Obrazy na stronie
PDF
ePub

§. 8.

Die Belehrung Israels.

1. In der Geschichte des jüdischen Volkes verherrlicht Gott unverkennbar seine unendliche Barmherzigkeit und Langmuth in ganz specieller Weise. Gott hatte dieses Volk ausgezeichnet und gesegnet von Anfang an; aber das Volk erwies sich undankbar und treulos. Gott hörte nicht auf zu verzeihen, das Volk aber hörte nicht auf, auf Gottes Barmherzigkeit zu fündigen. Gottes strafende Hand führte Juda in's Eril; durch Gottes barmherzige Hand aber wurde es in sein Vaterland zurückgeführt. Da sezte Juda allen seinen Freveln die Krone auf und schlug seinen Messias und Erlöser erbarmungslos an's Kreuz. Ein kleiner Theil zwar eröffnete sein Herz dem Evangelium; aber das Judenthum als solches verhärtete sich und verfolgte ingrimmig den Herrn und seine Jünger. Da kam der Tag der Rache. Jerusalem und der Tempel verschwanden vom Erdboden; ein großer Theil des Volkes fiel unter dem Schwerte der Heiden; die traurigen Ueberreste wurden in alle Lande zerstreut. Aber die Barmherzigkeit Gottes hat ihr Ende noch nicht gefunden.

2. Während Israel und Juda in Gefangenschaft und Knechtschaft seufzten, während die Söhne und Töchter Juda's an Babylon's Flüssen faßen und weinten, eröffneten die Propheten dem trauernden Volke glänzende Aussichten für die Zukunft. Juda wird heimkehren; Jehova selbst mit seinem allmächtigen Arm bahnt ihm durch die Wüste seinen Weg. Und die Wüste schmückt sich, die Einöde jauchzt und blüht der Lilie gleich; die Herrlichkeit des Libanon, die Anmuth des Karmel, der Zauber Saron's wird ihr gegeben; Berge und Hügel jubeln; die Bäume frohlocken; statt der Dornen und Nesseln sprießen Myrten und Cypressen 1). Sie kehren heim und kommen nach Sion mit Frohlocken und über ihrem Haupte ist ewige Freude 2). /

[ocr errors]

Aber nicht bloß Juda soll heimkehren; auch Israel wird sich anschließen; Juda und Israel werden wieder Ein Volk und Ein Reich sein. Die Söhne Israels werden umkehren und suchen Jehova ihren König und David ihren König, und werden zum Herrn gelangen und zu seinen Gütern am Ende der Tage. Die Söhne Juda's und Israels werden zusammen wiederkehren aus dem Lande der Mitter

1) f. 35, 1 f.; 43, 19; 55, 12 f.2) Jf. 35, 10.

nacht; der Herr wird die Söhne Israels sammeln von ringsumher und sie in ihr Land führen; er wird sie machen zu Einem Volke auf Israels Bergen, und Ein König soll über sie König sein, und Spaltung unter ihnen soll fürder nicht mehr entstehen 1). Jerusalem soll sich aus den Trümmern erheben zu nie geahnter Herrlichkeit, es soll überströmen von Gütern 2). Dort werden sie ewig wohnen, und Jerusalem soll bestehen von Geschlecht zu Geschlecht 3). Die Berge träufeln Most und alle Hügel zerfließen; das ganze Land ist ein Garten der Wonne geworden. Der Herr öffnet Ströme und Wasserbronnen, und selbst die Wüste wird zu einem lachenden Gefilde, trägt Cedern, Acazien, Myrten, Delbäume, Cypressen und Platanen; und in ihr ertönen Lobgesang und Saitenspiel 4). Die Zahl der Söhne Israels wird sein, wie der Sand am Meere; Jehova selbst wird wie Himmelsthau sich über sie legen; Israel soll blühen wie die Lilie und wie der Weinstock, grünen wie der Delbaum, Wurzeln schlagen und duften wie der Libanon 5). Einen neuen ewigen Friedensbund wird Gott mit seinem Volke schließen, und der Messias soll Mittler dieses Bundes sein. Jehova verlobt sich mit seinem Volke auf ewig, nimmt unter ihnen seine Wohnung und herrscht über sie in Ewigkeit 6). /

Nicht bloß Juda und Ifrael sollen diese Segnungen genießen, auch die entlegensten Heidenvölker sollen Antheil nehmen. Jerusalems Thore find geöffnet Tag und Nacht; die Völker wallen zu Jerusalems Licht und die Könige zu seinem Strahlenglanze. Die Völker, die Jerusalem nicht dienen, gehen unter und Nationen werden vertilgt; gebückt kommen die Söhne der ehemaligen Bedränger. Allé versammeln sich in Jerusalem, und Jerusalem kleidet sich mit ihnen, wie mit einem Schmucke, und gürtet sich wie eine Braut 7). Jerusalem wird nicht mehr erobert werden; Jehova schüßt wunderbar die H. Stätte 8). Von Sion aus geht das Gesetz; dort herrscht Jehova als König; dort bringen die Heidenvölker ihm Opfer; dort fließen lebendige Wasser; dort bereitet Jehova den Völkern ein Mahl; dort herrscht Jubel und ewiges Frohlocken 9).

