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bewahren 1). Und speciell vom Endgerichte handelnd singt die Kirche im Dies irae:

Liber scriptus proferetur,
In quo totum continetur,
Unde mundus iudicetur./

Daß das Aufschlagen der Bücher, einer menschlichen Gerichtsverhandlung entlehnt, eine bildliche Redeweise sei, geben alle Theologen zu; auch über den Sinn dieser Metapher im allgemeinen herrscht Uebereinstimmung. Wie beim menschlichen Gerichte aus der Verlesung der Untersuchungsacten, der Gesez- und Strafbücher alles klar wird, die böse That, das Maß der Schuld und Strafe, so wird auch beim jüngsten Gerichte, nicht für Christus oder Gott, sondern für die Menschen alles klar und offenkundig, die Thaten aller Menschen, alles was geschehen ist im Einklang mit dem göttlichen Geseze oder im Widerspruch mit ihm, Verdienst und Schuld, verdienter Lohn, verwirkte Strafe. In der Deutung des einzelnen indessen zeigt sich einige Meinungsverschiedenheit. Es fragt sich nämlich, was im nähern unter den Büchern, die da aufgeschlagen werden, dann, was speciell unter dem Buche des Lebens zu verstehen sei.

3. Der h. Augustinus versteht unter den Büchern die Seelen der alttestamentlichen und neutestamentlichen Heiligen, sofern in ihnen, die das göttliche Gesetz so vollkommen und beharrlich übten, sich dieses Gesez, nach welchem die Menschheit gerichtet wird, so herrlich abspiegelt 2). Richard von St. Victor hingegen bezieht den Ausdruck lediglich auf die hervorragendsten Heiligen, während der Verfasser des Elucidariums ausschließlich an Christus selbst und an sein heiliges Leben denkt./

Viel besser aber und wohl einzig richtig ist die Erklärung anderer Theologen, welche in jenen Büchern nichts anderes finden, als einen bildlichen Ausdruck für das eigene Gewissen aller derer, die gerichtet werden. Und gewiß, gerade am großen Gerichtstage wird das eigene

1) Deus, cui soli cognitus est numerus electorum in suprema felicitate locandus, tribue, quaesumus, ut intercedentibus omnibus sanctis tuis universorum, quos in oratione commendatos suscepimus et omnium fidelium nomina beatae praedestinationis liber adscripta retineat. Vgl. die Secret am ersten Fastensonntage.

2) Illi libri, quos priore loco (apostolus) posuit, intelligendi sunt sancti et veteres et novi, ut in illis ostenderetur, quae Deus fieri sua mandata iussisset. de civ. 1. 20. c. 14.

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Innere, das Gewissen, eine sehr beredte Sprache führen; es bewahrt, wenn auch unvollkommen, die Erinnerung an das Gute und Böse, was wir einstens thaten; es bewahrt in sich das göttliche Gesez und nach Maßgabe dieses Gesezes lobt und tadelt es und erklärt des Lohnes und der Strafe würdig; denn das Werk des Gesezes steht geschrieben in ihren Herzen, sofern Zeugniß ihnen gibt ihr Gewissen und wechselseitig ihre Gedanken sich anklagen oder auch vertheidigen 1).“ So lehrt Suarez mit Berufung auf Hieronymus und Theodoret); so auch der h. Bonaventurq, der jene Bücher im Gegensatz zum liber vitae einfach libri conscientiarum nennt 3). Im Buche seines eigenen Gewiffens also wird jeder Mensch am Tage des Gerichtes lesen, er wird dort vieles lesen, so viel, daß er bereits im Stande ist, Gericht und Urtheil, soweit es seine eigene Person betrifft, der Hauptsache nach vollauf zu begreifen. Im Anschluß an die zuerst genannten Theologen kann auch zugegeben werden, daß der Anblick Christi und der Heiligen, ihres innern Lebens, ihres äußern Wandels diese Sprache des Gewissens noch in hohem Grade ergänzen und verstärken wird. In diesen Musterbildern werden die Gerechten eine neue Anerkennung ihrer Tugend, die Ungerechten eine neue Verurtheilung ihrer Frevel finden. Indessen alles das, was zum Verständniß des Gerichtes nöthig ist, kann auf diesem Wege allein doch nicht erkannt werden. Welcher Mensch wüßte wohl noch alle Einzel-= heiten, auch die kleinsten, seines früheren Lebens? Und wer könnte sich wohl volle Rechenschaft geben über das Maß der Freiheit, welches jedem einzelnen Werke innewohnte, da tausend Strömungen und Ein= flüsse, bewußte und unbewußte, innere und äußere, gute und böse, natürliche und übernatürliche, starke, schwache und nahezu unmerkliche auf den Willen einwirken, ihn bald hierher ziehen und bald dorthin drängen? Dazu kommt nun aber, daß wir es mit dem allgemeinen Gerichte zu thun haben. Der einzelne Mensch soll nicht bloß sein eigenes Leben schauen, sondern vor allem auch das Leben aller andern; er soll nicht bloß das Urtheil preisen, welches über ihn, sondern auch

1) Röm. 2, 15.

