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dieses gezwungene Stillschweigen ist man auch falschen Beurtheilungen leicht ausgesezt. Diese peinliche Lage entsteht um so leichter, wenn man der Minorität angehört und zwar nicht nur im Reichstage, sondern auch in der Presse.

Endlich bietet mir diese Schrift ein erwünschtes Mittel, meinen verehrten Wählern aus dem VI. Badischen Wahlkreise eine Art Rechenschaft über die Art und Weise, wie ich ihr Mandat ausgeübt habe, wie auch über die Gründe der Niederlegung abzustatten.

Da ich durch die Neuwahl meinen Wählern eine Last aufbürde, so halte ich mich um so mehr verpflichtet, ihnen zu beweisen, daß sowohl der Annahme, wie der Niederlegung des Mandates wichtige Gründe zur Seite standen.

Es versteht sich von selbst, daß ich bei dieser Erörterung lediglich und allein meine Auffassung der einschlägigen Ver= hältnisse ausspreche ohne den mindesten Anspruch, die Ansichten der übrigen Mitglieder der Centrumsfraction dabei zu vertreten. Nur bezüglich der Grundprincipien der Fraction selbst bin ich ihrer Zustimmung gewiß, da diese das oft ausgesprochene Programm derselben bilden. Bezüglich der nä= heren Begründung und Anwendung dieser Principien und des Urtheils über die einzelnen Gegenstände, welche im Reichstage zur Verhandlung gekommen sind, vertrete ich dagegen lediglich meine Auffassung und den Standpunkt, von dem aus ich mich der Fraction angeschlossen und bei den Abstim= mungen meine Stimme abgegeben habe.

Ich glaube aber durch meine Stellung als katholischer Bischof noch eine besondere Veranlassung zu dieser Besprechung der Verhandlungen des Reichstages zu haben. Bei den unglaublichen Voreingenommenheiten, welche gegen die Be

strebungen der Katholiken bestehen, in welche sich überdieß fort und fort unsere Gegner tiefer hinein arbeiten, kann es nicht ausbleiben, daß sowohl meine Theilnahme am Reichstage, als auch mein Rücktritt die unrichtigsten Deutungen finden wird. Es sollte mich nicht im Mindesten wundern, wenn die officiöse Presse sofort behaupten würde, dieser Rücktritt sei auf Befehl von Rom erfolgt, und sei ein neuer schlagender Beweis von jener Mißbilligung der Bestrebungen der Centrumsfraction seitens Roms, welche dieselbe Presse mit ebenso großer Unwahrhaftigkeit, wie Hartnäckigkeit behauptet. Je unbefangener und rückhaltloser ich mich daher über meine Theilnahme an der Centrumsfraction, wie über meine Beurtheilung der Verhandlungen des Reichstages selbst ausspreche, desto mehr kann ich hoffen, vielleicht etwas zur Verscheuchung dieser Gespensterfurcht beizutragen, welche die officiöse Presse in Deutschland ganz systematisch gegen uns Katholiken zu verbreiten sucht.

I.

Die Centrumsfraction

vertritt zwei große Principien, welche eminent politischer Natur sind und tief im deutschen Wesen, in der deutschen Gesinnung und in der deutschen Geschichte wurzeln ;

erstens das Princip, daß Religion, Sittlichkeit und Gerechtigkeit die allein wahren Grundlagen des Staates und der gesammten bürgerlichen Gesellschaft sind;

zweitens das Princip, daß die Verfassung des deut= schen Reiches den Einzelstaaten jene Selbstständigkeit bezüglich der Gesetzgebung und Selbstverwaltung gewähren muß, welche mit einer starken Reichsgewalt vereinbar ift 1).

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1) Programm der Fraction des Centrums.

Justitia fundamentum regnorum. Die Centrums Fraction des deutschen Reichstages hat folgende Grundsäße für ihre Thätigkeit aufgestellt:

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1) Der Grundcharakter des Reichs als eines Bundesstaates soll ge= wahrt, demgemäß den Bestrebungen, welche auf eine Aenderung des föderativen Charakters der Reichsverfassung abzielen, entgegengewirkt und von der Selbstbestimmung und Selbstthätigkeit der einzelnen Staaten in allen inneren Angelegenheiten nicht mehr geopfert werden, als das Interesse des Ganzen es unabweislich fordert.