[blocks in formation]

9) 3. 2, 8; 25, 6; 35, 10; 56, 7. Zach. 9, 9; 14, 8.

Baut, Weltgericht und Weltende.

9

3. Daß den Propheten bei diesen glänzenden Schilderungen viel mehr vorschwebte, als die einfache Heimkehr aus dem Exile, leuchtet auf der Stelle ein. Das Auge der alttestamentlichen Seher erblickt in der Ferne zugleich das messianische Reich und seine Herrlichkeit und die himmlischen Segnungen, die dem heimgekehrten Volke dereinst zu Theil werden sollen. Unter glänzenden sinnlichen Bildern, von den spätern fleischlichen Juden zu ihrem Unheil leider so grob mißdeutet, wird dieses geistige Messiasreich mit seiner geistigen Hauptstadt, werden seine Reichthümer, Segnungen und weltbeherrschende Macht geschildert. Was aber in dieser Schilderung speciell interessirt, ist der Umstand, daß laut den Propheten nicht bloß Juda, sondern auch Israel nach der Heimkehr aus dem Eril an den messianischen Segnungen Antheil nehmen und sich demnach zum Messias bekehren soll. Ist dieser Theil der Prophezie bereits wahr geworden? — Juda ist heimgekehrt, Israel aber nicht 1). Beim Einzuge in das messianische Reich aber hat sich vom heimgekehrten Juda nur ein kleiner Bruchtheil angeschlossen; der bei weitem größte Theil lebt jezt mit Ifrael zugleich in alle Theile und Länder der Erde zerstreut. Und doch soll laut den Propheten das Volk überhaupt heimkehren, Juda und Israel, um im Reiche des

1) Einige chiliastisch gesinnte Schriftsteller, in gar zu buchstäblicher Auffassung der prophetischen Schilderungen, haben sich über den Aufenthalt Israels und seine spätere Heimkehr Vorstellungen gebildet, die wir phantastisch nennen müssen. Der dem 3. Jahrh. angehörige christliche Dichter Commodian in seinem Carmen apologeticum läßt die zehn Stämme jenseits Persien wohnen, vom Euphrat eingeschloffen. Bei ihnen gibt es keine Lüge, keinen Haß; sie sind voll Gerechtigkeit; sie genießen nur Gemüse, kein Fleisch und Blut; sie kennen keinen Frost und keine Krankheit und nur dem Tode sind fie unterworfen. Zur festgesetzten Stunde trocknet der Euphrat aus, sie ziehen nach Judäa und Gott mit ihnen, sie frohlocken auf der ganzen Reise in Gottes Gegenwart. Alles grünt vor ihnen, die ganze Schöpfung empfängt die Heiligen mit Entzücken. Ueberall sprudeln Quellen und ist Speise bereit. Die Wolken beschatten sie und die Berge legen sich nieder, um ihnen den Weg zu ebnen. Sie kommen dann in die h. Stadt und besiegen mit Hülfe der Engel den Antichrist. Vgl. Ad. Ebert in den Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Band V. Leipzig 1870. S. 399 ff. Aehnlich in unserer Zeit der Franzose Moglia: Die zehn Stämme, von Gott im Laufe der Jahrhunderte wunderbar beschüßt und irgendwo im geheimnißvollen Centrum Afrika's wohnend, werden unter Wundern und Zeichen nach Jerusalem zurückgeführt, durch welche die Wunder beim Auszuge aus Aegypten und während des Wüstenzuges tief in Schatten gestellt werden. Vgl. Études religieuses. 1868. II. S. 573 ff.

Messias neu geeint zu werden und in diesem Reiche eine neue und schönere Heimat zu finden. Oder haben wir etwa unter Juda und Israel die Heidenvölker zu verstehen, die nach Verwerfung der jüdischen Nation als das Juda und Israel dem Geiste nach an die Stelle der Verstoßenen und Enterbten traten? Indeffen die Propheten unterscheiden scharf genug. Sie laffen das gesammte Juda und Israel sich belehren, und sie lassen im Unterschiede von Juda und Israel auch die Heidenvölker sich bekehren. Die Bekehrung des Judenthums im großen Ganzen würde somit noch der spätern Zukunft angehören.