2) Vera tamen interpretatio et maxime litteralis esse videtur, plures libros, qui aperiendi sunt, esse omnium hominum et angelorum conscientias, in quibus tam iura quam facta conscripta reperientur. Disp. 57. sect. 9. n. 3.

3) Brevil. VII. 1.

dasjenige, welches über alle andern ergehen wird. Zu dem Zwecke reicht das Buch des eigenen Gewissens erst recht nicht aus; da muß ein anderes Buch zu Hilfe kommen, das Buch des Lebens. /

4. Unter dem Buch des Lebens, bemerkt der h. Thomas, fann man dreierlei verstehen, zunächst die h. Schrift, weil sie die Lehre enthält, die uns zum Leben führt, dann Jesum Christum selbst, da auch das Beispiel Christi uns den Weg zum Leben zeigt. Endlich aber, und zwar im eigentlichen und biblischen Sinne, verstehen wir unter dem Buch des Lebens die göttliche Erkenntniß, sofern diese von Ewigkeit her alle diejenigen kennt, welche das Leben der Glorie, zu dem sie prädestinirt sind, erlangen werden. Dieses Buch des Lebens ist selbstredend allen drei Personen gemeinsam, doch wird es dem Sohne, als des Vaters ewiger Weisheit, besonders zugeeignet 1). Ergänzend fügt der h. Lehrer an anderer Stelle noch hinzu, daß in diesem Buche doch auch noch andere Namen, wenigstens in gewiffer Beziehung, geschrieben stehen. Im Anschlusse an gewiffe Schriftterte nämlich, die von einer Tilgung aus dem Buch des Lebens reden 2), müssen zwei Classen von Menschen unterschieden werden. Die einen find bloß zur Gnade prädestinirt, die sie durch schwere Sünde verlieren können und thatsächlich auch durch ihre Schuld verlieren, in Folge deffen sie dem ewigen Tode anheimfallen. Und die Namen dieser sind nicht schlechthin (simpliciter), sondern nur beziehungsweise (secundum quid) im Buche des Lebens eingetragen. Die andern aber sind nicht bloß zur Gnade, sondern auch, da sie in der Gnade sterben, zur Glorie prädestinirt, und die Namen dieser sind schlechthin eingetragen und bleiben eingetragen 3). Unter dem Buch des Lebens hätten wir also hiernach das göttliche Wissen zu verstehen, sofern es alle diejenigen kennt, die zum Leben berufen find, sei es lediglich zum vorübergehenden Leben in der Gnade, oder sei es gleichzeitig zum Leben in der ewigen Glorie. /

· Aber genügt das Buch des Lebens, bez. eine Eröffnung desselben, eine Offenbarung aus demselben in diesem Sinne und in diesem Umfange für die Zwecke des Gerichtes? Das Gericht soll ja dem Gesagten zufolge alles an den Tag bringen, nicht bloß die

1) De verit. q. 7. a. 1 und 3.
2) II Mos. 32, 33. Ps. 68, 29.
3) S. 1. q. 24. a. 3.

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Namen derjenigen, die zur Gnade, oder auch zur Glorie vorausbestimmt sind, sondern vieles andere, alles andere, was nöthig ist, um Gute und Böse nicht bloß über ihre eigene Lage, sondern auch über die Lage aller Mitmenschen und selbst der Engel vollständig, allseitig zu erleuchten und aufzuklären. Darum ergänzt schon der h. Augustin diesen Begriff des liber vitae entsprechend weiter. Zwar bemerkt auch er in seinem Werke vom Staate Gottes im Anschluß an Offb. 20, 15 von diesem Buche, daß es die Prädestination derjenigen be= zeichne, denen das ewige Leben gegeben werden wird 1); aber kurz vorher definirte er dasselbe Buch, soweit es für das Gericht in Betracht kommt, in folgender Weise: „Unter dem Buche des Lebens verstehen wir eine göttliche Kraft, mit deren Hülfe allen alles zum Bewußtsein kommt und sich ihrem Geistesblick mit wunderbarer Schnelligkeit zur Anschauung darbietet, was sie Gutes oder Schlechtes je gethan, in Folge dessen allen und den einzelnen ihre Schuld oder Unschuld klar wird 2).“ Der h. Thomas aber an einer andern Stelle adoptirt diese Erklärung des ältern Kirchenlehrers und führt sie wörtlich an 3). Ein Gleiches thut der H. Bonaventura, der noch hinzufügt, daß aus dem Zusammenwirken des Buches des Lebens mit den Büchern des Gewiffens den einzelnen Menschen alles, das Eigene und das Fremde, werde klar und offenkundig werden 4). Allerdings ist das Buch des Lebens in diesem weitern Sinne zugleich ein Buch des Todes, obgleich man mit dem H. Bonaventura das Buch auch so schlechthin ein Buch

1) Liber iste praedestinationem eorum significat, quibus aeterna dabitur vita. de civ. 1. 20 c. 15.

