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Volk mit uralten thatsächlichen Verhältnissen, uralten Rechtsanschauungen. Schon von den ältesten Germanen werde be= richtet, daß jeder Stamm nach seiner angestammten Weise zu leben gewohnt sei. Der Zug nach Individualisirung, welcher dem deutschen Wesen ganz eigen sei, müsse berücksichtiget werden. Wenn auch Vieles in Deutschland verzopft und ver= knöchert sei, so berechtige das nicht, ein allgemeines Gesezbuch zu erlassen, welches alle Eigenthümlichkeiten verwische. So beseitige man ein Uebel, um ein größeres an seine Stelle zu sehen. Er fürchte, daß bewußt oder unbewußt der Hang zum Einheitsstaate, die Lust am Centralisiren, das Hauptmotiv zur Stellung dieses Antrages sei. Man möge sich vor dem Wege hüten, welchen die Franzosen eingeschlagen. Es handle sich hier um den Gegensatz zwischen französischem und germanischem Wesen. Der Weg, auf dem man hier einen Schritt weiter gehen wolle, leite auf die Bahnen, welche zuerst zum Empire und vom Empire in den Abgrund führten.

Der Abgeordnete Dr. Windthorst aber führte aus, daß durch die Ausdehnung der Competenz der Reichsgeseßgebung auf das gesammte bürgerliche Recht, einschließlich der gesammten Justizorganisation, thatsächlich die ganze Justizhoheit von dem einzelnen Staate auf das Reich übertragen werde. Damit sei den einzelnen Staaten die Basis ihrer staatlichen Existenz entzogen. Sie hörten auf, Staaten im wirklichen Sinne zu sein und blieben nur einfache Verwaltungskörper. Darin liege die Bedeutung dieses Antrages. Die Hoheitszeichen, wenn die Hoheiten dahin seien, (es bezog sich diese treffende Aeußerung auf den Eifer, mit welchem mehrere Mitglieder des Bundesrathes für das Bild ihrer Fürsten auf den Reichsmünzen aufgetreten waren, während sie bei den

Verhandlungen über diese und ähnliche wesentliche Hoheitsrechte ihrer Fürsten tiefes Schweigen beobachteten) seien ohne Werth. Wie man das innere Staatsrecht bei einem andern Antrage den Einzelstaaten entzogen habe, so jezt das ganze Privatrecht. Die Consequenz fordere eigentlich, daß man nach Annahme dieses Antrages überhaupt den Fortgang der Legislative in den Einzelstaaten sistire. Er breche auch zugleich die ganze Kraft der Einzelvertretungen, der Landtage, des Herrenhauses in Preußen, des Reichsrathes in Bayern; denn so oft ein Beschluß dieser Körperschaften über einen Gegenstand des bürgerlichen Rechtes der Regierung oder einer Partei im Lande nicht gefalle, würde man die Sache wie an eine höhere Instanz an den Reichstag bringen. Ueberdieß gewährten die Institutionen des Reiches, soweit sie die Legislative beträfen, keinerlei Garantien für eine ruhige, eine stete, eine conservative Legislation. So lange es im Reiche keinen festgeordneten Staatsrath gebe, welcher die Geseze vorbereitet, so lange die Geseze nur in Einem Hause, das überdies wesentlich politische Tendenzen verfolge, berathen würden, so lange nicht ein festes Ministerium da sei, welches überall die leitende Hand der Regierung halte, so lange der Bundesrath selbst schweige, wenn die wichtigsten Principien debattirt würden, fehlten alle Garantien einer conservativen Gesetzgebung im Reiche. Auch die Bemerkung, daß das neue Geseßbuch nach „den modernen Ideen" entworfen werden solle, flöße ihm Besorgniß ein. Er wisse noch immer nicht recht, was diese modernen Ideen" eigentlich seien. Meistens scheine es ihm, daß es solche seien, welche die Herren von der nationalliberalen Partei sich_aus= gedacht hätten. Als Beispiel, wie bedenklich die modernen Ideen sein könnten, wurde auf manche Erscheinungen bezüglich

des Eigenthumsrechtes und des Eherechtes hingewiesen. Endlich scheine ihm der Antrag inopportun schon deßhalb, weil der Reichstag eine ganze Reihe legislatorischer Aufgaben habe, so daß es nicht nöthig sei, sie zu vermehren, und aus andern Gründen, welche der Redner noch anführte.

