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licher Gerichtsversammlung vor allem Volke vorzunehmen, war wieder so gegenständlich geworden, dass selbst in Königsurkunden hin und wieder Zeugen für ihren Inhalt aufgeführt wurden. Göthe hat im Faust merkwürdig zutreffend das germanische Gefühl wiedergegeben, das in Bezug auf Urkundenwesen noch bis in's vierzehnte Jahrhundert bei den Laien in Deutschland vorherrschend war. Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt, Kein Opfer wird ihn je gereuen!

Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,

Ist ein Gespenst, vor dem sich Alle scheuen.
Das Wort erstirbt schon in der Feder,

Die Herrschaft führen Wachs und Leder.

Wohl mochte ein alter Hofsasse statt Siegel und Pergament" verächtlich die Ausdrücke,,Wachs und Leder" brauchen. Das Wachs schien ihm am rechten Ort, wenn es zur Ehre Gottes im Kirchenlicht verbrannte, nicht aber sollte es zum Siegel verarbeitet sein Wort starr und unbeweglich machen, gerade als wenn er keine Treue im Herzen trüge. Und gar die Lederhaut, das Pergament, sollte da im dunkeln Kasten von einem Jahrhundert zum andern ein gefesseltes Gelöbniss überliefern? Kurz, so treu und tapfer die Deutschen bei ihrem Worte beharrten, oder vielmehr gerade deswegen war ihnen das Urkundenwesen zuwider. Sie blieben eben in der grossen Kaiserzeit ein Bauernvolk, freilich ein Bauernvolk von ritterlichem Streben, prangend im Waffenschmuck, voll Hochachtung des Rechts und der Sitte der Väter.

Zu dieser inneren Abneigung gegen das Aufschreiben von Verträgen kamen noch äussere Gründe hinzu, die in der Schwierigkeit der Form, Sprache und Schrift der Urkunden lagen.

Meister in der Diktirkunst zu werden, dahin ging in der ersten Hälfte des Mittelalters das eifrige Streben vieler ehrgeizigen Jünglinge. Denn wer diese höchst angesehene Kunst trefflich verstand, war in aller Welt willkommen. Das Dictare war ursprünglich wirklich nur Diktiren, und da die Schriftsteller des Alterthums, eben weil bei ihrem Schreibgeräth das Selbstschreiben mühselig war, einem Anderen, was sie aussannen, in die Feder zu sagen pflegten, so hiess Diktiren jedes Schriftverfassen. Noch in der Goldenen Bulle Kaiser Karl IV. heissen die Urkundenverfasser ,,Briefedichter", und noch seltsamer, unser ,,Dichten" hat ebenfalls vom Diktiren seinen Namen annehmen müssen. Für einen Meister in der Diktirkunst galt aber im früheren Mittelalter nur, wer einen schönen Stil schrieb

und alles Das geläufig hatte, was in einer Schrift vorkommen musste. Insbesondere galt das vom Schreiben und Urkunden über Privilegien und Verleihungen, über Schenkungen, Freilassungen, Testamente und andere Rechtsgeschäfte, wie Landgüterkäufe, Bürgschaften, Aussteuerbestellungen, über Dienst-, Lehens- und Unterthanen-Eide, über Gesetze und Beschlüsse von Versammlungen, über Verhandlungen und Urtheile von Schieds- und anderen Gerichten, kurz von Schriftstücken, die in die Archive kamen. Für jede dieser verschiedenen Urkunden galt eine bestimmte Form und Folge des Inhalts, eine bestimmte Reihe von Sätzen, bei deren Auslassen sie nicht vollständig erschienen. Es war dies noch ein Rest der gezierten Vortragsweise, die früher in den Rhetorenschulen gelehrt und hauptsächlich durch Geistliche und Beamte, die im westfränkischen Reiche ihre Studien gemacht, nach Deutschland gekommen war.

Man hatte Sammlungen, in welchen sowohl für die Briefe im gesellschaftlichen Verkehr, als für die verschiedensten Anlässe und Geschäfte, wie sie im bürgerlichen Erwerbs- und Staatsleben vorkommen, Muster gegeben waren, nach welchen sich die Schüler richteten. Schon Kassiodor, der Minister des grossen Ostgothenkönigs Theodorich, hielt es für nöthig, die Kanzleibeamten durch Beispiele zu belehren er stellte in zwölf Abtheilungen Urkunden, Erlasse und Briefe zusammen, wie sie während seiner Amtsführung vorgekommen. Von der Mitte des siebenten Jahrhunderts an sind uns auch aus den Lehranstalten diesseits der Alpen solcher Formelbücher mehrere erhalten: aus Tegernsee, St. Emmeram in Regensburg, Konstanz, Salzburg, nicht minder aus dem Elsass und aus Schwaben. Ohne Zweifel hatte jede Stifts- oder Klosterschule ihr Lehrbuch, in welchem Aufsätze aller Art, die man sammelte oder als Musterstücke erdichtete, fleissig studirt wurden. Mit jedem Menschenalter wurden diese Bücher besser und vollständiger, und die Anweisungen zum Schriftverfassen reichlicher und belehrender.

