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XIII. Zahl und Schicksal deutscher Archive.

Vom

Herausgeber.

Wenige Gebildete, die nicht selbst geschichtliche Forschungen in weitem Kreise angestellt haben, stellen sich vor, dass der selbstständigen Archive es im Deutschen Reiche noch jetzt nahe an 800, und, nehmen wir Oesterreich-Ungarn, die Schweiz, Luxemburg und die russischen Ostseelande hinzu, weit über 1000 deutscher Zunge gibt, über deren Inhalt wir so ziemlich unterrichtet sind! Und wie viele mögen erst vor hundert Jahren da gewesen sein, ehe in den Revolutions- und Kriegsstürmen zahlreiche Archive der Klöster und Stiftungen, der Reichsstädte, Ritterorden und anderer Reichsstände eingezogen, hin und wieder auch zerstört oder gänzlich zerstreut wurden! Die Ursache, wesshalb in Deutschland solch' ein Reichthum an Archiven sich entwickelte, war einerseits die Zersplitterung des deutschen Bodens in so viele Staaten und Stäätchen, andererseits die Hartnäckigkeit, mit welcher Fürsten und Herren, Gemeinden und Genossenschaften festhielten an ihrer besonderen Eigenart und Selbstständigkeit, zu welcher eine Archivkammer als nothwendiges Zubehör erschien.

Kein Land aber hat so wie Deutschland lange Kriege erduldet, die recht eigentlich auf grimmige Zerstörung ausgingen, bei welchen auch die Archive schwer gelitten haben. Solche Zeiten des Unheils waren die Hussitenkriege, der Bauernkrieg, der dreissigjährige Krieg. Das Würzburger Land zählte am Ende des Mittelalters 105 Stifter und Klöster; der Bauernkrieg nahm fast alle, die auf dem Lande gelegen, hart mit; bei Abschluss des westfälischen Friedens waren 63 vernichtet, und mit ihnen grösstentheils auch ihre Archive. In Weimar lag während des dreissigjährigen Krieges das Archiv in

Gewölben, die manchmal Jahre lang nicht geöffnet wurden, während Regen und Schnee eindrangen und Schimmel, Moder und Ungeziefer um sich griffen.

Eine zweite Leidenszeit war für unsere Archive die französische Revolutionszeit. Zwar ging man gegen sie nicht mit dem seltsamen Hasse zu Werke, der die alten Zeugen des Feudalwesens vom Erdboden zu vertilgen trachtete, wie es an so vielen Orten in Frankreich geschah. Allein auch in Deutschland war Missachtung gegen die Archive und höchst fahrlässige Behandlung derselben ganz gewöhnlich. Als das neue Staatswesen mit so breiter Gewalt und so ausschweifenden Hoffnungen über die Menschen hereinbrach, hatten die Wenigsten noch Freude an den alten Schriften oder auch nur Verständniss dafür. Wir geben zwei Beispiele, eines aus einer Reichs- und ein anderes aus einer Landstadt, die beide sich früher durch die Sorge für ihre Archive auszeichneten. Seit dem Jahre 1804 lag in Worms das Archiv in der sogen. Rechenstube ohne alle Aufsicht, der ganze Raum war so voll Schmutz und Modergeruch, dass er von Jedermann gemieden wurde: wer aber hinein ging, konnte mitnehmen was er wollte. Niemand kümmerte sich darum, und das dauerte so an dreissig Jahre lang. In Freiburg im Breisgau aber befand sich zu Anfang dieses Jahrhunderts in den beiden Gewölben im Rathhaus das Archiv in gräulichster Unordnung, grosse Haufen Akten lagen auf dem Boden, dazwischen alte Sättel und Mantelsäcke, alles war mit Spinnweben überzogen, und an den Fenstern war keine Scheibe mehr heil und die Rahmen meist verfault: erst in den zwanziger Jahren kam Besserung.