2) Et alius, inquit, liber apertus est. Quaedam igitur vis est intelligenda divina, qua fiet, ut cuique opera sua vel bona vel mala cuncta in memoriam revocentur et mentis intuitu mira celeritate cernantur, ut accuset vel excuset scientia conscientiam; atque ita simul et omnes et singuli iudicentur. Quae nimirum vis divina libri nomen accepit. c. 14.

3) Sed contra, Augustinus dicit, quod liber vitae vis quaedam intelligenda est divina, qua fiet in 4. Dist. 45. q.. 1. a. 1. q. 2.

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4) Quoniam liber vitae est liber, in quo scripta sunt omnia simul et lucidissime et in conscientiis scribuntur veraciter, ideo ex concursu apertionis horum librorum fiet aperta declaratio omnium meritorum, ita quod occulta cordis cuiuslibet et sibi et ceteris innotescant. Unde, ut vult Augustinus, liber ille est vis, qua fiet, ut ad memoriam cuiuslibet cuncta mirabiliter revocentur, ut lucide appareat aequitas divinorum iudiciorum in apertissimo lumine veritatis. Brevil. VII. 1. |

des Lebens nennen kann. Ist ja das Buch des göttlichen Wissens selbst lauter Leben und, in Verbindung mit der göttlichen Macht, zugleich Ursache alles Lebens und nur des Lebens. Daß es zugleich ein liber mortis ist, ist nicht Schuld des Buches, sondern Schuld des Menschen 1). In einem etwas mehr eigentlichen Sinne könnte man mit dem H. Hieronymus dem Satan das liber mortis zuschreiben, da Satan nicht bloß die Namen der Verworfenen kennt, sondern, als Menschenmörder von Anbeginn, auch Miturheber und Mitschuldiger ihres Unglücks ist 2). /

5. In Kraft göttlicher Erleuchtung erkennt also jeder einzelne Mensch, wie es schon beim speciellen Gerichte geschah, noch einmal sein ganzes vergangenes Leben, sein ganzes sittliches Wirken, Gedanken, Worte, Werke, Unterlassungen, das Wirken der Gnade, das Maß des nach und nach zu Stande gekommenen Verdienstes oder Mißverdienstes, das Maß der ihm gebührenden Seligkeit oder Unseligkeit; er erkennt sein eigenes Urtheil schon, bevor es förmlich und feierlich vom Richter ausgesprochen. Das göttliche Erkennen und Wissen selbst kommt ihm zu Hilfe, und in diesem Lichte, das ihn innerlich durchleuchtet, liest er wie in einem Buche alles, was ihn betrifft, auch dasjenige, was vergeffen, was zweifelhaft und was nur mangelhaft gewußt war. Weiterhin aber erkennt jeder einzelne Mensch in diesem Lichte auch alles Gute und Böse im einzelnen, was alle andern, Menschen und Engel, jemals thaten. Nur einige wenige Theologen, z. B. Paludanus und Durandus, sind dieser Annahme anscheinend abgeneigt und glauben, es genüge zur Verherrlichung der göttlichen Gerechtigkeit, wenn jeder einzelne Mensch für sein eigenes Leben allein von Gott erleuchtet werde. Alle andern berühmten Meister der Schule aber, Thomas, Bonaventura, Richard von Mediavilla, Soto, Suarez u. a., vertreten mit Recht die gegentheilige Lehre, wie aus den bisherigen Erörterungen bereits hinlänglich hervorgeht. Es wäre ja auch das jüngste Gericht gar kein öffentliches und allgemeines mehr im vollen Sinne des Wortes und würde geradezu überflüssig sein, wenn jeder

1) Liber et vis Dei causa vitae in se est, et quod mortis sit, hoc est solum per occasionem et ratione aliorum librorum, sc. conscientiarum; et ideo ab eo denominatur, ad quod principaliter est. Vel dicendum, quod non dicitur liber vitae, quia det vitam, sed notitia Dei dicitur liber vitae, quia omnia sibi sunt vita. Dist. 43. a. 2. q. 1.

2) Suarez, sect. 9. n. 3.

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