So treffend alle diese Gründe gegen den Antrag sind, so wird er doch, wenn der vorwiegende Einfluß der nationalliberalen Partei noch eine Zeitlang fortdauert, in nicht ferner Zeit durchgeführt werden. Die Majorität des Reichstages hat ihn bereits angenommen und wenn auch die Majorität des Bundesrathes vorerst noch dagegen ist, so wird es doch dem Reichskanzler, welcher ihm geneigt zu sein scheint, ein Leichtes sein, dessen Widerstand mit Beihilfe der nationalliberalen Partei sobald zu brechen, als es ihm beliebt. Darin liegt eine der großen Gefahren für die Zukunft des Deutschen Reiches. Ein allgemeines deutsches Gesezbuch unter Protection der nationalliberalen Partei, auf dem Boden der modernen Ideen," wäre ein Gesezbuch schlechthin im Geiste der Revolution. Nichts berührt aber tiefer das gesammte Rechtsleben eines Volkes als ein allgemeines Rechtsbuch. Der Code Napoléon hat trog seiner formellen Vollendung den Geist der Rovolution mehr in Frankreich verbreitet und in das ganze französische Volk hineingetragen, als die Revolutionen selbst es gethan haben. Ein Gesetzbuch nach „modernen Ideen,“ ein „Nationalliberaler Code," würde geradeso das innerste Rechtswesen des ganzen deutschen Volkes auf das Tiefste beschädigen.

VII.

Ergänzung des Strafgesehbuches für das Deutsche Reich.

Eine Reihe wichtiger Gesezvorlagen sind noch in der ersten und zweiten Session des Reichstages zur Verhandlung gekommen, welche ich nicht besprechen kann, ohne den Umfang dieser Schrift über Gebühr auszudehnen. Dazu gehören insbesondere die Gesezentwürfe, betreffend die Verbindlichkeit zum Schadenersag für die bei dem Betriebe von Eisenbahnen, Bergwerken u. s. w. herbeigeführten Tödtungen und Körperverlezungen; die Inhaberpapiere mit Prämien; Verleihung von Dotationen in Anerkennung hervorragender, im leßten Kriege erworbener Verdienste; Bildung eines Kriegsschazes; Ausprägung von Reichsgoldmünzen; Beschränkung des Grundeigenthums in der Umgegend von Festungen; die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres und die Ausgaben zu Verpflegung desselben für 1872, 1873 und 1874. Das Dotationsgesetz wurde in den drei leßten Tagen der ersten Session am 13., 14. und 15. Juli, das Gesetz über Bewilligung eines Pauschquantums für die Armee auf drei Jahre im Betrage von über 90 Millionen Thaler gleichfalls in den drei lezten Tagen der zweiten Session am 29. und 30. November und

1. Dezember erledigt. Unmittelbar vorher, also auch gewisser= maßen in der lezten Stunde des Reichstages wurde das Strafgesetz gegen die Geistlichen eingebracht und gleich darauf, am 23., 25. und 28. November zum Beschluß erhoben.

Schon die Eile, mit welcher die wichtigsten Geseze noch am Thoresschluffe eingebracht und in wenigen Tagen zum Beschluß erhoben worden sind, ist nicht zu billigen. Diese haftige Art, Geseze zu machen, scheint unvereinbar zu sein mit dem Geiste einer besonnenen sachlichen Behandlung der wichtigsten Angelegenheiten des Volkes. Namentlich ist diese Eile aber tadelnswerth bei einem Strafgefeße, bei der Ergänzung des Strafgesetzbuches. Was ist denn wichtiger als jede einzelne Bestimmung des Strafgesezes, welches über die persönliche Freiheit und über die Ehre der Staatsangehörigen entscheidet. Mag man die gefeßgebende Intelligenz der Mitglieder des Reichstages noch so hoch anschlagen, so bedürfen sie doch bei wichtigen Gesezvorlagen einer entsprechenden Zeit, um sich über den Gegenstand hinreichend zu informiren. Zu dieser Information gehört wesenlich Kenntniß der einschläglichen Literatur, des Standes der Wissenschaft bezüglich des vorliegenden Gegenstandes und der betreffenden Gesetzgebung im eigenen Lande und in fremden Ländern. Wer nur nach den dürftigen Motiven des Gesezes selbst und nach den Debatten im Reichstage sein Votum einrichtet, besißt kaum je die aus eigener Einsicht entsprungene Ueberzeugung, um ein objectiv richtiges Urtheil zu fällen; er wird vielmehr nach den augenblicklichen Eindrücken einer erregten Debatte sich ent= scheiden. Zu einer solchen Information gehört aber eine ge= nügende Zeit, welche ohnehin den Abgeordneten, namentlich gegen den Schluß einer Session, wo die Sizungen sich häufen,

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