Dagegen halte man nun ein Lied der Dichtkunst verwandten Inhalts, Göthe's "Ganymed": Seeliges Gefühl, geweckt vom Reize des Frühlings bis hierher ein herrliches Sprachbild des schönsten Seelenmoments. Da ringt sich aus dem Genuss dieser Wonne das Sehnen der Liebe und durchzieht das Herz. So wird der Schluss des Ausgesprochenen zugleich zum Anfang der Gedankenbewegung: „Dass ich dich fassen möcht' In diesen Arm! Ach an deinem Busen Lieg ich, schmachte, Und deine Blumen, dein Gras Ruft drein die Nachtigall der durch seinen dichterischen Charakter auf das Epigramm der Empfindung angewiesen war. Von den sogenannten Liedern gehört hierher z. B. „Ruhethal“: „Wenn im letzten Abendstrahl Goldne Wolkenberge steigen, Und wie Alpen sich erzeigen. Frag' ich oft mit Thränen: Liegt wohl zwischen jenen Andere Epigramme der Empfindung hat Uhland unter den Sinngedichten eingereiht; sie sind theils in Distichen, theils aber auch in Reimen abgefasst“. Man hat dergleichen einstrophige Lieder auch wohl Madrigale genannt, deren Form in der italienischen Poesie jedoch strenger bestimmt war. Liebend nach mir aus dem Nebelthal. Ich komm', ich komme"! Der Geist der Natur versteht nicht das Bangen der Sehnsucht, er antwortet ihr immer nur mit neuen Reizen; mitten in der Fülle ergreift dich Unruhe, du erschrickst vor dem ewigen Räthsel, du fragst mit dem Dichter: Und schon neigen sich die Wolken herab zu dir, die Hülle schwindet, und du fühlst dich aufwärts gezogen zum Ziel deiner Sehnsucht, zu Gott: Die Unterscheidung ist aber nicht immer so klar gegeben. Es kann z. B. ein Sprachbild denselben Seelenmoment in mehrfacher Wendung darstellen, so dass der Schein einer Gedanken-Composition, also einer Dichtung, entsteht, während doch nur Variationen über dasselbe Thema aneinandergereiht sind. Die Form der Ghaselen mit ihren durchgehenden Reimen ist solcher Art der Darstellung günstig. Platen's Motto zu seinen Ghaselen sagt dies: ,,Im Wasser wogt die Lilie, die blanke, hin und her, Es wurzelt ja so fest ihr Fuss im tiefen Meeresgrund, „Der Löwin dient des Löwen Mähne nicht; Der Schwan befurcht mit stolzem Hals den See, Doch Schiffe trägt sie nicht und Kähne nicht; Ein andres je zu werden wähne nicht"! Eine Combination von vier gleichbedeutenden zweizeiligen Sprüchen ist z. B.: Lass dich nicht verführen von der Rose Düften, Die am vollsten wuchert, wuchert auf den Grüften! · Lass dich nicht verlocken vom Cypressenwuchse, Denn Gewürme nagen seine schlanken Hüften; Staune nicht dem Felsen: Stürme, Winde, Blitze Selbst der Menschen Aexte mögen ihn zerklüften; Flehst du zu den Sternen? Sterne sind nur Flocken, Die nicht schmelzen können in den kalten Lüften". Man wird namentlich in vielen Liedern unseres Rückert statt einer Composition dergleichen Combinationen immer neuer, zierlicher Wendungen für denselben Inhalt vorfinden, wie denn überhaupt dieser ausgezeichnete Mann wie wenige den Namen eines Sprachkünstlers verdient, für die nicht-lyrische Dichtkunst aber nur von geringer Bedeutung ist. *) Eine andere Art der Erwei *) Der Art ist z. B. bei Rückert (Weish. d. Brahm. I, 49): Die Erd erkennt dich nicht, die dich mit Blüthen preist. Und dich erkennt das Herz, das dich mit Liebe preist." In Bezug auf Rückert's Beruf zur Dichtung ist zu bemerken, dass ihm grössere Compositionen, z. B. Dramen, wenn er sie versuchte, nicht gelangen, und dass seine schönsten Sinnsprüche, Sprachbilder u. d. m. den Eindruck von Improvisationen machen. Er charakterisirt seine Kunstgattung klar genug. er von sich (Weish. d. Brahm.): So sagt terung von Sprachbildern, durch welche sie das Ausse hn von Dichtungen erhalten, wird dadurch hervorgebracht, dass sie sich die Aufgabe stellen, ihren Gedanken unter gewissen erschwerenden Bedingungen darzustellen, so nämlich, dass sie eine gegebene künstliche Form ausfüllen. Wir rechnen hierher z. B. das Sonett, dessen Form Eine grosse