4. Unbedingt entscheidend für diese bedeutsame Frage der Zukunft ist übrigens die Lehre der neutestamentlichen Schrift. Im 10. Cap. des Römerbriefes handelt der H. Paulus über die unglückselige Verstockung des jüdischen Volkes. Aber so beklagenswerth dieses Ereigniß auch ist, fährt er im folgenden Capitel fort, so bieten Gegenwart und Zukunft doch mächtige Troftgründe. Zunächst ist die Ver= stockung der Juden ja den Heiden zu Gute gekommen, auf welche die Segnungen des Evangeliums übergingen; dann hat sich immerhin ein Theil Israels, wenn auch nur ein kleiner, zum Herrn bekehrt. Vor allem aber eröffnet die Zukunft tröstliche Aussichten. Israels Verstockung wird sich nicht fortsezen bis zum lezten Ende. Sind die Heidenvölker in die Kirche eingegangen, dann wird auch Israel dem Rufe der Gnade folgen./

Der h. Paulus schreibt: „Denn nicht will ich, Brüder, daß euch dieses Geheimniß unbekannt sei, damit ihr euch selbst nicht weise dünket, daß die Verstockung theilweise Israel widerfahren ist, bis die Vollzahl der Heiden eingetreten ist 1)." Damit also die Verstockung und Verwerfung der Juden für die Heidenchristen nicht Anlaß zu selbstgefälligem Dünkel werde, macht der Apostel darauf aufmerksam, daß auch die ungläubigen und verstockten Juden fortfahren, Gegenstand liebevoller, gnädiger göttlicher Vorsehung zu sein; daß ihre Verstockung durch Gottes Gnade ein Ende nehmen und auch fie gerettet werden, sobald nur das Evangelium unter den Heiden die entsprechende Verbreitung gefunden hat. Und zwar handelt es sich um die Bekehrung nicht etwa eines Theiles, sondern der Gesammt= heit Israels, wie der h. Paulus mit Bezugnahme auf einen Ausspruch des Propheten Isaias ausdrücklich hervorhebt: Und so wird

[ocr errors]

1) Röm. 11, 25. Vgl. Simar, Theologie des h. Paulus. §. 46.

[ocr errors]

ganz Israel gerettet werden nach dem, was geschrieben steht: ,B wird kommen aus Sion der Retter, er wird abwenden die Gottlosig= keit von Jakob 1)."" Diese dereinstige Begnadigung Israels, fügt der H. Apostel erklärend hinzu, wird aus verschiedenen Gründen herbeigeführt. Gott nimmt sich der verlorenen Söhne des Hauses Israel an zunächst mit Rücksicht auf ihre gottesfürchtigen Stammbäter: „fie find geliebt der Väter wegen." Er nimmt sich ihrer um so mehr an, als er durch seine Propheten das dereinstige Heil Israels den Stammvätern ausdrücklich zugesichert hat; die göttlichen Verheißungen aber, wie sie z. B. durch Isaias gegeben wurden, „find nicht der Reue unterworfen." Dazu kommt die in Aussicht stehende Verherrlichung der göttlichen Gnade, die alle, Heiden und Juden, aus sündigem Verderben, aus geistiger Blindheit und Verstockung zum ewigen Heile führt: Denn Gott hat alle in Ungehorsam eingeschlossen, um alle zu begnadigen." Dieser Blick in die Geschichte des Reiches Gottes, fährt Bisping fort, diese Betrachtung des so wunderbar in einander ge= schlungenen Gewebes der göttlichen Führung begeistert den Weltapostel zu einem erhabenen Hymnus auf die Güte und Weisheit Gottes: „O Tiefe des Reichthums und der Weisheit und der Erkenntniß Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege! Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Rathgeber gewesen? Oder wer hat ihm zuvor gegeben, daß ihm wiedervergolten werde? Denn aus ihm und durch ihn und für ihn ist alles. Ihm sei Ehre in Ewigkeit 2)!"/

"

Dazu kommt die Verheißung des Erlösers selbst: „Und sie (die Juden) werden fallen durch des Schwertes Schärfe und werden ge= fangen geführt werden unter alle Völker, und Jerusalem wird niedergetreten sein von den Völkern, bis die Zeiten der Völker erfüllt sein werden 3)." Die an sich etwas dunkle Verheißung empfängt ihren Commentar durch alles das, was uns der h. Paulus

1) s. 59, 20.

2) Die Sage vom ewigen Juden, fügt Bisping noch hinzu, der rast los durch die Jahrhunderte getrieben, nicht eher Ruhe finden kann, bis der Herr, den er gelästert hat, wiederkommt, hat also einen tiefen Sinn. Israel selbst, wie es jest bereits achtzehn Jahrhunderte ohne Vaterland, ohne Cultus, überall und nirgends geisterhaft durch die Weltgeschichte wandelt, ist dieser ewige Jude.

3) Luc. 21, 24.

[ocr errors]
« PoprzedniaDalej »