Als Sprache aber für Urkunden galt nur Latein, das Deutsche erschien ja dafür zu gemein. Von dieser grossen Thorheit konnten sich die Deutschen nicht losmachen. Das Latein hatte aber seine Dornen. Es war mehr und mehr zu jener wunderlichen Missbildung geworden, die man jetzt Mönchslatein nennt. Wer ein Buch schreiben wollte, suchte sich möglichst reines Latein anzueignen: der Antrieb dazu war für Abfassen der Geschäftsurkunden und täglichen Notizen nicht stark genug. Bei geistlichen und weltlichen Urkundenschreibern

war vielmehr das Allen verständlichere und geläufigere Latein des gemeinen Lebens in Brauch gekommen, so wie es der Volksmund sich zurecht gemacht hatte. Geist und Ton der Landessprache diesseits der Alpen war in die eingewanderte Römersprache eingedrungen und spielte mit grammatischen Regeln wie mit Satzbildung. Weil aber die Schreiber auch Kirchen- und Bücherlatein vernahmen und gerne Schriftgelehrte sein wollten, so bemüheten sie sich, den zahlreichen Wörtern der germanischen Rechtssitte, die einmal nicht entbehrt werden konnten, durch Endungen und Beugungen ein lateinisches Gewand zu geben, oder sie brauchten die nächstpassenden lateinischen Wörter in einem ganz andern, aber einmal feststehenden Sinne, z. B. Senior der Aeltere hiess Lehensherr und Beneficium die Wohlthat hiess Lehengut. Diese rohe Mischung und Mengerei der Sprache erhielt ihr unverwischliches Gepräge schon in der Merowinger-Zeit, und es kostete später den Schreibern in Deutschland nicht geringe Mühe, das sprachliche Ungethüm zu bemeistern.

Schon Karl d. Gr. hatte mit allem Ernst darauf gehalten, dass die lateinische Schriftsprache sich von den gröbsten Fehlern reinige. Diese verschwanden jedoch erst unter den sächsischen Kaisern, erst damals fing das Urkundenlatein an, mehr Würde und Klarheit anzunehmen. Weil es aber nur in Schulen gelehrt, nicht im Verkehr gesprochen wurde, so erhielt die Urkundensprache etwas Akademisches, eine gewisse vornehme Förmlichkeit, die gern nach Schwung und Pracht der Rede trachtete. Zur Zeit der Salier erscheint endlich auch in Urkunden etwas von flüssiger Lebendigkeit und grösserer Reinheit des lateinischen Ausdrucks: man sieht, der deutsche Schriftverfasser beherrschte jetzt das Latein, und mühelos und natürlich bildete man für die Ideen und Dinge der Zeit neue Wörter, die dem Geist und Wesen der lateinischen Sprache verwandt waren. Jedoch eine gewisse trockene Gesetzmässigkeit blieb der Schriftsprache eigen.

Nun war auch das Schreiben selbst schwieriger geworden. Schon unter den ersten Karolingern fing die Schrift an sich von den hässlichen Unarten zu reinigen, die anfangs, als man römische Schriftzüge mit ungeübter derber Hand nachahmte, unvermeidlich waren. Mehr und mehr wurden die Buchstaben reiner und gleichmässiger, die Wörter deutlicher, bis zur Zeit der salischen Kaiser eine klare schöne Schrift mit runden Buchstaben, die nur nach fest

stehenden Regeln verlängert, abgekürzt, oder sonstwie verändert werden durften, die allgemeine Forderung war. Solchen Ansprüchen. in Förmlichkeiten der Sprache und Schrift konnten nur Diejenigen genügen, die längere Zeit in Mönchsschulen gelernt hatten. Die Geschicklichkeit der weltlichen Schreiber wurde allmählig ausgestochen durch das, was man in den Klöstern leistete, wo es mit Vorschriften und Uebungen strenger genommen wurde. Schon im neunten Jahrhundert kamen die Kanzleien aller Orten unter Herrschaft der Geistlichen, und die ritterbürtigen Zöglinge der Hofschulen konnten ungehindert ihr Augenmerk richten auf Vogelfang und Schildesklang, der verhassten Schreiberei waren sie glücklich entronnen. Eine ausgezeichnete Feder war jetzt doppelt Geldes werth: die Feinheit des Stils in fürstlichen Erlassen machte sich in politischem und anderm Gewinn bezahlt. Aber auch jeder Grossgrundbesitzer hatte, gleichwie die Städte und Dörfer an ihrem Pfarrer, fortan an seinem Hausgeistlichen auch seinen „Pfaff", der ihm die Briefe las und schrieb und die Rechtsgeschäfte wie die Gutsrechnungen führte. Geistliche hatten. die erste Hand in allen Angelegenheiten des Landes und der Hauptfamilien, waren die Rathgeber hier und dort. Dieser grosse weltliche Einfluss kam zu dem des Gewissensraths und kirchlichen Richters hinzu.

