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in Preußen als ihr Programm einmüthig verkündet. Dieser so berechtigten Forderung mußte Rechnung getragen werden; man konnte nicht die Reichsverfassung mit ihrer Competenz über alle Landesverfassungen schlechthin annehmen, ohne Klarheit zu haben über die Tragweite dieser Annahme bezüglich der wichtigsten und werthvollsten Verfassungsrechte des Volkes. Daraus entstand dann der von dem Abgeordneten Reichensperger (Olpe) und Genossen eingebrachte Verbesserungsantrag, welcher lautet :

„Der Reichstag wolle beschließen, in die Verfassung des Deutschen Reiches hinter Art. 1 die nachfolgenden Zusaybestimmungen aufzunehmen und demgemäß die Nummern der weiteren Artikel abzuändern:

r und rechte.

Art. 2. Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Censur darf nicht eingeführt werden; jede andere Beschränkung der Preßfreiheit nur im Wege der Gesetzgebung.

Art. 3. Vergehen, welche durch Wort, Schrift, Druck oder bildliche Darstellung begangen werden, sind nach den allgemeinen Strafgesehen zu bestrafen.

Art. 4. Alle Deutschen sind berechtigt, sich ohne vor= gängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln.

Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel, welche auch in Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß der Verfügung des Gesezes unter= worfen sind.

Art. 5. Alle Deutschen haben das Recht, sich zu solchen

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Zwecken, welche den Strafgesehen nicht zuwiderlaufen, in Gefellschaften zu vereinigen.

Das Gesez regelt insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit die Ausübung des in diesem und dem vorstehenden Artikel (4) gewährleisteten Rechtes.

Politische Vereine können Beschränkungen und vorüber= gehenden Verboten im Wege der Gesetzgebung unterworfen werden.

Art. 6. Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgesellschaften und der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsübung wird gewährleistet. Der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen.

Art. 7. Die evangelische und die römisch-katholische Kirche sowie jede andere Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig und bleibt im Besize und Genusse der für ihre Cultus-, Unterrichts- und Wohl= thätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds.“

Alle diese Bestimmungen sind den Bestimmungen Art. 12, 15, 27, 28, 29 und 30 der preußischen Verfassungsurkunde wörtlich entnommen. Ihre Annahme würde dem deutschen Volke die Garantie geboten haben, daß die Reichsverfassung jene verfassungsmäßigen Grundrechte des deutschen Volkes nie verlegen werde. Die Behauptung, daß einige Bestimmungen dieses Verbesserungsantrages über die Competenz des Reichstages hinausgehen, ist offenbar nicht stichhaltig, da sie alle jedenfalls so innig mit dem Vereinswesen zusammenhängen, daß sie logisch gar nicht von einander

v. Ketteler, Reichstag.

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getrennt werden können. Freilich geht der Begriff der Kirche nicht auf in dem eines gewöhnlichen Vereins; aber auch die christliche Kirche ist in der That ein Verein, wenn auch höherer Ordnung, und sie kann nicht bestehen, noch ihre Sendung erfüllen, ohne viele andere Vereine für ihre verschiedenen Zwecke in's Leben zu rufen. Diese leyteren sind aber mit den ge= seglichen Bestimmungen über ihr Bestehen und Vermögen der Competenz der Reichsgesetzgebung unterstellt, und so muß mit logischer Nothwendigkeit entweder die Gesetzgebung über das Verhältniß der Kirche zum Staate ihr auch angehören oder die Competenz auf sie ausgedehnt werden. Das leztere widerspricht eventuell nicht dem Programm der Centrumsfraction, die Competenz des Reiches nicht auszudehnen, da dieses Programm - selbstverständlich eine vernünftige Auslegung fordert, während es ja offenbar unvernünftig wäre, Gegenstände, welche untrennbar zusammengehören, zu einem Theile der Reichsgeseßgebung, zum anderen der Landesgesetzgebung zuzuweisen.

Das Resultat der Abstimmung über diesen Antrag der Centrumsfraction ist bekannt. Nach einer dreitägigen sehr erregten Debatte wurde derselbe in namentlicher Abstimmung abgelehnt. Von den 282 Mitgliedern, die auf den Namensaufruf geantwortet, haben 59 mit Ja, 223 mit Nein abgestimmt, 56 haben gefehlt, beurlaubt waren 22, krank 8, entschuldigt 1 Mitglied. Kein Mitglied aus dem gesammten Hause, mit Ausnahme der Polen, hat sich der Centrumsfraction bei diesem Antrage angeschlossen, was zum ewigen Gedächtnisse vermerkt zu werden verdient, da es sich hierbei um den Schuß von Rechten handelte, welche zu den heiligsten Gütern der Nation gehören.

