe, darauf man zu sitzen pflegte, oder in anderen Truhen und Schachteln, die am Boden standen, oder auch in den Schiebläden, die unter dem grossen Tisch und unter den Bänken vom Ofen bis zum Fenster über einander angebracht waren. Einer

der Kalter hatte drei Fächer, ,,und wenn man das unter vach desselben Kalters gantz rawmt, so findt man darin noch ein vach unter sich, dorin auch vil und mancherlei schrift und bücher ligen, das alles man auch mit vleiss besehen musste". So belehrt ein Inventar, das um Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts entstand.

Es liess sich nämlich das Bedürfniss eines Führers, um sich in diesem argen Durcheinander doch einigermassen zurecht zu finden, nicht mehr abweisen. In der Nürnberger Stadtrechnung 1439 lautet ein Posten: „,,Item dedimus 5 Pfund Heller Johann Schützen unserm Losungschreiber von eynem register zu machen in die stuben aller brief schrift und bücher, die in der stuben und in dem gewelb dabei sein". So gelangte man doch zu einer Art von archivalischer Verzeichnung. Freilich war sie roh genug: man fasste blos die Truhen, Kisten und Schachteln in's Auge und bezeichnete sie nach ihrem Standort, z. B. „,bei dem Ofen“, „unter dem Tische,“, oder nach ihrem Aussehen, z. B. die grosse Truhe“ ,,die grosse weisse Schachtel", oder nach ihrer Bestimmung, z. B. ,,der gemeine Briefladen“, oder nach der Nachbarschaft eines bekannten Archivstückes, z. B. „im Kalter, worin das alte Stadtbuch liegt", unter der Bank bei den Schuldbriefen". Gleichwie die verschiedenen Behälter trugen die Bücher und Schriftstücke ihre besonderen Eigennamen, z. B. Königssteuer, Judensteuer, Quitbriefe, Zugbüchlein vom Hussitenkrieg. Da die Beschreibung aber von all' den Kisten und Kasten zu umständlich wurde, so half man sich auch dadurch, dass ihr Inhalt mit einem Schlagwort daran geschrieben wurde, oder, weil das rechte Wort für allerlei Verschiedenes schwer zu treffen war, auch nicht den Verräther machen durfte, so bezeichnete man die Behälter, einerlei was darin, einfach mit römischen Buchstaben oder Ziffern. So heisst es im Nürnberger Inventar: „Hans von Hirschbergs quittantzen ligen alle bey einander in einer scatteln in dem Gewelb zur linken Hand als man hinein geet mit dem A gezaichent. Herzog Albrechts quittanz ligt bey

den Laden in der ecken beym venster in dem I".

Keineswegs einladend ist das Bild, welches hier vom Archiv einer geld- und wissensreichen Grossstadt zu zeichnen war: gleichwohl haben wir bei den anderen Städten, da von keiner einzigen die Nachrichten wesentlich anders lauten, die archivalische Entwicklung und Einrichtung uns ähnlich wie in Nürnberg vorzustellen. Zur ersten Brieflade, der cista civium oder cistula ad literas, kam,

wenn sie mit städtischen Urkunden gefüllt war, wieder und wieder ein neuer Kasten hinzu, gross oder klein, und man stellte sie hin, neben und auf einander, wo gerade in den Amtszimmern ein sicherer Raum war. In Köln zählte man der Urkundenkasten über ein halbes Hundert, in Strassburg waren es noch mehr. Von der letzteren Stadt erzählt ihr Geschichtsschreiber Königshofen: „Der stätte recht und gesetzede worent geschriben an vil briefen und zedeln, die man underwilen nüt vinden kunde, so man dernoch richten wolte: des dicke in dem rote missehelle wart".

Solche Misshelligkeit mochte auch in anderen Stadträthen gar häufig vorkommen, weil das entscheidende Schriftstück sich nicht entdecken liess. Aus mehreren Städten wird jedoch gerade in der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts übereinstimmend gemeldet, dass man neue und bessere Kisten machen liess und ihre Menge nach Inhalt und Standort, oder nach einer Art von Schlagwort, das daran geschrieben wurde, wenigstens obenhin verzeichnete.

Als die Kölner damals hinter ihrem Rathhause einen festen Thurm und darin einen Keller für die städtischen Weine und ein Gewölbe für die städtischen Urkunden bauten, wurde alsbald der Inhalt der Briefladen in einen Pergamentband eingetragen, und da dieses Buch bald darauf, als die Schriftstücke von hier und dort gesammelt wurden, nicht mehr zum raschen Auffinden genügte, so wurde ein neuer, viel grösserer Foliant angelegt, in welchem all' die wichtigeren Freiheitsbriefe, Mannbriefe, Söldnerbriefe, Geleitsbriefe, Missive, Quittungen u. s. w. verzeichnet standen. Im Archiv des Freisinger Domkapitels finden wir aber im letzten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts wohl am gründlichsten eine archivalische Ordnung durchgeführt, wie sie in ganz Deutschland Anfang und Grundlage zum Besseren wurde. Man legte die Schriftstücke gleichartigen oder verwandten oder doch zusammenpassenden Inhalts zu einer Gruppe zusammen und bezeichnete jede Gruppe mit fortlaufenden Buchstaben oder Ziffern oder auch mit beiden zusammen. Unter A kamen die Urkunden über den sämmtlichen Grundbesitz, unter B die Kauf- Verkauf- und anderen Verträge, C was sich auf Schenkungen und Erbschaften bezog, D schiedsrichterliche Entscheidungen, Zeugenaufnahmen und gütliche Abmachungen, E Korrespondenzen und Synodalsachen, F Privilegien, Schutzbriefe und Satzungen, G Gerichtsurtheile und Vollmachten der Kirchenverwalter. Diese Eintheilung war freilich wenig wissenschaftlich, allein sie huldigte

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