Aus all diesen Gründen, insbesondere weil das Herkommen bei Gericht und allem was dazu gehörte, um öffentlich und mündlich zu verhandeln, festgewurzelt stand, kamen bald nach Erlöschen der Karolinger die Urkunden mehr und mehr in Abgang. Schon im neunten Jahrhundert finden eigentliche Gerichtsschreiber sich seltener in Urkunden vermerkt, sie wurden immer weniger in Anspruch genommen und deshalb zuletzt nicht mehr angestellt. Gewöhnlich schrieb die Urkunde, wer sie empfing. Im zehnten Jahrhundert traten die Privaturkunden, die cartae pagenses, aus dem öffentlichen Leben zurück: kurze Notizzettel mussten sie ersetzen, damit man bei Kauf, Tausch oder Schenkung von Grundstücken nicht bloss die Zeugen, sondern auch Lage und Gränzen sofort bestimmen könne. Ausser dem Güterverkehr gab es auf dem platten Lande nur noch Vieh- und Fruchthandel, darin aber wurden die Geschäfte mündlich. abgemacht und brauchte man keine Urkunden. Mit dem Grundvermögen aber ging, ausser dass eine Menge Höfe und Aecker, Wiesen und Wälder an die, Kirchen und Klöster kamen, oder in Lehen gegeben wurden, selten ein Wechsel in Eigenthümern vor

sich durch Familienrecht, sowie durch Dienst- Hof- und Lehenrecht waren die Wege vorgeschrieben, auf denen es von Einem zum Andern überging. Ausserdem aber waren Recht und Eigenthum noch untrennbar verwachsen mit dem Willen und der Kraft der Persönlichkeit. Kam es zum Prozess, so entschied am letzten Ende nicht der Wortlaut der Urkunden, sondern das Schwert. „Alle sollen dem Gottesurteil und das vornehmste war eben der Zweikampf glauben ohne Zweifel“, verkündete selbst ein Kapitular Karl des Grossen.

Hielten die Notizzettel, die wohl meist gleich in der Gerichtsversammlung dieses oder jenes Gaues aufgesetzt wurden, in Aussehen und Aussage noch den Schein der selbstständigen Urkunden bei, so begnügte man sich allmählig, ihren Inhalt auf einen Bogen oder in ein Heft einzutragen, und zuletzt wurde auch diese Form zu einer Art Protokoll, in welchem die Rechtsgeschäfte von Diesem oder Jenem, bald gründlich bald flüchtig, verzeichnet wurden. Statt der Urkunden hatte man jetzt Akten, die aber später wieder durch eigentliche Urkunden verdrängt wurden. Will man den Gang dieser Entwicklung unsers Archivinhalts, soweit sie in der grossen Kaiserzeit Statt hatte, nach ihren Zeitstufen kennzeichnen, so möchte folgende Abtheilung der Geschichte entsprechen. Von 900 bis 950 kommen Urkunden neben Notizen vor, von 950 bis 1050 giebt es fast nur die letzteren, von 1050 bis 1100 begnügte man sich mit kurzen Vermerkungen, von 1100 bis 1250 treten wieder Urkunden auf, und sie beherrschen nach 1250 allein das Feld.

Dem entspricht der Befund in unsern Archiven. Das urkundenreichste Archiv Deutschlands, das Reichsarchiv zu München, besitzt für den langen Zeitraum von 912 bis 1252, also für nahezu vierthalbhundert Jahre, nur 5337 Urkunden. Davon treffen in der sächsischen Kaiserperiode auf hundert Jahre 350, in der salischen auf die gleiche Zeit nur etwa 50 mehr. Erst im zwölften Jahrhundert, als die Bildung höher stieg und deshalb auch der Güterverkehr lebhafter wurde, ist im genannten Archiv eine grössere Vermehrung der Urkunden wahrzunehmen. Zu Anfang des zwölften Jahrhunderts zählt das Jahr 7, im Ausgang schon 25 Urkunden. Vom Ende des dreizehnten Jahrhunderts an steigert sich ihre Zahl rasch und bedeutend, so dass anfangs auf das Jahr 40, um 1240 bereits 75, fünf Jahre später schon nahe 100 fallen. Man sehe in allen andern deutschen Archiven nach: sie werden gerade für das zehnte und eilfte Jahr

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