Strophe zeigt, innerhalb welcher die Quadernari den „Anlass", die Terzinen den Gedanken“ zu geben bestimmt sind. W. Wackernagel (1. c. p. 141) sieht mit Recht im Sonett die italienische Form für das Epigramm: ,,Seine vierzehn Zeilen lassen die Exposition wie die Clausel in reicherer Fülle entfalten als das antike Epigramm; aber dennoch bleibt der epigrammatische Grundriss, indem zwischen den acht ersten Zeilen und den sechs folgenden eben auch jener Gegensatz von Exposition und Clausel, von epischem Vordersatz und lyrischem Nachsatz besteht." Eine andere Form ähnlicher Art ist z. B. die des Rondeau (Rundgedicht); kürzer und für Darstellung eines Sprachbildes wohl geeignet sind z. B. das Trio „Spricht bald, was klar ihm ward, bald um sich's klar zu machen Er hat die Eigenheit, nur Einzelnes zu sehn, Von seinem „Beruf" spricht er zwar (Octaven): „Da ich des Lebens Lust und Leid erfuhr, Zu mir vernehmlich redet die Natur, Mir jede Sprache lebt, die Menschen schrieben, Und alles das ich nicht zu denken nur, Auch auszudrücken fühle mich getrieben: Wie sollt' ich nicht, zum Trotz den Splitterrichtern, Mich selber zählen zu den wahren Dichtern"? Aber anderswo (Bruchstücke) heisst es: „Was kann fühlen ein Mensch, das nicht der Menschheit gehörte? Und was denken, das nicht Tausende vor ihm gedacht? Aber wenn unbefangen ers ausspricht, wie er es fühlet: Geist genug und Gefühl in hundert einzelnen Liedern Streu ich, wie Duft im Wind, oder wie Perlen im Gras. Hätt ich in Einem Gebild es vereinigen können, ich wär' ein (vid. „Grosses aus Kleinem". (Ged. Aufl. 14 p. 437.)). lett und das von Rückert uns zugeführte Ritornell, ein Epigramm der Empfindung. *) Es scheint, als liesse sich für diejenigen Lieder, welche entschieden der Sprachkunst zuzuweisen sind, auch eine Formel angeben, nach welcher ihre Zugehörigkeit zu dieser mit mehr Sicherheit beurtheilt werden könnte. Wie wir nämlich gesehen haben, kommen die selbstständigen Werke der Sprachkunst auch im Zusammenhang der Rede vor, d. h. sie heben als Redefiguren oder ästhetische Figuren einen einzelnen Seelenmoment vor den anderen besonders hervor. Ebenso kann aber auch gesagt werden, dass umgekehrt die Figuren an sich fähig sind als selbstständige Sprachbilder aufzutreten. Die Rede könnte ihrer, unbeschadet des Inhalts, auch entrathen, wie Quintilian (XII, 10, 43) von der „viri eloquentis oratio" sagt: cui si res modo indicare satis esset, nihil ultra verborum proprietatem elaboraret; sed quum debeat delectare, movere, in plurimas animum audientis species impellere: utetur his quoque adjutoriis, quae sunt ab eadem nobis concessa natura." Die Figuren stellen nicht sowohl die Sache dar, als die Art, wie die Seele durch die Sache afficirt wurde freilich an der Darstellung der Sache; sie ertheilen dieser durch ihre Formirungen die Wärme des Individuellen, die Energie des Affekts, den Reiz des Ungewöhnlichen, den Glanz der Schönheit; sie sind eigenthümliche Kunstformen, welche, wie die plastischen Ornamente an Werken der Architektur, zwar meistens nur einen formellen Werth beanspruchen, durchaus aber auch die Fähigkeit besitzen, einem einzelnen, für sich stehenden Gedanken künstlerische Gestaltung zu geben und - *) Wie auch in praxi die Zusammengehörigkeit dieser Formen der Sprachkunst sich geltend machte, bemerkt Gervinus (Gesch. der dtsch. Dichtung Bd. III, p 311): „Wir finden bei Logau alle möglichen Gattungen kleiner mit dem Sinngedicht verwandter oder nicht verwandter Gedichte, die man damals ohne Anstand unter einerlei Rubrik brachte. Zuerst weisen uns seine spruchund priamelartigen Gedichte auf das Madrigal. Häufig sind die den Italienern und Spaniern nachgeahmten Gedichte dieses Namens, so wie auch die Rondeaux, ohne Unterscheidung mit Epigrammen vermischt worden. So nennt Buchner die Sonette sogar nur eine Art Epigramme, und umgekehrt Trommer seine Epigramme Sonettchen. |