Ein Beispiel der Zerstreuung eines Ordensarchivs gibt uns Graf Pettenegg in der Einleitung zu seinem Urkundenbuch des Deutschordens-Zentralarchivs zu Wien, von welchem in diesem Jahre der erste Band erschien.1) Hierbei kommt freilich in Betracht, dass die Schriftstücke, welche sich auf die vom deutschen Orden ehemals besessenen Güter beziehen, dorthin gehören, wo diese Besitzungen liegen. Ebenso wenig lässt sich, was das preussische Ordensland, seine Eroberung, Verwaltung und sonstige Geschichte betrifft, in dessen Archiven entbehren. Dasselbe gilt von der Geschichte anderer Ordensprovinzen, Balleien und Kommenden. Schon im Mittelalter lösete sich in Folge der hussitischen Wirren die böhmische Ordens

1) Prag bei Tempsky und Leipzig bei Freytag.

provinz auf und verblieb bloss die Kommende Troppau in Schlesien. Durch den Bauernkrieg in Tyrol litten auch die dortigen Ordensarchive schweren Schaden. Während des dreissigjährigen Kriegs wurde die Ballei Utrecht dem Orden entfremdet. Der Kanton Bern nahm zwei Kommenden in Besitz, die in der Schweiz lagen und zur Ballei Elsass-Burgund gehörten. Durch des ersten Napoleon Gewaltmassregeln gingen dem Orden von den eilf Balleien, die noch bestanden, neun verloren. Mit diesen wurde auch der Hauptsitz des Ordens, die Residenz des Hof- und Deutschmeisters, das Reichsfürstenthum Mergentheim, der Ordensherrschaft entzogen und von Württemberg annektirt. Letzterer Verlust war für den Orden ein besonders empfindlicher, da auch das Hauptarchiv, die Bibliothek und zahlreiche andere werthvolle Erinnerungszeichen an des Ordens grosse geschichtliche Bedeutung und Vergangenheit von den Württembergern rasch in Besitz genommen und nach Stuttgart abgeführt wurden."

So erklärt sich, dass sich Archivalien des deutschen Ordens ausser in Wien in neun preussischen Staatsarchiven, in Ludwigsburg im Staatsarchiv und in Stuttgart in der königl. Privatbibliothek, in Karlsruhe, Frankfurt a. M., Darmstadt, Wolfenbüttel, Köln, Wernigerode und Danzig, in Luxemburg, Luzern, Bern und Baselstadt, in Riga und Mitau, in Venedig, Troyes und Paris, in Upsala und Madrid, sowie in sechs bayerischen Landesarchiven (Graf Pettenegg führt nur zwei an) befinden. Wer eine gründliche Geschichte des Ordens schreiben wollte, müsste sich in all diesen Archiven umsehen. Was sich in Oesterreich von hierher gehörigen Schriftstücken befand, wurde in Wien vereinigt, lag aber Jahrzehnte lang, in Kisten verpackt und eingepresst, in einem Gewölbe des deutschen Hauses. Endlich im Jahre 1852 wurde die Gründung eines DeutschordensZentralarchivs zu Wien beschlossen, nun aber auch vortrefflich ausgeführt. Die ganze Einrichtung dieses Archivs ist so schön und zugleich so praktisch, dass jeder Archivbeamte daran seine Freude haben kann. Durch Verhandlungen mit Preussen und Württemberg, ferner durch Heranziehung aus Troppau und Freudenthal im österreichischen Schlesien und aus Langenthal in Mähren, durch Ankäufe zerstreuter Urkunden, namentlich der Hennes'schen Privatsammlung in Mainz, endlich durch den herrlichen Erwerb bei Verkauf des Kommendehauses in Sachsenhausen ist das Zentralarchiv zu Wien bedeutend vergrössert worden. Natürlich fehlen noch Tausende von

Urkunden, die an den vorher genannten Orten zerstreuet sind, und zur Allgemein-Geschichte des Ordens ihren Inhalt beitragen könnten. Diese sollten wenigstens in Abschriften in Wien versammelt sein.

Unter Schicksalen dieser Art haben fast alle Archive in Deutschland mehr oder weniger gelitten. Namentlich bei Mediatisirung und Säkularisirung reichsständischer Gebiete, deren Archive jetzt ganz vernachlässigt oder hierhin und dorthin versprengt wurden, ist unschätzbar viel zu Grunde gegangen.1) Keineswegs wurde überall so schonend und bergend zu Werke gegangen, wie in Bayern, dem zum Glück für das deutsche Archivwesen so viele Bisthümer, Klöster, Reichsstädte und Ritterorden mit reichgefüllten Kammern und Gewölben voll Urkunden, Kodizes und alten Akten anheim fielen. Selbst die Schlossarchive, die in Händen ehemaliger kleiner Reichsstände verblieben, haben in den zwei ersten Jahrzehnten unsers Jahrhunderts nicht wenig eingebüsst. Man darf wohl sagen, dass ausser dem Zeitalter des dreissigjährigen Kriegs kein anderes den Archiven mehr Verwüstung und Verwirrung gebracht hat, als das laufende.