2) Das moralische und materielle Wohl aller Volksclaffen ist nach Kräften zu fördern; für die bürgerliche und religiöse Freiheit

Das erste Princip steht der Nüglichkeits- und Zweckmäßigkeitstheorie im Staatswesen gegenüber. Es gibt nämlich überhaupt nur zwei Ausgangspunkte, zwei oberste Principien für die Theorie des gesammten Staatsrechtes. Das eine geht von der Religion, der Sittlichkeit, dem Rechte aus, also von einem positiven und geschichtlichen Boden; das andere geht von der Nüglichkeit, von der Zweckmäßigkeit, also von leeren Allgemeinbegriffen aus, welchen erst der Inhalt gegeben werden muß, und will nach diesen die ganze Staatsordnung gestalten. Der Unterschied beider Anschauungen liegt nicht darin, daß etwa die Anhänger des ersten Principes bei ihren Bestrebungen das „Nüßliche und Zweckmäßige" ausschließen, sondern vielmehr darin, daß sie nur das für wahrhaft nüzlich und zweckmäßig halten, was von der Religion, der Sittlichkeit und dem Rechte getragen ist. Der Unterschied beider Anschauungen liegt auch nicht darin, daß etwa die Vertreter der Nüglichkeits- und Zweckmäßigkeitstheorie principiell die Religion und Sittlichkeit von ihren Bestrebungen auf staatlichem Gebiete ausschließen wollen, sondern darin, daß sie Religion, Sittlichkeit und Recht ihren Nüglichkeits

aller Angehörigen des Reichs ist die verfassungsmäßige Feststellung von Garantieen zu erstreben und insbesondere das Recht der Religions-Gesellschaften gegen Eingriffe der Gesetzgebung zu schützen.

3) Die Fraction verhandelt und beschließt nach diesen Grundsäßen über alle in dem Reichstag zur Berathung kommenden Gegenstände, ohne daß übrigens den einzelnen Mitgliedern der Fraction verwehrt wäre, im Reichstage ihre Stimme abweichend von dem Fractions-Beschlusse abzugeben.

Berlin, im Frühjahr 1871.

Der Vorstand der Fraction des Centrums:

v. Savigny. Dr. Windthorst (Meppen). v. Mallinckrodt. Probst. Reichensperger (Olpe). Karl Fürst zu Loewenstein. Freytag.

und Zweckmäßigkeitsansichten unterordnen und daß sie ferner bei ihren Begriffen von Religion, Sittlichkeit und Recht nicht von einem positiven historischen Boden oder mit anderen Worten, nicht von einem confessionell = historischen Standpunkte ausgehen, sondern wieder nur von vagen Allgemeinbegriffen über Religion, Sitte und Gerechtig= keit. Diese Nüglichkeits- und Zweckmäßigkeitstheorie wäre nun vortrefflich, wenn es unter den Menschen über das, was nüglich und zweckmäßig im Staatswesen ist, eine objective und sichere Norm und in Folge dessen eine allgemeine Ueberein= stimmung gäbe. Nun gibt es aber keinen Begriff auf der weiten Welt und insbesondere auf allen Gebieten, welche das Staatsleben berühren, der mehr bestritten und schwankender wäre, als eben dieser. Es genügt beispielsweise auf die großen Kampfgebiete der volkswirthschaftlichen Fragen zwi= schen dem Capitalbesizer und dem Arbeiter, oder auf jenes der Schulfragen und der Volksbildung hinzublicken, um zu erkennen, wie sich hier überall die Begriffe von „Nüglich und Zweckmäßig" schnurstracks entgegen stehen. So ist es auf allen Gebieten, sowohl des Völkerrechtes, wie der inneren politischen Fragen; was dem Einen nüßlich und zweckmäßig scheint, erscheint dem Anderen schädlich und zweckwidrig. Wie oft haben diese Begriffe dem Egoismus gedient! Jede böse Leidenschaft, die in der Menschenbrust tobt, bedient sich dieses Deckmantels. Wie viele tyrannische Fürsten, wie viele habgierige Geldmänner, wie viele ehrsüchtige Demagogen haben ihre egoisti= schen Bestrebungen für eben so viele große Volksinteressen ausgegeben und sie als nüzlich und zweckmäßig dem betrogenen Volke angepriesen und durch ihre bezahlten Creaturen ihm anpreisen lassen. Ueberall stehen sich die Interessen der

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