Um meinen Standpunkt bezüglich dieses Antrages voll

kommen klar zu stellen, kann ich es nicht unterlassen, an dieser Stelle ein Schreiben zu veröffentlichen, welches ich bezüglich desselben Gegenstandes zur Zeit, als zuerst die Nachricht sich verbreitete, daß man in Versailles an den Grundzügen der deutschen Verfassung arbeite, dorthin an den Grafen Bismarck gerichtet habe. Es dient vielleicht dazu, die Gründe zu beleuchten, welche das katholische Volk veranlaßt haben, die Aufnahme dieser Verfassungsbestimmungen so allgemein zu fordern. Damals konnten wir freilich nicht glauben, daß wir bei dieser Forderung so vereinzelt dastehen würden; wir hofften mit Zuversicht, daß alle gläubigen und recht= lich denkenden Protestanten, welche den Ernst der Zeit und die dem christlichen Glauben drohenden Gefahren erkennen, uns treu zur Seite stehen würden. Ich glaube nicht, daß diese Veröffentlichung eine Indiscretion sein kann, da ja der Gegenstand jeden Grund des Geheimhaltens ausschließt. Das Schreiben lautet:

„Hochverehrtester Herr Graf!

„Obwohl ich fast fürchten muß, Ew. Excellenz dadurch unbescheiden zu erscheinen, so kann ich es doch nicht unterlaffen, Ihnen den Gegenstand dieses Schreibens zu unterbreiten. Ich habe dafür keine andere Entschuldigung, als meine aufrichtige Theilnahme an der festen und bleibenden Gestaltung der deutschen Verhältnisse, und mein Vertrauen zu Ew. Excellenz hoher Einsicht und billigen Gesinnung, welche nicht verschmäht, die verschiedensten Ansichten zu prüfen.

„Wie die Zeitungen melden, ist die definitive Verfassung Deutschlands bereits Gegenstand der Verhandlungen der be= theiligten hohen Staatsregierungen. Dabei wird nothwendig

wieder zur Sprache kommen, ob das Verhältniß zwischen Kirche und Staat wenigstens in seinen Grundzügen in der allgemeinen Verfassung einen Plaz finden, oder ob dasselbe den einzelnen Staaten ganz und gar überlassen bleiben soll, woraus sich dann die verschiedensten Zustände und Verhältnisse in dieser Hinsicht in Deutschland entwickeln würden. Ich glaube nun, daß Lezteres für die Zukunft Deutschlands höchst verderblich werden könnte; daß dagegen die Begründung eines wahren Friedensstandes zwischen Kirche und Staat durch Feststellung der Grundlagen desselben in der deutschen Verfassung mehr wie vieles Andere dazu beitragen würde, die Einheit Deutschlands für die Zukunft zu sichern; und daß endlich die Grundlagen eines solchen bleibenden Friedensstandes sich in der preußischen Verfassung bereits vorfinden und durch die Erfahrung bewährt haben. Ich würde es daher für ein wahres Unterpfand des Friedens und des Gedeihens halten, wenn diese Verfassungsbestimmungen für ganz Deutschland proclamirt würden. Erlauben mir Ew. Excellenz die Gründe kurz aufzuführen, welche es mir so dringend nothwendig erscheinen lassen, daß in der allgemeinen Verfassung Deutschlands das Verhältniß zwischen Kirche und Staat nach allge= meinen Grundsäßen geregelt werde.

"

Schon im Allgemeinen scheint es mir dringend noth= wendig, daß alle gläubigen Christen, daß Alle, welchen die Religion immer die Hauptsache ist und bleiben wird, Gewißheit darüber erlangen, was sie von diesem neuzugestaltenden Deutschland bezüglich ihrer religiösen Ueberzeugung zu er= warten haben: ob es ihnen die Garantie bietet, daß sie frei und ungestört dort nach ihrem Glauben leben können. Vielfach sind die Ereignisse der Gegenwart als ein Sieg des

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