Die grosse Frage ist jetzt: was ist übrig geblieben und wohin ist es gerathen? Was steckt überhaupt noch in unseren Archiven, und wie kommt man am besten daran und dahinter? Diesen Aufgaben suchte der weimarische Archivdirektor Burkhardt gerecht zu werden, der wohlbekannt auch in weiteren Kreisen durch seine Verdienste um Goethe's literarischen Nachlass die Archive in Weimar ordnete, ein fürstliches Hausarchiv ausschied und einrichtete, ein schönes Muster eines Archivgebäudes in einem Neubau, der im vorigen Jahre glücklich vollendet wurde, herstellte,2) und sich auch zum Ziele setzte, über Bestand und Arbeiten in sämmtlichen deutschen Archiven Licht zu verbreiten, damit der Gelehrte mit den Verhältnissen des Archivs, das er benützen wolle, schon vorher doch einigermassen vertraut werde und selbst weniger Mühe habe, aber auch den Archivverwaltungen weniger Mühe mache.

In diesem Streben arbeitete Burkhardt mehrere Jahre an einem Hand- und Adressbuch der deutschen Archive, das 1875 erschien 3) und nicht weniger als 454 Archive behandelte. Jetzt nach zwölf Jahren tritt das Werk 4) beinahe schon mit der dreifachen Anzahl

1) Archival. Zeitschr. I. 8-12.

2) Archival. Zeitschr. I. 200-209. XI. 190–198, wo auch die Grundrisse. 3) Archival. Zeitschr. I. 316–318.

*) Hand- und Adressbuch der deutschen Archive im Gebiete des Deutschen

von Archiven auf, nämlich mit 1133, obgleich von Landgebieten, die früher noch nicht berücksichtigt waren, nur das Grossherzogthum Luxemburg hinzugekommen ist. Und zwar letzteres mit vollem Recht; denn Luxemburg gehört mit seiner Geschichte zu Deutschland, und in das dortige Regierungsarchiv sind z. B. gekommen die Urkunden und Akten- der beiden Klöster in Echternach, der Abteien St. Irmin und St. Maximin in und bei Trier und zahlreicher deutscher Herrschaften. Die nächste Auflage unsers Archivbuches wird hoffentlich auch die Hauptarchive in Holland und Belgien, im nordöstlichen Frankreich und in Dänemark umfassen und zeigen, was an archivalischen Hülfsmitteln für deutsche Geschichte dort lagert. Hätten wir nur erst einen Nachweis über die Urkunden, Kodizes und Akten deutschen Ursprungs, die noch immer in den grossen Pariser Archiven vorhanden! Der erste Napoleon hatte bekanntlich den Plan gefasst, das Wichtigste an historischen Schriftstücken, namentlich über diplomatische Verhandlungen, aus ganz Europa in Paris zu versammeln. Vieles und Unschätzbares ist damals aus Deutschland nach Frankreich gewandert. Auch in Schweden findet sich noch reichliche Ausbeute, die während des dreissigjährigen Krieges über die Ostsee entführt wurde.

Als Burkhardt sich zum ersten Mal an die deutschen Archive wendete, um über ihren Inhalt Näheres zu erfahren, blieb von seinen Gesuchen mehr als die Hälfte völlig unbeachtet. Lässigkeit, Ordnungsmangel, Scheu vor der Oeffentlichkeit war der Grund. Das hat sich nun in verhältnissmässig kurzer Zeit sehr geändert. Nur eine verschwindend kleine Zahl von Vorständen, darunter leider gerade von einigen wissenschaftlich geleiteten Archiven, liess die wiederholten Gesuche völlig unberücksichtigt. Es ist und wird nämlich seit einem Menschenalter in der That eifrig gearbeitet, mit dem Jahrhunderte alten Wust in unseren Archiven aufzuräumen und diese für die Wissenschaft, sowie für das Staats- und Geschäftsleben nützlich und fruchtbar zu machen. Die Fortschritte gegen früher sind ganz unvergleichlich. Desshalb kann auch jetzt leichter dargelegt werden, was in den deutschen Archiven vorhanden. Selbst

Reichs, Luxemburgs, Oesterreich-Ungarns, der russischen Ostseeprovinzen und der deutschen Schweiz, herausgegeben von Dr. phil. C. A. H. Burkhardt, Vorstand des Geheimen Haupt- und Staatsarchivs u. s. w. in Weimar. I. Theil : Handbuch. II. Theil: Adressbuch. Zweite stark vermehrte Auflage. Leipzig, Verlag von Fr. Wilh. Grunow, 1887.

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